Nach der erfolgreichen marxistischen Herbstschule Revolution 2021 mit 130 Teilnehmern, möchten wir die Referate der Workshops einem breiteren Publikum zugänglich machen. Olivia Eschmann von der Funke-Redaktion erklärt in diesem Referat, welche Ideen und Kampfmethoden fähig sind die verschiedenen Unterdrückungsformen zu bekämpfen und zu überwinden. Dafür stellt sie die Ideen des Marxismus denjenigen der Identitätspolitik gegenüber.
In den letzten Jahren gab es weltweit viele Massenbewegungen gegen unterschiedliche Formen der Unterdrückung, unter denen verschiedene Schichten der Arbeiterklasse im Kapitalismus leiden: gegen die Unterdrückung der Frauen, gegen Rassismus usw. Aber nicht alle Kampfmethoden können zum Sieg führen. In diesen Bewegungen und in der Jugend sind die Identitätspolitik und damit auch die Intersektionalität derzeit sehr in Mode. Diese Ideen betonen die Bedeutung der eigenen Identität, der subjektiven Erfahrung und der unterschiedlichen Grade der Unterdrückung je nach Herkunft, Geschlecht, Gender und weiteren «Identitäten».
Diese Ideen sind nicht nur unfähig, Frauen und alle Unterdrückten zu befreien, sondern sie schaden unserem Kampf gegen die Unterdrückung direkt. Was wir brauchen, um gegen die Unterdrückung zu kämpfen, ist der revolutionäre Kampf gegen das kapitalistische System, basierend auf den Methoden des Klassenkampfes und den Ideen des Marxismus. Unsere dringendste Aufgabe? Der Aufbau einer revolutionären Organisation!
Wir veröffentlichen hier ausserdem das Transkript des Referates zur inhaltlichen Unterstützung (nicht genau übereinstimmend):
Die Frauenunterdrückung, Rassismus und Diskriminierung sind allgegenwärtig:
Wie können wir also gegen die Unterdrückung kämpfen?
In diesem Vortrag werde ich zwei gegensätzliche Ansichten gegenüberstellen: die Ansichten der Identitätspolitik und die Ansichten des Marxismus.
Marx hat nicht nur die wissenschaftlichen Sozialismus als Methode entdeckt – das, was wir heute Marxismus oder marxistische Philosophie nennen. Er hat in der Menschheitsgeschichte auch die Teilung in Klassen untersucht. “Alle bisherige Geschichte (der Zivilisation) ist die Geschichte von Klassenkämpfen” heisst es im Kommunistischen Manifest. Im Kapitalismus stehen sich in der Hauptsache zwei Klassen gegenüber: Zum einen eine kleine Schicht an Kapitalisten, die die Arbeiterklasse ausbeuten und daraus ihren Profit ziehen. Zum anderen die Arbeiterklasse, die heute die Übergrosse Mehrheit der Menschheit darstellt: Das bedeutet ein riesiges Potential für revolutionäre Kämpfe gegen diese Ausbeutung.
Darum wird die Unterdrückung und Diskriminierung va genutzt um die Spaltung der Arbeiterklasse und Armen voranzutreiben: Die Spaltung der Ausgebeuteten ist ein wichtiges politisches Mittel für die herrschende Klasse („divide and rule“). Das sehen wir heute in verschiedenen Ländern: Trump in den USA, Bolsanaro in Brasilien, Johnson in Grossbritannien. In der Schweiz ist die SVP die wichtigste Partei des Kapitals: Sie ist ein agressiver Vertreter des Finanzkapitals und der Exportindustrie. Um davon abzulenken, schüren sie Nationalismus und Rassismus, Hass gegen den Islam, und sie verteidigen traditionelle Geschlechterrollen: die Frau soll zurück an den Herd etc. So stützen sie sich auf die rückständigsten Schichten des Kleinbürgertums und der Arbeiter. So wird die Gesellschaft gespalten und kämpft nicht gemeinsam gegen ihre Ausbeutung und Unterdrückung.
Wir sehen das auch in Revolutionen: Die Herrschende Klasse versucht mit allen Mitteln einen Keil in die Bewegungen zu schlagen (z.B. indem sie fundamentalistische Gruppen finanzieren, die rückständige Ideen in die Bewegung tragen und Terror verbreiten). Hinter solchen Ideen stehen also politische Interessen der Herrschenden Klasse. Im Umkehrschluss bedeutet das eben auch, solange diese Klasse nicht gestürzt ist, wird sie weiter spalten, um herrschen zu können!
Die Unterdrückung ist ausserdem profitabel: Migranten, Frauen etc. werden schlechter bezahlt und so kann noch mehr Profit aus ihrer Arbeitskraft gepresst werden. Gleichzeitig setzt das Druck auf die besser bezahlten Lohnabhängigen auf, ebenfalls weniger Lohn und schlechtere Bedingungen zu akzeptieren, da sie sonst ersetzt werden. Indem sie die Löhne für einen Sektor senken, können die Kapitalisten die Löhne für alle Arbeiter senken. Ausserdem sind Frauen und Migranten auch immer eine Mannövriermasse auf Arbeitsmarkt. Schlechter Kündigungsschutz, temporäre Aufenthaltsbedingungen, geringere Arbeitslosenentschädigung machen diese Arbeitskräfte billiger, prekärer und ersetzbar. In der Schweiz wurden in der Krise in den 70er Jahren die Arbeitslosenzahlen niedrig gehalten, indem 500’000 Frauen zurück an den Herd und die Saisonnier-Arbeiter ausgeschafft wurden.
