Auch vier Jahre nach der Abstimmung verweigern Bundesrat und Parlament die Umsetzung der Pflegeinitiative – und alle sehen es. Es ist höchste Zeit, klare Schlussfolgerungen zu ziehen.

Nach der Pandemie, dieser Abstimmung mit Rekordunterstützung von 61% «Ja» und sogar einem Film zur Pflege in der Schweiz («Heldin», für die Oscars vorgeschlagen), kann niemand mehr behaupten, die mörderisch-konsequente Sparpolitik im Gesundheitsbereich und die kriminelle Nicht-Umsetzung der Pflegeinitiative liege am Unwissen der Politik.

Eine effektive Umsetzung der Pflegeinitiative würde mindestens 2.5 Milliarden kosten. Das steht den Profitinteressen der Kapitalisten diametral entgegen. Der Staat, die Regierung und das Parlament verteidigen nicht die Interessen der Allgemeinheit, sondern die Profitinteressen der Kapitalisten.

Das ist das wahre Gesicht der «Schweizer Demokratie»: Es gilt Demokratie, solange die Interessen der Kapitalisten nicht herausgefordert werden. Wenn eine Initiative versucht, die Profitinteressen anzugreifen, mobilisieren die Kapitalisten ihren ganzen Apparat zur Sabotage und Nicht-Umsetzung. Der kapitalistische Staat löst unsere Probleme nicht. Er ist der kollektive Interessenvertreter der Bourgeoisie.

Dies wird besonders deutlich, wenn man sieht, wie eine winzige Zahl von Kapitalisten genau von dieser Politik der Sparmassnahmen und Initiativen-Sabotage profitiert: allein die drei grössten Schweizer Pharmakonzerne Roche, Novartis, Lonza haben in den letzten 10 Jahren insgesamt weit über 200 Milliarden US-Dollar Gewinn gescheffelt! Vergleich: Damit wäre die Umsetzung der Pflegeinitiative auf die nächsten 80 Jahre gedeckt.

Die Behauptung, dass die Ressourcen nicht existieren, um den Pflegenden Arbeitsbedingungen ohne Burnout und Invalidität und der Arbeiterklasse einen hohen Gesundheitszustand zu garantieren, ist eine böse Lüge. Sie existieren. Doch der ganze Reichtum wird von der Kapitalistenklasse kontrolliert.

Kapitalistische Krise und die Macht der Arbeiterklasse

Die Bürgerlichen und ihr Staat verweigern nicht nur jeden Rappen ihrer unzähligen Milliarden für Verbesserungen in der Pflege. Im Gegenteil, sie gehen mit Spitalschliessungen, mehr Konkurrenz und weiterer Intensivierung der Arbeit in die Offensive. Dazu kommen die jährlichen Kürzungen in den Sparbudgets der Kantone.

Überall stehen die Zeichen auf Frontalangriff. Der öffentliche Dienst wird für die militärische Aufrüstung zusammengespart («Entlastungspaket 27»). Im Privatsektor wird die Exportkrise mit Kurzarbeit und drohenden Massenentlassungen auf die Arbeiter abgewälzt.

Die kapitalistische Wirtschaft steht heute weltweit in ihrer tiefsten Krise – und die Schweiz als Teil davon genauso. Die einzige Möglichkeit, ihre Profite zu retten, besteht darin, die Krise auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuladen. Alle Regierungen und Parlamente haben die gleiche Aufgabe: Mehrausgaben verhindern, Ausgaben kürzen, Kosten auf die Arbeiterklasse abschieben.

Die Zeiten, in denen Kompromisse im Parlament Fortschritte für die Lohnabhängigen brachten, sind schon lange vorbei. Heute können wir Verbesserungen nur durchsetzen, wenn wir Illusionen ins Parlament abschütteln und verstehen, dass die Arbeiterklasse dafür kämpfen und streiken muss.

Die Macht der Arbeiter liegt nicht im Staat, sondern in ihrer Rolle in der Wirtschaft. Die Arbeiterklasse lässt mit ihrer Arbeit die gesamte Gesellschaft funktionieren. Wir produzieren unsere Waren, fahren unsere Züge, pflegen unsere Kranken und Alten und wir bilden die Jungen aus. Deshalb ist der Streik unsere mächtigste Waffe: Mit Streiks kann die Arbeiterklasse die Profitmaschinerie der Kapitalisten paralysieren und sie dazu zwingen ihren Reichtum abzugeben. Zwingen – nicht darum betteln!

