Der nachfolgende Text wurde 2019 als Broschüre veröffentlicht und kann hier bestellt werden. Hier geht es zur bisher unveröffentlichten Fortsetzung «Die Kommunistische Partei von Italien und die Dritte Internationale (1921-1926).»
Jubiläen geben uns einen Vorwand, über Dinge zu schreiben, über die wir ohnehin schreiben wollen, weil wir fest von ihrer Bedeutung überzeugt sind. Das ist hier nicht anders.
Vor hundert Jahren steuerte die Arbeiterklasse in Italien scheinbar unausweichlich auf den Bruch mit der kapitalistischen Ordnung zu. Heute ist in der Linken zu wenig bekannt über diese revolutionäre Periode, die als Biennio Rosso, die «zwei roten Jahre» 1919-1920, in die Geschichte einging. Das ist schade, denn sie ist ein äusserst lehrreicher Teil der Geschichte der internationalen Arbeiterklasse in ihrem Kampf für die eigene Befreiung.
In heroischen Aktionen lehnten sich die unterdrückten Arbeiter und Bauern gegen die ausbeuterische Ordnung der Kapitalisten und Grossgrundbesitzer auf, die ihnen auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nichts als härteste Arbeitsqual und soziales Elend bieten konnte. Arme Bauern besetzten die Ländereien der Grossgrundbesitzer, die Arbeiter preschten in einer massiven Streikwelle vorwärts, besetzten Fabriken und bildeten Räte. Ihre Forderungen gingen weit über Lohnsteigerungen oder sonstige Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Systems hinaus. In mehr als einem Fall nahm ihr Bestreben aufständischen Charakter an und zielte auf den Umsturz der gesamten Gesellschaftsordnung.
Die Offensive der Arbeiterklasse Italiens fand in der Bewegung der Fabrikräte in Turin ihren fortgeschrittensten Ausdruck. In der norditalienischen Automobilstadt, Heimat der Fiat-Werke, entwickelte das mächtige Industrieproletariat im Kampf eine schier unaufhaltbare Kraft. Im Herbst 1919 schlossen sich die Turiner Metallarbeiter in demokratisch gewählten Räten zusammen mit dem ausdrücklichen Ziel, die Macht der Kapitalisten in der Fabrik zu ersetzen und den Übergang in den Kommunismus einzuleiten. Auf dem Höhepunkt der Bewegung brachten sie die industrielle Produktion in den besetzten Fabriken unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter und bewaffneten sich zur Selbstverteidigung gegen die Fabrikbesitzer. Das war der Ansatz einer Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Herrschaft.
Die herausragende Persönlichkeit der Turiner Fabrikrätebewegung war der Kommunist Antonio Gramsci. Geboren 1891 auf der Insel Sardinien war Gramsci 1911 als Student in die Industriehochburg gekommen. In den Wirren einer sterbenden kapitalistischen Ordnung war er derjenige, der die historische Entwicklung und die anstehenden Aufgaben am besten verstand. Er gab den spontanen Kämpfen der Arbeiter Form, trieb sie vorwärts und propagierte unermüdlich den Aufbau der Räte, in denen er ganz richtig die Keimzellen einer neuen Ordnung erkannte, in der sich die Arbeiter selbst regierten.
Gramsci ist heute zweifellos eine der bekanntesten Figuren aus der marxistischen Tradition. Zu diesem «Ruhm» kam er allerdings durch die falschen Leute aus den falschen Gründen – und eindeutig nicht wegen seiner führenden Rolle in der Turiner Rätebewegung. Was wurden seine Ideen nach seinem Tod verzerrt, gefälscht, abgestumpft und ihres revolutionären Gehalts beraubt! In Wahrheit stand Gramsci bis ans Ende seines Lebens fest auf dem Boden des revolutionären Marxismus – auch in seinen letzten Jahren, als er im faschistischen Gefängnis seine berühmten Gefängnishefte schrieb. Doch in den Elfenbeintürmen der Universitäten und in den Kreisen der reformistischen Linken wurde Gramsci in einen zahmen «Intellektuellen» und «Kulturtheoretiker» verwandelt. Sie haben ihn missbraucht und gegen den Marxismus ausgespielt, um ihrem Geplapper, eine Revolution sei heute unmöglich, einen «kritischen» und «subversiven» Anstrich zu geben.
Im Schicksal von Gramscis Erbe liegt eine traurige Ironie. Es sind genau diese reformistischen Kräfte, die das Scheitern der Revolution in Italien 1919-1920 zu verantworten haben. Während des Biennio Rosso befand sich die bürgerliche Ordnung im Zusammenbruch. Das war der Ausdruck der tiefen Krise des gesamten Kapitalismus – und Gramsci verstand das sehr gut. Mit einem Sinn der höchsten Dringlichkeit opponierte er gegen diese realitätsfernen «Realisten», die mit jedem Tag mehr den Kontakt zu den sich radikalisierenden Massen verloren. Sie verlangten von diesen Massen ausgerechnet in der Situation Zurückhaltung, als der revolutionäre Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung für die unterdrückten Klassen der einzig mögliche Weg vorwärts darstellte.
Die Revolution in Italien scheiterte nicht am heldenhaften Kampf der arbeitenden Klassen. Sie scheiterte auch nicht an der Stärke ihres Gegners: Die Klasse der Kapitalisten und ihr bürgerlicher Staat hatten ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren und waren in sich gespalten. Im entscheidenden Moment waren sie ohnmächtig gegen die Stärke der Arbeiterklasse – die Macht lag für die Arbeiterklasse zum Greifen bereit! Die Revolution scheiterte an der verräterischen Rolle der eigenen Führungen der Arbeiterorganisationen. Diese weigerten sich, die Bewegung auszuweiten und die Machtergreifung zu organisieren. Mit dramatischen Konsequenzen: Sie führten die Arbeiterklasse in eine Niederlage, die direkt den Boden bereitete für die Gegenreaktion der herrschenden Klasse in Form des faschistischen Terrors.
Sozialistische Politik ist keine spassige Angelegenheit, die man tun oder lassen, die man machen kann, wie es einem beliebt. So funktioniert die Geschichte nicht, so funktioniert der Klassenkampf nicht. Für die eigenen Fehler wird man bestraft. Die Strafe für das Scheitern der Revolution war das Aufkommen des Faschismus. Das sind brutale Lektionen. Sie zeigen uns, wie unglaublich wichtig ein korrektes Verständnis der geschichtlichen Entwicklung und damit der Klassengegensätze in der Gesellschaft ist. Sie zeigen uns die Unverzichtbarkeit des Marxismus. Sie zeigen uns die Notwendigkeit einer Organisation bewusster Revolutionäre, die bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen, und bedingungslos für den Sieg der unterdrückten Klassen kämpfen.
Diese Schlussfolgerungen aus Ereignissen, die hundert Jahre zurück liegen, befreien uns nicht von der Aufgabe, auch unsere eigene Zeit genau zu analysieren und unsere Perspektiven daraus abzuleiten. Aber zweifellos stehen wir heute wieder in einer Periode der Weltgeschichte, in der die organische Krise des Kapitalismus immer mehr Leute in den Widerstand treibt gegen ein System, das der arbeitenden Mehrheit der Weltbevölkerung keine Zukunft zu bieten hat. Es ist unsere Pflicht – von allen von uns mit einem aufrichtigen Willen, «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist», um Marx’ Worte zu borgen –, die Erfahrungen der vergangenen Kämpfe zu studieren, um daraus zu lernen. Nur so schaffen wir uns die Werkzeuge für unseren Sieg.
Bern, 24. September 2019
In einem trüben Moment des aufkommenden Faschismus in Italien schrieb Antonio Gramsci: «Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.»[1] Die Geschichte, in der Gramsci sich bewegte, in der er dachte, schrieb und handelte, hält reiche Lektionen für uns bereit. Es ist an uns, sie uns anzueignen.
Der Standpunkt, auf den wir uns bei der Betrachtung der Vergangenheit stellen, ist von entscheidender Bedeutung. Die Geschichte erscheint im Rückblick leicht als schicksalhaft notwendig, weil wir die wichtigsten Faktoren zusammentragen können, die zu einem bestimmten Ausgang geführt haben. Zu schnell geht so jedoch vergessen, dass sie von handelnden Menschen gemacht wird. Betrachten wir die Vergangenheit nur vom Standpunkt der Resultate dieser Handlungen, so ergibt sich das Bild einer scheinbar notwendigen Verkettung von Ereignissen, einer geraden Linie, die nicht nur allzu leicht nachzuzeichnen ist, sondern umgekehrt auch im Voraus vorgezeichnet gewesen zu sein scheint. In dieser passiven Betrachtung der Ereignisse vollzieht sich die Geschichte offenbar gänzlich über die Köpfe der Menschen hinweg. Welchen Wert könnte eine solch tote Geschichte für unsere heutige lebendige Praxis auch haben?
Die Menschen unserer historischen Epoche befinden sich, bewusst oder unbewusst, aktiv eingreifend oder passiv durch ihn getrieben, in einem Kampf zwischen unversöhnlichen Klassen. Der Ausgang aus einer bestimmten historischen Situation ergibt sich aus der menschlichen Aktion in diesen Kämpfen. Die Bedingungen, unter denen die Klassen in diese Kämpfe treten, sind bestimmt durch die geschichtlich überlieferten Umstände. Aber an jedem Punkt dieses Kampfes stehen den beteiligten Kräften Handlungsmöglichkeiten offen, die ihrerseits aus den überlieferten objektiven Bedingungen hervorgehen, wie sie unabhängig vom Willen der Menschen existieren. Doch nichts garantiert, dass die Menschen in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung treffen, die ihre soziale Klasse dem Sieg näherbringt, nichts garantiert, dass sie überhaupt die vorhandenen Handlungsmöglichkeiten erkennen und nicht stattdessen in Wahrheit blockierte Wege für die einfachsten halten. Wenn die «richtige Entscheidung» nicht dem Zufall überlassen werden soll, dann sind wir in jeder solchen historischen Situation zu einer nüchternen und konkreten Analyse gezwungen, welche die sozialen Kräfte in ihrer Entwicklung und ihrem Zusammenhang zu verstehen vermag und den Weg der Arbeiterklasse zu ihrer Befreiung durch die soziale Revolution offenlegt. Allerdings, soll die «nüchterne und konkrete Analyse» und die aus ihr abgeleitete politische Perspektive auch einen realen Einfluss auf das geschichtliche Werden haben, so muss sie von einer Organisation vertreten werden, die bereit und fähig ist, die arbeitende Klasse auf diesem Weg auch zum Sieg zu führen.
Antonio Gramsci und seine kommunistischen Mitstreiter haben alles dafür getan, die arbeitenden Klassen ihrer sozialen Befreiung näherzubringen. Heute, hundert Jahre nach der Phase, in die wir jetzt eintauchen wollen, leben wir noch immer nicht in einer freien, klassenlosen Gesellschaft. Eine Betrachtung der Geschichte vom aktiven Standpunkt der handelnden arbeitenden Menschen in ihrem Kampf für die eigene Befreiung wird uns zeigen, dass dieser Weg – über Faschismus, Stalinismus und Weltkrieg bis in die heutige Zeit – alles andere als vorbestimmt war. Sie wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen führen, dass die richtige Theorie für die richtige Praxis gerade in jenen grossen historischen Situationen eine absoluten Notwendigkeit ist, in denen die Menschheit am Scheideweg steht; und sie wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen führen, dass nichts am Aufbau einer schlagkräftigen marxistischen Organisation vorbeiführt.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges befand sich die Menschheit an einem genau solchen historischen Scheideweg. Europa trat in eine revolutionäre Phase ein, die weit über die Grenzen des alten Kontinents zu politischen und sozialen Erschütterungen und Aufständen führte. Der grosse imperialistische Krieg hatte die sozialen Konflikte zugespitzt und prägend auf das Bewusstsein der arbeitenden und unterdrückten Bevölkerung, die genug hatte vom Gemetzel und den damit einhergehenden sozialen Konsequenzen, gewirkt. Die alte politische und wirtschaftliche Ordnung war zusammengebrochen, die Weltwirtschaft wurde von der Kriegstreiberei auseinandergerissen. Überall boten sich der Arbeiterbewegung Möglichkeiten, mit der im Sterben liegenden alten Ordnung zu brechen und den Übergang in eine freie kommunistische Gesellschaft in die Wege zu leiten. Die Entwicklungen in Italien können nur im Zusammenhang mit dieser internationalen Entwicklung verstanden werden.
In der revolutionären Phase am Ausgang des Ersten Weltkrieges wäre niemand auf die spätere stalinistische Absurdität gekommen, irgendwo einen «Sozialismus in einem Land» aufbauen zu wollen. Auf der Tagesordnung stand die Weltrevolution. Der Kapitalismus hatte die Produktion aus dem kleinen Rahmen gerissen und zur Sache der ganzen Gesellschaft gemacht – wenngleich die Früchte der kollektiven Arbeit weiterhin privat angeeignet wurden. Er hatte die Produktivkräfte über die nationalen Grenzen hinaus entwickelt, eine internationale Arbeitsteilung ausgebildet und schon zu Marx’ Zeiten der Produktion und Verteilung einen globalen Charakter gegeben. So war für Marx und seine Gefolgschaft auch immer selbstverständlich, dass die Befreiung der Arbeiterklasse vom Joch der Lohnarbeit keine lokale oder nationale, sondern eine soziale Frage war. Sie konnte nur unter Zusammenwirken der gesamten internationalen Arbeiterklasse – insbesondere der wirtschaftlich entwickeltsten Länder – vollzogen werden.[2] Der Kapitalismus ist ein globales System und folglich kann der Sozialismus nur aufgebaut werden in der Überwindung dieser kapitalistischen Produktionsweise auf Weltmassstab. Natürlich, das erklärten Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest von 1848, muss das Proletariat jedes Landes «zunächst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden». Aber wenn der Kampf somit der Form nach «zunächst ein nationaler» ist, so ist der Prozess der sozialistischen Umwälzung seinem Inhalt nach immer ein Klassenfrage und damit international.[3] Leo Trotzki war mit seiner Theorie der permanenten Revolution der konsequenteste Verteidiger des Marxismus gegen Stalins «Sozialismus in einem Land». Jahrzehnte nach Marx fasste er zusammen:
«Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.»[4]
Aber anders als Marx vorausgesehen hatte, begann die sozialistische Revolution nicht in den fortgeschrittensten Industrieländern wie England, Deutschland oder Frankreich. Im Frühjahr 1917 war die Kette des imperialistischen Weltsystems, um Lenins Worte zu benutzen, «am schwächsten Glied» gebrochen: im rückständigen Russland, wo sich die proletarischen Massen in der Februarrevolution zum Sturz der alten Zarenherrschaft erhoben. Die Arbeiter und die Soldaten bildeten Räte, die sogenannten «Sowjets»: ihre eigenen demokratischen Institutionen. Unter der Führung der Bolschewiki von Lenin und Trotzki gelang es den proletarischen und bäuerlichen Massen im Oktober desselben Jahres, die gesamte Macht auf die Sowjets als staatlicher Ausdruck der eigenen Klassen zu übertragen und die sozialistische Umwälzung zu beginnen.