Spaltung und Diskriminierung gibt es auf den verschiedensten Ebenen, nicht nur wegen der Hautfarbe, der Herkunft, dem Geschlecht, der Religion etc. Zum Beispiel werden qualifizierte gegen unqualifizierte Arbeiter ausgespielt, Vertragsarbeiter gegen Temporärarbeiter, gewerkschaftlich Unorganisierte gegen Organisierte, Arbeiter gegen Sozialbezüger, Krankenversicherte gegen Gesundheitsangestellte usw.
Das Prinzip ist immer dasselbe: Dass einem Teil der Arbeiterklasse und der Armen die Schuld gegeben wird (zB. Sozialbezüger). Und die Kapitalisten tun so, als ob die einen von der Unterdrückung der anderen profitieren („ihr Lohn ist hoch, weil der andere tief ist“). Das ist schlichtweg gelogen – sogar das Gegenteil ist der Fall: Mit den tiefen Löhnen des portugiesischen Arbeiters auf dem Bau werden die Löhne aller unter Druck kommen – davon profitiert einzig der Kapitalist!
Wir sagen: Der Kampf gegen Unterdrückung muss über die Einheit der Arbeiterklasse geführt werden. Je stärker die Einheit der Arbeiterklasse ist, desto schwieriger ist es, die Unterdrückung zu nutzen, um die ArbeiterInnen zu spalten. Und je mehr die Arbeiterklasse die Kämpfe gegen die Unterdrückung unterstützt, je aktiver ihre Rolle in diesen Kämpfen ist, desto mehr bedroht diese Bewegung die ganzen herrschenden Verhältnisse, den Kapitalismus, und desto mehr Errungenschaften können erreicht werden.
Das liegt an der Position der Arbeiterklasse in der kapitalistischen Produktion. Der Kapitalismus basiert auf der Ausbeutung der Arbeitskraft der ArbeiterInnen für den Profit. Das bedeutet, dass die ArbeiterInnen sich kollektiv organisieren und die Kapitalisten dort angreifen können, wo es weh tut. Streiks in den Betrieben können die Produktion lahm legen, das bedeutet Gewinneinbussen für die Kapitalisten. Übernimmt die Arbeiterklasse die Macht in den Betrieben und in der Gesellschaft, kann sie die gesellschaftliche Produktion endlich nach den Bedürfnissen der ganzen Gesellschaft ausrichten. Das gibt den ArbeiterInnen eine Macht, die andere Gruppen in der Gesellschaft nicht haben: Sie haben das Potential die Kapitalisten zu erpressen oder eben, eine Revolution zu vollziehen.
Ein Blick in die Geschichte bestätigt das: Es ist kein Zufall, dass z.B. das Frauenstimmrecht ein Produkt des Klassenkampfes war: In vielen europäischen Staaten wurde das Frauenstimmrecht um 1918 herum eingeführt, als nach dem 1. Weltkrieg und der russischen Revolution viele Länder revolutionäre Bewegungen sahen, die den Kapitalismus bedrohten. Die herrschende Klasse gab das Frauenstimmrecht als Zugeständnis aus Angst vor der Revolution (in Deutschland, Schweden, Finnland, etc.). Auch in der Schweiz wurde im Generalstreik 1918 das Frauenstimmrecht auf die Tagesordnung gestellt. Allerdings dauerte die Verwirklichung dieser Forderung noch über 50 Jahre, eben genau weil nach der Niederlage dieses Generalstreiks und dem Kompromisslertum der Führung der Arbeiterbewegung keine solche Bewegung entstand, die die herrschenden Verhältnisse grundlegend in Frage stellte. Erst die 68er Revolutionen in Europa, die auch in der Schweiz Eindruck machten, zwang das erzkonservative Schweizer Bürgertum in die Knie: 1971 führte die Schweiz als eines der letzten Industrieländer der Welt das Frauenstimmrecht ein.
Der Kampf gegen Unterdrückung ist Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus: Eine sozialistische Revolution kann nur siegreich sein, wenn sich die ArbeiterInnen zusammenschliessen. Es ist wichtig, dass die Lohnabhängigen verstehen, dass es das kapitalistische System ist, das für Arbeitslosigkeit und Kürzungen verantwortlich ist – und nicht die MigrantInnen, wie die Politiker die Arbeitenden glauben machen wollen. Es ist wichtig, dass sie verstehen, dass sie gemeinsam gegen alle Formen von Unterdrückung kämpfen müssen, wenn sie für ihre eigene Befreiung kämpfen wollen.
Gerade in Zeiten grosser Klassenkämpfe und erst recht in Revolutionen begreifen die ArbeiterInnen, dass sie viel mehr zu gewinnen haben, wenn sie sich zusammenschliessen, und dass die Kapitalisten versuchen, die Unterdrückungen zu nutzen, um sie gegeneinander auszuspielen. Dann lernen sie, wer der wirkliche Feind ist. In einer Revolution beginnen die Arbeitermassen alles in Frage zu stellen, was die Gesellschaft ihnen beigebracht hat. Das haben wir in Revolutionen und Massenbewegungen immer wieder gesehen. Frauen, die an der Revolution 2011 in Ägypten teilgenommen haben, sagten, dass Frauen auf dem Höhepunkt der Revolution die ganze Nacht auf dem Tahrir-Platz in Kairo sein konnten, ohne belästigt zu werden. Wie eine Frau sagte: „Hier sieht dich niemand als Frau, niemand sieht dich als Mann. Wir sind alle vereint in unserem Wunsch nach Demokratie und Freiheit.“
Ausserdem ist die Mehrheit der globalen Arbeiterklasse weiblich oder gehört einer anderen unterdrückten Gruppe an – abgesehen von der Ausbeutung und Unterdrückung, der alle Arbeiter als Arbeiter ausgesetzt sind. Die Vorstellung, dass eine sozialistische Revolution nicht auch einen Kampf gegen Unterdrückung bedeuten würde, ist lächerlich: Wenn Arbeiter und Arbeiterinnen sich bewegen, um die Gesellschaft zu verändern, bringen sie all ihre Probleme und Nöte auf den Tisch: Sie kämpfen für die völlige Befreiung von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung.
