In Gaza und Israel brach Jubel aus, als Trump auf Truth Social bekannt gab, dass sich die israelische und die Hamas-Verhandlungsdelegation in Ägypten auf ein Friedensabkommen geeinigt haben. Dieser Jubel ist verständlich, insbesondere für die Bewohner Gazas, denen bis zu diesem Zeitpunkt eine Zukunft mit dem sicheren Tod durch Bombardierungen oder Hunger bevorstand. Wir müssen jedoch die Wahrheit sagen, so hässlich diese Wahrheit auch sein mag.

Erstens haben sich Israel und die Hamas, wie Trump selbst zugab, nicht auf die vollständige Umsetzung seines Plans geeinigt, sondern lediglich auf dessen erste Phase. Zweitens wird dies, selbst wenn es den ersten Schritt zur vollständigen Umsetzung von Trumps „Friedensplan“ darstellt, langfristig nichts Grundlegendes lösen.

Woraus besteht diese „erste Phase“?

  • Innerhalb von 24 Stunden wird ein Waffenstillstand in Kraft treten.
  • Israel wird mit dem schrittweisen Abzug der IDF beginnen und weiterhin die Kontrolle über 53 Prozent des Gazastreifens behalten.
  • Die übrigen lebenden israelischen Geiseln und eine Reihe palästinensischer Gefangener werden dann innerhalb von 72 Stunden freigelassen.
  • 400 Lastwagen mit Hilfsgütern werden täglich in den Gazastreifen gelassen.

Zunächst einmal ist Folgendes zu sagen: Eine solche Vereinbarung – ein Waffenstillstand und ein Gefangenenaustausch – hätte jederzeit seit dem 7. Oktober 2023 getroffen werden können. Die Hamas hatte bereits zugestimmt. Sie wurde nicht getroffen, weil die Biden-Regierung, die europäischen imperialistischen Mächte und bis zu diesem Zeitpunkt auch die Trump-Regierung die israelische Aggression bis zum Äussersten unterstützt haben.

Zweitens ist diese Vereinbarung eine demütigende Niederlage für Netanjahu selbst und für seine Regierung. Netanjahu versucht, sie als Sieg darzustellen. Aber jeder kann erkennen, was sie wirklich ist: Trump hat sie Netanjahu aufgezwungen, sein Kabinett weicht von seiner Position ab, Gaza ethnisch vollständig zu säubern und dauerhaft zu besetzen. Seine politische Existenz hing von diesem Krieg ab.

Dies zeigt, unter welchem enormen Druck er steht – nicht nur von Trump, sondern vor allem durch das enorme Gewicht der öffentlichen Meinung innerhalb Israels, die das Abkommen unterstützt.

Das Ganze könnte noch in sich zusammenfallen. Es wurde keine Einigung darüber erzielt, wann sich die IDF aus dem Gazastreifen zurückziehen wird. Und die Hamas hat sich nicht dazu verpflichtet, ihre Waffen abzugeben und sich effektiv aufzulösen, wie es der Trump-Plan fordert.

Netanjahu könnte beispielsweise darauf setzen, dass die Hamas sich weigert, ihre Waffen abzugeben, um dies als Vorwand für eine Wiederaufnahme des Krieges zu nutzen. Möglicherweise wird er bekommen, was er will.

Ein ungeheuerlicher Plan

Wenn dieses Abkommen bereits vor zwei Jahren zu Beginn des Konflikts hätte unterzeichnet werden können, warum ist es dann erst jetzt zustande gekommen?

Die rücksichtslose Fortsetzung des israelischen Angriffs auf die Palästinenser im Gazastreifen schwächte die Position seiner imperialistischen Unterstützer. Dieser Krieg hat soziale Unruhen in den arabischen Ländern und in Europa geschürt, die im Generalstreik der vergangenen Woche in Italien gipfelten. Er hat es den europäischen imperialistischen Mächten politisch erheblich erschwert, Israel uneingeschränkt zu unterstützen, das international zunehmend isoliert ist. 

Noch wichtiger aus Sicht des US-Imperialismus ist, dass der Krieg seine Allianzen in der Region bis zum Zerreissen strapaziert und das Risiko einer weiteren Isolierung zum Vorteil seiner Rivalen wie China und Russland erhöht hat.

Der Wendepunkt in dieser Hinsicht war die versuchte Ermordung von Hamas-Unterhändlern in Doha, Katar, durch Israel, als Israel Gebäude bombardierte. Die reaktionären Golfstaaten fragen sich seither, ob sie sich auf die militärische Unterstützung der USA verlassen können.

