Die Krise, die dem Coronavirus folgt, eröffnet eine neue Epoche des Klassenkampfs – auch in den USA. Will Bernie Sanders seine «politische Revolution» für die ArbeiterInnenklasse vollbringen, muss er mit den Demokraten brechen und eine echte Arbeiterpartei aufbauen.
Auch im Jahr 2020 unterstützen wieder Millionen Junge und ArbeiterInnen in den USA das Programm und die Ideen des selbsternannten Sozialisten Bernie Sanders. Die Folgen des Coronavirus unterstreichen deutlich die Notwendigkeit seiner Forderungen, insbesondere die nach einem öffentlichen Gesundheitssystem. Doch wie 2016 wird er wohl auch dieses Mal nicht der Präsidentschaftskandidat der Demokraten sein. Nicht etwa weil seine Forderungen für die Bevölkerung zu radikal sind – sondern weil die Demokratische Partei nicht die Interessen der ArbeiterInnen vertritt.
Die USA im Aufruhr
Die USA, einst die Stütze des Kapitalismus, wurden im vergangenen Jahr durch massive LehrerInnenstreiks (siehe Funke Nr. 71), wochenlange Streiks bei General Motors und zahlreiche weitere Arbeitskämpfe erschüttert. Diese Kämpfe und die beeindruckenden Massenmobilisierungen rund um Sanders (an seinen öffentlichen Veranstaltungen werden regelmässig Rekorde gebrochen) sind eine Reaktion auf die Krisenpolitik der US-amerikanischen Bourgeoisie und die damit verbundene, wachsende Ungleichheit. In den letzten drei Jahrzehnten konnte das reichste Prozent in den USA sein Vermögen um 21 Billionen steigern. Das Vermögen der Ärmsten 50 Prozent sank um 500 Millionen Dollar. Heute leben 78% aller AmerikanerInnen von Lohn zu Lohn. Sich etwas auf die Seite legen können sie nicht. Der landesweite Mindestlohn von 7.25 Dollar würde für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern bedeuten, dass sie während sechs Tagen in der Woche beinahe 24 Stunden pro Tag arbeiten müsste, um ein Lebensminimum aufrechtzuerhalten. Insgesamt eine explosive Mischung.
Während also der US-Kapitalismus schon in «normalen» Zeiten nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, zeigt sich diese Tatsache in der aktuellen Situation noch deutlicher. Das Gesundheitssystem der USA ist eine Katastrophe; die Spitäler sind veraltet, die privaten Krankenversicherungen decken nur die wenigsten Krankheiten, wer wegen Krankheit bei der Arbeit fehlt, wird oft nicht bezahlt und Medikamente sind massiv überteuert. Der Ausbruch des Coronavirus offenbart diese Missstände gnadenlos.
Der Ausbruch des Virus entblösst zunehmend auch Trump. Zunächst weigerte er sich, die Bedrohung durch das Virus anzuerkennen (aus Angst vor der drohenden Rezession). Mit dieser unfassbar langsamen Reaktion verschlimmerte er die Ausbreitung des Virus in den USA um ein vielfaches. Als er endlich den Ernst der Lage zugab, schlug er auf die andere Seite aus; es wurde bekannt, dass er versucht hat, von einer deutschen Firma das Patent auf einen Impfstoff zu erwerben, um diesen in der Folge nur für die amerikanische Bevölkerung zu nutzen. Dadurch hofft er sich etwas Zuspruch in den patriotischen Kreisen zu sichern. Die grob fahrlässige Inkompetenz der Trump-Regierung mit der Gefahr angemessen umzugehen wird die Erkenntnis, dass dieses System den ArbeiterInnen nichts als Elend zu bieten hat, vorantreiben. Das Corona-Virus mag ein Unfall sein – doch es entblösst nur in deutlicher Art und Weise die Mängel des herrschenden Systems. Die dünne Schicht, mit der die jahrzehntelange Sparpolitik auf Kosten der Ärmsten, der Pflege und dem Gesundheitswesen generell überdeckt wurde, beginnt nun aufzubrechen.
Sanders als Ausdruck des Wandels
In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass heute sozialistische Ideen auch im Land der traditionell stark gepflegten Kommunismus-Hysterie mehr und mehr Anklang finden. So haben 50 Prozent aller unter 30-jährigen eine positive Ansicht des Sozialismus (siehe Funke Nr.88). Bei den Millenials (also den 23-38 Jährigen) sehen 36 Prozent den Kommunismus als positiv (2018 noch 28 Prozent), 35 Prozent den Marxismus und 70 Prozent von ihnen würden eineN SozialistIn wählen. Und das war noch vor dem Ausbruch des Virus, also bevor die Missstände des Kapitalismus noch offensichtlicher wurden! Bernie Sanders’ Programm drückt diese Stimmung zumindest teilweise aus: Gratis Hochschulzugang, eine öffentliche Krankenkasse, höhere Besteuerung der Reichsten und so weiter.
