Der Zusammenbruch der alten Weltordnung zeigt bereits Konsequenzen für die Schweiz. Amherd und die ganze Führung des Verteidigungsapparats traten unter dem Druck der Bourgeoisie zurück. Die herrschende Klasse beginnt, sich in einer immer schwierigeren Situation zunehmend zu streiten. Und die Schweiz rüstet wieder auf. Wir müssen den unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse verteidigen.

Ein für die stabile Schweiz ungewohntes Bild tat sich vor unseren Augen auf. Amherd, Mitglied des Bundesrats und Vorsteherin des Verteidigungsdepartements, trat im Januar zurück. Das geschah unter dem konstanten Druck der SVP, aber zunehmend auch von Karin Keller-Sutter und Teilen der FDP. Ihr folgte Amherds ganze Entourage, die komplette Führungsriege des staatlichen Repressionsapparats (Armeechef Thomas Süssli, Chef des Nachrichtendienst Christian Dussey). Der Kern des Schweizer Staatsapparats steht kopflos da und die heilige Einheit des Bundesrats bekommt offene Risse. Was steckt dahinter?

Neutralität unter Druck

Die Schweizer Kapitalisten haben seit dem Zweiten Weltkrieg unter dem Banner der «Neutralität» gigantische Profite gemacht. Sie konnten sich politisch aus den Streitereien der grossen Räuber raushalten und so mit allen Blöcken Geschäfte machen. Aber die alte Weltordnung – eine Ordnung relativer Harmonie unter dem Diktat des US-Imperialismus – bricht vor unseren Augen zusammen. Es kristallisiert sich eine neue, «multipolare» Ordnung, in der verschiedene Grossmächte um die Neuaufteilung der Welt kämpfen.

Der Ukraine-Krieg war ein erster Schlag. Biden und die EU-Führer zwangen die Schweiz, Russische Gelder einzufrieren und Sanktionen zu übernehmen. Das Resultat? Die Russen setzten die Schweiz auf ihre «Liste unfreundlicher Staaten», ein gefährlicher Präzedenzfall. Aber Amherd machte aus der Not eine Tugend und drängte mehr und mehr auf die Eingliederung in den westlichen Block, dem jedoch immer weniger die ganze Welt folgte und dessen innere Einheit erste Risse bekam. Amherd ging zu weit. Der Druck aus der herrschenden Klasse auf ihre Linie nahm zu.

Amherds Rücktritt

Dann begann Trump, die spröde westliche Einheit zu zerschlagen. Der «Westen» begann auseinander zu brechen und die Schweiz liegt genau auf einer sich öffnenden tektonischen Bruchlinie zwischen zwei Fronten – eine Bruchlinie zwischen dem wichtigsten Exportmarkt (der EU) und dem wichtigsten individuellen Exportland (der USA). Im Konflikt zwischen Russland und dem Westen aufgerieben zu werden, war bereits ein Schlag für die herrschende Klasse, aber sich zwischen Europa und den USA zu entscheiden, das wäre für den Schweizer Kapitalismus, wie wir ihn kennen, der sichere Tod.

Ein Kurswechsel wurde immer notwendiger. Man musste sich unabhängiger positionieren und wieder mehr zwischen den Blöcken lavieren. Um sich beim mächtigsten kapitalistischen Land der Welt anzubiedern, versuchten sie verzweifelt, Distanz zur EU zu signalisieren. Immer mehr Teile der herrschenden Klasse schwenkten um in Richtung einer von Europa unabhängigeren Linie. Amherd stand im Weg. Sie war der Kopf im Bundesrat für die Linie der militärischen und politischen Angliederung an die EU. Der Druck wurde verschärft und sie ging Mitte Januar, «freiwillig». Karin Keller-Sutter doppelte wenige Wochen später nach: Als Trumps Vice J. D. Vance den Europäern auf der Münchener Sicherheitskonferenz offen den Kampf ansagte, lobte Keller-Sutter Vance und nannte seine Rede «schweizerisch».

Vom Regen in die Traufe

Das Parlament hat Amherd mittlerweile ersetzt. Man konnte das Aufatmen förmlich spüren. Alle «Volksvertreter» stiessen gemeinsam an. Aber sie haben kein Problem gelöst. 

Am 2. April kam Trumps «Liberation Day», an dem er der ganzen Welt mit hohen Zöllen drohte. Der Bundesrat hatte nochmals alle diplomatischen Mittel in Gang gesetzt, um Trump zu beweisen, dass die Schweiz etwas ganz anderes als die EU ist. Trump nahm das zur Kenntnis … und drohte der Schweiz mit noch höheren Zöllen als Europa.

All das zeigt sonnenklar, dass es für den Schweizer Kapitalismus immer weniger eine gute Lösung gibt. Sie können sich bei den USA anbiedern. Aber hier warten keine offenen Arme, sondern der Protektionismus, ein Todfeind des exportabhängigen Schweizer Kapitalismus. Sie können sich mehr an Europa angliedern. Aber Europa ist das schwächste Glied des Weltkapitalismus und wird vom Zollkrieg hart getroffen. Die Schlinge zieht sich zu. Zwischen den Blöcken zu lavieren wird immer wichtiger, aber gleichzeitig immer schwieriger. Die Superprofite der letzten Periode geraten unter Druck.

