Die Schweizer Exportindustrie steckt wegen der Überproduktion und Frankenstärke in der Krise. Da kommt das seit 2011 in Verhandlung befindliche Freihandelsabkommen mit China gerade recht. Demokratische Rechte sind dabei nach wie vor kein Thema.
Das Freihandelsabkommen ist so gut wie unter Dach und Fach. Die Senkung oder gänzliche Abschaffung von Zöllen soll den beiden Ländern den gegenseitigen Marktzugang erleichtern. Damit bekommen Schweizer Unternehmen einen privilegierten Zugang zum gewaltigen Absatzmarkt in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt. Es ist das erste solche Abkommen zwischen einem kontinentaleuropäischen Land und dem „Reich der Mitte“. Nach diesem Abkommen haben sich die Wirtschaftsverbände die Finger geleckt und selbst die Gewerkschaften unter Vasco Pedrina zeigen sich zufrieden.
Die Sache mit den Menschenrechten
Laut SGB birgt das Abkommen für ArbeiterInnen in der Schweiz keine Gefahren. Der SGB geht sogar so weit, das Abkommen zu unterstützen, denn es biete Potential für den Erhalt und die Neuschaffung von Stellen in der Schweiz. Damit verfällt er in bürgerliche Standortlogik. Auch für die Schweizer Bauern hat die Bourgeoisie etwas herausgeschlagen: Die Zölle für Agrarimporte aus China bleiben bestehen.
Bei einem Freihandelsabkommen geht es natürlich um wirtschaftliche Interessen. Der chinesische Markt ist bereits heute der zweitwichtigste für die Maschinenindustrie und soll etwa für die Chemie und den Bankensektor zusätzlich an Bedeutung gewinnen.
Was die Gewerkschaftsspitze weglässt, wenn sie das Abkommen in den Himmel lobt, ist, dass nicht nur Schranken auf den Waren-, sondern auch auf den Kapitalverkehr fallen sollen. Unerwähnt bleibt, dass der europäische Markt über die Schweiz mit billigen chinesischen Gütern überschwemmt werden wird. Diese können nur durch massive Ausbeutung der ArbeiterInnen in China so billig verkauft werden. Verstärkt wird auch die Möglichkeit zur Auslagerung der Produktion oder immerhin Möglichkeit, dies zu drohen. Den Unternehmern wird wieder ein mächtiges Instrument in die Hände gelegt, um die Schweizer ArbeiterInnen politisch und wirtschaftlich zu erpressen. In China wie in der Schweiz soll nicht die Wirtschaft den Menschen, sondern die Menschen der Wirtschaft nutzen.
Die Schweizer Verhandlungsdelegation macht beim Abkommen mit China und dessen ‚Gangster-Kapitalismus‘ um der wirtschaftlichen Vorteile willen eifrig Kotau und knickt beinahe sämtliche Forderungen zum Schutz der Rechte der chinesischen ArbeiterInnen. Um die steht es nämlich schlecht im Reich der Mitte: Zwangs- und Kinderarbeit sind weit verbreitet. Zudem ist für die chinesischen ArbeiterInnen nur die Organisation in der staatlichen Gewerkschaft legal. Proteste und Demonstrationen werden gerne unter Zuhilfenahme von Gewalt aufgelöst, GewerkschafterInnen verhaftet und in Isolationshaft gesteckt.
Hochgelobt wird durch die Bürgerlichen das Zusatzabkommen, in dem sich China verpflichtet, die Grundnormen der Internationalen Arbeitsorganisation zu achten. Von diesen acht Normen anerkennt China allerdings nur vier. In der Präambel des Abkommens gibt es zudem einen Verweis auf die Charta der Vereinten Nationen und somit indirekt einen Hinweis auf die Menschenrechte. Vasco Pedrina meint dazu: “Mit dem Vertrag erhalten wir eine Grundlage, um China zur Einhaltung von Arbeitsrechten zu bewegen.“ Dass China die UNO-Menschenrechtscharta bereits 1948 verabschiedet hat, wird hier verschwiegen. So lassen sich in Sachen „Menschenrechte“ Resultate einer „entschlossenen Verhandlungsdelegation“ vorweisen.
Das Ganze klingt reichlich vage und ziemlich feige. Wenn das Parlament einen solchen Vertrag verabschiedet, so bedeutet das keineswegs, dass sich dadurch irgendwann wie von Zauberhand eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einstellt. Sonder nur, dass die Schweizer Kapitalisten Geschäfte mit einem Staat und dessen nationaler Bourgeoisie machen, die skrupellos im Interesse des Profits stehen. Hier zeigt sich deutlich die Skrupellosigkeit der Schweizer Politiker.