Diese Forderungen haben, trotz ihrer Limitierungen, eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie richten sich direkt gegen die Profitinteressen der Kapitalisten. Die herrschende Klasse verabscheut Sanders, weil er den ArbeiterInnen gewisse Alternativen zum Status Quo präsentiert – auf Kosten der Besitzenden. Und diese Ablehnung ist der Grund, warum die Führung der Demokratischen Partei alles daran setzt, eine Kandidatur von Sanders in ihren eigenen Reihen zu verhindern und weshalb sie Joe Biden unterstützt.
Die Demokratische Partei – Partei des Kapitals
Joe Biden steht in stolzer Tradition der Werte der Demokraten: Antikommunismus, Kriege, Deregulierung, Angriffe auf den kaum vorhandenen Sozialstaat und viele weitere verheerende Massnahmen wurden unter demokratischer Führung durchgesetzt. Nie gab es so viele Deportationen wie unter Barack Obama (dessen Vize Joe Biden war). Guantanamo Bay blieb offen und die Kriege im Irak und Afghanistan konnte er auch nicht beenden. Der demokratische Ex-US-Präsident Bill Clinton war massgeblich an der Entstehung der Multi-Milliarden-Gefängnis-Industrie beteiligt. In ihrer mehr als 150 jährigen Geschichte konnte die Demokratische Partei zwar durch massenhaften Druck der ArbeiterInnenklasse zu gewissen progressiven Reformen gezwungen werden. Doch sie tat auch alles, um diese in der Folge wieder rückgängig zu machen, sobald der Druck nachliess.
Die Demokratische Partei war nie links. Sie waren nie eine Partei der ArbeiterInnen, sie war seit Beginn eine Partei von der herrschenden Klasse für die herrschende Klasse. Sie steht für die Verteidigung des Privateigentums der Besitzenden und die Interessen des Finanzkapitals von der Wallstreet.
Bezeichnend dafür stand die Kandidatur von Mike Bloomberg. Der ehemalige Bürgermeister New Yorks und ehemalige Republikaner, der Grosskapitalist und Rassist, gab für seine nur wenige Wochen dauernde Kandidatur bei den Demokraten 500 Millionen Dollar aus. Ein grosser Teil davon, um Werbung gegen Bernie Sanders zu schalten.
Die Demokratische Partei ist eine bürgerliche Partei, eine Partei des US-Amerikanischen Kapitals, finanziert durch Big Business die hauptsächlich als riesige Wahlmaschine funktioniert. Die Corona-Krise verdeutlicht noch einmal, wo die Interessen ihrer Führung liegen: Sie sind direkt mitverantwortlich dafür, dass zwar 1.5 Billionen US-Dollar (!) in die Finanzmärkte gepumpt, aber kaum Gelder für die Gesundheitsversorgung bereitgestellt werden. Zudem verabschiedeten sie ein Gesetz, dank welchem grosse Firmen den ArbeiterInnen trotz Corona nichts zahlen müssen während ihrer Absenz.
Die Notwendigkeit der unabhängigen Partei
Die Politik der Demokratischen Partei steht Sanders’ Programm und den Hoffnungen nach guten Lebensbedingungen seiner Millionen Anhänger diametral gegenüber. Das ist das grundlegende Problem an Sanders’ Kampagne: Die Demokratische Partei kann den ArbeiterInnen nichts bieten, denn sie ist eine der zwei bürgerlichen Parteien im Zwei-Parteien-System der USA – doch er kandidiert als Demokrat.
Solange Sanders als Kandidat der Demokratischen Partei antritt, ist er gezwungen, der Partei und damit der Kapitalistenklasse gegenüber Zugeständnisse zu machen. Er muss zumindest teilweise nach ihrer Pfeife tanzen und was noch wichtiger ist: Er ist ihrer Sabotage schutzlos ausgeliefert. Bereits vor 4 Jahren wurde Sanders massiv sabotiert, wie nachträglich geleakte E-Mails bewiesen. Nichtsdestotrotz unterstützte er danach die Kandidatur von Hillary Clinton und stiess damit hunderttausende ArbeiterInnen vor den Kopf, die den Status Quo, den Clinton repräsentierte, verabscheuten. Wie Nachwahlbefragungen zeigen, blieb ein grosser Teil von ihnen nun auch desillusioniert den Vorwahlen fern. Und viele, die Sanders wählen, wählen ihn obwohl und nicht weil er für die Demokraten kandidiert. Sanders hat aber jetzt schon angekündigt, jedweden Kandidaten der Demokraten zu unterstützen – und das Partei-Establishment hat angekündigt alles zu tun um ihn zu verhindern. So verliert er mit jedem Tag mehr an Unterstützung der Jugend und ArbeiterInnen, die die sich angeekelt von der Demokratischen Partei abwenden.