Die materialistische Auffassung der Geschichte, die von Marx entworfen wurde, führt zur Einsicht, dass die Bedingungen für die Überwindung der Klassengesellschaften abhängig sind von der Entwicklung der Produktivkräfte. Das kommunistische Programm, das Privateigentum an Produktionsmittel aufzuheben und die Produktion gemeinschaftlich zu organisieren, wäre noch im 18. Jahrhundert eine Wunschvorstellung gewesen, für deren praktische Umsetzung jede materielle Grundlage fehlte. Es war die kapitalistische Produktion, welche die materiellen Bedingungen für einen Übergang in eine klassenlose Gesellschaft geschaffen hat. In diesem Sinne war das Aufkommen des Kapitalismus ein durchaus grosser Fortschritt für die Menschheit. Die kapitalistische Produktion entwickelte eine Industrie, eine Wissenschaft, eine Technologie, welche den gesellschaftlichen Reichtum vervielfachten und für alle ein Leben ohne Mangel ermöglicht – und gerade dies ist die Grundbedingung für den Kommunismus.Aber wenn der Kapitalismus diese objektive Möglichkeit geschafft hat, so blockieren seine eigenen Produktionsverhältnisse die Verwirklichung dieses Potenzials. Gleichzeitig hat die kapitalistische Produktion auch seinen eigenen Totengräber geschaffen: die Arbeiterklasse, die zwar für die Erschaffung des gesamten gesellschaftlichen Reichtums verantwortlich ist, aber das eigens geschaffene Produkt und mit ihm die Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen an die parasitäre Klasse der Bourgeoisie abtreten muss. Die hohe Entwicklung der Produktivkräfte, die erst der Kapitalismus zu Stande bringen konnte, ist für den Kommunismus «auch deswegen», so schreibt Marx, «eine absolut notwendige praktische Voraussetzung, weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheisse sich herstellen müsst».[5]
Im rückständigen Russland des Jahres 1917 waren diese notwendigen Voraussetzungen für eine sozialistische Umwälzung nicht gegeben. Dennoch hätte die revolutionären Massen in Russland sich nicht darauf beschränken können, den Zaren zu stürzen, die feudalen landwirtschaftlichen Verhältnisse zu reformieren und ein bürgerlich-demokratisches System auf der Grundlage der kapitalistischen Produktion aufzubauen. Für eine solche bürgerlich-demokratische Revolution, wie sie die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder gekannt hatten, kam Russland zu spät: zu stark war das Land schon in die internationale Arbeitsteilung des Kapitalismus eingebunden, zu mächtig war doch schon das Proletariat im Gegensatz zu einer kleinen nationalen Bourgeoisie, die völlig vom ausländischen Kapital abhängig war. Die Bourgeoisie selbst hatte kaum mehr ein Interesse an einer bourgeoisen Revolution, bei der sie zu recht fürchtete, die proletarischen Massen könnten auf für sie nachteilhafte radikale Ideen kommen, sich also nicht nur gegen die Überbleibsel der feudalen Aristokratie, sondern auch gegen ihre kapitalistischen Ausbeuter wenden. Und so kam es auch. Das Proletariat war die treibende Kraft in der Revolution von 1917. Die Konfrontation mit dem absolutistischen Zarenstaat musste gleichzeitig auf die Konfrontation mit der nationalen und imperialistischen Bourgeoisie hinauslaufen und damit einen sozialistischen Charakter annehmen. Die Geschichte will es den Menschen nicht immer leicht machen. Keine sozialistischeRevolution durchzuführen war für die unterdrückten Massen im Russland des Jahres 1917 keine Möglichkeit, aber für eine sozialistische Revolution waren die Bedingungen nur insofern vorhanden, wie der Kapitalismus sie auf Weltmassstab – also ausserhalb Russlands – hergestellt hatte.
So hing das gesamte Schicksal der Russischen Revolution davon ab, dass sich die Revolution auf die anderen, insbesondere auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten ausbreite. In vollem Wissen darüber richteten Lenin und Trotzki, die führenden Köpfe der Bolschewiki in der Oktoberrevolution 1917, ihren Blick nach Westen. Sie setzten ihre Hoffnung in erster Linie auf das mächtige deutsche Proletariat. Eine erfolgreiche Revolution in Deutschland mit seiner fortgeschrittenen Industrie hätte auch dem rückständigen und weitgehend agrarischen Russland ermöglicht, durch Technologietransfer und Unterstützung der Fachkräfte die eigene kulturelle Rückständigkeit zu überwinden und schnell zu den fortgeschrittensten Staaten aufzuschliessen.
Tatsächlich war diese Perspektive der Weltrevolution keineswegs illusorisch. Lenin und Trotzki erkannten richtig, dass die proletarische Revolution in Russland nur das erste Moment im Prozess einer internationalen Revolution war. Die Länder innerhalb des globalen Kapitalismus entwickeln sich nicht isoliert und unabhängig voneinander, jeder nach seinem eigenen Fahrplan. Sie entwickeln sich zwar auch nicht im Gleichschritt, aber stets in wechselseitiger Beziehung zueinander. Wenn die Kette am «schwächsten Glied» des imperialistischen Weltsystems gebrochen war, so war es doch immer noch eine Kette, in der alle Glieder auf eine bestimmte Weise miteinander verknüpft waren. So drückte der Zusammenbruch der Zarenherrschaft in Russland nicht nur die Fäulnis der russischen Gesellschaftsordnung aus, sondern auch eine allgemeine Krise des globalen Kapitalismus. Und umgekehrt hatte auch das, was im Klassenkampf in einem Lande geschah, eine grosse Wirkung auf den Klassenkampf der anderen Länder. Der berauschende Einfluss der Russischen Revolution auf die Moral der Arbeiterklasse ausserhalb Russlands liefert selbst den besten Beweis.
So befand sich in den Jahren 1917 bis 1923 die ganze kapitalistische Welt und insbesondere Europa in einer Phase der proletarischen Massenbewegungen und revolutionären Erhebungen – so auch Italien. 1918-19 erfasste die Revolution Deutschland und Österreich-Ungarn. Im März 1919 wurde in Ungarn eine kurzlebige Räterepublik ausgerufen; im April 1919 in Bayern. 1923 ergriff eine entscheidende revolutionäre Krise Deutschland, nach dem die französische Armee das Ruhrgebiet besetzt hatte. Das sind nur einige der heissesten Phasen für die mitteleuropäische Arbeiterbewegung. Aber grosse Wellen von Massenstreiks brachten die bürgerliche Ordnung in fast allen mehr oder weniger fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in eine kritische Lage, darunter auch England, die USA oder Japan. Alle diese Ereignisse können nur als Elemente des gleichen Prozesses der Entwicklung des globalen Kapitalismus und seiner Kehrseite, der sozialistischen Weltrevolution, verstanden werden. Erfolg oder Scheitern der proletarischen Revolution war und ist eine internationale Frage.
Die Bolschewiki hatten ihre grösste Hoffnung auf die Revolution in Deutschland gesetzt. Aber auch eine erfolgreiche Revolution im weit weniger entwickelten Italien hätte die Isolation der Sowjetunion bis zu einem gewissen Punkt durchbrechen können. Und zweifellos hätte sie im Prozess der Weltrevolution eine ruckartige Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der internationalen Arbeiterklasse bewirkt, die mit neuer Energie und Euphorie erfüllt worden wäre.
Die Möglichkeiten dafür wären in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg reichlich vorhanden gewesen. Während des Biennio Rosso, den «zwei roten Jahren» 1919 und 1920, stand die Machtübernahme dem italienischen Proletariat zum Greifen nah. Die Sozialistische Partei Italiens (PSI) wurde in den Wahlen 1919 zur stärksten Kraft des Landes. Unzählige Streiks, Fabrik- und Landbesetzungen liessen die Macht eines entschlossenen Proletariats und der aufständischen armen Bauernschaft eindrücklich bezeugen. Im industriellen Norditalien bildeten die Arbeiter in den Fabriken demokratische Rätestrukturen, die im Ansatz den russischen Sowjets glichen. Die Bewegung fand im September 1920 in Turin ihren Höhepunkt, als die Fabriken besetzt und die industrielle Produktion unter Arbeiterkontrolle gestellt wurden. Die Bourgeoisie war gelähmt und völlig machtlos. Dennoch blieb die proletarische Machtergreifung aus. Nur zwei Jahre später übernahmen Mussolinis Faschisten die Macht, getragen von einem radikalisierten Kleinbürgertum, das sich die gewalttätige Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung zum Programm gemacht hatte. Eine Tragödie sondergleichen. Wie konnte das passieren?
Italien war 1915 an der Seite der Entente-Mächte in den Ersten Weltkrieg getreten. Gegen Ende des Krieges war die Stimmung unter den italienischen Massen explosiv. Der italienische Kapitalismus war – gar nicht so verschieden vom russischen – charakterisiert durch eine krasse «kombinierte und ungleiche Entwicklung», in der sich Überbleibsel des Feudalismus mit den international modernsten Elementen der kapitalistischen Technologie paarten. Während der südliche Teil des Landes völlig rückständig und agrarisch dominiert blieb, hatte sich im Norden des Landes an der Schwelle zum 20. Jahrhundert eine boomende Industrie entwickelt. Im Industrie-Dreieck zwischen Turin, Mailand und Genua konzentrierte sich eine mächtige Automobil- und Metallindustrie. Der Automobil-Gigant Fiat, 1899 in Turin gegründet, entwickelte sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges zur Speerspitze der europäischen Automobilindustrie. Der Süden war von dieser Entwicklung völlig abgekoppelt. Die industrielle Bourgeoisie hatte sich mit den Grossgrundbesitzern abgefunden und liess die südlichen Massen in quasi-feudalen Strukturen zurück.
Während des Krieges vergrösserten sich die sozialen Widersprüche enorm. Die Kapitalisten Norditaliens verzeichneten beispiellose Profite in einer blühenden Kriegswirtschaft, welche die industrielle Entwicklung rasant vorantrieb. Fiat erhöhte sein Kapital in den Kriegsjahren von 17 auf 200 Millionen Lire, indem es in die Bereiche der Lastfahrzeuge, U-Boote, Flugzeuge, Eisenbahn, Waffen etc. expandierte.[6] Die an der Kriegsproduktion beteiligten Kapitalisten weiteten ihre Produktion aus – auf Kosten der übrigen verarbeitenden Industrie. Zwischen 1914 und 1917 stieg die Stahlproduktion von 5,2 auf 10,8 Prozent der Gesamtproduktion der Fertigungsindustrie, die Maschinenproduktion von 21,6 auf 31,8 Prozent.[7] Die Automobilproduktion hat sich durch die Produktion fürs Militär in den nur vier Jahren seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelt. Das Kapital der Metall- und Maschinenindustrie betrug 1918 ganze 252 Prozent des Vorkriegsniveaus.[8] Die durchschnittlichen Profite der Stahlindustrie stiegen von 6,3 Prozent 1914 auf 16,55 Prozent 1918, jene der Automobilindustrie in nahezu demselben Ausmass.[9]
Gleichzeitig litten die Arbeiter und die bäuerlichen Massen unter der Knappheit und den ständig steigenden Preisen der Lebensmittel. Das Konfliktpotenzial war riesig, sowohl im nördlichen Industrietriangel, wo das autoritäre Regime der Kriegsproduktion mit härtester Disziplin durchgesetzt wurde, als auch unter den bäuerlichen Massen, die am Ende des Krieges noch immer über die Hälfte der 37 Millionen starken Bevölkerung ausmachten und im Krieg massenweise an die Front geschickt wurden.[10] Die Kriegsmüdigkeit und die merkliche Verschlechterung der Lebensbedingungen gegen Ende des Krieges veränderten das Bewusstsein der Massen und trieben ihre Radikalisierung voran. Im Süden auf dem Land häuften sich die teilweise gewalttätigen Proteste gegen die Wehrpflicht, gegen die Beschlagnahmung der landwirtschaftlichen Produktion und gegen die allgemeine Knappheit der Nahrungsmittel. Und im Norden erwachte ein neu entstandener Gigant: das Industrieproletariat.
Die rasante industrielle Entwicklung hatte die Massen, vor allem ehemalige Bauern und Frauen, in die städtische Produktion getrieben. In den Fiat-Werken hatten 1914 noch 4’300 Personen gearbeitet. Am Ende des Krieges vier Jahre später waren es über 40’000. In Mailand verfünffachte sich die Arbeiterklasse innert zwei Jahren.[11] Mit dem wachsenden Unmut begannen im Frühjahr 1917 Massenbewegungen in Mailand und Turin. Zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, mobilisierten sich in Mailand die Massen mit den Frauen an der Spitze und streikten in verschiedenen Fabriken. In Turin kam die Parole auf, es sei der Krieg mit einem Generalstreik zu beenden.[12]
Mit einiger Verspätung war im April desselben Jahres auch endlich die Nachricht der Februarrevolution in Russland durch die Kriegszensur nach Italien durchgesickert. Der Widerhall der Botschaft war gigantisch und hatte einen elektrisierenden Einfluss auf die fortschrittlichsten Teile der Arbeiterklasse. Der Moment der Revolution schien nun gekommen. Auch Antonio Gramsci begrüsste die russische Februarrevolution euphorisch und war überzeugt, dass dort nun der Übergang zum Sozialismus eingeleitet würde. Für den August luden Sozialisten eine Gruppe Delegierter des Petrograder Sowjets nach Turin ein. Gramsci selbst hatte an der Organisierung dieses Ereignisses teilgenommen. Es gipfelte in einer Massenkundgebung zu Ehren der Russischen Revolution und Lenins mit über 50’000 teilnehmenden Arbeiterinnen und Arbeitern. Bemerkenswert daran ist, dass die Sowjets in Russland zu diesem Zeitpunkt noch von den reformistischen Menschewiki und Sozialrevolutionären dominiert wurden. Lenin und seine Bolschewiki waren mit ihren Forderungen nach Ausschaltung der bürgerlichen Macht und der vollständigen Übertragung der Macht auf die Sowjets der Arbeiter und Bauern als die einzigen legitimen staatlichen Institutionen noch in der Minderheit. Die Turiner Avantgarde eilte den russischen Verhältnissen also voraus. Entsprechend erstaunt zeigten sich die sowjetischen Delegierten, ausgesprochene Gegner Lenins, bei ihrem Besuch in der norditalienischen Automobilstadt über die Parolen «Es lebe Lenin! Es leben die Bolschewiki!».
Wie Gramsci Jahre später in einem ausführlichen Bericht an die Exekutive der Kommunistischen Internationale schrieb, war das der Beginn einer neuen Periode von Massenbewegungen.[13] Noch im selben August traten die Arbeiter Turins in den Generalstreik, nachdem die Polizei bei Protesten gegen die Brotknappheit zwei Leute getötet hatte. Die Proteste nahmen schnell den Charakter einer revolutionären Erhebung gegen den italienischen Imperialismus und Militarismus an. Am 23. August 1917 begann die Turiner Arbeiterklasse einen bewaffneten Aufstand. Fünf Tage lang kämpften sie in den Strassen, errichteten Barrikaden und besetzten einige Viertel.[14] Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
In der spontanen Erhebung hatte die Sozialistische Partei (PSI) keine Rolle gespielt. Dem bürgerlichen Staat war dieses «Detail» gleichgültig. Die führenden Köpfe der proletarischen Bewegung und der PSI wurden verhaftet. So rückte Gramsci, damals 26-jährig, nach und rutschte erstmals in die Führung der Turiner Sektion der PSI, wo er den Posten des Sekretärs des Provisorischen Exekutivkomitees bekam.
In der Tat waren diese spontanen Erhebungen am Kriegsabend erst der Beginn einer starken Verschärfung der Klassenkämpfe in Italien, der Prolog der italienischen Revolution. Nach dem Kriegsende 1918 versumpfte Italien wie die übrigen europäischen Länder in einer tiefen ökonomischen Krise. Insbesondere die Getreideproduktion verzeichnete einen starken Einbruch, der ein bedeutendes Aussenhandelsdefizit zur Folge hatte.[15] Gleichzeitig fiel auch die Industrieproduktion erheblich. Der gigantische Produktionsapparat, der auf die Kriegswirtschaft ausgerichtet war, war unter den veränderten Umständen unprofitabel geworden. Konfrontiert mit diesen sinkenden Profiten machten sich die Kapitalisten dennoch wenig Mühe, ihre Produktion den neuen Bedingungen anzupassen. Stattdessen preschten die Industriellen vor zum Aufkauf der Banken und verschoben ihre riesigen Kriegsprofite in die Finanzspekulation.[16] So verstärkte sich notwendigerweise der Druck auf die Arbeiterklasse, die ihr neu erworbenes gesellschaftliches Gewicht schon bald in den verstärkten Klassenkämpfen und immer erheblicheren Streikwellen geltend machte.
In den zwei roten Jahren 1919 und 1920 verschob sich das Kräfteverhältnis der gesellschaftlichen Klassen eindeutig zugunsten des Proletariats. Im Jahr 1920, auf dem Höhepunkt des Biennio Rosso, gab es 1’881 industrielle Streiks, das sind über tausend mehr als im letzten Jahr vor dem Krieg. Die insgesamt 1’267’953 Streikenden brockten den Kapitalisten einen Verlust von 16’398’227 Arbeitstagen ein![17] In einer Situation der galoppierenden Inflation und steigender Lebensunterhaltungskosten gelang es den Arbeitern, Meilensteine wie den 8-Stunden-Tag ohne Lohneinbusse und höhere Löhne zu erkämpfen. Vor allem aber entstand in den industriellen Zentren eine Klasse, die sich in diesen kollektiven Kämpfen zunehmend der eigenen Macht und des Bankrotts der alten Ordnung bewusst wurde.
Die beschriebenen Entwicklungen hatten widersprüchliche Auswirkungen auf die grossen Organisationen der Arbeiterklasse. Diese waren in keinerlei Hinsicht bereit, die enorme proletarische Energie aufzunehmen, die nun freigesetzt wurde. Und sie waren erst recht nicht fähig, dieser Energie eine Form zu geben, die den Massen erlaubt hätte, ihr Schicksal in ihre eigenen Hände zu nehmen. In ihren verkrusteten bürokratischen Strukturen steckten sie noch immer in der Periode vor dem Krieg fest.
