2016 wird in der Schweiz über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) abgestimmt werden. Das BGE bedeutet die Zahlung eines bestimmten Betrags an alle in der Schweiz lebenden Personen, unabhängig davon, ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht. Diese Forderung wird in linken Kreisen oft unterstützt. Ein solches BGE muss aber sehr kritisch betrachtet werden.


Bedingungslose GrundeinkommenGrundeinkommen ist nicht gleich Grundeinkommen. Es existieren sehr unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wichtigste Unterscheidungsmerkmale zwischen den verschiedenen Konzepten sind: Die Höhe des Betrags, die Finanzierung, das Verhältnis zu bestehenden Sozialversicherungen und auch die Frage, ob es wirklich Bedingungslos ist. Manche Konzepte stammen von linken Organisationen und Akademikern, andere kommen aus wirtschaftsliberalen Kreisen, welche sich damit einen unbürokratischeren und billigeren Sozialstaat erhoffen. Der in der Schweiz zur Abstimmung kommende Vorschlag ist eher zweiter Kategorie zuzuordnen – wir werden darauf zurückkommen. Aus linker Sicht scheint das BGE attraktiv zu sein, da damit angeblich der Zwang zur Arbeit überwunden werden kann. Da das Überleben gesichert sei, könne jeder frei entscheiden, ob er arbeiten möchte oder nicht. Abgesehen davon, ob das auch wirklich erstrebenswert wäre, ist auch sehr fragwürdig, ob ein BGE gemäss den populären Modellen diesen Zweck überhaupt erfüllen könnte.

Was für ein BGE darfs den sein?

Diskutiert werden verschiedene Formen eines BGE. Für die Schweiz bewegen sich die vorgeschlagenen Summen für ein garantiertes Grundeinkommen zwischen 2000 und 3000 Franken. Sehr stark unterscheiden sich die Vorschläge jedoch durch ihr Verhältnis zu den Sozialwerken. So schlägt z.B. Peter Streckeisen, linker Soziologe an der Uni Basel, vor, dass ein Grundeinkommen von 3000 Franken lediglich die Sozialhilfe ersetzen solle.

Demgegenüber steht beispielsweise der Vorschlag des Präsidenten des Basic Income Earth Network Schweiz (BIEN), Albert Jörimann, welcher lediglich eine Summe von 2500 Fr. vorschlägt, die praktisch alle Sozialwerke ersetzen soll. In beiden Modellen, wie auch in den meisten anderen, nimmt der BGE-Betrag bei steigendem Lohneinkommen kontinuierlich ab, ganz so bedingungslos wäre es also nicht. So sinkt beispielsweise in Streckeisens Modell das ausbezahlte BGE bei einem Lohn von 2000 Fr. auf 1800Fr. Wer 2000 Franken Lohneinkommen hat, erhielte also lediglich 800 Fr. mehr als jemand ohne Arbeit oder gesamthaft 3800 Fr. Obwohl sich die beiden Modelle „nur“ um 500 Franken unterscheiden, sind sie doch massiv verschieden. 2500 Franken wären für die meisten Menschen mit IV- oder ALV-Renten klar weniger, als sie heute erhalten. Sogar die Sozialhilfe ist mehr oder weniger ähnlich hoch. In Streckeisens Modell würden diese einen beträchtlichen Zustupf zu den bestehenden Leistungen erhalten.

Genauso entscheidend wie die Höhe des BGE ist die Frage der Finanzierung, welche oft mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer beantwortet wird. Die Initianten der Initiative scheinen dieses Modell zu bevorzugen. Im oben beschrieben Modell Jörimanns würde das BGE hauptsächlich durch die Ersetzung der anderen Sozialwerke, in Streckeisens Modell hauptsächlich durch Steuern auf Einkommen, Gewinn und Vermögen realisiert. Diese drei Varianten decken mehr oder weniger die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten ab.

Wirtschaftsliberale Kreise wollen das BGE auch dazu nutzen, Vermögen und Einkommen umzuverteilen. Eine Finanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer würde wieder einen grossen Teil des BGE und zusätzlichem Lohn wegfressen und hätte wohl zur Konsequenz, dass der grossen Mehrheit kaum mehr als heute bliebe. Je nach Modell würden wohl ca. 15-30% der Bevölkerung Zahlungen durch ein BGE erhalten, welche sie besser stellen würde als heute. Eine sehr grosse Mehrheit hätte aber nur sehr geringfügig mehr und dies auch nur, wenn sonst alles bliebe, wie es heute ist.

