Ein Datenleck zeigt, dass die Schweizer Grossbank Credit Suisse über Jahrzehnte hinweg die Vermögen von Kriminellen auf der ganzen Welt verwaltet hat. Die «Suisse Secrets» bestätigen den Ruf des Schweizer Bankenplatzes als sicheren Hafen für das schmutzige Geld der weltweiten Oligarchen, korrupten Politikern und Drogenbarone.
Die Credit Suisse, nach der UBS die zweitgrösste Schweizer Bank, ist ein globaler Player der Finanzbranche. Sie belegt weltweit Platz 41 und in der Vermögensverwaltung sogar Platz 5 der grössten Banken. Sie gilt somit klar als eine «systemrelevante» Bank. Die Gefahr, die von diesem Skandal für den ganzen Schweizer Bankenplatz ausgeht, wurde am Tag nach der Veröffentlichung der «Suisse Secrets» an der Börse überdeutlich. Die Aktien der Schweizer Banken fielen viel stärker als die der übrigen europäischen Finanzinstitute, die ebenfalls von der Ukraine-Krise betroffen sind.
Die Enthüllungen sind besonders aussagekräftig, weil das Datenleck mit 30’000 Konten nur einen Bruchteil der 1.5 Millionen Konten der Credit Suisse umfasst. Doch es finden sich bereits Bankkunden mit 160 verschiedenen Nationalitäten darin. Dies zeigt deutlich, dass die Reichen und Mächtigen auf der ganzen Welt – auch wenn sie manchmal temporär aneinander geraten – ein gemeinsames Interesse haben. Nämlich alles legale und illegale zu tun, um Geld anzuhäufen, Steuern zu vermeiden und ihre Profite zu maximieren.
In der Schweiz wirft zudem das sogenannte Zensurgesetz hohe Wellen. Das Gesetz wurde 2014 verfasst, als das Schweizer Bankgeheimnis vor dem Fall stand. Es besagt unter anderem, dass Journalisten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren belangt werden können, wenn sie Daten publizieren, die sie über eine Person erhalten hätten, die das Bankgeheimnis verletzte. Die «Suisse Secrets» wurden von einem Journalistennetzwerk aus über 40 Ländern veröffentlicht, jedoch ohne Schweizer Beteiligung. Mit den Enthüllungen wurde nun für alle sichtbar, dass das Parlament und der bürgerliche Staat die kriminellen Interessen der Bankiers verteidigen.
In der gleichen Woche wie die «Suisse Secrets» aufkommen lässt Putin seine Truppen in die Ukraine marschieren. Die Schweiz steht unter Druck, die Sanktionen der EU gegen Putins Regime mitzutragen. Doch die Schweizer Regierung beruft sich auf die «Schweizer Neutralität» und versucht händeringend, Schlupflöcher zu finden. So sollen die russischen Oligarchen weiterhin von ihren Bankkonten in der Schweiz gebrauch machen können. Die Situation entblösst noch einmal, dass unter dem Deckmantel der «Neutralität» mit allen Imperialisten und mit allen Regimes gute Geschäfte gemacht werden. Rund 80% des russischen Rostoffhandels erfolgt über die Schweizer Finanzdienstleistungszentren Genf, Zug, Lugano und Zürich. Auf der anderen Seite geschäften sie munter in den USA, der EU und natürlich auch in der Ukraine, wo die Schweizer Kapitalisten dankend vom Geschäftsklima unter der reaktionären Maidan-Regierung seit 2014 profitieren. Die Schweiz ist in den letzten Jahren zum viertgrössten Investor in der Ukraine geworden. Das ist die Bedeutung der Neutralität: Sie ist die Art und Weise, wie der Schweizer Imperialismus seine Interessen auf internationaler Ebene verteidigt. Er balanciert zwischen den grossen Blöcken und vergrössert seinen Reichtum durch die bestmögliche Ausbeutung der globalen Arbeiterklasse.
Die «Suisse Secrets» und der Krieg in der Ukraine zeigen somit nochmals deutlich die Notwendigkeit, die Banken zu verstaatlichen. Keine Gesetze und keine Sanktionen können Korruption und Krieg verhindern. Die Enteignung der Banken unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse ist der einzige Weg, um die Finanzflüsse im Interesse der grossen Mehrheit der Bevölkerungen weltweit zu kontrollieren.