4 Jahre Nicht-Umsetzung: Wir müssen streiken!

Doch die Führungen der Gewerkschaften und Pflegeverbände scheinen diese entscheidenden Schlussfolgerungen leider nicht gezogen zu haben. Der gemeinsame Aufruf hofft auf «mutige politische Entscheidungen, die die Bedürfnisse des Personals und der breiten Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen». 

In Anbetracht der Kompromisslosigkeit der Bürgerlichen weiterhin zu «hoffen» kommt gefährlich nahe an die (Einstein nachgesagte) Begriffserklärung von Wahnsinn, nämlich  immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Es ist absolut ausgeschlossen, dass die herrschende Klasse den Pflegenden einfach ein «Geschenk» machen wird.

Was die Gewerkschaften erklären müssten, ist, dass sich die Pflegenden weder aufs Parlament noch auf die bürgerliche Politik verlassen können. Sondern dass es nur einen Weg vorwärts gibt: den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen, auf die eigene Stärke als Arbeiterklasse zu vertrauen und die Kapitalisten mit Massenmobilisierungen und Streiks zu zwingen, unsere Forderungen umzusetzen. Kurz: Wir müssen streikfähig werden!

Riesiger Unmut

Der Unmut bei den Pflegenden ist riesig. Dass die Verbände die Pflegeinitiative lancierten, war schon damals ein Ausdruck des enormen Druckes von unten auf diese Organisationen. 

Die Lancierung löste riesigen Enthusiasmus aus. Die notwendigen Unterschriften waren in Rekordzeit gesammelt. Trotzdem hätte der SBK die Initiative fast noch für den Gegenvorschlag zurückgezogen. Doch die Pflegenden liefen Sturm. Sie liessen sich ihr Werkzeug – das einzige, das sie hatten! – nicht mehr wegnehmen. Dieser Enthusiasmus und die enorme Solidarität in der Arbeiterklasse führten zum Rekordergebnis: die meisten Stimmen für eine Volksinitiative je. 

Seit der Lancierung sind bald zehn Jahre vergangen. Der Unmut hat nochmals massiv zugenommen. Das Problem ist nicht der fehlende Kampfeswille, sondern dass die Gewerkschaften keinen Weg aufzeigen, wie Verbesserungen wirklich erkämpft werden können.

Ein halbes Jahr vor Annahme der Initiative schrieben wir: «Wir dürfen keinerlei Vertrauen ins bürgerliche Parlament haben: Selbst bei Annahme der Initiative würden sie jegliche Umsetzung in unserem Sinn umgehen und verhindern. Wir können in diesem Kampf nur auf unsere eigene Stärke – die der organisierten Lohnabhängigen – zählen!» Das ist heute keine Hypothese mehr, es ist bewiesen. Und genau diese Schlussfolgerung ziehen auch die Streikenden im öffentlichen Dienst aktuell in der Romandie.

Streiks in der Romandie zeigen den Weg

In Freiburg streikten am 1. Oktober 4000 öffentliche Angestellte gegen die Kürzungen. Wie es dazu gekommen ist? Die Berichte der katastrophalen Situation in den verschiedenen Bereichen drängten die Arbeiter an der Vollversammlung des VPOD zum logischen Schluss: Wir müssen streiken. Sogar die linkesten Gewerkschaftssekretäre hatten das nicht erwartet. Das bestätigt: Sobald sich eine  Möglichkeit für einen Kampf ergibt, ergreifen die Pflegenden diese mit beiden Händen. Das beweisen150 verschiedene Streikposten.  

Im Waadtland geht der Kampf noch weiter. Die Gewerkschaften haben einen Kampfplan aufgestellt: Am 18. November wird ein erstes Mal gestreikt, anschliessend soll der Streik ab dem 25. November so lange fortgeführt werden, bis der kantonale Sparplan zurückgezogen wird. Auch in den Spitälern von Lausanne, Morges, Nyon und Yverdon wird gestreikt. Der waadtländer VPOD erklärt völlig richtig: Einige Tage Streik und Minimalservice sind für die Patienten weniger gefährlich als Personalkürzungen von 24 Millionen! 15’000 kamen an die erste, 25‘000 an die zweite Demo, 60% der Lehrer streikten. Auch hier zeigt sich: Wenn die Gewerkschaftsführung einen Plan vorlegt, wie die Forderungen wirklich erkämpft werden können, dann sind Tausende bereit, sich aktiv zu beteiligen.

