Neben meinem Studium bin ich Angestellte in einem K Kiosk. Dass im Kiosk nicht die besten Arbeitsverhältnisse herrschen, ist kein Geheimnis. Abgeschreckt hat mich das nicht.
Vielleicht, weil ich mich für Arbeitsrecht interessierte und ich schlichtweg neugierig war, wie der Arbeitsalltag bei der Valora AG tatsächlich aussieht. Die Valora Gruppe, das Dachunternehmen des K Kioskes, ist ein riesengrosser Konzern. Unter ihr stehen schweizweit K Kiosk, Press&Books, Brezelkönig, Café Spettaccolo, avec und das Backwerk mit insgesamt 1’179 Verkaufsstellen.
Der Kiosk, bei dem ich angestellt bin, befindet sich in einem Bahnhof. Ich bin mal morgens, mal abends dafür verantwortlich, dass «der Laden läuft». Diese Verantwortung gefällt mir. Verantwortung durfte ich rasch übernehmen. Als ich aber das erste Mal den Dialog mit meinem Chef suchte, um innerbetriebliche Probleme zu besprechen, wurde ich schnell abgewürgt. Mit der Begründung, die Regeln würden von oben kommen, deswegen dürften die einzelnen Kioske nichts selbstständig ändern. Wo ich mich anfangs an der vermeintlichen Bequemlichkeit meines Chefs störte, wurde mir mehr und mehr klar, dass er recht hatte.
An der Info-Pinnwand des Kioskes hängt alle paar Monate das sogenannte «Valora Magazin». Darin verkündet die Valora Gruppe jeweils stolz ihre Umsatzzahlen und ihr Wachstum zugunsten der Aktionäre. Es wird vom Konzern als von «einer grossen Familie» berichtet. Dazwischen finden sich Interviews von angestellten Forschern im Silicon Valley. Das textbegleitende Bild zeigt sie lachend etwa auf einem Segelboot. Neben der Arbeit macht man hobbymässig gerne Bungee-Jumping, Segeln, Reisen. Ein Fotobericht zeigt Michael Müller, CEO der Valora Gruppe, wie er nachdenklich am Fenster eines Flugzeuges sitzt. Er jettet geschäftlich ständig über den Atlantik.
Das Magazin ist für die rund 15’000 Angestellten zum Lesen gedacht. Man will Ihnen den Konzern näherbringen. Es erscheint zynisch, das Magazin in der Pause durchzublättern, denn der Arbeitsalltag vor Ort sieht völlig anders aus als derjenige eines Michael Müller.
Die Arbeit im Kiosk besteht aus Schichtarbeit. Pro Schicht haben wir mal zwei, mal drei anwesende Lohnarbeitende. Ausnahmslos alle Angestellten sind im Stundenlohn angestellt. Sich auf Stühle zu setzen ist während der Arbeit verboten. Wir arbeiten entweder sehr früh oder bis sehr spät, und das für wenig Lohn, und es herrscht chronischer Personalmangel. Die Angestellten sind oft migrantische ArbeiterInnen ohne viel Deutschkenntnisse, alleinerziehende Mütter oder ältere Leute — eben jene, die einfach auf das wenige Geld angewiesen sind. Wegen des Personalmangels müssen die vorhandenen Arbeitenden mehr arbeiten, als wofür sie vertraglich verpflichtet oder gesundheitlich in der Lage wären.
Der Chef unseres Kioskes ist von diesen Arbeitsbedingungen nicht ausgenommen: Entsteht ein Engpass, schiebt er auch mal Doppelt- und Dreifachschichten. Vom Agenturmodell profitieren weder die Kioskverkäuferin noch der Filialleiter, sondern schlussendlich nur jene, die in den Chefetagen des Unternehmens sitzen. Was mit einer «einmaligen Chance» umworben wird, erscheint schnell nicht mehr so reizvoll wie zuvor.
Aus Interesse am Arbeitsrecht landete ich bei einem Kiosk der Valora Gruppe. Was mir bewusst wurde, ist das ausbeuterische System des Konzerns. Um etwas zu verändern, müssen die Arbeitenden sich selbst helfen. Dazu braucht es aber eine gewerkschaftliche Organisierung. Wir Lohnarbeitenden sind mit mehr als 1000 Filialen und 15’000 Mitarbeitenden eine riesengrosse Masse. Wir wissen, welche Ungerechtigkeiten im Konzern herrschen. Die Valora hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich dagegen gesträubt, mit einer Gewerkschaft «zusammenzuarbeiten». Was wir als Lohnabhängige brauchen, ist keine Gewerkschaft, die auf den Kooperationswillen der Valora hofft. Wir brauchen eine Gewerkschaft, die uns Lohnabhängige in den Kampf gegen das Kapital und für bessere Arbeitsbedingungen führt.
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