Im gewerkschaftlichen Bereich war die italienische Arbeiterbewegung in verschiedene Organisationen gespalten, die sich teilweise in erbitterter Konkurrenz gegenüberstanden. Der Allgemeine Gewerkschaftsbund CGL war zweifellos die wichtigste Arbeiterorganisation Italiens. Daneben gab noch kleinere Gewerkschaftsverbände wie beispielsweise die anarcho-syndikalistische USI. Die Spitze der CGL fuhr einen klassisch reformistischen Kurs und beschränkte sich auf rein gewerkschaftliche Deals mit den Kapitalisten und dem Staat. In den heissen Jahren nach dem Krieg strömten die arbeitenden Massen regelrecht in die Gewerkschaften. Die CGL wuchs in nur zwei Jahren von 250’000 Mitgliedern am Kriegsende auf über zwei Millionen. Dieses enorme Wachstum vermochte die Gewerkschaftsbürokraten jedoch nicht positiv zu stimmen. Sie standen den teilweise chaotischen Streiks vielmehr mit Unmut gegenüber: Nichts fürchteten sie mehr als eine Bewegung der Arbeiter, die sie nicht kontrollieren konnten.
Das unglaubliche Gewicht der proletarischen Massen, die sich in Aktion brachten, wurde ausserdem blockiert durch die rigide Arbeitsteilung, auf die sich die beiden Schwergewichte der italienischen Arbeiterbewegung geeinigt hatten: Auf der einen Seite sollte sich die CGL um die rein gewerkschaftlichen, ökonomischen Angelegenheiten kümmern, auf der anderen Seite sollte sich die PSI aus ebendiesen Angelegenheiten raushalten und sich auf politische Forderungen beschränken. Doch je stärker die Massen in Bewegung treten, desto unmöglicher wird eine so schematische Trennung zwei zusammenhängender Bereiche. Die Bewegung mag zwar mit rein ökonomischen Fragen wie Lohnkämpfen beginnen, doch wird sie bald darüber hinaustreiben und eine politische Dimension annehmen. Umgekehrt droht eine sozialistische Partei bei einer solchen Arbeitsteilung die Verankerung unter den Arbeitern zu verlieren. Genau dies kritisierte Gramsci später, im Jahre 1920, als er darauf hinwies, dass diese Arbeitsteilung zur Folge habe, dass die PSI nur propagandistisch für Wahlen tätig sei. Auch Trotzki fand klare Worte gegen eine solche Arbeitsteilung. In Bezug auf die französische Arbeiterbewegung, die an der gleichen sozialdemokratischen Krankheit litt, schrieb er 1921:
«So lange wie die gewerkschaftlich organisierte Arbeiteraristokratie Tarifverträge abschliesst und die sozialistische Partei im Parlament Reformen verficht, sind Arbeitsteilung und gegenseitige Nichteinmischung noch einigermassen möglich. Doch sobald die wirklich proletarische Masse in den Kampf hineingezogen wird und die Bewegung einen wirklich revolutionären Charakter annimmt, artet das Prinzip der Nichteinmischung in reaktionäre Scholastik aus. Die Arbeiterklasse kann nur dann siegen, wenn an ihrer Spitze eine Organisation steht, die die lebendige historische Erfahrung, theoretisch verallgemeinert, und praktisch ihren ganzen Kampf lenkend, verkörpert.»[18]
Einen «revolutionären Charakter» nahm die Bewegung in Italien in den zwei roten Jahren ganz ohne Zweifel an. Was anderes bedeutet der schlagartige Eintritt der zuvor unorganisierten Massen in die Organisationen der Arbeiterbewegung? Auch die Sozialistische Partei hatte riesigen Zulauf. Sie war von 50’000 vor dem Krieg auf rund 300’000 Mitglieder 1920 angewachsen.[19] In den ersten Wahlen seit dem Kriegsende im November 1919 wurde die PSI deutlich zur stärksten politischen Kraft des Landes. Die Mehrheit der wählenden Bevölkerung hatte sich damit für eine Partei entschieden, die sich kurz davor für den Beitritt zur neu gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) ausgesprochen hatte – und für die kommunistische Revolution im Zeichen der erfolgreichen Oktoberrevolution der Bolschewiki in Russland! Aber von der Organisation an der Spitze der Arbeiterklasse, von der Trotzki sprach, «die die lebendige historische Erfahrung, theoretisch verallgemeinert, und praktisch ihren ganzen Kampf lenkend, verkörpert», konnte im Falle der PSI keine Rede sein. Das Bekenntnis zur kommunistischen Revolution und der Beitritt zur Komintern bedeutete mitnichten, dass sich die PSI auf einem soliden marxistischen Fundament bewegte.
Die PSI war ein Sonderfall in der europäischen Arbeiterbewegung. Sie hat weder die nationalistische Degeneration der übrigen Parteien der sozialistischen Zweiten Internationale durchgemacht, noch war sie nach dem Krieg auf der Basis einer neu gegründeten und wirklich kommunistischen Partei in die Dritte Internationale eingetreten. Das kam daher, dass die PSI schon vor dem Krieg eine Krise durchgemacht hatte, die eine Spaltung nach sich zog. 1912 trennte sich die Partei von den schlimmsten nationalistischen Opportunisten und rechten reformistischen Auswüchsen, die sich für den italienisch-türkischen Krieg ausgesprochen hatten. Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die PSI dann nahezu die einzige Kraft unter den Sozialistischen Parteien Europas, die nicht an der Seite ihrer nationalen Bourgeoisien in den Krieg zogen. Über Jahre hatte man sich in der Zweiten Internationale darauf vorbereitet, einen drohenden imperialistischen Krieg abzulehnen und ihm den proletarischen Internationalismus entgegenzuhalten. Als es dann tatsächlich zum imperialistischen Zusammenstoss kam, zeigten die bürokratischen Opportunisten ihr wahres chauvinistisches Gesicht und stimmten in fast allen Ländern für Kriegskredite und damit für eine Aussetzung des Klassenkampfes zur Verteidigung «ihrer» Nationen. Die Zweite Internationale war damit faktisch gestorben. Zurück blieben eine Handvoll Internationalisten, die sich in den Kriegsjahren auf den geheimen Konferenzen von Zimmerwald und Kiental in der Schweiz trafen, um die verbliebenen Kräfte zu bündeln und eine internationalistische Politik gegen den Krieg zu entwerfen. Mit dabei waren auch Vertreter der PSI.
Dennoch bewegte sich die PSI de facto noch völlig im Rahmen der Zweiten Internationale. Zu einer Partei bolschewistischen Typs war sie durch den simplen Ausstoss der schlimmsten Reformisten und durch ihre Opposition zum Krieg nicht geworden. 1919, bei ihrem Eintritt in die Kommunistische Internationale (die Dritte Internationale) gab es in der PSI drei grosse Strömungen. Noch immer gab es einen kleinen reformistischen Flügel rund um Filipo Turati, der auch nach dem Weltkrieg noch voll die reformistische Linie der Zweiten Internationale vertrat und sich mit ganzer Kraft gegen den Beitritt der PSI zur Komintern stellte. Turatis Strömung repräsentierte bewusst die Interessen der herrschenden Klasse in der Arbeiterbewegung. Das geht klar aus seinen Korrespondenzen mit den regierenden Kreisen hervor. Er sah die Aufgabe seiner Strömung darin, den Einfluss der erstarkenden «extremen, leninistischen Elemente» in der Sozialistischen Partei auf die Massen «einzudämmen» – und erklärte den regierenden Liberalen, dass ihnen keine andere Verteidigung gegen diese «Saboteure» bliebe, als sich auf die «versöhnlerische Strömung» zu stützen.[20] Natürlich entspricht das nicht der öffentlichen Rhetorik der Reformisten. Aber es beschreibt die wirkliche Rolle und das Denken dieser Gruppe sehr treffend.
Doch die Mehrheit der Partei stand hinter den sogenannten Maximalisten. Mit ihren Köpfen Serrati, dem Redakteur der Parteizeitung Avanti!, und Lazzari, dem Parteisekretär, stellte die maximalistische Strömung die Parteiführung. Der Name der Maximalisten kommt aus den Diskussionen in der sozialdemokratischen Tradition, die zwischen einem Minimalprogramm der Reformen innerhalb des bürgerlichen Rahmens und einem Maximalprogramm – dem Sturz der Bourgeoisie – unterschied. Die Maximalisten standen also für die Revolution. Aber Marxisten, welche die dialektische Methode auch nur ansatzweise meistern, war immer klar, dass ein revolutionäres Programm nicht darin besteht, möglichst laut «Revolution!» zu schreien. Sozialistische Forderungen müssen im Hier und Jetzt Fuss fassen, aber über die bestehende Gesellschaft hinausweisen und auf ihre Überwindung hinauslaufen. Die italienischen Maximalisten forderten hingegen die kommunistische Revolution und die «Diktatur des Proletariats», hatten jedoch keine Ahnung, wie dorthin zu gelangen sei. Während den ganzen zwei roten Jahren haben sie nichts getan, um konkret auf eine Machtergreifung der Arbeiterklasse hinzuarbeiten. Die marxistischen und revolutionaristischen Parolen blieben damit nichts als leere Worte, die nur die abwartende und eigentlich wesentlich reformistische Haltung der Führung verdeckte. In der Tat handelte es sich bei Serrati und seinen Leuten um klassische Zentristen, die unter äusserem Druck zwischen reformistischen und marxistischen Positionen hin- und herschwenkten.
Es gab allerdings noch eine dritte Strömung in der PSI. Ein kommunistischer Flügel war nach dem Krieg überzeugt, die Bedingungen für die Revolution seien vorhanden und es gehe darum, konkret auf die revolutionäre Machtergreifung hinzuarbeiten. Ihr wichtigster Vertreter war der junge Amadeo Bordiga. Bereits vor dem Krieg hatte Bordiga den Reformismus aufs Schärfste kritisiert. Er wurde schnell zum Leader der PSI in Neapel. In den wichtigsten Städten brachte er vor allem die revolutionären Gruppen der Jugend hinter sich, die ab 1917 überall entstanden und die Partei nach links drängten.[21] Über die 1918 gegründete Zeitung Il Soviet trug er seine Positionen in die Bewegung. Bordiga war das Sprachrohr der sogenannten Abstentionisten, die sich gegen die Beteiligung an Wahlen innerhalb der bürgerlichen Demokratie aussprachen, weil sie in diesen eine Ablenkung der Massen sahen. Im Gegensatz zum Maximalisten Serrati, der um jeden Preis die Einheit der PSI aufrechterhalten wollte, sprach sich Bordiga vehement für die Umbenennung der Partei in «Kommunistische Partei Italiens» und für den Ausschluss des reformistischen Flügels aus, der sich der von Lenin aufgestellten Bedingungen zur Aufnahme in die Komintern entgegenstellte. Er stand damit zumindest in dieser Frage auf der Linie der führenden Köpfe der russischen Bolschewiki.
Der zweite bedeutende Vertreter der kommunistischen Strömung war Antonio Gramsci. Seit 1911 war der gebürtige Sarde in der Industriestadt Turin. Zwei Jahre nach Beginn seines Studiums war er der PSI beigetreten und hatte schon bald begonnen, für verschiedene sozialistische Zeitungen zu schreiben, bevor er die Universität schliesslich 1915 abgebrochen und Vollzeit als Redakteur in der Arbeiterbewegung zu arbeiten begonnen hatte. Zu dieser Zeit hatte er seinen jugendlichen sardischen Nationalismus, der die Rückständigkeit seiner Heimatinsel als Folge der Unterdrückung durch das Festland und den Norden sah, bereits hinter sich gelassen. Seine Feinfühligkeit für die Anliegen des rückständigen Südens verlor er dabei allerdings nicht. Die russische Revolution begrüsste er von Beginn an. Entgegen der in der Arbeiterbewegung damals dominanten mechanischen marxistischen Auffassung, dass das rückständige Russland zuerst eine bürgerliche und erst später eine proletarische Revolution durchmachen müsse, war Gramsci von Anfang überzeugt, dass es sich um eine proletarische Revolution handle.
In einem seiner heute bekanntesten Artikel erklärte Gramsci die Oktoberrevolution zur «Revolution gegen das Kapital».[22] Mit «Kapital» war nicht in erster Line die Daseinsgrundlage der kapitalistischen Klasse gemeint, sondern der Opus Magnum von Karl Marx. Gramsci spielte darauf an, dass sich die Revolution, anders als Marx erklärt hatte, nicht zuerst in den fortschrittlichsten kapitalistischen Ländern ereignete.[23] Er akzeptierte damit etwas, was den Dogmatikern im damaligen «Marxismus» nicht in den Kopf wollte. Die ganzen Akademiker, die Gramsci gegen den Marxismus auszuspielen versuchen, nehmen den Artikel daher gerne als erstes Indiz dafür, wie Gramsci sich von den «ökonomistischen» und «deterministischen» Auffassungen des «orthodoxen Marxismus» abgrenzte. Aber es wäre weit übertrieben, wollte man behaupten, Gramsci hätte zu diesem Zeitpunkt die wirklichen gesellschaftlichen Bewegungen erkannt, welche die russische Revolution als sozialistische ermöglichten. Der Artikel ist trotz guter Ansätze nicht etwa Beweis für ein richtiges Verständnis der geschichtlichen Entwicklung, sondern in erster Linie für den tiefen philosophischen Idealismus, der ihn damals noch zeichnete: Für Gramsci hatten sich die Bolschewiki durchgesetzt, weil ihre Ideen stärker waren als die ökonomische Grundlage, von der Marx sprach. Tatsächlich war Gramsci 1917 noch bekennender Anhänger der hegelianischen Philosophie des Liberalen Benedetto Croce.[24] Diese theoretische Herkunft verlieh ihm zwar eine grosse Sensibilität für die Wichtigkeit des Bewusstseins, die allen anderen italienischen Marxisten völlig abhandengekommen war, und die bei Gramsci immer zentral bleiben wird. Aber von der materialistisch-dialektischen Auffassung der internationalen Entwicklung, die Trotzki mit seiner Theorie der permanenten Revolution und der kombinierten und ungleichen Entwicklung – in voller Übernahme von Marx’ philosophischer Methode – ausgearbeitet hatte, und mit der sich die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution in Russland anhand einer konkreten Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse aufzeigen liess, davon war Gramsci weit entfernt. Er war zu diesem Zeitpunkt überzeugt, die Bolschewiki hätten gesiegt, weil sie Karl Marx «ignoriert» hätten.
Doch im Wirbel des Biennio Rosso gelangten Gramscis Ideen bald auf festeren Boden. Zwar bewegte er sich gerade in Bezug auf seine inkonsistente Parteiauffassung noch eine Weile im Rahmen der Ansichten der Maximalisten. Dennoch sollten er und seine Turiner Gruppe – tragischerweise – die einzigen werden, die die Situation während des Biennio Rosso über weiteste Strecken richtig einschätzten und korrekte Schlussfolgerungen zogen. Dass sich der Einfluss der Turiner Gruppe auf die Industriestadt beschränkte, wird das Scheitern der italienischen Revolution bedeuten.
«Die konkrete und vollständige Lösung der Probleme des sozialistischen Lebens kann nur aus der kommunistischen Praxis kommen. Die Wahrheit zu sagen, zusammen zur Wahrheit zu gelangen, heisst, eine kommunistische revolutionäre Aktion durchzuführen.»[25]
Als die massive Turiner Arbeiterbewegung sich während des Biennio Rosso in Bewegung setzte, galt Turin den italienischen Arbeitern nicht grundlos als das Petrograd der proletarischen Revolution Italiens. Die Automobilstadt war das Zentrum der fühlbar nahen kommunistischen Revolution. Seine Arbeiterbewegung stellte die Vorhut der gesamten Arbeiterklasse Italiens dar. In der Hochphase der roten Jahre bildeten sich in nahezu allen Fabriken Rätestrukturen aus, im April 1920 war die gesamte Stadt von einem Generalstreik lahmgelegt, im September besetzten die Arbeiter die Fabriken.