Netanjahu ist ein gewiefter TaktikerManöveriererTaktierer, aber er hat sich übernommen, und Trump war gezwungen zu handeln. 

Trumps „20-Punkte-Friedensplan“ garantiert keineswegs Frieden, er ist vielmehr eine Monstrosität, die für weitere Konflikte sorgen wird, während die Situation des palästinensischen Volkes düster bleiben wird.

Falls dieser Plan erfolgreich umgesetzt würde, würde Gaza unter die Diktatur eines Rat gestellt, dem Donald Trump und der Schlächter Iraks Tony Blair angehören. Die IDF-Truppen würden – zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft – durch eine Besatzung aus Truppen arabischer und muslimischer Länder ersetzt werden.

Es gab viele Versprechungen bezüglich des Wiederaufbaus, aber keine Details darüber, wer dafür bezahlen würde. Tatsächlich würde Gaza unter ausländischer Besatzung ein permanentes Flüchtlingslager bleiben. Die zionistische Annexion des Westjordanlands würde unvermindert weitergehen. Die Selbstbestimmung der Palästinenser ist dauerhaft ausgeschlossen.

Tausende Bewohner Gazas feiern verständlicherweise selbst eine vorübergehende Waffenruhe und die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen, die im Vergleich zum sicheren Tod einen Funken Hoffnung darstellen.

Langfristig wird dieses Abkommen jedoch überhaupt nichts lösen. Während Trump es in bombastischer Manier als Beginn eines „starken, dauerhaften und ewigen Friedens“ gepriesen hat, wird sein Plan unweigerlich neue Konflikte, neue Kriege, neue Völkermorde und neues Leid für das palästinensische Volk mit sich bringen.

Gaza in Trümmern

Die derzeitige Lage in Gaza erinnert uns an die Worte von Tacitus: „Wo sie eine Wüste schaffen, nennen sie es Frieden.“

78 Prozent aller Gebäude im Gazastreifen sind beschädigt. Mehr als die Hälfte davon sind vollständig zerstört. Die meisten Schulen sind zerstört, keine einzige Universität ist übrig geblieben. Es gibt kein einziges funktionierendes Krankenhaus. Der Grossteil der Bevölkerung lebt heute in Zelten im Zentrum von Gaza und entlang der Südküste. 98,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind zerstört. Die gesamte Infrastruktur ist verschwunden: Es gibt kein fliessendes Wasser, kein Abwassersystem, nichts.

Der gesamte Gazastreifen ist mit Blindgängern übersät. Er hat sich wahrhaftig in ein für Menschen unbewohnbares Ödland verwandelt. Wenn ernsthafte Wiederaufbauarbeiten beginnen würden, würde es Jahrzehnte dauern, den Gazastreifen wiederherzustellen. Aber es gibt keine solchen Wiederaufbaupläne. Der Gazastreifen hat daher eine Zukunft als riesiges, permanentes Flüchtlingslager, das vollständig von ausländischer Hilfe abhängig sein wird.

Das Gebiet wird von enormen sozialen Problemen heimgesucht werden, und die Wut wird weiter brodeln. Selbst wenn die Hamas sich bereit erklärt, ihre Waffen abzugeben und sich effektiv aufzulösen, wird es daher keinen Mangel an Rekruten für bewaffnete Widerstandsgruppen geben, die das von der Hamas hinterlassene Vakuum füllen.

Die Hamas selbst entstand aus den grauenhaften Zuständen im Gazastreifen nach den Osloer Verträgen vor 30 Jahren. Die Zustände sind heute noch grauenhafter und bieten einen fruchtbaren Boden für neue Widerstandsgruppen, die der Hamas ähneln.

Auch die Ziele des israelischen Expansionismus werden sich kein bisschen ändern. Die Zionisten werden sich mit Sicherheit in neue Kriege stürzen.