Keine ihrer Seiten wählen!

Wo es keine guten Lösungen mehr gibt, dort kommt es zu Meinungsunterschieden. Die kleine Regierungskrise rund um Amherd ist ein Ausdruck erster Spaltungen in der herrschenden Klasse. Worum dreht sich dieser Streit der Bürgerlichen in der Essenz? Und was heisst das für die Arbeiterklasse, für die Jugend, die Unterdrückten?

Es sind Streitereien darum, wie ein kleiner parasitärer Räuber sich am besten seinen ehemaligen Anteil an der globalen Räuberbeute sichern kann. Aber aussenpolitisch wird der Handlungsspielraum zunehmend kleiner. Egal welche Taktik sie wählen, sie können die Krise immer weniger durch Lavieren zwischen den Blöcken abfedern. Die Profite werden schmelzen und jemand muss dafür den Kopf hinhalten. Es ist offensichtlich, wer das ist, wenn es nach den Bürgerlichen geht – die Arbeiter, die Jugend, die Ärmsten. Renten, das Bildungs- und Gesundheitswesen werden zu «Luxusprojekten», die sich die Schweizer Kapitalisten nicht mehr leisten können.

Die Arbeiterklasse muss sich dringend gegen die Angriffe der Kapitalisten verteidigen. Aber die SP setzt statt auf den Klassenkampf auf eine klassenübergreifende «solidarische Bewegung, die an freiheitliche Werte, demokratische Prinzipien und grundlegende Menschenrechte glaubt». Sie sagt den Arbeitern, dass wir uns mit Macron, Scholz, von der Leyen und in der Schweiz «mit allen anderen Parteien ausser der SVP» zusammentun sollen. Sie schürt so Illusionen in die «Liberalen», in einen Flügel der Bourgeoisie, der drauf und dran ist, die Arbeiterklasse härter anzugreifen. Und sie lenkt ab vom einzigen Weg vorwärts für die Arbeiter und Jugend. Die Arbeiterklasse muss kämpfen, und zwar in erster Linie gegen diejenigen Kapitalisten, die ihre internationale Konkurrenzfähigkeit auf unserem Buckel verteidigen wollen: die Schweizer Kapitalisten.

Um zurückzuschlagen, ist ein unabhängiger Klassenstandpunkt notwendig – ganz besonders auch in der Frage der Aufrüstung und des Militarismus. 

Aufrüstung

Trumps Zerschlagung der transatlantischen Allianz bedeutet, dass die Subventionierung Europas durch die NATO wegfällt. Die Europäer sind gezwungen, selbständig ihre imperialistischen Interessen zu verteidigen und starteten in den letzten Monaten eine regelrechte Aufrüstungsorgie. Die Schweiz war in der letzten Periode von europäischen NATO-Ländern wie von einem Schutzring umgeben. Gleichzeitig war sie nicht Teil des imperialistischen Bündnisses. So konnte sie ihre Militärausgaben noch mehr drosseln als die europäischen Nachbarn. Diese Ausnahmesituation ist zu Ende. Auch die Schweizer Bourgeoisie muss nun ihre imperialistischen Interessen selbst militärisch absichern (internationale Konferenzen schützen, die Cyber-Sicherheit garantieren, kritische Infrastruktur sichern usw.). Und es braucht ein Zeichen des guten Willens an die «Freunde» in Europa und den USA, das klar macht: «Wir sind keine Trittbrettfahrer! Wir helfen mit bei der Verteidigung!». So zieht die Schweiz nach: Das Militärbudget wurde bereits auf 1% erhöht.

Zweck dieser Aufrüstung ist nichts als die Profitinteressen des Schweizer Imperialismus gewaltsam zu verteidigen. Und diese Bomben und Flieger müssen bezahlt werden. Der «Spar-Tsunami», den die Bürgerlichen Ende letztes Jahr lostraten, ist der erste Ausdruck davon. Die herrschende Klasse erhöht das Militärbudget, um ihre imperialistischen Interessen zu verteidigen, auf Kosten von Ausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich. Aus diesen Gründen stellen wir uns ohne Wenn und Aber gegen die Aufrüstung und sagen: Bücher statt Bomben! Kein Rappen für Raketen!

Burgfrieden

Für die SP gibt es eine «gute» Aufrüstung, unter zwei Bedingungen. Erstens, dass sie durch Schulden finanziert wird. Und zweitens, dass die Schweiz zusammen mit der EU aufrüstet. Aber Schulden sind die Sparmassnahmen von morgen, mit Zinsen obendrauf. Und die Aufrüstung zusammen mit der EU ändert nichts am imperialistischen Charakter des Militarismus. Die EU ist nicht die letzte Bastion von «demokratischen, rechtsstaatlichen Prinzipien», sondern ein imperialistischer Räuberblock wie alle anderen auch.