Gramsci hatte einigen Einfluss darauf, wie diese Bewegung verlief. Bereits seit 1917 sass er in der Führung der Turiner PSI, hatte die Leitung der Zeitung Il Grido del popolo inne und war 1918 Redakteur von dessen Folgeorgan, der Turiner Ausgabe des Avanti!. Doch ausschlaggebend sollte vor allem die Zeitung L’Ordine Nuovo – «Die neue Ordnung» – werden, die er zusammen mit seinen Freunden Angelo Tasca, Umberto Terracini und Palmiro Togliatti im Frühjahr 1919 ins Leben rief. Initiator des Projekts und öffentlich sichtbarste Figur war Tasca, doch zur treibenden Kraft wurde Gramsci. Die Gruppe, die in ihren politischen Ideen niemals homogen war, konzipierte L’Ordine Nuovo zunächst als eine Wochenzeitung für «sozialistische Kultur». Die erste Ausgabe erschien am 1. Mai. In ihrem Titel trug sie ein mächtiges Motto: «Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit. Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.»
So imposant und korrekt dieser Aufruf, waren die ursprünglichen Absichten der Initianten doch höchst verschwommen. Wenig mehr als ein Jahr später – in der Zwischenzeit wird unglaublich viel passiert sein – schaute Gramsci mit einem vernichtenden Blick auf die Anfänge der eigenen Zeitung zurück. Er bemerkte, die Gruppe rund um L’Ordine Nuovo hätte keine Vorstellung gehabt, wo es mit der Wochenzeitschrift hingehen solle:
«Das einzige Gefühl, das uns während dieser unserer Zusammenkünfte verband, resultierte aus einer vagen Leidenschaft für eine vage proletarische Kultur; wir wollten etwas tun, etwas unternehmen; wir fühlten uns beengt, ohne Orientierung, eingetaucht in das hektische Leben jener Monate nach dem Waffenstillstand, als der Zusammenbruch der italienischen Gesellschaft nahe schien.»[26]
Entsprechend resultierte Gramsci zufolge in den ersten Ausgaben eine «Zeitschrift mit abstrakter Kultur, abstrakter Information, mit der Tendenz, grauenhafte kleine Novellen und gutgemeinte Holzschnitte zu veröffentlichen. Genau das war L’Ordine Nuovo in seinen ersten Nummern: ein Disorganismus, das Produkt eines mittelmässigen Intellektualismus.»[27] Aber die Ereignisse und seine enge Verbindung zu den Turiner Arbeitern drängten den kulturinteressierten Kommunisten zu mehr Konkretheit.
Gramsci hatte nur beschränkte Kenntnisse davon, wie die Revolution in Russland sich vollzogen hatte. Ein Verständnis von Lenins bolschewistischer Partei und ihrer entscheidenden Rolle im Moment der Machtergreifung hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Für ihn standen in der Russischen Erfahrung klar die Sowjets im Mittelpunkt. Immerhin, in dieser Hinsicht hat er einige der wichtigsten Lektionen der Russischen Revolution besser verstanden als seine italienischen Genossen. Die Arbeiterklasse kann nicht einfach den bürgerlichen Staat übernehmen oder ihn direkt zerschlagen, um dann den Sozialismus aufzubauen. Die Arbeiter müssen ihre eigenen demokratischen Strukturen erschaffen, um den bürgerlichen Staat ersetzen zu können. So brachte die Februarrevolution 1917 in Russland die Räte, die Sowjets der Arbeiter und Soldaten hervor. Während eines halben Jahres bestanden allerdings die bürgerlichen Institutionen in der Form der «Provisorischen Regierung» parallel zu den Sowjets noch weiter, ehe in der Oktoberrevolution die gesamte Macht auf die Sowjets übertragen wurde. Gramsci hat das Wesen dieser Doppelmacht in einer revolutionären Situation begriffen. Er ging davon aus, dass die Sowjets der organische Ausdruck der Arbeiter sind, die sich selbst für ihre Befreiung organisieren und damit zugleich die Basis für ihre eigene Staatsmacht, für die neue Ordnung legen: «Der Sowjet ist die Selbstregierung der Arbeitermassen», war er überzeugt.[28] Er lag damit nicht falsch. Die Geschichte der frühen Arbeiterbewegung hatte mit der Pariser Kommune 1871 und der Petrograder Revolution 1905 bereits vorher gezeigt, dass die Arbeiter in revolutionären Situationen organisch dazu streben, sich in Räten zu organisieren. Die weitere Geschichte sollte das noch viele Male bestätigen. Von dieser Annahme ausgehend, stellte sich Gramsci die Frage, ob es in Italien und in Turin im Besonderen zumindest schon einen Keim, eine «schüchterne Andeutung» einer Institution der Arbeiterklasse gäbe, «die mit dem Sowjet verglichen werden kann, seiner Natur entspricht».[29] Er sah einen genau solchen Keim in den Fabrikkommissionen.
Gramscis Intuition kam nicht aus dem Nichts. Fabrikkommissionen gab es in Turin schon seit einigen Jahren. Sie waren jedoch weniger Organe des Klassenkampfes als vielmehr bürokratische Institutionen des Klassenkompromisses. Die «internen Kommissionen» wurden von den Kapitalisten anerkannt, die Wahllisten direkt von der Gewerkschaftsbürokratie vorgeschlagen, die sorgfältig ihre Opportunisten platzierte, um nicht in Gefahr zu laufen, es sich mit den Bossen zu verspielen. Unter den Gewerkschaftsführern wie unter den Abgeordneten der PSI in Turin dominierten noch immer moderate Reformisten. Doch in den Massenkämpfen der letzten Jahre waren ganze Schichten an Arbeitern aktiv geworden und hatten sich radikalisiert. Sie mussten notwendigerweise mit der Gewerkschaftsbürokratie in Konflikt geraten, durch die sie sich nicht richtig vertreten sahen. Das drückte sich schon 1918 in verschiedenen Streitigkeiten zwischen der militanten Arbeiterbasis und den Gewerkschaftsführungen um die Frage der internen Kommissionen aus.[30] Die Arbeiter forderten unter anderem eine stärkere Beteiligung, grössere Kontrolle über die Gewerkschafts-Delegierten oder gar die Umwandlung der Kommissionen in permanente Organe der Arbeiterkontrolle. In der sozialistischen Jugendpresse forderte Alfonso Leonetti, Freund und Mitarbeiter von Gramsci, im März 1919 die Umwandlung der Kommissionen in Arbeiterräte mit revolutionärem Charakter, die zu Institutionen eines neuen Arbeiterstaates werden sollten.
Es waren diese Debatten, die Gramsci im Sommer 1919 aufnahm. Auch er sah die Möglichkeit, diese bürokratischen Fabrikkommissionen in Fabrikräte umzuarbeiten, die eine wahrhaftige «Selbstregierung der Arbeiter» verkörpern könnten. Dazu forderte er, die Fabrikkommissionen mit offenen Listen der gesamten Arbeitermasse zu wählen, statt alleine aus den Spitzen der Gewerkschaftsbürokratie. Entsprechend sollten diese Räte «weder die frühere Rolle von Wachhunden spielen, die die Interessen der herrschenden Klasse schützen, noch die Aktion der Massen gegen das kapitalistische Betriebsregime unterdrücken.»[31] Die Fabrikräte hatten nach Gramscis Vorstellung ganz andere Aufgaben zu übernehmen: Den Kampf «für die Kontrolle über die Produktion, für die Bewaffnung und militärische Vorbereitung der Massen, für deren politische und wirtschaftliche Ausbildung».[32]
Ab der siebten Ausgabe der Ordine Nuovo stand die Frage der Fabrik- und Arbeiterräte und der proletarischen Selbstregierung im Zentrum der Turiner Wochenzeitung. Gramsci nannte diese neue Linie später seinen «redaktionellen Staatsstreich», den er zusammen mit Togliatti durchführte – mit genau jenem Togliatti, der später zur Wurzel der gesamten stalinistischen Verzerrung von Gramscis Erbe werden würde. Die neue Ordine Nuovo war am 21. Juni 1919 mit dem Artikel «Arbeiterdemokratie» geboren. Gramscis Artikel, geschrieben unter Mithilfe von Togliatti, richtete sich direkt an die Arbeiter Turins. Wenn wir hier auch nicht den gesamten Artikel wiedergeben, so möchten wir doch grosszügig daraus zitieren:
«Wie können die ungeheuren gesellschaftlichen Kräfte, die der Krieg entfesselt hat, beherrscht werden? Wie können sie diszipliniert und wie kann ihnen eine politische Form gegeben werden, die die Kraft in sich hat, sich normal zu entwickeln und sich kontinuierlich zu ergänzen, bis sie zum Gerüst des sozialistischen Staates wird, in dem sich die Diktatur des Proletariats verkörpern wird? Wie kann man eine Verbindung von der Gegenwart zur Zukunft schaffen, wobei die dringenden Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden müssen und zugleich nutzbringend daran gearbeitet wird, um die Zukunft zu gestalten und sie „vorwegzunehmen“?
Diese Schrift soll ein Ansporn zum Nachdenken und Handeln sein; sie soll eine Aufforderung für die besten und bewusstesten Arbeiter sein zu überlegen, wie jeder innerhalb seines Kompetenzbereiches und bei seiner eigenen Tätigkeit an der Lösung des Problems mitarbeiten kann, indem er die Aufmerksamkeit der Genossen und der Verbände auf dessen Inhalt lenkt. Nur aus einer gemeinsamen und solidarischen Aufklärungsarbeit, aus Überzeugungs- und gegenseitiger Erziehungsarbeit wird die konkrete Aufbauarbeit entstehen.
Potenziell besteht der sozialistische Staat schon in den Einrichtungen des gesellschaftlichen Lebens, die für die ausgebeutete arbeitende Klasse charakteristisch sind. Diese Einrichtungen miteinander zu verbinden, sie zu koordinieren und sie in einer Abstufung von Kompetenzen und Befugnissen einzuordnen, sie bei Beachtung ihrer notwendigen Unabhängigkeit und ihres Aufbaus stark zu konzentrieren bedeutet, schon jetzt eine echte Arbeiterdemokratie in wirksamer und aktiver Gegenüberstellung zum bürgerlichen Staat zu schaffen, die bereits jetzt darauf vorbereitet wird, den bürgerlichen Staat in allen seinen Hauptfunktionen bei der Verwaltung und Beherrschung des Nationalreichtums abzulösen.
Die Arbeiterbewegung wird heute von der sozialistischen Partei und dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund [CGL] geführt. Die Ausübung der gesellschaftlichen Macht der Partei und des Gewerkschaftsbundes erfolgt gegenüber den werktätigen Massen teils indirekt kraft ihres Prestiges und der Begeisterung, teils durch autoritären Druck, ja sogar durch Untätigkeit. […]
Aber das gesellschaftliche Leben der werktätigen Klasse ist reich an Einrichtungen, es gliedert sich in vielfältige Aktivitäten. Diese Einrichtungen und Aktivitäten muss man nun entwickeln, komplex organisieren und in ein breitgefächertes und beweglich gegliedertes System stellen, das die gesamte werktätige Klasse aufnimmt und ordnet. […]
Die Inneren Kommissionen sind Organe der Arbeiterdemokratie, die man von den Einschränkungen befreien muss, die ihnen von den Unternehmern auferlegt wurden, und denen man neues Leben und neue Energie geben muss. Heute schränken die Inneren Kommissionen die Macht des Kapitalisten in der Fabrik ein und üben Schieds- und Disziplinarfunktionen aus. Nach ihrer Entwicklung und Qualifizierung werden sie morgen die Organe der proletarischen Macht sein müssen, die den Kapitalisten in allen seinen Leitungs- und Verwaltungsfunktionen ablöst.
Schon von jetzt an müssten die Arbeiter an die Wahl umfassender Delegiertenversammlungen gehen, die unter den besten und bewusstesten Genossen ausgewählt werden und unter den Losungen „Alle Macht in den Betrieben den Betriebskomitees“ und „Alle Macht im Staat den Arbeiter- und Bauern-Räten“ stattfinden sollen. […]
Das Stadtbezirkskomitee müsste der legitime und repräsentative Ausdruck der gesamten Arbeiterklasse im Stadtbezirk sein, es müsste in der Lage sein, die Wahrung einer Disziplin zu garantieren, deren Gewalt ihm spontan übertragen wurde, und imstande sein, die sofortige und vollständige Arbeitsniederlegung im ganzen Stadtbezirk anzuordnen. […]
Ein solches System der Arbeiterdemokratie (durch entsprechende Bauernorganisationen ergänzt) würde den Massen Gestalt und dauerhafte Ordnung geben, wäre eine grossartige Schule für politische und Verwaltungserfahrung und würde die Massen bis zum letzten Mann einbeziehen, sie an Zähigkeit und Ausdauer gewöhnen sowie daran, sich als Streitmacht im Felde zu betrachten, die einen festen Zusammenhalt braucht, wenn sie nicht aufgerieben und versklavt werden will.