Es ist völlig klar, dass die Credit Suisse kein einsamer fauler Apfel im Finanzbusiness ist. Alle grösseren Schweizer Banken wurden in den letzten Monaten und Jahren mit illegalen Machenschaften in Verbindung gebracht: Ob Steuerhinterziehung von französischen Grosskapitalisten (UBS), Deals mit der korrupten venezolanischen Elite (Julius Bär) oder ein weltweites Netz von Geldwäscherei (HSBC), die Banken in der Schweiz hatten überall ihre dreckigen Finger im Spiel.
Genauso wenig begrenzen sich diese Bankaktivitäten auf die Schweiz. Die Finanzjournalistin Myret Zaki erklärt völlig richtig: «Die Geldwäsche ist ein gigantischer Vorgang, bei dem es um Beträge geht, die unendlich viel größer sind als alles, was die Schweiz aufnehmen kann, und die anderswo genauso nicht gut überwacht werden.»
Die «Suisse Secrets» reihen sich daher nahtlos ein in die grossen Finanz-Enthüllungen der letzten Jahre wie die Panama Papers, die Swiss Leaks oder die Pandora Papers. Einmal mehr wird deutlich, dass die herrschende Klasse weltweit viel mehr Geld hortet, als sie offen deklariert. Die offiziellen globalen Ungleichheiten sind bereits extrem: Der Reichtum der Reichsten hat sich in der Pandemie verdoppelt, während 99% der weltweiten Einkommen sanken. Doch Enthüllungen wie die Panama Papers oder nun die «Suisse Secrets» zeigen, dass die Reichsten zusätzlich zu ihren bekannten Vermögen noch viel mehr Geld verstecken. Die globalen Ungleichheiten sind nochmals massiv grösser, als bisher angenommen.
Doch schlussendlich belegen alle diese Skandale nur, was wir alle schon wissen: Die globalen 1% hinterziehen Steuern und bescheissen den Rest der Welt.
Die Credit Suisse und alle weiteren Bürgerlichen versuchen so zu tun, als wären die Enthüllungen der «Suisse Secrets» Schnee von gestern. Sie behaupten, dass die Schweizer Banken sauber seien seit dem formalen Fall des berühmten Schweizer Bankgeheimnisses.
Das Gegenteil ist der Fall: Die «Suisse Secrets» enthüllen nichts weniger als den extrem parasitären Charakter des Schweizer Bankenplatzes und allgemein des Schweizer Imperialismus. Und zwar sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Tatsächlich werden die Schweizer Banken aktuell von ihrer schmutzigen Vergangenheit eingeholt. Der französische Philosoph Voltaire sagte bereits im 18. Jahrhundert: «Wenn Sie einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen, springen Sie hinterher. Es gibt bestimmt etwas zu verdienen.»
Der Schweizer Bankenplatz ist historisch auf kriminellen Geschäften gebaut. Der weltweite Sklavenhandel in der Anfangszeit des Kapitalismus wurde bis tief ins 19. Jahrhundert von Schweizer Bankiers aus Genf, Basel und Zürich finanziert. Die Familie von Alfred Escher, dem Gründer der Bank Credit Suisse, baute ihr Vermögen unter anderem mit kubanischen Sklavenplantagen auf. Die «Suisse Secrets» stellen die Credit Suisse damit konsequent in ihre eigene blutige Tradition.
Das Schweizer Bankgeheimnis – das Verbot, Bankkundendaten preiszugeben – hat eine lange Geschichte und wurde schliesslich 1934 ins Gesetz verankert. Das Ziel war es, die Schweizer Banken in ihrer Paradedisziplin der Vermögensverwaltung zu stärken. Dies zeigt deutlich die Rolle des bürgerlichen Staates in der Schweiz als Wächter des Schweizer Bankgeheimnis und Beschützer des Bankenplatzes: In der Schweiz gab es fast ein Jahrhundert lang ein Gesetz, das bewusst entworfen wurde, damit die Schweizer Banken Geldwäscherei und Steuerhinterziehung für die Kriminellen der ganzen Welt betreiben konnten. Der Staat ist kein neutrales Gefäss, sondern über Tausend Fäden mit der Kapitalistenklasse verknüpft.