Jede Periode grosser Klassenkämpfe und Revolutionen erweckt also auch den Kampf gegen Unterdrückung. Genau in einer solchen Periode leben wir heute. Wir haben das im letzten Jahrzehnt gesehen: Die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA, die im letzten Jahr 10% der ganzen US-Bevölkerung auf die Strasse mobilisierte. Die Millionen-Bewegung von Indern, die sich gegen Modi’s Staatsbürgerschaftsgesetz, das gegen Muslime gerichtet war, auflehnten. Die 5,3 Millionen, die während des Frauenstreiks in Spanien 2018 auf die Strasse gingen. Die Massenbewegungen gegen Femizide in Mexiko, gegen das Abtreibungsverbot in Polen usw. Wir haben in letzter Zeit massive Bewegungen gegen Unterdrückungsformen auf der ganzen Welt erlebt, weil wir in Zeiten tiefster Krise des Kapitalismus leben, die immer wieder Klassenkämpfe und Revolutionen hervorruft.
Feministinnen werfen uns Marxisten vor, dass wir uns nicht (genug) für den Kampf gegen Unterdrückung und für Reformen, die das Leben der unterdrückten Arbeiterinnen und Arbeiter verbessern würden, interessieren, dass wir nur auf die Revolution warten. Aber im Gegenteil: Nur im täglichen Kampf für bessere Lebensbedingungen und gegen Ungerechtigkeit und Angriffe können die ArbeiterInnen lernen, wie man gegen den Kapitalismus kämpft. Was wir aber klar sagen: In der Klassengesellschaft kann man Unterdrückung nicht wegreformieren. Plus, dass wir im Kampf gegen die Unterdrückung nicht mit der herrschenden Klasse zusammenarbeiten können: Die Kapitalisten, egal ob sie Männer oder Frauen, schwarz oder weiss, schwul oder heterosexuell sind, profitieren als Kapitalisten von der Unterdrückung. Jeder Versuch, mit der herrschenden Klasse oder ihren politischen Vertretern zusammenzuarbeiten, wird immer damit enden, dass sie die Bewegung in sichere Bahnen lenken, damit das kapitalistische System und die Profite der Kapitalisten nicht bedroht werden.
Als Marxisten haben wir also eine klare Vorstellung davon, wie Unterdrückung bekämpft werden kann und wie wir sie abschaffen können. Aber die Kräfte des Marxismus sind immer noch eine Minderheit. Wir sind zu klein, als dass wir unsere Ideen und unser Programm momentan in den Massen verbreiten könnten oder dass wir Massenbewegungen anführen könnten.
Die meisten, die gegen Unterdrückung kämpfen wollen, stossen an der Uni oder in den Bewegungen auf die Ideen der Identitätspolitik wie Intersektionalität, Queer-Theorie und die verschiedenen Strömungen des Feminismus.
Identitätspolitik basiert auf der Idee, dass alle Kämpfe gegen Unterdrückung nur von denjenigen geführt werden können, die direkt unter der spezifischen Unterdrückung leiden. Frauen müssen den Kampf gegen das Patriarchat anführen, Trans-Menschen müssen den Kampf gegen Transphobie anführen, Schwarze und People of Color müssen den Kampf gegen Rassismus anführen. Für sie sind diese Kämpfe gegen die verschiedenen Unterdrückungen separate Kämpfe.
Und sie verstehen Unterdrückung als eine Struktur, die mehr oder weniger von der Klassengesellschaft, also vom Kapitalismus, getrennt ist. Die Unterdrückung der Frauen beruht auf dem Patriarchat – einer Herrschaftsstruktur der Männer über die Frauen, die sich nicht auf das kapitalistische System stützt. Rassismus ist auf das weisse Privileg zurückzuführen, das nicht auf der Klassengesellschaft beruht.
Aber was heisst das? Was ist das weisse Privileg? Was ist Patriarchat? Die Identitätspolitik sagt, Unterdrückung sei das Ergebnis einer Reihe von unterdrückerischen Ideen oder Normen. Der Kampf gegen Unterdrückung ist für sie daher in erster Linie ein Kampf, um die Menschen und die Gesellschaft davon zu überzeugen, keine unterdrückerischen Ideen und Verhaltensweisen mehr zu haben.
Das bezeichnen wir Marxisten als Idealismus. In der Philosophie gibt es zwei grosse Strömungen; den Idealismus und den Materialismus. Idealismus heisst, dass man die Gesellschaft, das Funktionieren der Welt aus den Ideen erklärt, als eine Folge der Moral oder und der Normen, die die Menschen haben.
Der Marxismus vertritt die gegenteilige Auffassung: Als Materialisten verstehen wir, dass die Ideen, die wir haben, die vorherrschenden Ideen in der Gesellschaft, aus den gesellschaftlichen Verhältnissen erklärt werden – aus der Art und Weise, wie die die Gesellschaft aufgebaut ist und sich entwickelt. Das Ziel muss es deshalb sein diese materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern!
Wir erklären zum Beispiel, dass die Ideen des Rassismus entstanden sind, um Sklaverei und Kolonialismus zu rechtfertigen, und heute noch existieren, um imperialistische Ausbeutung und rassistische Diskriminierung zu rechtfertigen.