Jede Fabrik würde ein oder mehrere Regimenter dieser Armee mit ihren Korporalen, ihren Verbindungsdiensten, mit ihrem Kommando stellen, Gewalten, die durch freie Wahl übertragen und nicht autoritär aufgezwungen sind. Durch Versammlungen im Betrieb und durch die ständige Propaganda- und Überzeugungstätigkeit, die von den bewusstesten Mitgliedern entfaltet wird, würde man eine radikale Verwandlung der Arbeiterpsychologie erreichen. […]
Aber die konkrete und vollständige Lösung der Probleme des sozialistischen Lebens kann nur aus der kommunistischen Praxis kommen: aus der gemeinsamen Diskussion, die das unterschiedliche Bewusstsein der Menschen verändert, es gleichstimmt, einander annähert und es mit aktiver Begeisterung erfüllt. Die Wahrheit zu sagen, zusammen zur Wahrheit zu gelangen, heisst, eine kommunistische revolutionäre Aktion durchzuführen. Die Formel „Diktatur des Proletariats“ muss aufhören, eine blosse Formel zu sein, eine Gelegenheit, revolutionäre Phrasen zu dreschen. Wer das Ziel erreichen will, muss auch die Mittel dazu anwenden wollen. Die Diktatur des Proletariats ist die Errichtung eines neuen, typisch proletarischen Staates, in dem die institutionellen Erfahrungen der unterdrückten Klassen zusammenfliessen, in dem das gesellschaftliche Leben der Klasse der Arbeiter und Bauern zu einem ausgedehnten und stark organisierten System wird. Diesen Staat improvisiert man nicht: Die bolschewistischen Kommunisten haben acht Monate daran gearbeitet, die Losung „Alle Macht den Sowjets!“ zu verbreiten und sie zu konkretisieren. Und doch waren die Sowjets den russischen Arbeitern schon seit 1905 bekannt. Die italienischen Kommunisten müssen aus der russischen Erfahrung lernen, um Zeit und Mühe zu sparen: Das Werk des Wiederaufbaus wird viel Zeit und Arbeit an sich erfordern, so dass ihm jeder Tag und jede Tat gewidmet werden müssten.»[33]
Die neue, nun klar politische Ausrichtung der Ordine Nuovo fällt zusammen mit dem Höhepunkt einer Welle sozialer Unruhen im Juni und Juli 1919. Proteste entzündeten sich an der Frage der Lebensmittelpreise.[34] Ausgehend von der syndikalistischen Hochburg La Spezia verbreiteten sie sich über verschiedene Regionen Norditaliens. Bürgerkomitees zur Regulierung der Lebensmittelpreise und teils gar Räte schossen aus dem Boden, die Proteste nahmen einen aufständischen Charakter an. Sie waren Zeugnis einer scheinbar unaufhaltsamen Radikalisierung, die auch die PSI unter Zugzwang stellte.[35] Während diese Entwicklung bei den Reformisten um Turati vor allem Besorgnis auslöste, beharrten Serratis Maximalisten auf der Position, die Partei sei nicht bereit für eine Revolution – ohne daraus jedoch den Schluss zu ziehen, die Partei müsse sich konkret vorbereiten. Mit dem Artikel Arbeiterdemokratie reagierte Gramsci anders auf den Prozess der Radikalisierung und der sich eröffnenden revolutionären Möglichkeiten. Er erkannte in diesem Prozess den Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung als Konsequenz der Krise der kapitalistischen Produktionsweise und gleichzeitig das potenzielle Entstehen der neuen, kommunistischen Ordnung.[36]
Der Aufruf der Ordine Nuovo, die internen Kommissionen in revolutionäre Organe der proletarischen Selbstregierung umzuwandeln, wurde enthusiastisch empfangen. Schnell war die Jugend gewonnen, die die Ideen der Wochenzeitung in den Arbeitervierteln verbreitete.[37] Die Ordinovisti wurden eingeladen, in Diskussionen in Vereinen und vor Versammlungen in Fabriken und Arbeitergruppen zu sprechen. Den gesamten Sommer über haben Gramsci und seine Gruppe unermüdlich darauf hingearbeitet, die Notwendigkeit aufzuzeigen, ein Netz proletarischer Institutionen zu schaffen, weil die traditionellen Institutionen der Arbeiterbewegung die vorhandene revolutionäre Kraft nicht mehr bändigen konnten. In verschiedensten übersetzten Artikeln teilten sie die Erfahrungen der Sowjets in Russland und in Ungarn.[38] Die Wochenzeitung erhielt eine beachtliche Leserschaft. Schon im ersten Jahr hatte sie durchschnittlich 3’000 LeserInnen und 300 AbonnentInnen, im Folgejahr waren es bereits 5’000 LeserInnen und 1’100 AbonnentInnen. Und dies obwohl die Reichweite der Zeitung sich auf die Region um Turin beschränkte.[39] «Die Ordine Nuovo wurde für uns und alle, die uns folgten, zur ‚Zeitung der Fabrikräte’», schrieb Gramsci im Rückblick.[40]
Die Ordinovisti hatten tatsächlich den Nerv der Turiner Arbeiter getroffen. Ein paar Monate nach dem Erscheinen des Artikels zur Arbeiterdemokratie war es soweit. Im September 1919 kamen in den Fiat-Brevetti-Werken 2’000 Arbeiter zusammen, um einen Fabrikrat als ihre offizielle demokratische Vertretung zu wählen. Sie bestimmten 32 Kommissare, die 11 verschiedene Abteilungen der Werke zu repräsentieren sollten.[41] Die Arbeiter der Fiat-Brevetti gaben nur den Anstoss zu einer Bewegung. Innerhalb eines Monats breitete sich die Rätebewegung auf die gesamten 42 Abteilungen der Fiat-Werke und darüber hinaus aus. Gramsci wendete sich unmittelbar in einem Artikel an die neugewählten Kommissare in der Fiat-Brevetti. Er begrüsste und ermutigte die Bewegung, von der er sagen durfte, dass auch die Ordine Nuovo ihren Teil zu ihr beigetragen hatte:
«Wir wissen jedoch, dass unsere Arbeit [in L’Ordine Nuovo] nur insofern einen Wert hatte, wie sie ein Bedürfnis erfüllte. Sie hat zur konkreten Umsetzung eines Bestrebens beigetragen, das in den arbeitenden Massen unterschwellig vorhanden war. […] Die Bedürfnisse und das Streben, die am Ursprung dieser Erneuerung der Bewegung der Arbeiterorganisationen stehen, liegen, so glauben wir, in der Sache selbst. Sie sind eine direkte Folge des Punktes, an dem der soziale und ökonomische Organismus, der auf der privaten Aneignung der Produktions- und Tauschmittel basiert, angelangt ist. Der Arbeiter in der Fabrik und der Bauer auf dem Lande, der englische Minenarbeiter und der russische Leibeigene, die Arbeiter auf der ganzen Welt, fühlen heute in einer mehr oder weniger sicheren Weise, auf eine mehr oder weniger direkte Weise, diese Wahrheit, die die Theoretiker vorausgesagt hatten, und von der sie eine immer grössere Gewissheit erlangen, wenn sie die Ereignisse dieser Phase der Menschheit betrachten: Wir sind am Punkt angelangt, an dem die arbeitende Klasse, wenn sie die Aufgabe des Neuaufbaus nicht verpassen will, die in ihren Taten und in ihrem Willen eingeschrieben sind, beginnen muss, sich in einer positiven Weise zu organisieren, die dem angestrebten Ziel entspricht.»[42]
Was sich Gramsci vorstellte, wenn er den Imperativ aufstellte, «sich in einer positiven Weise zu organisieren, die dem angestrebten Ziel entspricht», wird an anderer Stelle in deutlichen Worten ausgesprochen:
«Die Organisation der Fabrikräte beruht auf folgenden Grundsätzen: in jeder Fabrik, in jeder Werkstatt wird auf der Grundlage der Vertretung (und nicht auf der alten Grundlage des bürokratischen Systems) ein Organ gewählt, das die Macht des Proletariats verwirklicht, gegen die kapitalistische Ordnung kämpft und die Kontrolle über die Produktion durchführt, wobei es die gesamte Arbeitermasse in den revolutionären Kampf für die Errichtung eines Arbeiterstaates hineinzieht. Der Fabrikrat muss auf dem Grundsatz des Industrialismus aufgebaut sein; er muss für die Arbeiterklasse ein Prototyp der kommunistischen Gesellschaft sein, zu der sie durch die Diktatur des Proletariats gelangen wird; in dieser Gesellschaft wird es keine Einteilung in Klassen geben, sämtliche sozialen Beziehungen werden nur von den Bedürfnissen der Produktionstechnik und der hiermit verbundenen Organisation geregelt werden, nicht aber einer organisierten Staatsmacht sich unterordnen. Die Arbeiterschaft muss einsehen, wie hehr und schön das Ideal ist, für das sie kämpft und sich selbst opfert; sie muss einsehen, dass gewisse Etappen zur Erreichung dieses Ideals notwendig sind; sie muss die Notwendigkeit der revolutionären Disziplin und Diktatur anerkennen.
Jeder Betrieb ist in Abteilungen eingeteilt; jede Abteilung führt einen bestimmten Teil der Arbeit aus; die Arbeiter jeder Abteilung wählen einen Delegierten mit imperativem und bedingtem Mandat. Die Versammlung der Delegierten des ganzen Betriebes bildet einen Rat, der aus seinem Bestande einen Vollzugsauschuss wählt. Die Versammlung der politischen Sekretäre der Vollzugsausschüsse bildet den Zentralfabrikrat, der aus seinem Bestande ein Stadtkomitee wählt zur Organisation der Propaganda, zur Ausarbeitung des Arbeitsplanes, zur Begutachtung der Pläne und Vorschläge der einzelnen Betriebe und sogar einzelner Arbeiter und endlich zur Führung der gesamten Bewegung.»[43]
Ab Mitte Oktober fand eine Reihe von Vollversammlungen der Mitglieder der «Vollzugsauschüsse» (Exekutivkomitees) der verschiedenen Fabrikräte statt. Gegen Ende des Monats vertraten sie rund 50’000 Arbeiter. Diese waren natürlich nicht alle revolutionäre Kommunisten. Die Anhänger der Ordine Nuovo hatten noch nicht einmal die Mehrheit in den Räten. Doch das Programm, das sie ausarbeiteten und verabschiedeten, hatte dezidiert kommunistischen Charakter und folgte eindeutig den Linien Gramscis. In ihrer Absichtserklärung hielten sie fest, dass die «Fabrikkommissare die einzige wirkliche (politische und ökonomische) Vertretung der proletarischen Klasse sind, weil sie durch das allgemeine Stimmrecht von allen Arbeitern am Arbeitsort gewählt werden».[44] Im Gegensatz zu den Gewerkschaften waren sie damit die Vertretung der gesamten Arbeiterschaft, auch der unorganisierten. Sie waren wirkliche proletarische Einheitsfrontorgane, in die sich auch die Anarchisten einbrachten – und einigen Rückhalt genossen.
Das provozierte Widerstand seitens der Gewerkschaftsführungen, die in einer Fabrik nach der anderen die Kontrolle verloren. Allerdings verneinten die Fabrikkommissare in ihrem Programm explizit nicht die Rolle der Gewerkschaften: Sie riefen die Arbeiter im Gegenteil dazu auf, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie anerkannten die Gewerkschaften als «unverzichtbare Organisationsform», die weiterhin für die kollektiven Verhandlungen zur Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen in der kapitalistischen Produktion kämpfen müssten. Aber in dieser Funktion dürften sie die Fabrikräte nicht kontrollieren, sondern waren ihnen vielmehr untergeordnet. Denn die Fabrikräte waren die Vertretung der gesamten Arbeitermasse und dies nicht als Lohnabhängige, sondern als Produzenten. Die Räte «verkörpern die Macht der nach Fabriken organisierten Arbeiterklasse als Antithese zur Autorität, die in den Fabriken von den Unternehmern ausgeübt wird; gesellschaftlich verkörpern sie das gesamte Proletariat in seiner Solidarität im Kampf für die Ergreifung der politischen Macht und die Aufhebung des Privateigentums.»[45] Sie seien, so erklärten die Verfasser der Absichtserklärung, die «erste Bekräftigung der kommunistischen Revolution in Italien». Es ginge nicht mehr darum, im gewerkschaftlichen Sinne bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sondern durch ständige «vor-revolutionäre Arbeit» die Arbeiter darauf vorzubereiten, «die Autorität der Bosse am Arbeitsplatz zu ersetzen und das gesellschaftliche Leben auf eine neue Basis zu stellen.» Das Embryo des künftigen Arbeiterstaates, das Gramsci gesucht hatte, war entstanden.
Ende des Jahres waren schon 150’000 Arbeiter in Fabrikräten organisiert. Das drückte sich unweigerlich in den Organisationen der Arbeiterklasse aus, die noch unter Kontrolle der Reformisten oder Maximalisten standen. Im November übernahmen die Fabrikkommissare die Turiner Sektion der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, im Dezember sprach sich die Turiner Arbeitskammer für die Bildung der Räte und die Arbeiterkontrolle aus. Die Bewegung breitete sich über die Metallindustrie hinaus auf die Chemie und Reifenfabriken aus und erfasste auch Teile anderer Industrien.[46] Die heissen Diskussionen über die Räte und ihre Bedeutung hatte die gesamte Arbeiterbewegung in Turin und in der Region Piemont ergriffen. Im Dezember stimmte auch die Turiner PSI für das Rätesystem. Ein Bündnis von Ordinovisti und Abstentionisti, die Kommunisten also,stellte die neue Führung.
Gramsci, der nun die Leitung des Turiner Avanti! innehatte, verbreitete unermüdlich die Lektionen der Russischen Revolution, referierte über Staatsmacht und Rätestrukturen. Und umgekehrt liess er sich begeistern von der technischen Perfektionierung und Schlagkraft der Räte, die es seiner Ansicht nach schafften, in nur 5 Minuten die Arbeitsniederlegung von 16’000 Arbeitern in allen Abteilungen der Fiat-Werke durchzusetzen.[47] Schon am 3. Dezember hatten die Räte eine Demonstration dieser Aktionsfähigkeit geliefert: Ohne vorherige Vorbereitung mobilisierten die Fabrikräte 120’000 Arbeiter der verschiedenen Unternehmen, die «wie eine Lawine» in das Zentrum der Stadt schwemmten.[48]
Die Rolle von Gramsci und der Ordine Nuovo beschränkte sich nicht auf einfache Propaganda. Sie hatten mit ihrer energischen Arbeit entscheidend am Aufbau der Räte selbst mitgeholfen. Die Impulse für den neuen Charakter der Ordine Nuovo und für Gramscis politische Fortschritte kamen von der Spontanität und der Aktivität der Arbeitermassen, mit denen er seit 1917 immer eng verbunden war. Aber es waren Gramsci und die Ordinovisti, die der Rätebewegung Form und theoretische Konsistenz gaben. Die spontane Aktion der Arbeitermassen und die Führung durch die «Intellektuellen» der Ordine Nuovo bedingten sich gegenseitig, wirkten aufeinander und trieben sich an. Es ist diese Dialektik zwischen der Spontanität der Massen und der Führung durch die bewusstesten kommunistischen Elemente, die im Herz von Gramscis Ansichten lag. Sie prägte den Charakter der Turiner Rätebewegung und drückte sie vorwärts.
Gramsci wusste, dass die spontane Bewegung der arbeitenden Massen notwendig aus dem Zusammenprall der Widersprüche entsteht, die der kapitalistischen Produktionsweise innewohnen.[49] Diese Spontanität der Massen darf nicht gefürchtet werden, sie ist die Basis des revolutionären Prozesses selbst. Sie muss in ihrer Autonomie geschätzt werden. Die Rolle der Führung besteht darin, sie zu orientieren, in die richtige Richtung zu lenken und ihr eine Form zu geben, um sich zielgerichtet ausdrücken zu können. Darin sah Gramsci die Aufgabe seiner Gruppe. Seiner Ansicht nach war jede Theorie wertlos, wenn sie nicht ihre Fähigkeit beweisen konnte, mit den wirklichen Veränderungsprozessen zu verwachsen.[50] Die kommunistischen Ideen und Ziele mussten nicht von aussen in die Bewegung gebracht werden, sie waren im Bestreben der arbeitenden Massen «unterschwellig vorhanden»[51]. Sie zu enthüllen, ihnen Kohärenz zu verleihen und sie zum Durchbruch zu bringen, zu ihrer «konkreten Umsetzung beizutragen», das ist die Aufgabe der bewusstesten Revolutionäre. Dass die Ordine Nuovo diesem Anspruch gerecht werden konnte, zeigte sich für Gramsci darin, dass die Arbeiter die Wochenzeitung liebten, «weil sie in den Artikeln der Zeitung einen Teil ihrer selbst, den besten Teil ihrer selbst wiederfanden, weil sie spürten, dass die Artikel von dem Geist ihrer eigenen inneren Suche durchdrungen waren.»[52]
Entscheidend in diesem marxistischen Verständnis ist, dass die arbeitenden Massen das Bewusstsein über ihre gesellschaftliche Stellung, das Bewusstsein über ihre gemeinsame Macht, in ihrer eigenen Massenaktivität erlangen. In den Räten erkannte Gramsci die Form des revolutionären Prozesses selbst und damit das Gefäss, in dem sich ein qualitativer Sprung in dieser Bewusstseinsentwicklung vollziehen konnte. In ihnen wurden alle Arbeiter in die Aktivität einbezogen, in ihnen waren alle Arbeiter vereint nicht auf der Grundlage ihrer Ideologie, sondern als autonome Produzenten. In ihnen konnten die Arbeiter ein kommunistisches Bewusstsein entwickeln und lernen, ohne die Autorität der Bosse gemeinsam zu bestimmen und sich selbst zu regieren.
Gerade diese Autonomie und schöpferische Spontanität der Arbeiterklasse sah Gramsci durch die Gewerkschaften und ihr bürokratisches Funktionieren blockiert, die völlig den Puls der Arbeiter verfehlten. Das Funktionärstum hat kein Verständnis für die «Psychologie der Massen» und «macht den schöpferischen Geist steril», erkannte er.[53] Das hätte allerdings auch auf die Führung der PSI zugetroffen. Gramsci jedoch war noch Ende 1919 überzeugt, dass sich die Partei voll in die Richtung der Positionen der Kommunistischen Internationale bewegte.
