Im September legte der Genfer Staatsrat (SR) seinen Vorschlag für das neue kantonale Budget vor. Der Vorschlag wird derzeit im Genfer Grossrat (GR) diskutiert. Was macht das neue Budget aus? Wie passt es in den aktuellen Kontext der Sparmassnahmen? Wie reagieren die verschiedenen AkteurInnen darauf und welche Aussichten gibt es für den Kampf gegen die Abbaupolitik?
Bevor wir uns mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen, werfen wir einen Blick zurück: Die beiden vorangehenden Budgets des Kantons hatten eine Reihe von Sparmassnahmen beinhaltet. Diese kamen auf mehrere hundert Millionen Franken zu stehen. Ausserdem sollten im Budgetvorschlag für 2016 strukturelle Massnahmen angewandt werden, die darauf abzielten, den Personalaufwand in drei Jahren um fünf Prozent zu verringern. Das hätte zur Erhöhung der Arbeitszeit der Staatsangestellten und zu erleichterten Kündigungen geführt.
Dadurch wurde eine Mobilisierung möglich, die alle Erwartungen übertraf: Mehr als 10’000 Menschen gingen auf die Strasse und an sieben Tagen wurde gestreikt, um die Ablehnung des Budget 2016 zum Ausdruck zu bringen. Doch weit wichtiger: Trotz einer Vereinbarung zwischen den Gewerkschaften und dem SR wurde das Budget im GR nicht angenommen. Deshalb hat der Genfer Staatshaushalt 2016 ohne ein reguläres Budget funktionieren müssen.
Die beiden vorangehenden Budgets (2015 und 16) forderten Sparmassnahmen. Nur acht Prozent davon wurden zurückgenommen, mehr als die Hälfte umgesetzt, so eine Berechnung des SR. Es wird angenommen, dass der Kanton Genf bis 2017 380 Millionen Franken einsparen wird. Der SR betont die kumulative Wirkung dieser Massnahmen und will damit rechtfertigen, dass keine Budgets mit Defiziten gefasst werden.
Das Budget 2017 im Kontext der aktuellen Sparmassnahmen
Das Budget 2017 wird uns als ein Versuch der Beschwichtigung und Annäherung präsentiert. Es soll ein Versuch sein, die Zustimmung des GR zu erhalten. Aktuell rechnet es mit einem Defizit von 77 Mio. Es beinhaltet Rückstellungen für die rechtlich vorgeschriebenen jährlichen Lohnerhöhungen. In den vergangenen Jahren wurden diese aber zu spät oder gar nicht ausbezahlt. Diese Lohnerhöhungen sind keine Geschenke des SR, sondern ein Recht der öffentlichen Angestellten. Ausserdem hält der SR am Ziel fest, die Personalkosten um fünf Prozent zu senken. Der Aufwand soll um 11,1 Mio reduziert und durch eine lineare Senkung von allen Subventionen ergänzt werden. Diese Kürzung sieht weitere 21 Mio “Einsparungen” vor.
Der Aktionsplan reiht sich damit in den Kontext von Angriffen ein, welche die Unternehmenssteuerreform (USR) III vorbereiten. Die möglichen Einbussen durch die USR III könnten bis zu 500 Millionen jährlich betragen. Kurz zur USR III: Diese Reform ist das grösste Steuergeschenk an die Unternehmen der letzten Jahre. Das erklärte Ziel des Bundesrats ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandort Schweiz zu sichern. Im Kontext der aktuellen Krise können so die Unternehmen vor allem ihre eigene, internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern, da sie weniger Steuern bezahlen müssen. Die Sparmassnahmen bedeuten schliesslich einfach mehr Druck auf die Lohnabhängigen des öffentlichen Dienstes sowie einen Abbau der Sozialleistungen. Dies in einer sozialen Situation welche sich bereits dramatisch zugespitzt hatte. Und das alles nur, um die Profitbedingungen der KapitalistInnen zu verbessern! Es steht diskussionslos fest, dass wir uns diesem «Konsens»-Budget entschieden entgegenstellen müssen.
Die WortführerInnen wenden die beliebte Spaltungstaktik an, welche die Lohnabhängigen in öffentliche und private Angestellten unterteilt. Sie weisen auch gerne auf die «privilegierten Beamten» hin. Es ist wichtig, diese Spaltungsversuche zu bekämpfen, die Einheit des privaten und des öffentlichen Sektors und deren Gemeinsamkeiten zu betonen und den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen gemeinsam zu führen. Die Demonstration vom elften November 2015 brachte 9000 MaurerInnen und die streikenden öffentliche Angestellte zusammen und bietet ein gutes Beispiel für die Kraft der Einheit im Kampf.
Was sind die Reaktionen der Beteiligten?
Mit ihren geeinten Angriffen auf den öffentlichen Dienst beweisen die bürgerlichen Parteien (FDP, CVP, SVP) ein gehobenes Klassenbewusstsein. Die Genfer BürgerInnenbewegung MCG zählt Teile der Beamten zu ihrer Basis, wie beispielsweise einen Grossteil der Polizisten. Wahrscheinlich ist der MCG deshalb nun gezwungen, einige rein opportunistische Kämpfe gegen gewisse Posten im neuen Budget zu führen. Sonst reiht er sich aber völlig ins bürgerliche Lager ein und stützt die bürgerlichen Angriffe auf die Lohnabhängigen.
Die Linke zeigt sich bisher geschlossen. Die Einheit könnte aber wohl leicht aufbrechen. Die Sozialdemokratische Partei (SP) und die Grünen sind im SR vertreten und somit in keiner komfortablen Position. Weder Antonio Hodgers (Grüne) noch Anne Emery-Torracinta (SP) stellen sich klar gegen die Abbau- und Sparpolitik.