Die Unterdrückung der Frau entstand parallel zur Klassengesellschaft, in der die Frau von der Gleichberechtigung und dem Ansehen in den alten egalitären Jäger- und Sammlergesellschaften zur Unterordnung unter den Mann in der Familie gezwungen wurde. Das Aufkommen des Privateigentums in der Landwirtschaft, dem Hauptarbeitsfeld des Mannes, führte zu einer Abwertung der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Um ihr Privateigentum zu erhalten und es an ihre Erben weiterzugeben, zwangen die Männer den Frauen die Monogamie auf. Auf diese Weise beherrschten die Männer die Frauen, deren Arbeit sich auf das Haus beschränkte und damit einen reinen privaten Charakter hatte. Auf dieser Grundlage entstand die Kontrolle über die Frauen und ihrer Sexualität in der Familie.
Im Kapitalismus haben viele Frauen eine grössere wirtschaftliche Unabhängigkeit von den Männern erlangt, indem sie in die Produktion gesogen wurden und Teil der Arbeiterklasse wurden und so einen eigenen Lohn verdienten. Während die Hausfrau isoliert und nur im privaten Unterdrückungsverhältnis zum Mann steht, hat sie als Arbeiterin eine gesellschaftliche Funktion: Sie kann sich organisieren und die Profite der Kapitalisten mit Streiks, Kämpfen und Betriebsbesetzungen bedrohen. Die ganze Erfahrung der Arbeiterinnenkämpfe lehrt uns: Mit dem Kampf in den Betrieben geht immer auch eine Krise der traditionellen Familie einher: Wenn die Männer feststellen, dass die Frauen sich nicht mehr in ihre Rollen pressen lassen und die Frauen an Selbstvertrauen gewinnen und sich das einengende, teils missbräuchliche Verhalten von Vätern, Ehemänner und Brüder nicht mehr gefallen lassen. Die Teilnahme an der Gesellschaft, das Verdienen eines eigenen Lohnes, va aber Klassenkonflikte und Kämpfe zeigen den Frauen oft den reaktionären Charakter der Familienverhältnisse und ihre unterdrückte Stellung darin erst auf.
Aber der Kapitalismus ist nach wie vor auf die Familie und die private Arbeit der Frauen im Haushalt angewiesen. Auch wenn heute Hausarbeit und Kinderbetreuung sehr einfach gesellschaftlich organisiert werden könnten: Es liegt nicht im Interesse der bürgerlichen Klasse, Kantinen, Wäschereien, Kinderbetreuung, sowie Bildung und Gesundheit für die breiten Massen zugänglich, also kostenlos zu machen. Dass wäre aber nötig, um die Frauen aus ihrer Doppelbelastung zu befreien. Gleichzeitig werden Frauen schlechter bezahlt, arbeiten mehr in Teilzeit und sind daher immer noch wirtschaftlich von Männern abhängig. Solange diese wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesellschaft besteht und solange die Gesellschaft auf der monogamen Familie beruht, werden Männer Macht über Frauen haben. Und damit einher gehen auch Gewalt, Belästigung und sexistische Stereotypen.
Es ist die herrschende Klasse, die Vorurteile und Hass gegen Unterdrückte und Minderheiten verbreitet, gegen die auch die Arbeiter nicht immun sind – über die Medien, über den Staat, in der gesamten Gesellschaft. Gleichzeitig ist Unterdrückung etwas Konkretes, das nicht einfach “durch Vernunft” wegerzogen werden kann. Novartis oder Monsanto, die Bodenschätze und billige Arbeitskräfte in Lateinamerika und Afrika ausbeuten, reproduzieren damit tagtäglich die rassistische Weltordnung. Wenn diese Multis einen schwarzen CEO einstellen oder sich ein antirassistisches Image aufbauen, indem sie Schwarze in ihrer Werbung “sichtbar machen”, ändert das rein gar nichts an ihrer imperialistischen Rolle.
Man kann die grossen Monopole der Welt nicht einfach davon überzeugen, „mit der Ausbeutung der armen Länder aufzuhören“. Man muss das imperialistische System umstürzen. Es geht nicht um Vorurteile, sondern um die Art und Weise, wie die Gesellschaft aufgebaut ist. Wir sagen also, wir müssen für eine Gesellschaft kämpfen, eine sozialistische Gesellschaft, in der die Unterdrückung durch das System nicht aufrechterhalten wird. Nur wenn wir die materielle Basis der Unterdrückung beseitigen, können wir die Grundlage dafür schaffen, dass Vorurteile, Belästigung und Gewalt allmählich verschwinden.
Die Identitätspolitik sagt: verantwortlich für die Unterdrückung sind die, die nicht in gleicher Weise unterdrückt werden: Männer sind für die Unterdrückung von Frauen verantwortlich und profitieren davon, Weisse sind für Rassismus verantwortlich und profitieren davon, Heterosexuelle sind für Homophobie verantwortlich und so weiter. Wie die intersektionale Wissenschaftlerin Frances Kendall es ausdrückte: „Jeder von uns, der ein Rassenprivileg hat – und das haben alle Weissen – und damit die Macht, seine Vorurteile in Gesetze zu fassen, ist per Definition ein Rassist, weil er von einem rassistischen System profitiert“. Die Feministin Heidi Hartman sagt dasselbe über die Unterdrückung der Frauen, dass „Männer ein materielles Interesse an der fortgesetzten Unterdrückung der Frauen haben“.
Der Kampf gegen die Unterdrückung ist für sie daher ein Kampf von Frauen gegen Männer, von Schwarzen und People of Color gegen Weisse, von Trans-Menschen gegen Cis-Menschen. Diejenigen, die nicht unter der gleichen Unterdrückung leiden, sind privilegiert: “Check your Privilege” – dh man muss sich seinen Privilegien bewusst werden. Sie können höchstens Allies – passive Unterstützer – derjenigen sein, die den Kampf führen müssen.