Die Turiner Rätebewegung erreichte im Winter 1919/1920 ihren Höhepunkt. Gramsci wie auch den bewusstesten Arbeitern war klar, dass sich die Rätebewegung auf ganz Italien ausbreiten musste, um Erfolg haben zu können. Er wies darauf hin, dass die Rätestrukturen sich nicht auf die Fabriken beschränken durften, sondern sich in Quartierräten und nationalen Kongressen zusammenschliessen mussten. Auch war es für den Erfolg der Bewegung eine Notwendigkeit, dass die Kämpfe der Industriearbeiter des Nordens mit den Kämpfen der armen Bauern im restlichen Land verbunden werden. Bereits im August hatte er geschrieben: «Die Industriearbeiter und die armen Bauern sind die beiden Energien der proletarischen Revolution. […] Aber mit den Kräften der Industriearbeiter allein kann sich die Revolution nicht verbreiten: die Stadt muss mit dem Land verbunden werden.»[54]
Aber Gramsci und die Turiner Arbeiterbewegung waren isoliert. Sie stiessen auf den heftigen Widerstand der bürokratischen Führungen der traditionellen Arbeiterorganisationen. Diese wollten vom revolutionären Potenzial der Turiner Rätebewegung nichts wissen. Die Bürokraten der reformistischen Gewerkschaft CGL, der mächtigsten Organisation der italienischen Arbeiterbewegung, fürchteten in jeder Aktion der demokratischen Selbstorganisierung der Arbeiter den Verlust ihres Einflusses auf Arbeiterbewegung. Der Erfolg der Rätebewegung brachte den Ordinovisti den ganzen Hass der Gewerkschaftsbürokraten entgegen. Die Zeitung der CGL startete eine üble Kampagne gegen die Fabrikräte und warf Gramsci Abenteurertum und Anarcho-Syndikalismus vor.[55] «Der gesamte bürokratische Mechanismus wurde aufgeboten, um zu verhindern, dass die Arbeitermassen der übrigen Teile Italiens dem Bespiel der Stadt Turin folgten. Die Turiner Bewegung wurde verspottet, verhöhnt, auf jede mögliche Art und Weise verleumdet und kritisiert», bedauerte Gramsci.[56]
In der Sozialistischen Partei Italiens sah es nicht besser aus. Dass die reformistische Minderheit wenig Sympathie für Räte hatte, kann nicht erstaunen. Aber ausserhalb Turins waren auch die Maximalisten und Kommunisten nicht bereit, der Turiner Rätebewegung ihre Unterstützung zuzusprechen. Serrati griff die Rätebewegung hart an. Die Maximalisten verzettelten sich in abstrakten Diskussionen. Fabrikräte hätten einen rein technischen Charakter und seien daher nicht vergleichbar mit Sowjets nach einer gelungenen Revolution, insistierten sie.[57] Tatsächlich versteckten sie hinter diesen Scheinargumenten nur ihren Unwillen gegenüber einem direkten Eingreifen der Massen in den revolutionären Kampf. Dem lag die theoretische Fehlvorstellung zu Grunde, die Revolution sei alleine die Sache der Partei. Serrati erklärte mit eindeutigen Worten: «Die Diktatur des Proletariats ist die bewusste Diktatur der sozialistischen Partei».[58] Serrati, so urteilt der Historiker Gwyn A. Williams, «hat mehr getan als jeder andere, um die Rätebewegung zu zerstören.»[59]
Nicht einmal Bordiga, der Führer des kommunistischen Flügels und ironischerweise Herausgeber der Zeitung Il Soviet, erkannte, dass die Turiner Fabrikräte die embryonale Form der Sowjets waren, wie sie sich in Russland entwickelt hatten. Zwar arbeiteten Bordigas Anhänger, die Abstentionisti, in Turin eng mit den Ordinovisti zusammen. Aber Bordiga selbst attackierte die Räte, in denen er reformistische Organe sah. Ähnlich wie Serrati warf auch er den Turiner Sozialisten vor, zu verkennen, dass die Fabrikräte sich nur in gewerkschaftlicher Weise auf der ökonomischen Ebene bewegten, aber nicht fähig seien zur Übernahme der politischen Macht. Dazu sei einzig eine reine kommunistische Arbeiterpartei aus bewussten Revolutionären fähig, die es nun aufzubauen gelte. Für sie alle war die Revolution eine ausschliessliche Sache der Partei, die als Heilsbringerin der Arbeiterklasse deren Befreiung erkämpfen sollte. Niemand von ihnen hatte die so grundlegende marxistische Einsicht verstanden, dass die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muss. Gramscis vorwurfsvoll pochenden Worte gegen Serrati fassen es zusammen:
«Die Sozialistische Partei hat es nicht einmal versucht, das Reich der verbalen Beteuerungen zu verlassen. Sie hat den Arbeitern und Bauern keine konkrete Anleitung zu wirklicher Erneuerung der Institutionen gegeben. Für die Dritte Internationale bedeutet die Revolution «machen» den Sowjets die Macht zu geben und für die kommunistische Mehrheit innerhalb der Sowjets zu kämpfen; für die Dritte Internationale bedeutet revolutionär zu sein, aus dem Reich des gewerkschaftlichen Korporatismus’ und der sektiererischen Aktivität der Partei auszubrechen und die Bewegung in den Massen der Menschen zu sehen, die eine Form suchen, und darauf hinzuarbeiten, dass diese Form das Rätesystem ist.»[60]
In den ersten Monaten des Jahres 1920, mit den harten Debatten innerhalb der sozialistischen Bewegung über die Räte, veränderte Gramsci seine Parteiauffassung. Sein Ton verschärfte sich und er distanzierte sich von den Maximalisten. Er warf der Partei vor, in dieser revolutionären Periode mit jedem Tag mehr den Kontakt zu den Massen zu verlieren. Schon im Januar forderte er mit grösster Dringlichkeit eine Erneuerung der Partei, in der die kommunistischen Arbeiter die kleinbürgerlichen Opportunisten aufhalten sollten. Gramscis Denken trat damit in eine neue Phase. Die Rolle der Partei wurde nun immer zentraler und der Fokus verschob sich von der Notwendigkeit des Aufbaus der Räte auf den Aufbau kommunistischer Gruppen.[61] So unterschiedlich der Kommunismus von Gramsci und Bordiga auch war, musste ihn das zur Annäherung an die Bordigisten treiben, die bereits dabei waren, eine kommunistische Fraktion in der PSI aufzubauen.
Gramscis Schritt vorwärts zerstörte jedoch den Zusammenhalt im Kern der Ordinovisti. Tasca begann sich zu lösen. Dessen wesentlich sozialdemokratische Positionen waren eigentlich schon vorher inkompatibel mit jenen von Gramsci. Tasca war eng mit den Gewerkschaftsführungen verbunden und forderte die Unterordnung der Räte unter die Gewerkschaften. Dass dieser Bruch zwischen Gramsci und Tasca erst im Mai öffentlich wurde und Tasca weiterhin das bekannteste Gesicht der Ordine Nuovo blieb, war Gramscis Rückhalt in der Bewegung alles andere als dienlich.
Bis ins Frühjahr 1920 waren die Kapitalisten weitgehend machtlos gewesen gegen die zahlreichen Aktionen der Arbeiterklasse Italiens und der konzentrierten Aktion in Turin. Im März hielt die Confindustria, der neugegründete Dachverband der Industriellen, ihre erste nationale Konferenz und konstituierte sich als Organisation mit einer einheitlichen Linie. In ihr verbündeten sich 72 Vereinigungen von insgesamt 11’000 Industriellen.[62] Schnell war klar, dass die Industriellen beschlossen hatten, die Doppelmacht in den Fabriken nicht zu tolerieren und die Bewegung der Fabrikräte zu zerschlagen. Die Autorität der organisierten Arbeiter ist unvereinbar mit der Autorität der Bosse. Das Exekutivkomitee der Fabrikkommissare hatte volles Bewusstsein über den Charakter des Konfliktes: «Es steht ausser Zweifel, dass die Industriellen ein friedliches Funktionieren des Fabrikrates weder anerkennen noch erlauben würden, da es ja dessen Ziel ist, das kapitalistische System zu zerstören.»[63] Im April begannen die Kapitalisten der Turiner Metallindustrie mit einer allgemeinen Aussperrung. Am 3. April fanden sich 90’000 Metallarbeiter vor geschlossenen Fabriktoren.[64] Mit aller Klarheit stellte sich die Frage: Wer hat in den Fabriken die Macht? Die Kapitalisten oder die Arbeiter? Die Frage musste sich im Kampf entscheiden.
Die Arbeiter antworteten am 13. April mit einem Generalstreik, der sich von Turin über die ganze Region des Piemonts ausbreitete. Eine halbe Million Arbeiter traten in den Streik. Die Metallarbeiter Turins waren während eines ganzen Monats im Streik, die Lohnabhängigen der restlichen Industrien während zehn Tagen. Turin war völlig lahmgelegt. Der Mechaniker und Sozialist Montagnana erinnert sich:
«Die besten Versammlungen, an die ich mich erinnern kann, fanden in den Fabriken statt. Das Publikum und die Sprecher, alle in Arbeitskleidung, verdeutlichten ihre Sichtweise. Alle waren sie dort: Die Facharbeiter mit ihren weissen Krägen, die ungelernten Arbeiter und die Lehrlinge. Damals verstanden alle, dass das Spiel äusserst ernst war und dass den Kampf zu verlieren für jeden bedeuten würde, einen ganz grossen Verlust zu erleiden.»[65]
Die Turiner Sozialisten erklärten den nationalen Führungen der PSI und der CGL deutlich, der Erfolg des Turiner Proletariats hänge von der regionalen Ausbreitung der Bewegung über Turin hinaus auf ganz Italien sowie vom Überspringen der Bewegung von der proletarischen Klasse auf die armen Bauern ab. Sie forderten den Aufruf zum Generalstreik im ganzen Land, das war die einzige Möglichkeit zum Sieg. Es half nichts. Die Arbeiter der Automobilstadt wurden gegen die gesamte Macht des kapitalistischen Staates im Stich gelassen. Alle öffentlichen Versammlungen wurden verboten, die Stadt wurde militärisch belagert. Die einzigen, die Turin unterstützten waren anarcho-syndikalistische Eisenbahner in Pisa und Florenz und Hafenarbeiter in Genua und Livorno. Sie weigerten sich, Truppen nach Turin zu transportieren.[66] Die mächtige CGL, die FIOM und die PSI hingegen blockierten jede Hilfe. Sie krümmten keinen Finger, um auf nationaler Ebene über die Wichtigkeit dieses Kampfes aufzuklären. Sie griffen die Turiner an für ihre «Indisziplin». Die PSI weigerte sich, das Manifest ihrer eigenen Turiner Sektion zu veröffentlichen. D’Aragona von der nationalen CGL-Führung trat in die Verhandlungen mit den Bossen – und akzeptierte all ihre Bedingungen![67] Die Kommissare der Fabrikräte billigten die «Vermittlung» der Gewerkschaften nicht. Aber die Turiner Arbeiter waren am Ende ihrer Kräfte. Die Bewegung ebbte ab, es war eine bittere Niederlage. Die Fabrikräte überlebten zwar, aber sie waren ihrer Kraft beraubt.[68] Die Versammlungen durften nicht mehr während der Arbeitszeit stattfinden. Die Autorität der Bosse und der Einfluss der Gewerkschaften waren wiederhergestellt.
Der Verrat der Führungen der Massenorganisationen der Arbeiterbewegung trieb Gramsci in die Fundamentalopposition innerhalb der Sozialistischen Partei. Die Macht der reformistisch oder maximalistisch geführten Arbeiterorganisationen konnten nicht einfach durch die Selbstorganisation in den Räten überwunden werden. Gramscis politische Akzente verschoben sich deutlich auf die Notwendigkeit einer zentralisierten Partei von wirklichen Revolutionären. Gut organisierte kommunistische Gruppen mussten die Thesen und Taktik der Komintern in die Gewerkschaften tragen. Er fand sich jetzt wesentlich auf der Linie Bordigas, was den Ausschluss der Reformisten und die Notwendigkeit der Bildung einer wirklichen Kommunistischen Partei angeht. Im Mai nahm er als Beobachter am Fraktionstreffen der Abstentionisten teil, ohne jedoch Bordigas Abstentionismus und seine starre Parteiauffassung zu unterstützen. Bereits während den ersten Tagen des Metallarbeiterstreiks hatte Gramsci einen Antrag «Für eine Erneuerung der Sozialistischen Partei» ausgearbeitet.[69] Er umfasste neun Punkten zuhanden des Nationalen Rates, der Ende April in Mailand tagte.[70] Gramsci wies darauf hin, dass die Massen mitten im Kampf stünden und fest entschlossen seien, die Frage des Privateigentums der Produktionsmittel zu stellen. Doch «die Kräfte der Arbeiter und Bauern sind nicht genügend koordiniert und zusammengeschlossen»:
«Die Schuld daran tragen die führenden Organe der Sozialistischen Partei. Sie haben gezeigt, dass sie weder für die jetzige nationale und internationale geschichtliche Entwicklungsphase noch für die gegenwärtigen Aufgaben der Kampforgane des revolutionären Proletariats Verständnis haben. Die Sozialistische Partei scheint bei den vor sich gehenden grossen Ereignissen bloss die Rolle eines Zuschauers zu spielen.»
Die Partei sei auch nach ihrem Beitritt zur Dritten Internationale eine einfache parlamentarische Partei geblieben, die sich innerhalb der engen Grenzen der bürgerlichen Demokratie bewege und nur in oberflächlichen Worten darüber hinausgehe:
«Die Partei muss ein eigenes, klares und festes ‚Gesicht’ erlangen. Sie muss sich aus einer parlamentarischen spiessbürgerlichen Partei in die Partei des revolutionären Proletariats umwandeln, in eine Partei, die für die Errichtung einer neuen kommunistischen Gesellschaftsordnung durch den Arbeiterstaat kämpft, in eine einheitliche, zusammengeschlossene Partei mit ihrer eigenen Lehre und Taktik, mit ihrer eigenen unerbittlichen Disziplin. Alle nicht-kommunistischen Revolutionäre müssen aus der Partei vertrieben werden. […] Das Vorhandensein einer einheitlichen kommunistischen und disziplinierten Partei, deren Zentralausschuss die revolutionären Aktionen des Proletariats durch Betriebsorganisationen, Gewerkschaften und Genossenschaften lenkt und vereinigt, ist eine notwendige Grundprämisse für jeden Versuch, Arbeiterräte zu errichten.»
In der PSI-Führung wurde Gramscis Kritik zurückgewiesen. Diese war überzeugt, dass eine Revolution in diesem Moment nicht möglich sei.[71] Im Sommer vertiefte sich die Krise in der PSI noch weiter. Im Juli und August fand in Petrograd und Moskau der zweite Kongress der Komintern statt. Die Delegierten der PSI, darunter kein einziger der Ordinovisti, mussten sich eine scharfe Kritik anhören. Zu ihrem Erstaunen erklärte Lenin die in der Ordine Nuovo veröffentlichte Kritik Für eine Erneuerung der Sozialistischen Partei und die praktischen Vorschläge im Wesentlichen für richtig und in voller Übereinstimmung mit allen wichtigen Grundsätzen der Dritten Internationale.[72] Gegen Serrati und die Parteiführung, die sich weiterhin zu einem solchen Schritt weigerten, verlangte der Kongress der Komintern den Ausschluss von Turati und dem reformistischen Flügel, die den Räten feindlich gesinnt waren. Aber auch Bordiga wurde zur Zielscheibe von Lenins Kritik. Dessen eigens für diesen Kongress geschriebene Broschüre «Der ‚linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus» richtete sich gegen genau solche Haltungen wie Bordigas anti-parlamentarischem Abstentionismus, der nicht erkannte, dass auch das Parlament als Bühne für revolutionäre Politik genutzt werden muss, um die Massen gewinnen zu können.
Gramsci jedoch konnte von der Unterstützung durch die Komintern nicht profitieren. Nach dem April-Streik wurde sein Konflikt mit Tasca in aller Härte öffentlich ausgetragen. Spätestens im Juli gingen mit Terracini und Togliatti auch noch die anderen beiden Gründungsmitglieder der Ordine Nuovo zu Tasca über, um in Turin in ein Wahlbündnis mit den Maximalisten zu treten. Die Ordine Nuovo-Gruppe brach auseinander. Gramsci hatte noch eine Gruppe von gerade mal 17 Arbeitern um sich.[73] Der Widerspruch ist gewaltig: Gramsci erreichte im Sommer 1920 seinen vorläufigen Höhepunkt in Sachen theoretischer und politischer Klarheit, aber er war nun völlig isoliert – und dies im Moment, in dem der Klassenkampf in Italien in eine entscheidende Phase trat.
Bereits seit Mai waren die Gewerkschaften mit den Kapitalisten in trägen ökonomischen Verhandlungen. Die ökonomische Krise in Italien hatte sich verschärft. Keine Seite war bereit nachzugeben.[74] Mitte August beschloss der Kongress der Metallarbeitergewerkschaft FIOM eine Taktik des «Obstruktionismus». Die Arbeit sollte verlangsamt werden und falls die Unternehmer mit einer Aussperrung reagierten, gehe man dazu über, die Fabriken zu besetzen. So mussten die Kapitalisten schmerzhafte Einbussen in der Produktion erleiden.
Am 27. August fanden sich in der Romeo Fabrik in Mailand 2’000 Arbeiter vor einer geschlossenen und von der Armee bewachten Fabriktür. Die Mailänder Sektion der FIOM gab ihren Mitgliedern unmittelbar den Aufruf, 300 Fabriken in und um Mailand zu besetzen. Die Industriellen wiederum antworteten mit einer Verallgemeinerung der Aussperrungen, die jedoch überall von Fabrikbesetzungen gefolgt waren. Die Gewerkschaft selbst hatte freilich keine revolutionären Absichten. Sie wollte mit der Massnahme lediglich ihre Verhandlungsposition gegenüber den Kapitalisten stärken. Doch die Besetzungen nahmen bald revolutionäreren Charakter an. Die Arbeiter fühlten, dass nun ihre Zeit gekommen war. Anfang September breitete sich die Bewegung auf die Metallindustrie ganz Italiens aus. Über 400’000 Arbeiter nahmen an den Besetzungen teil. Einen wirklichen Massencharakter hatte die Bewegung allerdings nur im Industrietriangel Turin-Mailand-Genua. Dort war die Stimmung euphorisch. Überall hingen rote Flaggen und Sowjetsymbole. Der erste «rote Sonntag» wurde zu einem Festival mit Musik und Reden. In den Turiner Fiat-Werken verkündete der Fabrikrat, man müsse zeigen, dass man den Laden auch ohne die Bosse schmeissen kann.