Zusammenfassend: Der Schweizer Aufstieg zu einem weltweit führenden Bankenplatz basiert zu einem wichtigen Teil auf der parasitären Nische der Vermögensverwaltung, geschützt durch den bürgerlichen Staat und das Bankgeheimnis.
Doch wir können die wahre Bedeutung des Schweizer Bankenplatzes nur verstehen, wenn wir ihn in den Kontext des allgemeinen Schweizer Kapitalismus stellen. Das Schweizer Kapital, in einem kleinen Land ohne Meeranschluss, war früh gezwungen, ins Ausland zu drängen und sich in Nischen zu spezialisieren. Um 1913, als der Weltkapitalismus bereits in sein imperialistisches Stadium getreten war, ist die Schweiz das Land mit den pro Kopf meisten multinationalen Grosskonzernen und den meisten Direktinvestitionen im Ausland. Auch heute ist das Schweizer Kapital in gewissen hochspezialisierten Sektoren (u.a. Pharma, Maschinenindustrie, Versicherungen oder eben Vermögensverwaltung) weltführend. Durch die «Verschmelzung von Finanz- und Industriekapital» (Lenin) war der Bankenplatz eine treibende Kraft dieser Prozesse dar.
Kurz gesagt: Für die Entwicklung der Schweiz zu einem der (pro Kopf) kapitalstärksten Ländern der Welt ist der parasitäre Schweizer Bankenplatz ein entscheidender Faktor.
Doch nichts hält ewig, auch nicht die traditionsreichen Schweizer Finanzhäuser. Tatsächlich befindet sich der Schweizer Bankenplatz in einer tiefen Krise. Im letzten Jahrzehnt ist der Anteil der Banken an der Schweizer Wertschöpfung von 13% auf 8.5% gesunken. Auch die Gewinne sowie die Aktienkurse der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind seit 2008 massiv eingebrochen.
Die Finanzkrise von 2008 war für die Schweizer Banken eine Nahtoderfahrung. Die UBS musste mit 60 Milliarden Franken vom Schweizer Staat gerettet werden. Die Finanzkrise entblösste unter anderem auch, dass sich die Schweizer Grossbanken nicht nur auf die Vermögensverwaltung begrenzten, sondern sich ab den 1990ern tief in das riskante Investment Banking vorgewagt hatten. Damit hatten sie sich mächtige Feinde gemacht, schliesslich handelt es sich hierbei um das Territorium der grossen amerikanischen Banken.
Der US-Bankensektor nutzte die Schwäche des Schweizer Bankenplatzes nach der 2008-Krise brutal aus. Die USA drohten der am Boden liegenden UBS mit einer Strafklage wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Dieser Angriff auf den Schweizer Bankenplatz war Teil des weltweiten Feldzugs der Grossmächte (v.a. USA und EU) seit den 1990er gegen die Steueroasen. Das Schweizer Bankgeheimnis und somit das Herzstück des Bankenplatzes wurde frontal angegriffen.
Der bürgerliche Staat stellte sich augenblicklich schützend vor sein geliebtes Kind. Die Schweizer Regierung kämpfte mit Händen und Füssen für den Erhalt des Bankgeheimnisses. Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagte im März 2008 noch tapfer an die Adresse der EU und der USA: «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen.» Doch schlussendlich musste sich die Schweiz den Grossmächten geschlagen geben. Die Schweizer Banken wurden zu gigantischen Strafzahlungen sowie zur Aushändigung von Tausenden Kundendaten gezwungen. Bis Ende 2009 verlor die UBS 30% ihrer verwalteten Vermögen.
Das Ende des gesetzlichen Bankgeheimnisses war damit besiegelt, zumindest für Kunden im Ausland. 2014 trat die Schweiz schliesslich der Erklärung der OECD zum Automatischen Informationsaustausch (AIA) in Steuerangelegenheiten bei. Der AIA trat 2017 in Kraft. Seither müssen Schweizer Banken Finanzinformationen ihrer Kunden sammeln und allenfalls an die Steuerbehörden gewisser Länder übermitteln.
Doch das formelle Ende des Bankgeheimnisses bedeutet nicht, dass die Korruption, die Geldwäscherei und die Steuerhinterziehungen nun vorbei sind. Eher im Gegenteil: Da die Schweizer Banken nun der internationalen Konkurrenz ausgeliefert sind, sind sie gezwungen, immer grössere Risiken einzugehen.