Was bedeutet das aber? Das bedeutet, dass die Mehrheit der Unterdrücker Arbeiter und Arme auf der ganzen Welt sind. Der Kampf gegen Unterdrückung ist dann ein Kampf von Arbeiter gegen Arbeiter, von Unterdrückten gegen Unterdrückte.
Die Art und Weise, wie die Identitätspolitik den so genannten “privilegierten” Arbeitern die Schuld zuschiebt, ist in Wirklichkeit ein Spiegel der Unterdrückungsmechanismen im Kapitalismus selbst. Die Kapitalisten wollen, dass weisse Arbeiter denken, sie würden vom Rassismus profitieren, Männer von der Unterdrückung der Frauen – sie wollen, dass die Arbeiter gegeneinander ausgespielt werden. Die Identitätspolitik verstärkt dies noch, indem sie das Gleiche sagt.
Nehmen wir das Beispiel vom Spanien Streik 2018: Dieser hat 5,3 Millionen Frauen und Männer mobilisiert. Die Feministinnen an der Spitze des Streiks gaben die Parole heraus, die Männer sollen nicht streiken. Im Schweizer Frauenstreik 2019 haben viele Feministinnen ähnlich argumentiert: Männer sollen Arbeitsschichten von Frauen übernehmen, damit sie “streiken können”. Wie funktioniert aber ein Streik? Ein Streik verliert völlig seine Wirkung, wenn die Kapitalisten keine Einbussen haben bei ihren Profiten. Die Männer werden so zu Streikbrechern, die Wirkung des Frauenstreiks wird untergraben und zur reinen Symbolik.
Oder sie sagen, besser bezahlte Arbeiter in Männern dominierten Sektoren wie dem Bau sollen nicht streiken, da sie bereits so privilegiert und gut bezahlt sind. Aber es sind nicht die Angestellten im öffentlichen Gesundheitswesen mit niedrigeren Löhnen, die profitieren, wenn diese Arbeiter nicht kämpfen. Sondern die Kapitalisten – die grossen Bau- und Industrie Chefs, die diese Arbeiter ausbeuten. Und die bürgerlichen Politiker, die diese kapitalistischen Profite verteidigen, indem sie Sozialausgaben kürzen und die Löhne von Pflegerinnen nicht erhöhen wollen.
Die Vorteile, die einige Arbeiter haben, weil sie weniger unterdrückt werden als andere, sind nichts im Vergleich dazu, was sie gewinnen können, wenn sie sich zusammenschliessen und gemeinsam für mehr kämpfen.
Für uns geht es also nicht um einen Kampf zwischen verschiedenen Ally- Gruppen, die für ihre eigenen Interessen kämpfen, sondern um einen gemeinsamen Kampf für gemeinsame Interessen. Schlussendlich hat die Arbeiterklasse das gemeinsame Interesse an guten Lebensbedingungen, und einer Befreiung von Armut, Ausbeutung und Unterdrückung. Einzig die Kapitalisten haben dieses Interesse nicht – da das ihre Profite schmälert und es schlussendlich zu ihrem unweigerlichen Sturz als herrschende Klasse führt.
Die Identitätspolitik begann gegen Ende der 80er und in den 90er Jahren an Bedeutung zu gewinnen. Dies war eine Zeit des Abschwungs im Klassenkampf; die Ära von Reagan und Thatcher und des Falles der Sowjetunion und der vermeintlich endgültigen Niederlage des Kommunismus.
Die Akademiker, die die grossen Bewegungen der 60er und 70er Jahre miterlebt hatten, kamen zu dem Schluss, dass es unmöglich sei, dass die Arbeiterklasse den Kapitalismus besiegen könnten. Während der Sozialismus in ihren Augen kein Weg nach vorne zu sein schien, schien der Kapitalismus auch keine bessere Zukunft für die Menschheit zu bieten. Sie zogen die pessimistischsten Schlussfolgerungen und wurden zu Befürwortern verschiedener Varianten des Postmodernismus, der die philosophischen Wurzeln der Identitätspolitik bildet.
Obwohl sie sich manchmal noch marxistischer Phraseologie bedienten, wurden diese Ideen genutzt, um die Unterstützung des Marxismus in der akademischen Welt – zur grossen Zufriedenheit der Bourgeoisie – in Frage zu stellen und auszulöschen. Und von der akademischen Welt aus verbreitete sie sich in der Linken und in der Arbeiterbewegung zu einer Zeit, als die Arbeiterbewegung infolge des Abflauens des Klassenkampfes und des Rechtsrucks in der Arbeiterbewegung leergefegt war. An ihre Stelle traten Karrieristen aus der Mittelschicht, die diese „neuen“ Ideen eifrig aufnahmen.
Wenn man sich die Ideen der Identitätspolitik genauer ansieht, kann man die Ideen der Postmoderne überall finden; z.B. dass man die objektive Welt nicht verstehen kann; dass man die Welt und Gesellschaft nicht grundsätzlich verändern kann. Statt der Revolution – kann es nur ein Kampf von kleinen Grüppchen oder Individuen gegen “die Macht” (die nicht erklärt wird) geben. Die Idee, dass nur ich meine Unterdrückung, meine Realität und die von niemandem sonst verstehen kann. Die bekannte intersektionale Feministin Patricia Hill Collins sagte: „Keine Gruppe kann einen richtigen Standpunkt einnehmen. Keine Gruppe verfügt über Theorien oder Methoden, die es ihr erlaubt, die ‚Wahrheit‘ zu entdecken“.