Solche kollektiven Kämpfe verändern das Bewusstsein der Arbeiter. Es ging nicht mehr um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen. Das offen deklarierte Ziel war nun die Arbeiterkontrolle über die gesamte Produktion. In Turin nahm nahezu die ganze Arbeiterklasse an den Besetzungen teil. Ihre Fabrikräte begannen, ein System zur Planung der Produktion durch die Arbeiter auf die Beine zu stellen. Die Produktion sei für die Gemeinschaft und müsse daher durch höhere Organisationen im Interesse aller verwaltet werden, hiess es in ihrem Kommuniqué. In aller Offensichtlichkeit entwickelten sich die Ansätze eines genuinen Arbeiterstaates. Es wurden bereits die Möglichkeiten ergründet, mit der Sowjetunion in direkten Handel zu treten, um die Zufuhr für die durch die Arbeiter kontrollierte Produktion sicherzustellen! Die Räte begannen, die Arbeiter zu bewaffnen und Rote Garden zu bilden, um sich gegen eine drohende Stürmung durch die Sicherheitskräfte des Staates zu schützen. In den Fabriken hielten sie Versammlungen mit den wichtigsten Sozialisten, darunter auch Antonio Gramsci.
In dieser Phase waren die Kräfte der alten Ordnung gelähmt und in sich zerstritten über das richtige Vorgehen. Die Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Giolitti wollte nicht handeln, weil ein Angriff auf die besetzten Fabriken einen Bürgerkrieg ausgelöst hätte. Gleichzeitig hatten die armen Landarbeiter im Süden schon seit einigen Monaten in grossem Ausmass Ländereien besetzt. Zum grossen Unmut der Industriellen war die Regierung handlungsunfähig. Dennoch scheiterte die Revolution in Italien.
Fabrikbesetzungen alleine lösen die Frage der Machtübernahme nicht. Die Arbeiter der besetzten Fabriken hatten auch mit ihren bewaffneten Roten Garden keine Möglichkeit, in die Offensive zu gehen und die politische Machtergreifung zu organisieren. Gramsci erklärte ganz richtig, die Arbeiterkontrolle müsse sich auf die anderen Zentren der kapitalistischen Macht, wie die Kommunikationsmittel, die Banken, die Streitkräfte und den Staat ausbreiten. Er sprach sich für die Bildung eines urbanen Sowjets aus, der sich auch militärisch organisieren sollte. Auch die Fragen der nationalen Ausbreitung der Bewegung und die nach der Verbindung mit den Kämpfen der Bauern und Landarbeiter blieben weiterhin zentral. All das erfolgreich in die Tat umzusetzen hätte jedoch die Existenz einer gut organisierten und wirklich kommunistischen Partei erfordert, die diese Einsichten hätte verbreiten und mit Initiativkraft zur Machtergreifung vorangehen können. Das war Gramsci mittlerweile klar und entsprechend setzte er die politischen Prioritäten. Es ist bezeichnend für Gramscis Entwicklung in den letzten Monaten, dass er mitten in der Phase der Besetzungen die unmittelbare Aufgabe darin sah, die kommunistischen Kräfte zu organisieren und zu zentralisieren.[75]
Die Abwesenheit einer solchen Kommunistischen Partei konnte in der Hitze der Situation nicht kompensiert werden, erst recht nicht aus Gramscis marginalisierter Position. Die Fehler und die internen Streitigkeiten der Sozialisten hatten seit dem Frühling dazu geführt, dass die Turiner Räte unter den Einfluss der Anarcho-Syndikalisten fielen. Diese setzten zwar auf die Selbstorganisation der Arbeiter in den Fabrikräten, lehnten aber die politische Machtergreifung und die Bildung eines Arbeiterstaates als «unfreiheitlich» und «diktatorisch» ab. Gramsci kämpfte mit harten Bandagen gegen diesen Verbalradikalismus, der die Arbeiterklasse direkt in die Niederlage führen musste. Die Positionen der Anarcho-Syndikalisten waren nicht weniger utopisch oder verbrecherisch als jene der Reformisten. Sie hielten die Bewegung im Stadium der Fabrikbesetzungen fest. Sie hinderten sie daran, ihr in Form eines Arbeiterstaates die Mittel zu geben, den Aufbau der neuen Ordnung zu organisieren und sich gegen die Sabotage der Konterrevolutionäre zu verteidigen.[76] Seiner Ansicht nach kam die anarchistische Haltung einem Scharlatan gleich, der einem Typhuskranken ein Glas Wasser reicht.[77]
Auf nationaler Ebene stand die Arbeiterbewegung noch immer unter dem Einfluss der alten reformistischen und zentristischen Führungen der CGL und der PSI, genau derjenigen also, welche die Turiner Arbeiter schon im April verraten hatten. Die Gewerkschaften und die Partei hätten zur Besetzung und Enteignung der Industrie und der Ländereien im ganzen Land aufrufen müssen. Viele der Landbesetzungen durch arme Bauern wurden angeführt von Mitgliedern der katholischen Volkspartei. Dennoch wäre es alles andere als unmöglich gewesen, sie für den gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterklasse zu gewinnen. Schliesslich wäre die Volkspartei nicht bereit gewesen, den Kampf der armen Bauern bis zu seinem logischen Ende zu treiben. Es hätte gereicht, die Gemeinsamkeiten des Kampfes zu unterstreichen und in das proletarische Programm die Enteignung des Grossgrundbesitzes einzuschliessen.[78] Genau das war einer der Grundpfeiler des Erfolgs der Bolschewiki in Russland gewesen. Nichts dergleichen geschah in Italien. Die Führung der PSI betrachtete die Kämpfe der armen Bauernschaft nicht als ihre eigenen – und dies obwohl mehr als die Hälfte der eigenen Parteimitglieder Bauern waren! Aber auch an die Metallarbeiter wurde ein solcher revolutionärer Aufruf nicht gerichtet, nicht durch die CGL-Bürokraten, aber auch nicht durch die vermeintlich revolutionären Maximalisten der PSI.
Die reformistische Führung der CGL war ohnehin gegen die Fabrikräte und die direkte Arbeiterkontrolle und forderte stattdessen die «gewerkschaftliche Kontrolle». Sie sprachen sich gegen eine Revolution aus, weil sonst Bürgerkrieg und eine internationale Blockade drohten. Die CGL wusste, dass die PSI-Führung wankte und ihren revolutionären Phrasen keine Taten folgen lassen wird. Entsprechend bestimmt konnte der CGL-Sekretär D’Aragona die gesamte Verantwortung auf die PSI-Führung übertragen, als er ihnen nach Tagen der härtesten Kämpfe am 10. September erklärte:
«Ihr glaubt, dies sei der Moment für die Revolution. Na dann, gut. Dann übernehmt ihr die Verantwortung. Wir glauben nicht, dass wir diese Verantwortung tragen können – die Verantwortung dafür, das Proletariat in den Selbstmord zu treiben. Wir erklären, dass wir uns zurückziehen. Wir unterbreiten unsere Abdankung. Wir fühlen, dass in diesem Moment die Aufopferung unserer Personen verlangt wird. Ihr, ihr übernehmt die Führung der ganzen Bewegung.»[79]
Die Parteiführung schlug das «Angebot» aus. Sie erklärte sich nicht in der Lage, die Autorität der CGL-Führer unter den Arbeitern zu ersetzen.
Am folgenden Tag stimmten die CGL-Mitglieder über die Revolution ab. Die maximalistische Parteilosung, die sich für die Vergesellschaftung von Produktion und Austausch aussprach, unterlag mit 409’569 Stimmen gegenüber 591’245 Stimmen für die reformistische CGL-Lösung der «gewerkschaftlichen Kontrolle». Es war ein bürokratisches Manöver zur Beerdigung der Revolution. Die CGL-Führung war sich ihrer Mehrheit sicher gewesen. Die unabhängigen Gewerkschaften der Bahnarbeiter oder der Hafenarbeiter waren ebenso wenig zur Wahl berechtigt wie die Mitglieder der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaftsföderation USI. Das Resultat widerspiegelte in keinem Fall die gesamte Arbeiterbewegung und erst recht nicht die streikenden Landarbeiter des Südens. Dennoch akzeptierte die sozialistische Parteileitung das Resultat ohne einen Augenblick zu zögern. Tatsächlich kam es wie eine Erlösung. Es gab ihnen die Legitimität, ihren leeren revolutionären Worthülsen keine Taten folgen zu lassen. Angelo Tasca fand über diese Episode klare Worte:
«Die Parteileitung hatte Monate damit verloren, die Revolution zu predigen. Sie hatte nichts geplant, nichts vorbereitet. Als die Abstimmung in Mailand den CGL-Thesen die Mehrheit gab, konnten die Führer der Partei erleichtert aufatmen. Von jeglicher Verantwortung befreit, konnten sie sich lauthals über den Verrat de CGL beklagen.»[80]
Mit der Entscheidung der CGL begann die Bewegung abzuflauen. Die Besetzungen gingen zwar noch einen Moment weiter, aber immer mehr Arbeiter erschienen nicht mehr am Arbeitsplatz. Man kann es ihnen nicht verübeln. Die Besetzungen und die gesamten Kämpfe, die ihnen vorausgegangen waren, haben unglaubliche Kräfte gekostet. Der Aufbau der Fabrikräte und die Streiks im Winter 1919/20, der mächtige Generalstreik im April 1920 und schliesslich die Fabrikbesetzungen im September 1920: Kein Kampf kann ewig auf einem so hohen Niveau gehalten werden. Entweder wird er auf eine nächst höhere Stufe gehoben und gibt den Arbeiter neue Energie und einen Sinn zu kämpfen, oder er ebbt ab und lässt müde und desillusionierte Kämpfer zurück.
Die Gewerkschaften sahen den September-Ereignisse als einen Sieg. Schliesslich schauten am Ende ein Kompromiss mit der Regierung und Lohnersteigerungen, Erhöhungen der Mindestlöhne und andere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für die Metallarbeiter heraus. Und tatsächlich wurde der Ausgang aus diesen Kämpfen auf Seite der Kapitalisten als eine demütigende Niederlage aufgefasst. In Wahrheit war es die grösstmögliche Niederlage der Arbeiterklasse. Sie öffnete direkt den Weg für die faschistische Konterrevolution.
Die Fabrikbesetzungen im September 1920 waren der abschliessende Höhepunkt der beiden revolutionären roten Jahre. Mit dem Ausbleiben der siegreichen Revolution begannen sich die reaktionären Kräfte zu sammeln und die alte Ordnung wiederherzustellen. Die Arbeiterklasse war zwar nicht unmittelbar besiegt. Allerdings hat ein verhältnismässig doch bescheidener «Erfolg» nach einem so kräftezerrenden Kampf einen unglaublich desillusionierenden Effekt auf die kämpfenden Massen, die ihr Momentum verloren. Die Luft war draussen und die Arbeiterbewegung nach dem reformistischen Verrat zutiefst gespalten. Auf der anderen Seite hatten die Kapitalisten und Grossgrundbesitzer eine bittere Lektion gelernt und griffen nun zu neuen Methoden, um sich vor der sozialistischen Gefahr zu schützen. Die Besetzungen hatten diesen Herren mit ihren zutiefst hierarchischen und autoritären Weltvorstellungen ihre eigene Ohnmacht aufgezeigt gegenüber einer Klasse, der sie jede Fähigkeit und jede Legitimität zur Führung der Gesellschaft absprachen. Die Blutrache für diese kränkende Erniedrigung liess nicht lange auf sich warten.
Schon kurz nach dem Ende der Fabrikbesetzungen begannen die faschistischen squadre zu wüten. Faschistische Überfälle gab es zwar schon während des Biennio Rosso. Doch in der Phase, als die Arbeiterklasse auf dem Vormarsch war, blieb der Faschismus kraftlos. Nun, mit dem Rückzug einer demoralisierten Arbeiterklasse war das Feld offen für die Gegenreaktion. Die Faschisten erhielten regen Zulauf an jungen Männern aus vornehmlich kleinbürgerlichen Schichten. Ende November fand das erste Aufbäumen der Faschisten statt, die in Bologna auf frisch in den Gemeinderat gewählte Sozialisten schossen. Es war nur der Auftakt zur schwarzen Reaktion. Die Faschisten boten sich den Grossgrundbesitzern und industriellen Kapitalisten, von denen sie grosszügig finanziert wurden, als deren bewaffnete rechte Hand zur Zerschlagung jedes Streiks der Lohnarbeiter an. Bei ihren «Strafexpeditionen» machten sie Jagd auf Gewerkschafts- und Arbeiterführer und radikalisierte Bauern, konfrontierten die sozialistischen Gruppen mit ihrer Waffengewalt und begannen die Bevölkerung zu terrorisieren. Gewerkschaftszentralen und Zeitungsredaktionen der Arbeiterbewegung wurden zu den Hauptzielen der faschistischen Zerstörung. Nur zwei Jahre nach Ende der Fabrikbesetzungen drohte der Führer der Faschisten, Benito Mussolini, mit einem «Marsch auf Rom», um die Macht an sich zu reissen. Es sollte nicht nötig sein, dem Marsch mehr als den Charakter einer symbolischen Siegesparade zu geben: Der König selbst hatte Mussolini schon die Macht erteilt, eine Regierung zu bilden.
Das Aufkommen des Faschismus in Italien ist das direkte Resultat des Verrats des Reformismus und der leeren revolutionären Phrasen der maximalistischen Führung der PSI. In der Dialektik der Geschichte sind Revolution und Konterrevolution zwei Seiten der gleichen Entwicklung. Sie sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Ordnung, die ihre Grundlage verloren hat und ihre innere Krise nicht mit ihren eigenen Mittel lösen kann.
In solchen revolutionären Situationen werden die Reformisten immer davor warnen, eine Revolution würde Blutvergiessen, Bürgerkrieg und eine internationale Blockade – in D’Aragonas Worten: «den Selbstmord des Proletariats» – bedeuten. Die Haltung der CGL-Führung ist keine zufällige historische Ausnahme. Doch nichts verkennt die geschichtliche Bewegung mehr als das. In der modernen Gesellschaft kommt es zu einer revolutionären Situation nur, wenn die bürgerliche Ordnung ihre tiefe Krise bereits aufweist. Eine solche Situation besteht gerade darin, dass die alte bürgerliche Ordnung nicht mehr in der vorherigen Form aufrechterhalten werden kann. In solchen revolutionären Situationen ist die Alternative zur Revolution nicht keine Revolution, sondern der Terror der Konterrevolution.
Gramsci hatte das bereits Monate vorher erkannt. Mitten in den Tumulten des Metallarbeiterstreiks im April 1920, wies er die Genossen in seinem Appell Für die Erneuerung der Sozialistischen Partei klar darauf hin, was auf dem Spiel steht:
«Die jetzige Phase des Klassenkampfes in Italien ist ein Moment, der entweder der Machtergreifung durch das Proletariat zwecks Übergang zu einem neuen Produktionssystem, oder aber dem Übergang der Eigentümer- und Bürokratenklasse zu schwärzester Reaktion vorausgeht. Im letzteren Fall werden sämtliche Formen der Gewalt in Bewegung gesetzt werden, um das Industrie- und Landwirtschaftsproletariat in das Sklavenjoch der Lohnarbeit zu spannen. Auch werden sämtliche Organe des politischen Kampfes der Arbeiterklasse (die sozialistischen Parteien) auf das unerbittlichste vernichtet.»
Der Kapitalismus untergräbt permanent seine eigene Grundlage. Er bringt Kräfte hervor, die er selbst nicht mehr kontrollieren kann. Mit Wucht prellen sie gegen den Rahmen des kapitalistischen Systems selbst. An gewissen Punkten in der Geschichte gerät der Kapitalismus in so tiefe und breite Krisen, für die es innerhalb des Rahmens des bürgerlichen Rechtsstaates keine Mittel zu ihrer Lösung mehr gibt. Das Proletariat, in seinem Streben, die eigene Situation zu verbessern, ist dann gezwungen, über den bürgerlichen Rahmen hinauszugehen, die sterbende alte Ordnung hinter sich zu lassen und zum Aufbau seiner eigenen, neuen Ordnung voranzuschreiten. In solchen grossen historischen Situationen, in denen die Menschheit am Scheideweg steht, weil sie die Strecke der bisherigen Gesellschaft bereits zurückgelegt hat, gibt es kein «auf dem bisherigen Weg bleiben», gibt es keinen reformistischen Mittelweg. In dieser Situation die Zurückhaltung des Proletariats zu predigen und die Ausbreitung der Revolution zu verhindern ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Es ist die traurige Ironie der Geschichte, dass die Reformisten immer vor der Gewalt und den blutigen Konsequenzen der Revolution warnen, doch genau diese Haltung in Wahrheit in den grössten Terror und Blutvergiessen führt. Die faschistische Schreckensherrschaft war der teure Preis für die gescheiterte Revolution.