Dazu kommt, dass die Unterstützung des «Kompromisses» bei der USR III im Waadtland durch die SP nicht ohne Folgen bleibt. Das Beispiel Waadt hat gezeigt, dass die SP bereit ist, die USR III für gewisse «Kompensationen» zu akzeptieren. Verglichen mit den grössten Steuersenkungen für die KapitalistInnen, sind diese allerdings minim. Denn früher oder später werden die Lohnabhängigen und die NutzniesserInnen des Service Public für diese Geschenke bezahlen.
Während die SP-Basis in Genf für das Referendum gegen die USR III Unterschriften sammelte, versicherte die SP-Stadträtin und Finanzdepartementsvorsteherin Sandrine Salerno, dass «eine linke Unterstützungen [für den kantonalen Umsetzungsvorschlag der USR III] mit wenigen Ausnahmen möglich wäre»[1]. Zur gleichen Zeit erklärte die lokale SP-Parteiführung aber die Ablehnung des Vorschlags des SR. Die Unterstützung des Vorschlags sei gebunden an die Einführung einiger Kompensationsmassnahmen im Reformprojekt um den Abbau auf ein Minimum zu beschränken. Sie stützen sich auf ein 2014 verabschiedeten Papier, das darauf besteht, dass beispielsweise Hindernisse für zukünftige Budgetdefizits entfernt werden (Schuldenbremse aufheben) oder ein «Sozialbeitrag» der Unternehmen entsprechend des Gewinns und Anzahl der Angestellten zugunsten öffentlicher Projekte eingeführt wird. Grundsätzlich akzeptiert die SP also die USR III, wenn dafür mehr Schulden gemacht werden und die Steuern angehoben werden können. Diese Art von Vorschlägen ist keine Neuheit, deswegen aber nicht weniger gefährlich. Ohne die kapitalistische Produktionsweise infrage zu stellen, verstärkt die weitere Verschuldung nur die Erpressbarkeit des Staates durch die Banken und ebnet den Weg für noch härtere Sparpolitik in der Zukunft. Wir wissen genau, dass die Bürgerlichen schwer allergisch sind auf Steuererhöhungen, selbst wenn sie minim sind. Ein solches Vorhaben könnte kaum aufgegleist werden.
Auf der Gewerkschaftsebene hat die Vertretung des öffentlichen Dienstes (vpod) das «Beschwichtigungsbudget» in einer Pressemitteilung vom 10. Oktober verurteilt. Der Budgetvorschlag des SR versuche zu beschwichtigen und sei deshalb wohl in der Lage, eine Mehrheit zu finden. Das könnte zutreffen. Der SR suche die «Einheit» und den «Konsens» weil gleichzeitig die Verhandlungen über die USR III laufen. Die Genfer SP-Präsidentin besteht darauf, dass «es einer breiten gemeinsamen Front bedarf, wenn wir die Reform (USR III) wie im Kanton Waadt durchbringen wollen. Wir haben im Moment nicht die Kraft, um die USR III durchzudrücken»[2].
Darüber hinaus haben der vpod und die Transportgewerkschaft SEV kürzlich den kantonalen Gewerkschaftsbund ins Boot geholt, welcher aktuell alle Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes vereint. Die nächste Vollversammlung der öffentlichen Angestellten wird am 17. November stattfinden.
Perspektiven des Kampfes
Wir müssen uns dem neuen Budget ohne Zugeständnisse entgegenstellen. Es ist nur ein Teil der allgegenwärtigen Aggression gegen die Lohnabhängigen. Jede Form des Kompromisses wie in der Waadt muss abgelehnt werden. Das Risiko dieser sozialen Konterreformen der Bürgerlichen ist für die ArbeiterInnenbewegung immens, denn die Folgen können schrecklich sein. Der Sozialabbau und die Sparpolitik sind eine Folge der kapitalistischen Krise und sie stellen Werkzeuge der Bürgerlichen dar, um die Lohnabhängigen für die Krise bezahlen zu lassen. Um den Sparpolitik zu bekämpfen, muss man jedoch auf den Grund des Problems vordringen; das heisst den Kapitalismus bekämpfen.
Das Rezept der SP, der restlichen Linken und der Gewerkschaften ist es, die Sparpolitik durch progressive Besteuerung auszugleichen und neue Einnahmen zu generieren. Wir MarxistInnen haben eine starke Steuerprogression, die hohe Einkommen stärker besteuern, immer unterstützt. Doch solange wir das System nicht in Frage stellen, wird die progressive Besteuerung immer Sabotage, Vermeidung und heftigen Widerstand der Bürgerlichen zur Folge haben. Damit wir nicht auf dem falschen Fuss erwischt werden, müssen wir unseren Kampf gegen die USR III und gegen die Sparpolitik verbinden mit einem Kampf für den Sozialismus. Dies ist nur möglich, wenn wir mit dem kapitalistischen System brechen.
Der Fall Genf kann und soll nicht isoliert betrachtet werden: Die Sparmassnahmen werden in allen Kantonen und auf Bundesebene angewendet. In Luzern, Zürich, Fribourg gab es Mobilisierungen gegen die Sparmassnahmen. Die USR III verlangt eine vereinte, schweizweite Widerstandsbewegung. Die marxistische Strömung beteiligt sich überall daran, wo sie in Juso Sektionen präsent ist sowie in der Juso Schweiz.
Was ist ein Budget und wie entsteht es?
[1] Sandrine Salerno s’affiche en soutien critique de RIE III” tdg.ch (4 septembre 2016)
[2] “Le PS genevois soutient la RIE III, mais veut des mesures compensatoires”, rts.ch (14-15 avril 2016)
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024