Die Konservativen von Boris Johnson gewannen bei den britischen Parlamentswahlen im Dezember eine klare Mehrheit. Die linke Labour unter Jeremy Corbyn verlor die vom Brexit dominierten Wahlen. In der Krise bedeutet aber auch eine klare Mehrheit keine Stabilität.
Während das Resultat der britischen Wahlen die ganze herrschende Klasse in Jubelstimmung versetzte, hängen in der Linken die Köpfe. Labour, die unter Jeremy Corbyn mit einem radikalen linken Programm antrat, erlitt eine schmerzhafte Niederlage. Im Vergleich zu 2017, als sie mit einem ähnlichen Programm antrat und das beste Ergebnis seit 1945 erzielte, verlor sie über 2.5 Millionen Stimmen.
Labours Wahlniederlage bedeutet aber überhaupt nicht, dass ihre radikalen linken Positionen auf einmal unbeliebt wären. Im Gegenteil, weit über 60% der Bevölkerung unterstützten etwa die Verstaatlichung der Eisenbahnen, der Wasserversorgung und der Post, einer der Hauptpunkte des Labour Programms.
Die Wahlen wurden aber nicht von den sozialen Fragen der Labour dominiert, sondern vom Brexit. Er ist auch der Hauptgrund für die Niederlage der Labour. Seit dem Referendum von 2016 spaltet der Brexit die Arbeiterklasse in Grossbritannien. Vor allem in den armen Regionen im Norden Englands und in Wales unterstützen grosse Teile der Arbeiterklasse aus Protest den Brexit.
Bei den erfolgreichen Wahlen von 2017 trat die Labour mit der Position an, dass eine Labour-Regierung das Resultat des Referendums respektieren würde. Vor den Wahlen 2019 gab die Labour-Führung aber dem Druck des rechten Flügels der Partei nach, der wie immer konsequent die Interessen des Grosskapitals und damit «Remain» vertritt, und forderte ein zweites Referendum. Das war ein fataler Fehler. Für viele Brexit-BefürworterInnen wurde das zweite Referendum als Manöver der verhassten politischen Eliten, die das Resultat des Referendums zu übergehen versuchen, wahrgenommen.
Die Aufgabe von Labour wäre gewesen, die Arbeiterklasse zu einen, indem sie eine klare Klassenposition bei der Brexit-Frage einnimmt und aufzeigt, dass die Frage der EU-Mitgliedschaft für die Arbeiterklasse zweitrangig ist. Die Feindschaft gegen die kapitalistische EU ist zwar berechtigt. Ein kapitalistischer Brexit, angeführt von Johnson und Co. – genau so grosse Feinde der Arbeiterklasse wie die EU – bringt dieser aber genau nichts. Nur mit einer sozialistische Labour-Regierung können wirkliche Verbesserung erkämpft werden.
Wegen der falschen Brexit-Position der Labour gingen aber viele ArbeiterInnen im Norden entweder gar nicht wählen, gaben ihre Stimme der Brexit Partei oder den Konservativen. Das führte zum schmerzlichen Verlust von etlichen Sitzen in ehemaligen Labour-Hochburgen. Diese waren jahrelang der Labour treu geblieben. Doch sie wurden wiederholt vom rechten Flügel der Labour, vor allem von den Blair-Regierungen, verraten und erlebten keine Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen.
Der Schluss, den die Labour aus dieser Wahlniederlage ziehen muss, ist klar. Will die Labour gewinnen, muss der schädliche, kapitaltreue rechte Flügel aus der Partei geworfen werden.
Bei den konservativen Tories sieht es auf den ersten Blick rosig aus. Johnsons Regierung gewann eine deutliche Mehrheit von 80 Sitzen im Parlament. Diese Mehrheit täuscht aber. Eine Mehrheit im Parlament stellt nie das wirkliche Kräfteverhältnis in der Gesellschaft dar, umso weniger in Grossbritanniens Majorzwahlsystem. Die Konservativen erhielten im Vergleich zu 2017, als sie keine Mehrheit im Parlament erreichten, nur 300’000 Stimmen mehr.