Zur grundsätzlichen Kritik an einem BGE

Es ist eine Illusion, dass nach der Einführung eines BGE alles beim Alten bliebe; gleich hohe oder angeblich sogar höhere Löhne, gleiche Preise, gleiche Arbeitslosenzahlen usw. Besonders illusorisch sind die Vorstellungen darüber, was mit dem Lohnniveau passieren würde. Oft wird davon ausgegangen, dass die tiefen Löhne steigen würden, da nun der Zwang zur Arbeit aufgrund des BGE kleiner wäre. Dabei geht völlig vergessen, dass sich Löhne nicht völlig beliebig rein nach Angebot und Nachfrage entwickeln. Das untere Ende der Lohnskala ist im Kapitalismus seit jeher am zum Überleben Notwendigen in einer bestimmten Gesellschaft ausgerichtet. Dies würde sich auch durch ein BGE nicht ändern, freuten sich die Unternehmen doch darüber, dass sie nun einen noch kleineren Lohn auszahlen müssten, um zu gewährleisten, dass ihre Angestellter am nächsten Tag wieder wohlgenährt und ausgeschlafen zur Arbeit erscheinen. Viele Menschen würden beispielsweise wohl für 1000 Franken Lohn arbeiten gehen, was immer noch eine beträchtliche Steigerung des Lebensstandards bedeuten würde. Auch wenn viele der Betroffenen insgesamt etwas mehr hätten als heute, würden durch Preiserhöhungen für Mieten und für Grundbedürfnisse des Alltags vermutlich ein beträchtlicher Teil des BGE aufgefressen. Wer gar nicht arbeiten ginge, wäre nach wie vor weitgehend vom teuren Sozialleben ausgeschlossen. In letzter Instanz wäre ein BGE also wohl vor allem auch eine massive Subvention für die Unternehmen. Ihre Lohnkosten könnten innerhalb kurzer Zeit stark gesenkt werden und es ist absehbar, dass sie dabei die Preise nicht senken würden, wie sie das zum Beispiel bei den Kursgewinnen auch nie taten. Die Einführung eines BGE würde den Unternehmen enorme, gesamtgesellschaftlich finanzierte, Extraprofite schenken.

Ein grosses Problem wäre auch die Frage, wer eigentlich ein BGE erhält. Jeder, nur Schweizer oder nur Menschen, welche seit einigen Jahren in der Schweiz leben? Realistischerweise wird meistens vorgeschlagen, dass man ein BGE erst nach 5 Jahren in der Schweiz erhalten sollte. Es leben aber mindestens 650‘000 Menschen in der Schweiz, welche dieses Kriterium nicht erfüllen. Für diese gäbe es keine Sozialhilfe – denn diese würde ja durch das BGE ersetzt, zusammen mit anderen Sozialversicherungen. Es ist aber genau diese Schicht, welche oft zu Tiefstlöhnen arbeitet und ein BGE am ehesten nötig hätte. Diese Menschen würden extrem prekarisiert, sie würden ja nicht von der quasi-Subvention der Löhne profitieren. Es lässt sich jetzt schon sagen, dass diese Schicht der Lohnabhängigen dann erst recht die unbeliebtesten und ausbeuterischsten Arbeiten verrichten müsste. Auch ist klar, dass viele von ihnen wohl kurz vor Erhalt des BGE aus dem Land verwiesen würden. Dies wäre scheinbar durchaus im Interesse des Rests der Lohnabhängigen. Die Spaltung der Schweizer Gesellschaft in Schweizer und Migranten würde erst recht zementiert.