Die Kämpfe in der Romandie zeigen den Weg vorwärts. Sie müssen ausgeweitet werden, vor allem auf die Deutschschweiz. Die Gewerkschaften, allen voran der Deutschschweizer VPOD steht in der Pflicht, die Methoden und die Erfahrungen aus dem Waadtland zu verallgemeinern und gemeinsam mit den Branchenverbänden einen strategischen Plan aufzustellen, wie der gesamte Gesundheitsbereich auf nationaler ebene kampffähig wird. 

Um das zu erreichen, schlägt die RKP folgendes Aktionsprogramm vor:

Wir müssen den Kampf in unsere eigene Hände nehmen!
Illusionen in Kompromisse und Stellvertreterpolitik bringen uns nicht weiter. Die Erfahrungen in der Romandie beweisen: Massenmobilisierung und Streiks, das ist der Weg vorwärts. Die Erfahrungen der Romandie müssen in der Deutschschweiz verbreitet und auf ihnen aufgebaut werden.

Streiks sind unsere stärkste Waffe.
Streiks sind nicht Symbolpolitik: Ein Streik baut Druck auf, wenn er das System blockiert – denn wir Arbeiter sind die einzigen, die «systemrelevant» sind. Niemand sagt, streiken sei einfach. Ein Streik setzt Organisation und Vorbereitung voraus. Das sind Traditionen, die wir wieder aufbauen müssen. 

Ein nationaler Kampfplan, um wirkliche Verbesserungen durchzusetzen
Um die Umsetzung der Pflegeinitiative zu erkämpfen, müssen die Gewerkschaften und Branchenverbände einen strategischen Kampfplan mit nationalen Streiks aufstellen. Dieser muss alle Spaltungen überwinden: 1) im Pflegesektor über alle Berufsgruppen hinweg, 2) über die Kantonsgrenzen hinweg auf nationaler Ebene, 3) gemeinsam mit den Patienten, dem ganzen öffentlichen Dienst und den Arbeitern der Privatwirtschaft

Ein offensives Kampfprogramm gegen die Krise, um breite Schichten in den Kampf zu ziehen
Im ganzen öffentlichen Dienst und insbesondere in der Pflege steht den Lohnabhängigen das Wasser bis zum Hals. Den «Pflegenotstand» zu beenden bedeutet, die Bedingungen substanziell und nachhaltig zu verbessern. Wir fordern:

  • Sofortige Umsetzung der Pflegeinitiative!
  • Wir bezahlen eure Krise nicht! Rücknahme aller Massnahmen des «Entlastungspakets 27»
  • Gesundheit statt Granaten, kein Rappen für Raketen – gegen die militärische Aufrüstung
  • Die Rücknahme aller Sparmassnahmen und Privatisierungen der letzten zehn Jahre (inklusive der Einführung der Fallpauschale)
  • Sichere und gesunde Arbeitszeiten bedeutet: eine massive Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn
  • Halbierung des Betreuungsschlüssels pro Pflegekraft. Das bedeutet eine Verdoppelung des Personals.

Diese Dinge sind nicht ein nice to have, sondern gäben den Pflegenden erstmals wieder Luft zum Atmen. Doch dafür braucht es massive Investitionen in den Gesundheitssektor. Die Ressourcen dafür sind vorhanden! Doch sie befinden sich in den Händen einer superreichen Elite. Damit sie dort eingesetzt werden, wo wir sie benötigen, braucht es:

  • Die Verstaatlichung der grössten Konzerne, der Pharmamultis und der Banken!
  • Der gesellschaftliche Reichtum muss durch die Arbeiterklasse im Staat und in den Betrieben demokratisch kontrolliert und geplant sein!
  • Für eine Gesellschaft, in der nach Bedürfnissen statt Profiten produziert und gepflegt wird!

Es ist unmöglich, die Probleme in der Pflege isoliert von den weiteren gesellschaftlichen Problemen zu lösen. Das Problem ist der Kapitalismus. Ihn zu stürzen, dafür kämpft die RKP! Schliess dich uns an und hilf mit, in den Kämpfen der Arbeiterklasse ein revolutionäres Programm zu verbreiten!