Wir Marxisten sagen genau das Gegenteil: Nur indem wir die objektive Welt analysieren und verstehen (nichts anderes ist mit Wahrheit gemeint), können wir erkennen, wir wir Unterdrückung und Ausbeutung überwinden können.
Der Marxismus wurde von Feministinnen schon in den 70er Jahren kritisiert dafür, dass er Unterdrückungen nicht erklären könne, sondern nur eine ökonomische Analyse habe. Das war allerdings nicht Marxismus, sondern Stalinismus. Und die Kritik daran stimmte durchaus: Sowohl der Stalinismus in den Kommunistischen Parteien, als auch die Arbeiterbewegung zu dieser Zeit, wurde von reformistischen Ideen dominiert: Die SPs, KPs und Gewerkschaften hatten keinen revolutionären Anspruch und sie stützten sich auf die bestbezahlten Arbeiter-Schichten mit den meisten Illusionen in den Kapitalismus. Die Unfähigkeit der Arbeiterbewegung, eine führende Rolle im Kampf gegen verschiedene Unterdrückungsformen zu übernehmen, und die Existenz des Stalinismus, der behauptete, in der Sowjetunion den Kommunismus erreicht zu haben, obwohl er die Unterdrückung der Frau, den Staat und die Ungleichheit nicht beseitigt hatte – das alles führte dazu, dass einige der Meinung waren, dass der Marxismus und die Arbeiterbewegung nicht die Antwort im Kampf gegen die Unterdrückung seien.
Die Identitätspolitik war also auch eine Antwort auf den Konservatismus der Arbeiterorganisationen – aber ihre Schlussfolgerung war nicht revolutionär, sondern einen Rückzug auf die eigene Identität und damit die Zersplitterung der Bewegungen bis zur Atomisierung.
Ähnlich wie beim Postmodernismus sind viele Ideen der Identitätspolitik dem Marxismus entlehnt, wurden dann aber ins Gegenteil verkehrt. die Konsequenz dieser Ideen ist das, was wir heute in der Bewegung sehen.
Einige Feministinnen denken, dass sie den Kampf gegen Frauenunterdrückung am aller seriösesten angehen, da sie sich so sehr darauf konzentrieren. Aber ein falsches Verständnis führt zu einer falschen und kontraproduktiven Strategie. Der Idealismus der Identitätspolitik öffnet Tür und Tor dafür, dass sie von der herrschenden Klasse mit Scheinlösungen getäuscht werden können.
Wenn die Hauptidee ist, dass man einfach seine Privilegien hinterfragen muss, um Sexismus und Rassismus zu bekämpfen, sieht man es als Fortschritt an, wenn Politiker und Kapitalisten sich als Feministen oder Antirassisten bezeichnen. Aber genau so, wie Politiker schwören können, dass sie die Klimakrise ernst nehmen und dann nichts tun gegen die Überausbeutung der Erde – sagen sie, sie seien für die Gleichstellung der Geschlechter, während sie gleichzeitig die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen angreifen. Firmen können sich ein progressives Image geben, zB indem sie behaupten, „Black Lives Matter“ zu unterstützen, während sie ihre Arbeiter auf dieselbe Weise wie zuvor ausbeuten und von deren Unterdrückung profitieren.
Dasselbe mit der Repräsentationslogik: Die Idee, dass alleine Frauen Fraueninteressen vertreten können, dass es einfach mehr weibliche Führungspersonen braucht – da kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass man Menschen aus unterdrückten Gruppe in die Regierung oder Partei wählt, – völlig unabhängig davon, für welche Politik sie tatsächlich stehen oder welche Klasseninteressen sie vertreten. Dass öffnet der Klassenkollaboration Tür und Tor – also dass man über die Klassen hinweg mit den Kapitalisten zusammenarbeitet, weil es ja nur um Repräsentation geht – nicht um das politische Programm oder die reale Politik, die sie vertreten.
Wir sehen das in einem Land nach dem anderen: Seit den 90er Jahren ist eine Partei nach der anderen feministisch geworden – genau in einer Zeit, wo die Privatisierungen und Kürzungen die Errungenschaften der Nachkriegszeit voll angegriffen haben. In der Schweiz: Während also das Gesundheits- und Bildungswesen, die Sozialausgaben, die Renten etc. immer mehr unter Beschuss kamen und kommen, spielen sich gleichzeitig Frauen wie Natalie Ricklin aus der SVP und Bundesrätin Karin Keller Sutter der FDP als Karriere-Frauen auf, die es in der Männerwelt geschafft haben und so zum Vorbild für die Frauenwelt werden. Frauenfeindliche Politik kann so verschleiert werden mit Identätspolitik. Und das ist kein Witz: In den Medien wird Karin Keller Sutter als eine Vorkämpferin der Sache der Frau gehandelt, wird an Frauenstreik-Jubiläen eingeladen, und in den Medien rumgereicht.
Ein anderes Beispiel: In Bern ist Schnegg SVP-Regierungsrat (und selbst Kapitalist) und geht seit Jahren in die Offensive mit Kürzungen im Sozialen und Gesundheitsbereich. Gleichzeitig inszeniert er sich als “Frauenförderer”, indem er Frauen in Kaderpositionen einstellt und symbolische Pressekonferenzen bei der Gleichstellungsstelle veranstaltet. Auf deutsch: Er greift Pflegerinnen, Kita-Angestellte und Frauen in Armut, Flüchtlinge und Sozialbezügerinnen an – er wollte sogar die Frauenstelle Bern „Infra“ 2017 ganz ausschalten. Das verschleiert er mit symbolischen Aktionen und Repräsentationslogik. Die Grünen und SPler lassen sich davon beeindrucken, tragen in der Regierung diese Politik mit, statt in eine klare Opposition zu gehen und die Heuchelei der Bürgerlichen auf Schritt und Tritt zu entlarfen.