Die aktuelle Konservative Partei ist ausserdem voller Widersprüche und es ist eine Frage der Zeit, bis grössere Konflikte in ihr ausbrechen. Der Brexit hat für die Tories zwar die Wahlen gewonnen, sie aber gleichzeitig langfristig verändert. Von der ältesten bürgerlichen Partei Europas, die die Interessen der herrschenden Klasse über Jahrzehnte zuverlässig vertrat, ist nicht mehr viel übrig. Grosse Teile des liberaleren, kapitaltreuen Flügels wurden von Johnson aus der Partei entfernt. Nun dominieren erzreaktionäre, kleinbürgerliche NationalistInnen die Partei. Ihre Interessen decken sich oft nicht mit denen des Grosskapitals. Um ihre chauvinistischen Brexitfantasien Realität werden zu lassen, sind sie auch bereit, grossen wirtschaftlichen Schaden in Kauf zu nehmen. Konflikte in der Konservativen Partei zwischen den verbleibenden VertreterInnen des Grosskapitals und der neuen nationalistischen Mehrheit sind somit vorprogrammiert.
Der verstärkte englische Nationalismus der Konservativen Partei wird zudem die Konflikte um die nationale Frage in Nordirland und Schottland weiter verschärfen. Auch das wird zu tiefen politischen Krisen führen. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die neue Regierung mit ihrer Mehrheit von 80 Sitzen nichts als ein Koloss auf tönernen Füssen ist.
Die Instabilität der Konservativen ist letzten Endes der Ausdruck der tiefen Krise des britischen Kapitalismus. Von Wirtschaftswachstum kann aktuell kaum mehr die Rede sein, im zweiten Quartal von 2019 schrumpfte die Wirtschaft sogar. Die Produktivität steigt seit 2008 nicht mehr und ist bedeutend tiefer als in anderen europäischen Ländern. Der Brexit, der jetzt ohne Rücksicht auf Verluste von den neuen Tories durchgedrückt wird, wird eine verheerende Wirkung auf die schwache britische Wirtschaft haben. Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Hinzu kommt der globale Einbruch der Wirtschaft, der unmittelbar bevorsteht und die Situation noch weiter massiv verschlechtern wird.
Diese kommende Verschärfung der Krise wird die Johnson-Regierung dazu bringen, weitere Angriffe gegen die Arbeiterklasse zu fahren. Für diese bedeutet das eine weitere Verschlechterung der schon jetzt katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Die Wahlen sind für alle SozialistInnen eine schmerzhafte Niederlage. Die Geschichte wird aber nicht an der Wahlurne entschieden, sondern im Kampf zwischen den Klassen. Dieser Kampf wird sich in nächster Zeit auf allen Ebenen weiter verschärfen. Sobald Grossbritannien die EU verlässt und sich nichts verbessert, wird sich die Wut, die in Teilen der Arbeiterklasse zur Unterstützung des Brexits und Johnsons geführt hat, gegen Johnson selbst richten. Ihn wird das gleiche Schicksal wie seinem Kollegen Macron ereilen: Seine Beliebtheit wird ins Bodenlose fallen. Die Angriffe der Johnson-Regierung werden die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften in den Kampf zwingen und die Radikalisierung der ganzen Gesellschaft weiter vorantreiben. Es wird zu massiven Protesten und Streiks gegen die Politik der konservativen Regierung kommen.
Die kommenden Kämpfe bilden die Grundlage für die Erkenntnis immer grösserer Teile der Arbeiterklasse, dass die Überwindung des Kapitalismus der einzige Weg aus dem Elend der Krise ist. Darauf müssen sich jetzt alle SozialistInnen in der Labour vorbereiten und mehr denn je gegen den rechten Flügel und für klare, sozialistische Klassenpositionen kämpfen. Wir MarxistInnen gehen hier an vorderster Front voran und zeigen der Arbeiterklasse den Weg vorwärts bis zum Schluss, bis die herrschende Klasse gar keinen Grund mehr zum Jubeln hat.
Flurin Andry
Marxistische Studierende Zürich
Quelle Bild: flickr/Jeremy Corbyn
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