Während des Biennio Rosso, den zwei roten Jahren, wären die Bedingungen in Italien für eine Revolution vorhanden gewesen. Tatsächlich lag die Macht im September 1920 bereits in den Händen des Turiner Proletariats, die schon dabei waren, einen Arbeiterstaat aufzubauen. Die Kapitalisten und der bürgerliche Staat waren in sich gespalten und völlig machtlos gegen die Stärke des italienischen Proletariats. Aus genau diesem Grund liefen die Fabrikbesetzungen in aller Friedlichkeit ab. Die Regierung Giolitti war sich ihrer Ohnmacht bewusst und nicht bereit, einen Bürgerkrieg zu riskieren. Der Weg zur Machtergreifung ohne grosses Blutvergiessen hätte offen gestanden. Die Kämpfe hätten sich auf ganz Italien ausbreiten können. Während des Biennio Rosso fehlte es nicht an der Spontanität, der Kreativität und dem Willen der arbeitenden Massen, für ihre Befreiung zu kämpfen. Das zeigten sie in ihren heroischen Aktionen deutlich. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Revolution scheiterte, weil es auf nationaler Ebene keine Führung der Arbeiterbewegung gab, die mit den korrekten Positionen für die Ausbreitung der Bewegung auf ganz Italien und für die Verbindung der proletarischen Kämpfe mit jenen der armen Landarbeiter gesorgt hätte. Die Führung der Arbeiterbewegung lag in den Händen von Reformisten, die wesentlich die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung zum Ziel hatten, sie lag in den Händen von Zentristen, die zum revolutionären Bruch nicht bereit waren.
Gramsci war in dieser Phase der einzige in der italienischen Arbeiterbewegung, der über weite Strecken eine korrekte politische Linie hatte: in Bezug auf den Charakter der Fabrikrätebewegung in Turin, auf den Staat, auf die Notwendigkeit der Ausbreitung der Bewegung über Turin hinaus, in Bezug auf die Notwendigkeit der Vereinigung der Kämpfe der Arbeiter und der Bauern. Aber in der Frage der Partei hinkte er den Ereignissen hinterher. Er hatte es verpasst, eine zentralisierte Führung aufzubauen, die über Turin hinaus hätte wirken können. Der Einfluss von Gramsci und der Ordine Nuovo-Gruppe blieb auf Turin beschränkt – und die Ordine Nuovo-Gruppe selbst offenbarte ihre Grenzen genau als Gramsci sich dieses Mangels bewusst zu werden begann. Gramsci benannte dieses eigene Versäumnis später in aller Klarheit. In einem Brief an Leonetti schrieb er 1924:
«1919-20 machten wir äusserst ernsthafte Fehler, für die wir letztlich heute zahlen. Aus Angst, Emporkömmlinge und Karrieristen genannt zu werden, bildeten wir keine Fraktion und organisierten sie nicht in ganz Italien. Wir waren aus Angst vor einer Spaltung in den Gewerkschaften oder einem vorzeitigen Ausschluss aus der Sozialistischen Partei nicht bereit, den Turiner Fabrikräten ein autonomes Leitungszentrum zu geben, das im ganzen Land einen gewaltigen Einfluss hätte ausüben können.»[81]
Eine entschlossene politische Führung in Form einer wahrhaftig kommunistischen, marxistischen Partei ist eine Notwendigkeit für den Sieg der Arbeiterklasse und die Befreiung der Menschheit. Eine solche Führung kann nicht in den entscheidenden Momenten des Klassenkampfes auf die Schnelle aus dem Ärmel geschüttelt werden. Sie muss bereits vor der revolutionären Situation aufgebaut werden. Das russische Proletariat siegte 1917, weil die Bolschewiki unter Lenin in langer Arbeit auf der festen Grundlage des Marxismus eine schlagkräftige Partei von bewussten und gut ausgebildeten Revolutionären aufgebaut hatten. Diese Partei brauchte Jahre der Kämpfe, der Siege und der Rückschläge, um zu lernen, zu testen und von den Massen getestet zu werden, sie brauchte Jahre, um in der Auseinandersetzung mit anderen Strömungen ihre Werkzeuge zur Analyse der Situationen zu verfeinern und Klarheit in Fragen der revolutionären Strategie und Taktik zu entwickeln. Aber im Verlauf des Jahres 1917 war sie fähig, in den Sowjets nach und nach die arbeitenden Massen für ihre Positionen zu gewinnen und im Oktober die Machtergreifung zu organisieren und durchzuführen.
Gramsci hatte zur Zeit der Rätebewegung erst wenige Schriften Lenins gelesen und kannte dessen Auffassung der Partei noch nicht.[82] Die grosse Kraft von Gramscis Denken lag einerseits in seiner richtigen Einschätzung der historischen Periode und andererseits in seiner Wertschätzung der Spontanität und der Selbstaktivität der Massen, während er die Rolle der Führung darin sah, diese Spontanität zu lenken und zu formen. Das unterschied ihn grundlegend vom starren Pseudo-Marxismus eines Serrati oder Bordiga. Es erlaubte ihm, den Puls der Turiner Arbeiter zu treffen und sie vorwärtszutreiben. Aber in Gramscis Überhöhung der Kraft der Räte liegt auch eine Einseitigkeit, die er erst in seinen Überlegungen nach den Erfahrungen vom Frühjahr 1920 überwand. Im Herbst 1920 war Gramsci überzeugt, dass einer Partei von organisierten Kommunisten die entscheidende Rolle zukommt, um die Rätebewegung überhaupt ausweiten zu können und sie zur Machtergreifung und zum Aufbau der neuen Ordnung zu führen. Er näherte sich deutlich Lenins Positionen an: Gramsci verlor nicht seine Wertschätzung für die autonome Initiativkraft der Massennoch für die Räte als Form der Selbstorganisation und Selbstbewusstwerdung der Massen. Das Verständnis von Spontanität und Führungblieb wesentlich dialektisch. Doch wurde nun deutlich, dass die Führung die Form einer zentralisierten, disziplinierten kommunistischen Partei annehmen muss, die das Interesse des Proletariats in seiner Gesamtbewegung vertritt.
Die revolutionäre Partei ersetzt nicht die Aktion der Massen. Aber sie ist eine notwendige Bedingung, um die Massen zum Sieg zu führen. Die Massen der Arbeiterklasse lernen durch ihre Erfahrungen im politischen und ökonomischen Kampf, entwickeln ein Bewusstsein über ihre Stellung in der Geschichte und der Gesellschaft. Aber das reicht nicht. Es ist nicht möglich, aus den unmittelbar geschehenden Kämpfen schnell genug alle korrekten Schlüsse zu ziehen, die richtigen Forderungen aufzustellen, sich über die eigenen Ziele gänzlich klar zu werden und sich entsprechend zu organisieren. Damit nicht jede einzelne schmerzhafte Lektion nochmals durchlebt werden muss, braucht es eine Partei, welche die gesamten Erfahrungen der Praxis der Arbeiterbewegung in sich aufgenommen, ausgewertet und theoretisch verallgemeinert hat und damit fähig ist, die Arbeiterklasse in ihrem eigenen Bestreben zum Erfolg führen. Das setzt ein tiefes Verständnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge in ihrer geschichtlichen Entwicklung voraus; ein dialektisches Verständnis, das die Welt in ihrem Werden und ihrer Veränderbarkeit begreift und in der zerfallenden alten Ordnung das Potenzial der neuen Ordnung erkennt. Ohne ein solches Verständnis ist man verdammt dazu, zu einer konservativen Kraft in der Geschichte zu werden.
Das ist für das Biennio Rosso so gültig wie für uns heute. Der Kapitalismus befindet sich heute in seiner Phase des Niedergangs. Die organische Krise und die inneren Widersprüche dieses Systems werden noch zahlreiche spontane Bewegungen, Widerstand und heroische Kämpfe der Unterdrückten hervorbringen. Die Probleme liegen nicht auf der Seite der Massenaktivität, die Probleme liegen auf Seiten der Führung. Unsere Aufgabe ist auch heute der geduldige Aufbau einer marxistischen Organisation von bewussten Revolutionären, die sich in marxistischer Theorie bilden und die Geschichte der Klassenkämpfe studieren. Nur so können wir verhindern, vergangene Fehler zu wiederholen; nur so können wir die Arbeiterklasse in ihrem Kampf für ihre Befreiung von den Zwängen der kapitalistischen Herrschaft zum Sieg zu führen. Die Geschichte lehrt. Machen wir uns zu ihren Schülern!
[1] A. Gramsci, «Italien und Spanien», ON, 11.3.1921, online auf marxists.org.
[2] Vgl. K. Marx, Allgemeine Statuten und Verwaltungs-Verordnungen der Internationalen Arbeiterassoziation, MEW 17, S. 440.
[3] K. Marx & F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 473.
[4] L. Trotzki, Die permanente Revolution, Arbeiterpresse Verlag, 1993, S. 186.
[5] K. Marx & F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 34f.
[6] G.A. Williams, «Translator’s Introduction», in P. Spriano, The Occupation of the Factories: Italy 1920, Pluto Press, 1975, S. 9.
[7] P. Spriano, Ebd., S. 43f.
[8] Vgl. Ebd., S. 44.
[9] Ebd.
[10] Vgl. Williams, Ebd, S. 10.
[11] M. Trudell, «Gramsci: The Turin years», 9.4.2007, http://isj.org.uk/gramsci-the-turin-years
[12] A. Vittori, «The birth of the Communist Party of Italy (PCdI) 1921», 13.5.2011, marxist.com.
[13] A. Gramsci, «Die kommunistische Bewegung in Turin», Brief ans Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, geschrieben im Juli 1920, in: Die Kommunistische Internationale, Zweiter Jahrgang, N°14, Petrograd, Smolny, 1921, S. 137.
[14] Ebd.
[15] P. Spriano, Occupation, S. 42f.
[16] Ebd., S. 44.
[17] Ebd., S. 43.
[18] L. Trotzki, Europa und Amerika, Arbeiterpresse Verlag, 2000, S. 79
[19] G. Fiori, Das Leben des Antonio Gramsci, Rotbuch Verlag, 1979, S. 117.
[20] Turati an Corradini, Brief vom 14.8.1917, in P. Spriano, Storia del Partito Comunista Italiano: Da Bordiga a Gramsci, Einaudi, 1967, S. 10.
[21] G. A. Williams, Proletarian Order, Pluto Press, 1975, S. 62.
[22] A. Gramsci, «Revolution gegen das Kapital», Avanti! Mailand, 24.11.1917, online auf marxists.org.
[23] Allerdings hatten Marx und Engels am Ende ihres Lebens explizit nicht ausgeschlossen, dass eine kommunistische Entwicklung auch von Russland ausgehen könne, «wenn die russische Revolution das Signal zu der Revolution im Westen ertönen lässt, so dass jede die andere ergänzt», Vorwort zur zweiten russischen Auflage des Manifests der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 576.
[24] Vgl. A. Davidson, «Gramsci and Lenin 1917-1922», Socialist Register, 1974, 11. Jg., Nr. 11.
[25] A. Gramsci & P. Togliatti, «Arbeiterdemokratie», ON, 21.6.1919, in A. Gramsci, Zu Politik, Geschichte und Kultur, Ausgewählte Schriften, Verlag Philipp Reclam jun, 1980, S. 38-42.
[26] A. Gramsci, «Das Programm des Ordine Nuovo», ON, 14./28.8.1920, online auf marxists.org
[27] Ebd.
[28] Ebd.
[29] Ebd.
[30] Williams, Proletarian Order, S. 88f.
[31] Gramsci, «Die kommunistische Bewegung in Turin», S.139.
[32] Ebd.
[33] A. Gramsci & P. Togliatti, «Arbeiterdemokratie».
[34] Williams, Proletarian Order, S. 71.
[35] G. Donato, «Una „parola nuova“. „L’Ordine Nuovo“ nel biennio rosso», FalceMartello, 2011.
[36] Williams, Proletarian Order, S. 106.
[37] Ebd., S. 122.
[38] Fiori, Leben, S. 113.
[39] «Chronologie des Lebens von Antonio Gramsci», in A. Gramsci, Gefängnishefte, Argument, Band 1, S. 50
[40] Gramsci, «Programm des Ordine Nuovo»
[41] A. Davidson, «Gramsci and the Factory Councils», in Australian Left Review, March-April 1975, S. 35.
[42] A. Gramsci, «To the Workshop Delegates of the Fiat Centro and Brevetti Plants», ON, 13.9.1919, in A. Gramsci, SPW 1910-1920, Übersetzung MK.
[43] Gramsci, «Die kommunistische Bewegung in Turin», S. 141f. Redaktionelle Änderungen MK.
[44] Das gesamte Programm der Fabrikkommissare ist in englischer Sprache abgedruckt in Williams, Proletarian Order, S. 123-132.
[45] Ebd., Übersetzung und Hervorhebung MK.
[46] Williams, S. 140.
[47] Gramsci, «Die kommunistische Bewegung in Turin», S. 140f.
[48] Ebd., S. 141.
[49] A. Gramsci, «The Party and the Revolution», ON, 27.12.1919, SPW 1910-1920.
[50] Donato, «Una ‘parola nuova’».
[51] Gramsci, «To the Workshop Delegates».
[52] Gramsci, «Programm des Ordine Nuovo».
[53] A. Gramsci, «Gewerkschaften und Räte», ON, 11.10.1919, online auf marxists.org.
[54] A. Gramsci, «Arbeiter und Bauern», ON, 2.8.1919, online auf marxists.org.
[55] Davidson, «Factory Councils», S. 37.
[56] Gramsci, «Die kommunistische Bewegung in Turin», S. 141f.
[57] Ebd.;Fiori, Das Leben, S. 116
[58] Zitiert nach Fiori, Das Leben, S. 116.
[59] Williams, Proletarian Order,S. 156.
[60] Zitiert nach Davidson, «Factory Councils», S. 42. Übersetzung MK.
[61] Vgl. Williams, Proletarian Order, S. 166f.
[62] Spriano, Occupation, S. 35.
[63] Zitiert nach P. Di Paola, «Fabrikräte in Turin 1919/1920» in D. Azzellini & I. Ness (Hrsg.), «Die endlich entdeckte politische Form», ISP, 2012, S. 181.
[64] Davidson, «Factory Councils», S. 39.
[65] Zitiert nach Di Paola, «Fabrikräte», S. 179.
[66] Williams, Proletarian Order,S. 207.
[67] Di Paola, «Fabrikräte», S. 180f.
[68] Williams, Proletarian Order, S. 208.
[69] A. Gramsci, «Für eine Erneuerung der Sozialistischen Partei», ON, 8.5.1920, in Gramsci, Zu Politik, S. 59-66.
[70] Die Zusammenkunft des Nationalen Rates hätte eigentlich in Turin stattfinden sollen. Zu Gramscis grossem Unmut wurde sie jedoch nach Mailand verlegt, weil die PSI-Führung der Meinung war, eine Stadt mitten im Generalstreik sei ein wenig angebrachter Ort für sozialistische Diskussionen. Dies sagt einiges über die Auffassungen dieser Herrschaften aus. Nichts scheuen sie mehr als die Mobilisierung der Arbeiterklasse, die ihre Positionen in Frage stellen könnte.
[71] Davidson, «Gramsci and Lenin», S. 135.
[72] Fiori, Leben, S. 125.
[73] Williams, Proletarian Order, S. 216.
[74] Unsere Ausführungen zu den Fabrikbesetzungen stützen sich fast gänzlich auf Sprianos detaillierte Studie The Occupation of the Factories: Italy 1920.
[75] A. Gramsci, «The Communist Party», ON, 4.9.1920, SPW 1910-1920.
[76] A. Gramsci, «The Occupation», Avanti! Piemont, 5.9.1920, SPW 1910-1920.
[77] A. Gramsci, «What do we mean by Demagogy?», Avanti! Piemont, 29.8.1920, SPW 1910-1920.
[78] F. D’Alessandro, «Italy September 1920: The Occupation of the Factories: The Lost Revolution», 19.7.2005, marxist.com.
[79] Zitiert nach Spriano, Occupation, S. 90. Übersetzung MK.
[80] Zitiert nach Ebd., S. 93, Übersetzung MK.
[81] A. Gramsci, Brief an Leonetti, 28.1.1924, in A. Gramsci, SPW 1921-1926.
[82] Vgl. A. Davidson, «Gramsci and Lenin 1917-1922».
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024