Wir sehen das in vielen Ländern: In den USA sollten alle Hillary Clinton wählen (damit es endlich eine erste Präsidentin gibt), obwohl sie eine offene Kriegstreiberin ist und klar die Interessen der Imperialisten und Kapitalisten vertritt, in der Obama-Regierung haben wir gesehen, dass sie nichts für Frauen aus der Arbeiterklasse macht. Dasselbe heute bei Kamala Harris als schwarze Frau in Regierung von Joe Biden: Das unmenschliche Migrationsregime seit Trump wurde durch sie kein Stück verbessert, die Sanktionen gegen Kuba noch verstärkt (die das Land immer mehr an den Abgrund drängen). Sie macht nichts für migrantische Frauen – aber für Biden ist es eine Möglichkeit sich und seine Regierung als progressiv darzustellen. Er hat sogar Intersektionalität als Teil des Lehrplans eingeführt – das sollte etwas darüber aussagen, wie fortschrittlich diese Ideen sein können. Es gibt noch tausende solche Beispiele – z.B. die Trudeau-Regierung in Canada etc.
All diese Politiker benutzen Etiketten und ihre Identitäten, um von der tatsächlichen Politik, die sie betreiben, abzulenken. Der Feminismus ist zu einer Massenindustrie geworden – unzählige Akademiker können dem Feminismus ihre Karriere verdanken. Sie behaupten, dass sie durch das, was wir ‚Gender-Studies‘ und -Pädagogik nennen, in Schulen und am Arbeitsplatz eine wichtige Arbeit gegen die Unterdrückung der Frauen leisten und die Geschlechterrollen in Frage stellen. All diese Menschen können ein bequemes Leben als Teil des Establishments führen – und sich für ihr Engagement gegen Unterdrückung auf die Schulter klopfen – während dasselbe Establishment in den letzten 30 Jahren das einmal aufgebaute Wohlfahrtssystem zerschlagen hat und so Frauen weiter in Armut, Doppelbelastung und schlechte Arbeitsbedingungen drängen. Und imperialistische Kriege im Irak, Palästina, Afghanistan, Syrien, Libyen usw. unterstützen oder mitfinanzierten, Waffen nach Saudiarabien liefern etc. Auch die NGO’s in den ärmsten Ländern der Welt – sie sind zu einem Wirtschaftszweig geworden, der es einer kleinen Schicht der Mittelschicht ermöglicht, ein bequemes Leben zu führen, während alles, was sie der Masse der armen Frauen bieten, eine Menge leeres Gerede und Almosen ist.
Identitätspolitik ist nicht ein Mittel, um sicherzustellen, dass der Kampf gegen Unterdrückung zu einer der obersten Prioritäten der Politik wird. Sie ist eine Fassade, die das Establishment benutzen, um im besten Fall mangelndes Handeln, im schlimmsten Fall Sparmassnahmen und andere Angriffe zu verschleiern, dies gilt sowohl für Kapitalisten, rechte Politiker als auch für die Arbeiterbewegung.
In der Arbeiterbewegung sehen wir, wie die Identitätspolitik von rechten Elementen benutzt wird, um linke und revolutionäre Teile der Bewegung anzugreifen. Indem man Kandidaten aus einer unterdrückten Gruppe als Alternative zu linken Kandidaten vorschlägt, oder indem man behauptet, dass Männer von links zu viel Zeit in der Debatte beanspruchen – oder behaupten, dass sie etwas rassistisches oder sexistisches machen oder sagen.
Die britische Labour Partei ist das bekannteste Beispiel: Der gut organisierte rechte Flügel in der Labour Partei benutzte falsche Vorwürfe von Antisemitismus, um eine riesige Hetzkampagne gegen den linken Flügel um Jeremy Corbyn zu lancieren. Sie haben alle Mittel eingesetzt, sogar die erzkonservative jüdische Kirche, um tausende Linke aus der Partei auszuschliessen und die linke Basis zu demoralisieren.
Da die Identitätspolitik behauptet, dass es keine objektive Wahrheit gibt, dass nur diejenigen, die unter Unterdrückung leiden, definieren können, was Unterdrückung ist, kann man ihre Behauptungen über Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus nicht in Frage stellen. Linke sind dem gegenüber sehr verwundbar: Der Gedanke ist eben, dass der grosse Fokus auf der Sensibilisierung von Unterdrückungen sie zu den besten Kämpfern gegen Unterdrückung macht. Trotz also der riesigen Hetzkampagne – hinter der offensichtlich die reaktionärsten und korruptesten Teile der Labour Partei standen und die nur gegen Linke verwendet wurde (später kam in Leaks das ganze Ausmass des Komplotts zum Vorschein) – trotzdem haben in der Labour-Partei viele Linke mehr oder weniger unhinterfragt alle Antisemitismus-Vorwürfe akzeptiert.
Auch in Protestbewegungen oder in Internet-Plattformen sehen wir solche Angriffe: Es gab z.B. ein Fall von einem Mädchen, dass eine BLM-Solidemo organisieren wollte. Sie wurde aber angegriffen, da sie aus dem Mittleren Osten stammt und darum nicht schwarz genug sei. Auch wir werden regelmässig in verschiedensten Ländern in Bewegungen angegriffen, weil wir ein Programm vertreten und damit “Kämpfe einnehmen”. Statt mit politischen Argumenten zu diskutieren und zu überzeugen, greifen sie oft zu Mobbing-Methoden, rufen Boykott gegen Nicht-Überzeugte auf, bombardieren sie mit hasserfüllten Kommentaren oder fordern, dass sie aus ihrem Job oder Position entfernt wird. Dies erzeugt eine Stimmung der Angst und dient dazu, die Debatte zu unterdrücken und die Bewegung zu spalten. Wir lehnen alle diese Methoden und Ideen ab. Wir verstehen, dass wir Vorurteile nicht einfach verbieten und so tun können, als würden sie verschwinden, wenn wir jeden, mit dem wir nicht einverstanden sind, einfach anschreien oder beleidigen.