Dazu gehört der Fokus auf «aufstrebende Märkte». Diese Länder weisen grosse Vermögens- und Einkommensungleichheit auf. Diese grossen und neuen Vermögen sind profitabel, die Kunden aber riskanter: Politische Skandale und Geldwäscherei werden häufiger zum Problem. Dies bringen die «Suisse Secrets» nun zum Vorschein. Besonders viele Kunden aus dem Datenleck bei Credit Suisse stammen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Während die Bevölkerungen oft katastrophalen Lebensbedingungen ausgesetzt werden, helfen die Schweizer Banken den lokalen Eliten Geld aus dem Land abzusaugen. Dies zeigt: Der Schweizer Bankenplatz hat nichts von seinem parasitären Charakter eingebüsst.
In den letzten 20 Jahren haben die Schweizer Bankiers oftmals grosse Versprechungen gemacht bezüglich ihrer Transparenz und ihrer Sorgfaltspflicht. Tatsächlich wurden insbesondere nach 2014 gewisse legale Bestimmungen eingeführt, die das Geschäft der Schweizer Banken schwerer gestalten.
Doch wie eine Redewendung aus dem Schweizer Volksmund sagt: Bei den Reichen lernt man sparen! Die Kapitalisten und Despoten finden immer Wege, um ihre Vermögen zu verstecken und ihre Profite zu vergrössern.
Das AIA-Abkommen stellt tatsächlich eine gewisse Schwierigkeit dar. Doch gleichzeitig existieren zahlreiche Wege, um den Informationsaustausch zu umgehen. So gibt es mit weltweit über 90 Ländern kein AIA-Abkommen. Die «Suisse Secrets» decken nun auf, dass beispielsweise den Kunden Wohnsitzbestätigung aus Ländern ohne AIA-Abkommen ausgestellt werden. Oder die Schweizer Banken operieren über eine ihrer Filialen in den entsprechenden Ländern. So hat die Credit Suisse Filialen in über 50 Ländern, ohne dass sie veröffentlicht, in welchen. Und das sind nur ein paar der zahlreichen Schlupflöchern des AIA.
Die Heuchelei der Bankiers und ihrer politischen Vertreter ist augenfällig: Während sich die Schweizer Banken mit dem AIA in den entsprechenden Ländern ein sauberes Gesicht geben, profitieren sie in den übrigen Ländern vom gleichen parasitären Spiel wie in den vergangenen Jahrhunderten. Die «Suisse Secrets» belegen deutlich, dass kriminelle Machenschaften bis heute integraler Bestandteil des Schweizer Bankenplatzes sind.
Mit dem formellen Fall des Bankgeheimnisses verloren die Schweizer Banken ihre Quasi-Monopolstellung in der Vermögensverwaltung. Die internationale Konkurrenz spitzt sich massiv zu. Heute müssen die Schweizer Banken für den gleichen Gewinn 20% mehr Vermögen verwalten als vor 2008.
Heute sehen wir den Niedergang des Schweizer Bankenplatzes an allen Ecken und Enden: Seit 2009 sank die Anzahl der Auslandsbanken in der Schweiz von 123 auf 71. Im gleichen Zeitraum verlor der Sektor knapp 20% seiner Angestellten. Gemäss der NZZ dürften in den kommenden Jahren ein Drittel der Schweizer Privatbanken aus dem Markt ausscheiden. Bernhard Brauhofer, führender Experte für Unternehmensreputation, fasst es gut zusammen: «Man sieht einfach, dass die Sicherheit und all das, für das die Schweiz steht, wirklich verloren gegangen ist. Das nehmen Anleger und Sparer nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern war.»
Obwohl der ganze Schweizer Bankenplatz in der Krise steckt, ist es dennoch kein Zufall, dass der (bisher) grösste Skandal mit den «Suisse Secrets» bei der Credit Suisse geplatzt ist. Während die zwei Schweizer Grossbanken lange etwa gleichauf waren, ist der Gewinn bei der UBS inzwischen mehr als doppelt so hoch als bei der Credit Suisse. Die Traditionsbank Credit Suisse ist arg am Schwanken.