Seit 1948 lautet die Haltung der Zionisten: „Was wir haben, behalten wir.“ Expandieren, neues Territorium besetzen, die Dinge bis zum Äussersten treiben und sich dann vorübergehend zurückziehen, ein Abkommen unterzeichnen, sich „vernünftig“ verhalten, mit der stillschweigenden Vereinbarung, dass man dieses vorübergehende Abkommen brechen wird, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Die Osloer Verträge waren ein solches Abkommen. Die Idee eines palästinensischen Staates wurde hochgehalten, basierend auf einer Palästinensischen Autonomiebehörde, die über Gaza, Ostjerusalem und das Westjordanland herrschte. Was geschah? Die Palästinensische Autonomiebehörde wurde in Gaza systematisch untergraben. Im Westjordanland wurde das Abkommen durch den stetigen Ausbau zionistischer Siedlungen untergraben. Schliesslich wurde das Ganze nach dem 7. Oktober 2023 verworfen.

Nun gibt es eine neue „Vereinbarung“. Israel wird weiterhin eine Pufferzone behalten, unterdessen schreitet die Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland  voran. Die Zionisten hoffen, dass die unerträglichen Lebensbedingungen in diesem Gebiet die Palästinenser dazu bewegen werden, es zu verlassen. Und es werden sich neue Gelegenheiten ergeben, es erneut zu besetzen.

Gleichzeitig destabilisiert der Imperialismus weiterhin die gesamte Region, in der neue Konflikte vorbereitet werden.

Nieder mit dem Zionismus! Nieder mit dem Imperialismus!

Der Gaza-Krieg wird langfristige Folgen haben.

Wenn dieser Frieden anhält, wird er weitaus beschwerlicher sein als der „Frieden“, der vor dem 7. Oktober 2023 herrschte. Frieden unter imperialistischen Verhältnissen ist nur eine Vorbereitungsphase für neue imperialistische Kriege, deren Umrisse wir bereits erkennen können.

Aber dieser reaktionäre Krieg hat noch weitere Veränderungen mit sich gebracht.

Er hat die israelische Gesellschaft auseinandergerissen. Vor dem 7. Oktober 2023 befand sich die herrschende Klasse Israels in einem Zustand, der fast einem Bürgerkrieg gleichkam. Der Krieg hat diese Widersprüche vorübergehend überdeckt, sein Ende wird sie erneut offenbaren, nur dass sie sich dann noch verschärft haben werden.

Dieser Krieg hat das Vertrauen einer grossen Schicht israelischer Bürger in die Fähigkeit der zionistischen herrschenden Klasse, sie zu „beschützen“, enorm erschüttert.

Wenn Trumps „Friedensplan“ umgesetzt wird, werden ägyptische, türkische und saudische Soldaten die Aufgabe haben, im Auftrag der Israelis den Gazastreifen zu kontrollieren und den palästinensischen Widerstand in Schach zu halten. Dies wird die Palästina-Frage in diesen Ländern weiter anheizen.

Weit über die Region hinaus hat der genozidale Krieg als Katalysator gewirkt. Er brachte den Zorn von Millionen Arbeitern und Jugendlichen zum Ausdruck und gab ihm einen Bezugspunkt in der Solidaritätsbewegung. Diese Wut hat in Millionen von Köpfen den Zionismus und Imperialismus mit der Remilitarisierung und Sparpolitik im eigenen Land in Verbindung gebracht.

Der politische Generalstreik in Italien in Solidarität mit Palästina und insbesondere die direkten Aktionen der Hafenarbeiter zur Blockade des Handels mit Israel waren der Höhepunkt dieser Bewegung. Das lässt sich nicht rückgängig machen: Es handelte sich um ein Erwachen der Arbeiterklasse, die ihre eigene Macht spürte. Es war ein qualitativer Fortschritt im Klassenkampf, mit dem Aufkommen sehr fortgeschrittener Methoden.

Auch wenn der Eintritt der Arbeiterklasse auf die Bühne nicht der einzige Faktor war, so war er doch eindeutig ein sehr greifbarer Faktor, der die Ängste der herrschenden Klasse im Westen schürte und sie schliesslich dazu zwang, ernsthaften Druck auf Israel auszuüben.

Unabhängig vom Ausgang dieser „Friedensverhandlungen“ müssen wir diese Lehren mitnehmen. Dass die Arbeiterklasse die Macht hat, die Kriegsmaschinerie zu Fall zu bringen. Dass der Kampf gegen den Zionismus und gegen imperialistische Kriege bedeutet, unsere eigene herrschende Klasse im eigenen Land zu stürzen. Dass letztendlich die Schrecken im Nahen Osten das Produkt des Kapitalismus und des Imperialismus sind und dass der Kampf für die Befreiung Palästinas ein Kampf für den Sturz des Kapitalismus, für die Bildung einer Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens und für die Zerschlagung des Imperialismus in der ganzen Welt ist.