Die Frauen der Autonome Frauenbefreiungsbewegung organisierten sich alleine. Sie kritisierten die Linke ganz allgemein, wollten aber genauso die ganze Gesellschaft verändern. Der Auf- und Niedergang der «FBB».
In der Schweiz wurde das Stimm- und Wahlrecht für Frauen eingeführt als die Beatles ihre ganze Karriere bereits beendet und sich getrennt hatten! Im letzten Heft beschrieben wir das versteifte Ambiente der 60er Jahre. Obwohl der Schweizer «Mai» 68 keinen Generalstreik beinhaltete, bedeuteten die grossen Mobilisierungen dennoch einen gesellschaftlichen Aufbruch. Ab 1968 bis Anfang 80er traten zahlreiche kämpferische Bewegungen aufs Parkett. Die «Neue Linke» entstand. Darunter versteht man jene Organisationen, welche sich links von den sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen bildeten. Zeitgleich stellten die migrantischen ArbeiterInnen, welche am stärksten ausgebeuteten wurden, mit wilden Streiks die «Sozialpartnerschaft» in Frage. Und die «Autonome Frauenbewegung» mischte die Frauenemanzipation auf.
Die Protestwellen in allen Landesteilen wurden vor allem von der Jugend und den Studenten angeführt. Auf die jungen Frauen hatten sie eine eigene Wirkung. Das Tragen von Hosen war verpönt und die Gesellschaft schrieb ihnen – in Beziehungsfragen und im öffentlichen Auftreten generell – enge Regeln vor. Junge Frauen nahmen in riesigem Ausmass an den Demos und Uni-Besetzungen teil. Dazu beigetragen hat die starke Zunahme an Studentinnen, welche sich in den vorherigen 20 Jahren auf 23% verdoppelt hat. Eine Aktivistin berichtet: «Die Frauen waren 1968 sehr zahlreich in der Studentenbewegung. Ich denke, für die Mädchen war es vielleicht sogar noch wichtiger, als für die Jungen – wegen der Last des Patriarchats, dem Druck der Gesellschaft und ihren Vorschriften…».
Dass sich in dieser Periode auch gesamtgesellschaftlich etwas veränderte, zeigt sich im Sturz der «Heiratsquote»: 1970 heirateten statistisch etwa 85% bis zum 50 Altersjahr, 1976 waren es nur noch 60%. Während den 70ern wurde das «Bild der Frau» also über die Linke hinaus in Frage gestellt.
Mit Frauen setzen wir das in die Praxis um, worüber alle reden. Nämlich: Solidarität, Kampf und Schwesterlichkeit
– Flugblatt
Die gewonnene Abstimmung über das Frauenstimmrecht von 1971 (65 Jahre nach Finnland, 53 nach Deutschland) erfüllte die historische Forderung der «alten» Frauenbewegung. Doch die Aktivistinnen der 68er hatten eine eigene Einschätzung. In der Nacht vor der Abstimmung plakatierten Aktivistinnen in der Genfer Altstadt: «Das Wahlrecht löst das Problem der Frauenunterdrückung nicht, der Kampf muss weitergehen». Sie gründeten den «Mouvement de libération des femmes» (MLF), das Pendant zur «Frauenbefreiungsbewegung». Die erste «FBB»-Gruppe wurde in Zürich bereits 1969 gegründet. In vielen weiteren Städte entstanden solche Kollektive. FBB/MLF wurden zum Sinnbild der neuen oder autonomen Frauenbewegung.
Die Bewegung fand ihren Ursprung in der Kritik der Resultate – in Frauenbelangen – der traditionellen und der «neuen» Linken. Für die BFF erklärte sich dies damit, dass diese die praktische Befreiung der Frauen dem Kampf «für die Revolution» hintenan stellten: «Wieder einmal wurde versucht, [die Frauen] davon zu überzeugen, dass ihre Probleme zweitrangig sind und dass wir später über sie sprechen werden, wenn die grossen Probleme gelöst sind; immer gibt es andere Prioritäten: Arbeiterkämpfe, den Vietnamkrieg… Frauengeschichten seien Probleme von intellektuellen Kleinbürgerinnen».