Insbesondere in den letzten Monaten folgte ein Schock dem nächsten: Im letzten März der Verlust von 5 Milliarden Dollar (ein Halbjahresgewinn) beim überriskanten Archegos-Deal; im Oktober eine Busse von 500 Millionen Dollar für die Beteiligung am Korruptionsskandal der Administration von Mozambique; im Dezember die Anklage für Geldwäscherei mit bulgarischen Drogenhändler; im Januar 2022 trat der Verwaltungsratspräsident Horta-Osório nach nur 8 Monaten zurück, nachdem bekannt wurde, dass er gleich zweimal gegen Quarantänevorschriften verstossen hatte; Anfangs Februar rutscht die Bank in die roten Zahlen, die Dividende wird auf 10 Rappen gekürzt; Und nun also das niederschmetternde Datenleck der «Suisse Secrets».
Die «Suisse Secrets» entblössen den allgemeinen Niedergang des Schweizer Bankenplatzes. Die lange Kette des Niedergangs riss an ihrem schwächsten Glied, nämlich bei der Credit Suisse. Die «Suisse Secrets» sind ein weiterer Nagel sowohl im Sarg der Credit Suisse als auch im Sarg des Schweizer Bankenplatzes.
Der Niedergang des Bankenplatzes steht sinnbildlich für die Entwicklung des Schweizer Kapitalismus. Die Schweizer Banken sind weiterhin weltweit führend in der Vermögensverwaltung, doch ihr Vorsprung auf die internationale Konkurrenz sinkt rapide. Dies gilt für den Schweizer Kapitalismus als Ganzes.
Die Schweiz ist zweifelsfrei eines der stabilsten kapitalistischen Länder. Doch die materielle Basis davon schwindet massiv. In der weltweiten Krise des Kapitalismus spitzt sich die internationale Konkurrenz deutlich zu.
Die Nischen für das Schweizer Kapital werden immer kleiner, die Rosinenpickerei auf den Weltmärkten ist immer weniger möglich. Der Wegfall des Bankgeheimnisses ist ein Teil davon. Doch es trifft auf alle Grundpfeiler des Schweizer Kapitalismus zu: Die Steuervorteile in der Schweiz stehen international unter Beschuss, zuletzt durch die Steuerreform der OECD. In einem McKinsey-Bericht zeigt sich die Schweizer Bourgeoisie alarmiert darüber, dass sich immer weniger Grosskonzerne in der Schweiz niederlassen. Die Beziehungen mit allen wichtigen Wirtschaftspartnern stecken allesamt in der Krise. Stellvertretend dafür stehen die gescheiterten Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU. Als Folge davon könnte es bei mindestens zwei Dritteln des Handels mit Industrieprodukten in den nächsten Jahren zu grösseren Problemen kommen.
Tatsächlich befindet sich der Schweizer Kapitalismus im relativen Niedergang. 1970 lag die Wirtschaftsleistung pro Kopf in der Schweiz 110% und heute noch bei 57% über dem OECD-Durchschnitt. Die Arbeitsproduktivität in der Schweiz wächst seit 1990 langsamer als in den meisten OECD-Ländern, beispielsweise im Vergleich zu Schweden satte 22% weniger. Dafür werden die ArbeiterInnen zur Kasse gebeten, denn gleichzeitig stagnieren die Lebensbedingungen in der Schweiz seit 25 Jahren. Auch in der Schweiz haben die Bourgeoisie und die Arbeiter keine gemeinsamen Interessen.
Die Schweizer Bourgeoisie ist der internationalen Situation grösstenteils ausgeliefert. Sie kann ihre eigenen Interessen in den zunehmenden Spannungen zwischen den grossen Blöcken kaum geltend machen. Deshalb ist die herrschende Klasse zunehmend gezwungen, die Arbeiterklasse anzugreifen. Die Schweizer Kapitalisten brauchen dringend Reformen, um ihre Profitbedingungen zumindest in den nationalen Grenzen zu verbessern. Viele harte Angriffe werden bereits vorbereitet: Auf die Renten, das Steuersystem, die Arbeitszeiten und die Sozialleistungen.
Schlussendlich wird damit nur der Widerstand der Arbeiterklasse provoziert werden. Die Schweizer Bourgeoisie greift das soziale Gleichgewicht an. Die scheinbar ewige Schweizer Stabilität ist definitiv vorbei. Die Sackgasse des Schweizer Kapitalismus – eines der reichsten und stabilsten Länder der Welt – ist ein klares Zeichen für die Tiefe der generellen Krise des Systems.