Entscheidung durchgemogelt
Der Bundesrat folgt der Argumentation der chinesischen Lobby in der Schweiz, die ganz nach dem Motto „Wandel durch Handel“ argumentiert. Und lässt sich damit den Bären aufbinden, dass wirtschaftlicher Wandel irgendwann automatisch zu politischen Reformen führen werde. Und zudem dürfe man China nicht mit schweizerischer Elle messen. Dem ganzen setzte Bundespräsident Ueli Maurer die Krone auf, als er bei seiner Chinareise betonte, man müsse einen Schlussstrich unter das Tiananmen-Massaker setzen. Nachdem sich der Bundesrat bereits für den Pipeline-Deal von Axpo beim aserbaidschanischen Diktator angebiedert hatte, war das ein neuerlicher Höhepunkt der kriminellen Energie der Landesregierung.
Mit diesem Freihandelsabkommen wird überdeutlich, dass die Schweizer Bevölkerung bei wirklich wichtigen Entscheidungen nichts zu melden hat. Wie bei der Rettung der UBS gibt es auch diesmal keine Möglichkeit, das Abkommen per Referendum zu kippen. Bundesrat, Aussenpolitische Kommission, sowie eine Mehrheit des Nationalrats lehnten die Möglichkeit zu einem fakultativen Referendum mit der Begründung ab, dass die notwendigen verfassungsmässigen Kriterien in diesem Fall nicht gegeben seien.
Wo die direktdemokratischen Mittel eine Bedrohung von Profitinteressen darstellen, ist die Entscheidung für die herrschende Klasse und ihre VertreterInnen im Parlament klar: eine Abstimmung muss verhindert werden.
„Sozialismus mit chinesischer Prägung“
Doch mit einer Kritik der fehlenden Menschenrechte in China ist es noch lange nicht getan. Solange dies nur in einer diplomatischen und moralistischen Art geschieht, während gleichzeitig dermassen grosse Profitinteressen im Spiel sind, handelt es sich sowieso nur um Politik der kleinen Zeichen. Menschenrechte bedeuten im Kapitalismus ohnehin nichts weiter als das Recht auf Ausbeutung. Das grosse Problem besteht weiterhin darin, dass China seit Jahrzehnten eine menschenverachtende politische und wirtschaftliche Linie fährt. Die Restauration des Kapitalismus hat alles, was an der chinesischen Revolution von 1949 fortschrittlich war, zunichte gemacht. Entstanden ist eines der weltweit härtesten Regimes in den Fabriken. Vom „Sozialismus mit chinesischer Prägung“ bleibt nichts weiter als hohle Phrasen. Treffender wäre wohl die Bezeichnung „Kapitalismus mit chinesischer Prägung“.
Die chinesische ArbeiterInnenklasse
Für uns ist klar, dass ein Freihandelsabkommen, welches einzig den Profitinteressen der Schweizer und der chinesischen Bourgeoisie dient, keine Impulse zur politischen Veränderung in China geben wird. Solche Impulse können einzig und allein von der chinesischen ArbeiterInnenklasse kommen. Auch diese hat sich im Laufe der wirtschaftlichen Reformen der letzten zwanzig Jahre zu einer sozialen Marktwirtschaft hin verändert. 1978 begann die Ära der Reformen mit der Auflösung der ländlichen Kollektive, der Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen und marktwirtschaftlicher Methoden in den staatseigenen Betrieben, die vor allem im kontinuierlichen Abbau der Sozialleistungen mündete. Dazu kam die Politik der Öffnung für ausländisches Kapital und Investitionen. Unter Deng Xiaoping wurde die Umorientierung auf eine sozialistische Marktwirtschaft beschlossen; die Wirtschaft wurde danach schrittweise auf Marktorientierung ausgerichtet. 2001 trat China der WTO bei.
Heute gibt es in China rund 260 Millionen WanderarbeiterInnen, die dem Ruf nach billigen Arbeitskräften für die Exportindustrie folgen und in die Städte strömen. Inzwischen machen Wanderarbeiter einen Grossteil der städtischen Arbeitskräfte aus. Diese sind nicht mehr Teil der ländlichen Gesellschaft, erhalten aber auch keine Wohnsitzrechte in der Stadt. Dadurch werden sie zu einer besonders prekarisierten Schicht der ArbeiterInnenklasse, die leicht ausgebeutet werden kann.