Spezifisch an der Neuen Linken – aus der viele Gründungsmitglieder der Frauenbewegung kamen – kritisierten sie zudem die heuchlerische Auslegung der «sexuellen Befreiung». Eine Aktivistin erklärt: «Damals redete man von der sexuellen Befreiung, doch wenn ein Mädchen nicht mit jedem Jungen schlafen wollte, der es ihr anbot, dann hiess es: “Ja, du bist nicht frei”. (…) Es waren nicht so sehr die Mädchen, die entschieden, ob sie wollten, mit wem sie wollten, wann sie wollten. Die [Befreiung] war nicht für uns».
Ihre Antwort war die ausschliessliche Organisation unter Frauen. Am Anfang wurde das als vorläufige – weil notwendige – Massnahme präsentiert, später wurde es zur Regel. De Beauvoirs «Man wird nicht als Frau geboren, man wird zu einer» bedeutete für sie, dass die Strukturen der Gesellschaft als Ganzes verändert werden mussten, wenn man die Frauen befreien will. Diesen Grundsatz teilten sie mit der Neuen Linken. Gleichzeitig stellten sie die «Befreiung» der «Gleichstellung» der traditionellen Frauenbewegung gegenüber.
Obwohl ein Teil der Bewegung die Frauen als das neue «revolutionäres Subjekt» – und als Klasse – anerkannte, wurde die FBB von der verbürgerlichten und konservativen Frauenbewegung von Anfang an zu einer klaren Abgrenzung nach Klassenlinien gedrängt. Am nationalen Frauenkongress von 1975 kam, aus Rücksicht auf die bürgerlich-katholischen Frauen, die Abtreibung nicht zur Sprache. Deshalb organisierten die FBB/MLF ihren eigenen Anti-Kongress.
Inspiriert von den «freudo-marxistischen» Theorien von Wilhelm Reich und Herbert Marcuse wurde die weibliche Sexualität in den Mittelpunkt der Praxis gestellt. Der Kampf für die straffreie Abtreibung wurde eine der Hauptforderungen. Um die Gesellschaft über dieses und andere Themen aufzuklären griffen die Aktivistinnen zu radikalen, provozierenden Aktionen (siehe Kasten).
Mit dem Ende der 70er-Jahre begannen sich Praxis und Organisationsformen zu verändern. Während der politische Kampf für Initiativen – Legalisierung der Abtreibung, Gleichstellung von Mann und Frau etc. – immer wichtiger wurde, näherte sich die FBB, zwecks Sammelallianzen, den “Alten” an.
Zur gleichen Zeit, ab 1978, wurde die Gründung von Frauenberatungen und -häusern als Erfolg gefeiert. In einer Zeit des breiten Rückzugs der “Widerständigkeit” stellte diese Institutionalisierung die Bewegung vor neue Herausforderungen. Die Spezialisierung und später das NGO-Denken der 80er hemmte eine breite Beteiligung. Die Teilnahme nahm ab und um 1985 lösten sich die FBB-Gruppen auf.
Die autonomen Frauen waren dabei nicht die Einzigen. Die weltweite Krise nach 1974 setzte der ganzen ArbeiterInnenschaft zu. Fremdenfeindlichkeit wurde geschürt und tausende von (kämpferischen) migrantischen ArbeiterInnen wurden ausgeschafft. Überall nahm die Mobilisierung ab. Viele Organisationen der Neuen Linken lösten sich auf. Sinnbildlich dazu stieg auch die oben genannte «Heiratsquote» bis 1988 wieder um 15 Prozentpunkte an.
Auf ein Jahrzehnt des Klassenkampfes – mit dem der «Frauenkampf» eng verbunden war – antwortete die geeinte Bourgeoisie mit der Peitsche des «Neoliberalismus».
Ihren Kampf wollte die FBB autonom führen. Ihr Schicksal teilten sie mit allen Kämpfenden ihrer Zeit, in Aufstieg und Niedergang. Es liegt an uns, diesen Kampf weiterzuführen und von den Fehlern aller Bewegungen der langen 70er-Jahre zu lernen.
Caspar Oertli
JUSO Stadt Zürich
Bild: L-World, Fraue-Zitit, Frühjahr 1979
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