Die SP deckt der herrschenden Klasse den Rücken. Die Frage des Militarismus hämmert nach 80 Jahren wieder an die Türen der Schweiz und die leeren Phrasen der Reformisten («Abschaffung der Armee») werden zugunsten der Verteidigung des Vaterlands und der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die eigene herrschende Klasse über Bord geworfen.

Das Banner, unter dem sie das tun – Kampf für «Demokratie» gegen die «Neofaschisten» Trump und Putin – ändert daran gar nichts. Trump und Putin sind Feinde der Arbeiterklasse, gewiss. Aber die Frage ist, wer den Lebensstandard der Arbeiterklasse und die Zukunft der Jugend für die Verteidigung der eigenen Profite opfert. Wer entlässt Arbeiter und drückt die Löhne? Die Schweizer Bosse, nicht die russischen Oligarchen und nicht Elon Musk. Wer schürt die Sparpakete auf Kosten der Massen und der Ärmsten in der Schweiz? Die Schweizer Bürgerlichen, und zwar jeglicher Couleur – nicht nur die SVP, sondern auch die Mitte und die FDP. Das sind unsere Hauptfeinde.

Für einen unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse

Während die Schweiz in der neuen Weltordnung zunehmend zwischen den grossen imperialistischen Mächten zerquetscht wird, werden die Kapitalisten und die Bürgerlichen versuchen, die Krise ihres Systems auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Die Arbeiterklasse braucht dringend eine Partei, die ihren unabhängigen Standpunkt einnimmt und ihre Interessen vertritt. Wir von der RKP haben es uns zur Aufgabe gesetzt, den ersten Kern dieser Partei aufzubauen.

Wir stellen den Slogan von Liebknecht und Lenin ins Zentrum und sagen: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Wir verstehen Aufrüstung, Protektionismus, Militarismus und Kriege als Produkte der Krise des Kapitalismus, die dazu führt, dass sich der Kampf zwischen den verschiedenen Räubern um Absatzmärkte, Einflusssphären und Rohstoffe zuspitzt. Darum kämpfen wir als Schweizer Sektion der Revolutionären Kommunistischen Internationale für eine globale Revolution zum Sturz des Kapitalismus.


«Noch nie war das Militär so wichtig.» Nicht bei den Jungen!


Ende Februar musste ich zur Rekrutierung ins Militär. Viele fanden das ein unsinniges Theater, den Militärdienst erst recht. Die Gespräche triefen von Apathie und Langeweile. Während die Politiker darüber diskutieren, wie viele Milliarden sie in neue Waffen investieren sollen, machen wir Witze darüber, wie man «Dienstuntauglich» werden kann. Offensichtlich wird es für die Armee schwieriger, in der Jugend eine Basis zu finden, was sich an der geringen Motivation unter den Rekruten zeigt.

Am Abend hält ein Oberst, zur Motivation der Truppen, einen Vortrag über die Werte der Schweiz, die Sicherheit und die Weltlage. Obwohl er sich bemüht, unangenehme Themen zu entschärfen und sich eine Jugendsprache anzueignen, werden seine wohlklingenden Worte ständig hinterfragt. «Ich bin nicht einverstanden», sagt ein Junge als es um die Demokratie geht, «ich habe eher den Eindruck, dass wir zu unwichtigen Dingen befragt werden und wir ansonsten nichts zu sagen haben», erklärt er.

Die gleiche Skepsis herrscht beim Thema Neutralität. «Seit dem Nazigold sind wir nicht mehr neutral», wird aus der ersten Reihe gerufen. Ein anderer fragt im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine: «Warum hat die Türkei eine größere Rolle bei den Verhandlungen gespielt als die angeblich so famose Schweizer Diplomatie?» Da der Oberst nichts Relevantes zu sagen hat, ausser hohle Phrasen zu wiederholen, beendet er die Konferenz damit.

Efraïm Marquis, Genf


100 Jahre Migros


Die Migros feiert Jubiläum – oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben ist. Einst gross geworden mit dem falschen Versprechen einer «sozialen» Wirtschaft, zerfällt das orange M nun in der Krise, die es selbst mit verursacht hat. Seine Führungsetage verspielte hunderte Millionen Franken durch Missmanagement und Spekulation. Dafür lässt sie nun die Arbeiterklasse bezahlen: Über 8’000 Arbeiter werden auf die Strasse gesetzt, damit die Bosse ihre Profite sichern können. Zentrale Bereiche der Migros werden ausgegliedert und unrentable Tochterfirmen wie Hotelplan, Mibelle, Melectronics, SportX und Micasa verkauft. Die Bosse haben ihre Unfähigkeit ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Der traurige Höhepunkt: Die entlassenen Arbeiter wurden vom Jubiläumsfest wieder ausgeladen.

Tobias Siedler, Bern