Man muss wirklich verstehen, wie reaktionär diese Idee ist, dass man nur selbst über die eigene Unterdrückung urteilen und sie bekämpfen kann. Die konsequenten Verteidiger dieser Idee legitimieren schlussendlich barbarische Verhältnisse: Wir Nicht-Unterdrückten können nicht sagen ob Kinderarbeit, Sklaverei, Prostitution wirklich unterdrückerisch sei. Und das ist nicht meine Erfindung: Auf einem Forum wurde Beispielsweise eine Ex-Prostituierte angegriffen dafür, dass sie gegen die Prostitution allgemein kämpft: 1) weil sie ja nur Ex-Prostituierte sei, also nicht mehr für Prostituierte sprechen könne. 2) gebe es auch Beispiele von Prostituierten, die sich nicht unterdrückt fühlten. Es sei reaktionär diesen Frauen zu sagen, wie sie zu leben hätten. Ähnliche Beispiele gibts zu Kinderarbeit und Kinderprostitution, Leihmutterschaft in Indien usw.
So werden barbarische Verhältnisse legitimiert, Generalisierungen durch Einzelbeispiele zunichte gemacht – niemand kann mehr irgendetwas sagen darüber was die allgemeinen Mechanismen von Ausbeutung und Unterdrückung sind und wie man sie bekämpfen kann. Man kann nur noch über seine eigene Wahrnehmung und Erfahrung sprechen – das ist purer subjektiver Idealismus – und damit landet man in der absoluten Machtlosigkeit und Atomisierung.
Wir Marxisten sagen, dass es immer die Politik sein sollte, die entscheidet, welchen Kandidaten man unterstützt – nicht sein Geschlecht, seine Sexualität oder seine Hautfarbe. Erfahrungen mit Unterdrückung reichen nicht aus, um zu wissen, wie man sie bekämpft, und sie geben einem nicht das Recht, die Führung einer Bewegung zu beanspruchen. Man muss wissen, woher die Unterdrückung kommt, warum sie heute existiert, um zu verstehen, wie man sie beseitigen kann, und um zu wissen, welche Methoden und welche Forderungen man in den Kampf einbringen muss. Das heisst, man muss die Geschichte studieren und die Gesellschaft analysieren. Das Wissen, wie man die Unterdrückung der Frau bekämpfen kann, wird einem nicht in die Wiege gelegt, nur weil man als Frau geboren wurde. Man muss es lernen!
Weil die Anführer des Feminismus und der Intersektionalität nicht verstehen, dass der Kapitalismus beendet werden muss, um die Unterdrückung zu beenden, passen sie sich am Ende dem kapitalistischen System an. Oft sind es auch ganz allgemein ReformistInnen oder sogar Liberale.
Als Marxisten kämpfen wir nicht dafür, dass eine Minderheit aus einer unterdrückten Gruppe im kapitalistischen Staat Karriere machen kann. Wir kämpfen nicht dafür, dass die Unterdrückten von ein paar Einzelnen „vertreten“ werden, sondern wir kämpfen für eine kommunistische Gesellschaft – ohne Staat, in der alle die Gesellschaft leiten.
Wir brauchen nicht eine Myriade verschiedener Organisationen für verschiedene unterdrückte Gruppen, die alle ihre eigenen, getrennten Kämpfe führen, sondern eine vereinte Massenbewegung aller Unterdrückten unter der Führung einer revolutionären Arbeiterbewegung.
Unser Problem mit den Akademikern und Politikern, die in Sachen Feminismus und Intersektionalität führend sind, ist also nicht, dass sie den Kampf gegen Unterdrückung zu ernst nehmen, sondern das Gegenteil – wir sagen: Ihr tut nicht genug im Kampf gegen Unterdrückung! Ihr habt Angst, das System herauszufordern! Ihr glaubt nicht daran, dass die Arbeiterklasse das kapitalistische System stürzen und eine sozialistische Gesellschaft führen kann. Ihr seid davon überzeugt, dass nur die Kapitalisten und Politiker die Gesellschaft führen können.
Wir sagen: In den Bewegungen müssen wir nicht nur einen Kampf führen gegen Sexismus, Rassismus – gegen die spalterischen Ideen in der Arbeiterklasse. Wir müssen für die Einheit der Arbeiterklasse kämpfen! Wir müssen für den Sturz dieses ganzen Systems kämpfen – weil das die Ausbeutung und Unterdrückung aufrechterhält und reproduziert! Aber wir müssen auch ein ideologischen Kampf führen gegen diese reaktionären Ideen, die Verbreitung finden nicht nur an den Unis, sondern auch in den Protestbewegungen der Jugend, in der Arbeiterbewegung in der Bürokratie der linken Parteien und Gewerkschaften. Wir müssen diesen Ideen bekämpfen, indem wir ihnen eine klare marxistische Methode, eine revolutionäre Methode, gegenüberstellen – für die tatsächliche Befreiung der Frau und der Beseitigung von jeglicher Unterdrückung: Wir kämpfen für Brot und Rosen!
Zur weiteren Vertiefung in die marxistische Philosophie und speziell der Verteidigung des Materialismus empfehlen wir folgende Artikel und Bücher:
zum Bestellen:
Arbeiterbewegung — von Martin Kohler, Bern — 10. 10. 2024
Nah-Ost — von Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI) — 09. 10. 2024