Arbeit und Sozialismus

Auch sollten wir uns fragen, inwiefern aus sozialistischer Perspektive ein BGE wirklich erstrebenswert wäre. Wir als SozialistInnen teilen die postmodernistische Idee überhaupt nicht, dass uns die Arbeit ausgehe und viele gar nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt gebraucht würden. Dies ist in vielerlei Hinsicht grundsätzlich falsch und obendrein hochgradig zynisch. Falsch deshalb, weil sich diese Annahmen lediglich auf die reichen, westlichen Staaten beschränken, jedoch in den letzten Jahrzehnten ein grosser Teil der Produktion in andere Länder ausgelagert wurde. Zynisch, weil damit vorausgesetzt wird, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung auf dem heutigen, extrem tiefen Lebensstandard weiterleben sollte. Es braucht die Arbeitskraft jedes Menschen auf dieser Erde, um allen ein gutes Leben zu ermöglichen. Es braucht dazu aber auch fortschrittliche Technik, was heute oft nicht der Fall ist. Eines der grössten Verbrechen des Kapitalismus ist, dass ein grosser Teil der Weltbevölkerung dank total veralteter Technologie völlig ineffizient arbeitet, da es oft profitabler ist, Menschen mit vergleichsweise primitiven Werkzeugen zu Hungerlöhnen arbeiten zu lassen. Durch Arbeit auf der Höhe der technischen Möglichkeit liessen sich auch die meisten unangenehmen Arbeiten weitgehend verhindern.

Es ist nicht unser Ziel, eine grosse Mehrheit von der Arbeit zu befreien, ist Arbeit doch nichts anderes, als die Art und Weise wie wir unsere Lebensgrundlage schaffen, also nichts Verabscheuungswürdiges. Um aber unter guten Bedingungen arbeiten zu können, braucht es einerseits die Reichtümer, welche bei ein paar wenigen Privatpersonen liegen, anderseits die Reorganisation der gesamten Wirtschaft. Unser Ziel sollte es sein, die Wirtschaft bzw. die Arbeit demokratisch zu kontrollieren und zu planen und sie der profitgierigen Willkür der Besitzenden zu entreissen. Also die Ausbeutung mittels Lohnarbeit der grossen Mehrheit durch eine kleine Klasse von Privilegierten zu beenden.

Linke BGE-Modelle gehen die Probleme unserer Zeit völlig falsch an. Man möchte scheinbar eine soziale und gerechte Gesellschaft zu schaffen, ohne die herrschenden Machtverhältnisse und Besitz der Wirtschaft durch eine kleine, reiche Minderheit anzutasten. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Besitzenden eine fortschrittliche Umsetzung des BGE zulassen würden. Gerade im Kontext der aktuellen Krise ist dies ferner denn je. Es ist eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen der Klasse der Lohnabhängigen und derer Besitzenden, der Kapitalisten. Die Lohnabhängigen sollten ihre Stärke besser dafür nutzen, die Wirtschaft unter die demokratische Kontrolle der Mehrheit zu bringen. Damit wären gute Löhne, Arbeitsbedingungen und auch substanzielle Arbeitszeitverkürzungen realisierbar.

Zurück zur Frage der Initiative

Obwohl unsere Kritik an einem BGE grundsätzlicher Natur ist, müssen Konzepte dazu doch konkret angeschaut werden. Hier liegt das grosse Problem der kommenden Initiative. Im Initiativtext ist eigentlich alles offen. Es heisst lediglich: „Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.“ Die Interpretation davon ist völlig offen. Weder Höhe, noch Finanzierung, noch die Frage der anderen Sozialwerke ist geklärt. Das bürgerlich dominierte Parlament hätte also freie Hand, die Initiative nach ihrem Gutdünken umzusetzen. Dies bedeutete einen generellen Angriff auf alle anderen Sozialwerke und wohl eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Folgen wären weitgehend negativ für die Mehrheit der ArbeiterInnen. Es wäre deshalb ein Fehler, diese Initiative zu unterstützen. Die Argumentation mancher linker Befürworter, dass damit breiten Schichten eine Welt jenseits des Kapitalismus aufgezeigt würde, ist Unsinn. Die grosse Mehrheit der Lohnabhängigen wird sich, angewidert über die „Faulheit“ der Linken, von ihr abwenden. Und damit hätte sie nicht Unrecht, denn sie wissen, dass ihre Arbeit wertvoll ist.

Es ist kaum zu glauben, dass Teile der Linken sich einmal mehr in einen sinnlosen Kampf stürzen wollen, die von Anfang an verloren und propagandistischer Selbstmord ist. Wir sollten stattdessen für eine allgemeine Erwerbsversicherung, ein gutes Stipendienwesen und gute Renten kämpfen. Vor allem müssen wir aber wieder einen Fuss in die Betriebe kriegen und sozialistische Gedanken unter der Klasse der Lohnabhängigen verbreiten. Wenn wir das schaffen, dann sind wir nicht auf solche Pseudolösungen angewiesen, sondern können das Problem bei der Wurzel packen.