Der einzige Weg, um konsequent für die Interessen der ArbeiterInnen zu kämpfen und mit dem ewigen scheindemokratischen Hin-und-her zwischen Demokraten und Republikanern zu brechen, ist mit einer von der Kapitalistenklasse unabhängigen Partei der ArbeiterInnen mit einem sozialistischen Programm. Um sein Programm durchsetzen zu können müsste Bernie jetzt zur Gründung einer solchen Partei aufrufen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen würden diesem Aufruf in der aktuellen Situation folgen.
Die Möglichkeit der unabhängigen Partei
Eine Partei die konsequent die Interessen der ArbeiterInnen verteidigt, statt die der Kapitalisten, wird nicht über Nacht erbaut. Doch sie ist keine Frage der Machbarkeit mehr in den USA. Die Basis dazu existiert, über die aktuellen Kämpfe (die anfangs erwähnten zahlreichen Streiks der vergangenen Monate) wäre eine Verankerung in den Arbeitsplätzen und Gewerkschaften möglich und die Zahlen zur Unterstützung des Sozialismus sprechen Bände.
Hinzu kommen die Millionen Menschen, die erreicht werden könnten, welche die Demokratische Partei (zu Recht) ablehnen. Und jene die sich nun im Prozess der Vorwahlen von den Demokraten abwenden, sind jene die sich eine klare antikapitalistische Haltung wünschen und nicht eine moderatere. Umfragen zeigen, dass selbst unter jenen die die Demokraten noch wählen, eine Mehrheit ein positives Bild vom Sozialismus hat – und nur eine Minderheit ein positives vom Kapitalismus. All diese Leute und jene die sich im Angesicht der kommenden Krise noch radikalisieren werden, bilden eine mächtige und riesige Basis für eine Partei der ArbeiterInnen und der Jugend in den USA.
Eine neue Phase des Kampfes
Die bevorstehende Krise macht ein von den Kapitalinteressen unabhängiges Kampfmittel unabdingbar. Bereits seit der letzten Krise haben bedeutende Bewusstseinsveränderungen stattgefunden und der Sozialismus ist wie gesehen eine valable Alternative für viele US-AmerikanerInnen.
Die Coronakrise hat nun eine neue Epoche des Klassenkampfs eingeläutet. Die Trump-Regierung wird massiv Schaden davontragen – aufgrund ihres katastrophalen Krisenregimes und der angebrochenen Rezession, welche Millionen in die Arbeitslosigkeit schickt. In den USA wie überall werden durch diese Prozesse Millionen von Menschen neu auf die politische Bühne treten – die kommenden Monate und Jahre werden von härtesten Kämpfen um faire Löhne und ein gutes Gesundheitssystem geprägt sein. Es wird deutlich, dass nur radikale, kollektive, sozialistische Ideen die Bedürfnisse der Menschen nach Sicherheit und Gesundheit befriedigen können. Diese Radikalisierung müsste Sanders’ Programm massiv Auftrieb geben – allerdings kann sie das nicht innerhalb der Demokratischen Partei. Im Moment finden die Kämpfenden nichts vor, ausser einer verrotteten Demokratischen Partei, die alles daran setzt, Sanders’ Programm und seine UnterstützerInnen verstummen zu lassen.
Um der Demokratischen Partei und der gesamten Kapitalistenklasse etwas entgegensetzen zu können, um dem Programm von Sanders zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es eine ArbeiterInnenklasse die kämpft. Nur durch Streiks und Massendemonstrationen, also indem sie ihre eigene Kraft erkennen, können die ArbeiterInnen an Stärke gewinnen. Aber nur eine starke, unabhängige Partei der ArbeiterInnenklasse kann diese Kämpfe an- und erfolgreich zu Ende führen. Hier wie auch in den USA stehen die Zeichen auf Sturm – bereiten wir uns darauf vor, indem wir uns die notwendigen Instrumente dafür schaffen.
Kevin Wolf,
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