Die grosse Bedeutung der «Suisse Secrets» liegt darin, dass sie die Heuchelei der herrschenden Klasse und den Charakter des kapitalistischen Systems offenlegt. Die Jahre nach der 2008-Krise bedeuteten für die Arbeiterklasse stagnierende oder sinkenden Lebensbedingungen. In den vergangenen zwei Jahren verlangte die herrschende Klasse mit ihrer katastrophalen Pandemie-Politik grosse Opferbereitschaft der arbeitenden Massen. Gleichzeitig bunkern die Reichen weltweit riesige Vermögen.
Wie bei den Panama Papers behaupten sie, dass dies legal sei. Oder sie versuchen die Korruption und Geldwäscherei als notwendiges Übel zu verkaufen. In den Worten der NZZ: «Kriminelles Geld sucht stets den Weg des geringsten Widerstandes. Es wird nie ganz zu vermeiden sein, dass auch Gelder krimineller Herkunft zum Schweizer Finanzplatz finden.»
Vom kapitalistischen Standpunkt haben sie damit sogar recht. Doch in den Augen der Massen sind die «Suisse Secrets» schlicht abscheulich. Es ist möglich, dass die herrschende Klasse wie bei den Panama Papers erneut ungeschoren davon kommt. Doch die daraus entstehende Radikalisierung wird früher oder später auf die Herrschenden einprügeln.
Die entscheidende Frage ist ohnehin nicht, ob die Machenschaften des Finanzplatzes legal sind oder nicht. Sondern woher die riesigen Vermögen kommen und wieso sie von ein paar wenigen Individuen kontrolliert werden können. Im Kapitalismus schafft die Arbeiterklasse den ganzen gesellschaftlichen Reichtum. Doch die Kapitalisten konzentrieren ihn in ihren gierigen Händen und verstecken ihn anschliessend auf ihren Bankkonten. Gleichzeitig erzählen sie uns, dass es nicht genug Geld gäbe für das Gesundheitswesen oder die Bildung. So funktioniert der Kapitalismus.
Insofern entblössen die «Suisse Secrets» auch den Charakter des bürgerlichen Staats. Das Bankgeheimnis war explizit ein Gesetz für kriminelle Reiche und Bankiers. Das Zensurgesetz von 2014 verfolgt strafrechtlich jene, welche diese Machenschaften aufdecken wollen. Das AIA-Abkommen beinhaltet grosse Schlupflöcher. Der bürgerliche Staat ist ein Instrument in den Händen der herrschenden Klasse. Immer wenn clevere PolitikerInnen wieder von der «Regulierung des Finanzmarktes» sprechen, dann handelt der Staat als Organ für die Interessen der Gesamtbourgeoisie.
Die Schweizer Sozialdemokratie fordert nun die Abschaffung des Zensurgesetzes. Natürlich ist dieses Gesetz schädlich für die internationale Arbeiterklasse. Doch dies als zentrale und einzige Forderung zu den «Suisse Secrets» zu stellen schürt Illusionen in den bürgerlichen Staat und streut Sand in die Augen der Massen. Insofern ist auch die Forderung nach «Tax the Rich» nicht auf der Höhe der Aufgaben. Die Kapitalisten werden immer legale und illegale Wege finden, um so wenig Steuern wie möglich zu bezahlen.
Die internationalistische Pflicht der Marxisten in der Schweiz ist der Kampf gegen die Banken und gegen die Regierungen, die sie verteidigen. In allererster Linie geht es darum, den parasitären Charakter der Schweizer Banken zu benennen und zu entlarven: Sie sind die Vermögensverwalter für die korrupten Regimes auf der ganzen Welt. Diese plündern die Früchte der Arbeit der internationalen Arbeiterklasse. Dies bedeutet auch, dass die Schweizer Arbeiterklasse keinerlei gemeinsame Interessen mit dem Schweizer Imperialismus und dem Bankenplatz hat.
Wir Marxisten in der Schweiz können uns kein geringeres Ziel setzen, als die Enteignung der Banken, die Rückführung der Gelder an die arbeitenden Bevölkerungen auf der ganzen Welt und die demokratische Planung der gesellschaftlichen Reichtümer unter Kontrolle der Arbeiterklasse.
Dersu Heri
Für die Redaktion
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