Diese Situation änderte sich geringfügig, als der Zentralstaat um 2003 zum Schutz der Rechte der WanderarbeiterInnen aufrief. Das geschah vor allem aus Angst der chinesischen herrschenden Klasse vor sozialen Unruhen. Doch die Situation der WanderarbeiterInnen verbesserte sich durch diese politische Linie nur geringfügig. Das Problem liegt bei der Umsetzung der staatlich garantierten Rechte auf Gleichbehandlung aller ArbeiterInnen: Für die Unternehmer ist es nicht schwierig, diese Regelungen zu den Rechten der beschäftigten ArbeiterInnen zu umgehen. Denn Kapitalismus und Staatsapparat sind dicht miteinander verwoben und bilden zusammen die herrschende Klasse. Lokale Beamte werden unter anderem nach der wirtschaftlichen Performanz in ihrem Verwaltungsgebiet beurteilt. Da nimmt man es um der Sicherung des eigenen Postens willen mit den Arbeitsbedingungen nicht so genau. Den ArbeiterInnen wird eine Einforderung ihrer Rechte auf juristischem Wege massiv erschwert. Viele Gerichtsprozesse werden verschleppt und es werden willkürlich hohe Gebühren erhoben. Zudem fürchten viele ArbeiterInnen Gewalt durch den Arbeitgeber oder Entlassung, wenn sie diesen verklagen.
Auf Klassenkampf bauen, hier wie dort!
Doch längst nicht alle ArbeiterInnen in China lassen sich vom Streikverbot, den drohenden Sanktionen durch Arbeitgeber oder Verhaftungen von gewerkschaftlich organisierten und aktiven Kollegen abschrecken. Der Schlüssel liegt in der Organisation ausserhalb der staatlichen Einheitsgewerkschaft. Der Selbstmord eines einzelnen Arbeiters kann von einem Unternehmen unter den Teppich gekehrt werden. Wenn sich aber über 1‘000 ArbeiterInnen im Foxconn-Werk in Chengdu spontan zusammenfinden und randalieren, sieht die Sache anders aus. Wie wir in Ägypten gesehen haben, liegt ein enormes Potential in den unabhängigen Gewerkschaften. Sie können das eigentliche Rückgrat revolutionärer Bewegungen bilden und sie machen aus ArbeiterInnen statt ausbeutbarer Ware eine selbstorganisierte, selbstbewusste Klasse.
Die unterdrückten Klassen Chinas bewegen sich deutlich. Der Staat veröffentlicht schon gar keine offiziellen Zahlen mehr zu Streiks; ausländische Investoren sollen ja nicht abgeschreckt werden und die ArbeiterInnen Chinas sollen in ihren Kämpfen untereinander isoliert bleiben. Fest steht jedoch, dass die Anzahl von Massenprotesten zwischen 1993 und 2005 jährlich um 20% (!) zugenommen hat. Die Nachrichtenagentur Xinhua geht bis zum Jahr 2008 von 280‘000 Streiks aus, etwa 80‘000 ‚Zwischenfällen‘ pro Jahr. In diesen Protesten sind Millionen von ChinesInnen engagiert. Drei Viertel der Proteste werden von Bauern/Bäuerinnen und ArbeiterInnen initiiert. Die Aufstände nehmen unter anderem die Form von Demonstrationen, Strassenblockaden und kollektiv eingeklagten Lohnforderungen an. 2010 streikten im Honda-Werk in Nanhai 2‘000 beschäftigte WanderarbeiterInnen und erwirkten eine Lohnerhöhung von 70%. In der südchinesischen Stadt Zengcheng, wo ein Drittel aller weltweit produzierten Jeans hergestellt werden, protestierten im gleichen Jahr zehntausende von WanderarbeiterInnen, setzten Regierungsgebäude in Brand und lehnten sich gegen den staatlichen Repressionsapparat auf. Es herrscht eine explosive Stimmung im Land mit der grössten ArbeiterInnenklasse der Welt.
Die heutigen (Wander-) ArbeiterInnen haben mehr Selbst- und Klassenbewusstsein als die vorherige Generationen. Und die Regierung weiss: Um ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten und um eine Revolution abzuwenden, muss sie auf die Forderungen der ArbeiterInnen eingehen und in allen Wirtschaftsbereichen verbindliche Regeln und Mindestlöhne festsetzen. Dies steht jedoch in diametralem Gegensatz zu den Profitinteressen der chinesischen Bourgeoisie und des Imperialismus. Die chinesische Zentralverwaltung findet sich in einem heiklen Spannungsfeld wieder.
Wir können uns nicht auf die bürgerliche Wirtschaftsdiplomatie als Vektor der sozialen Gleichheit verlassen, im Gegenteil. Sie organisiert nur die verstärkte Ausbeutung der ArbeiterInnen in der Schweiz und in China. Menschenrechte für Alle sind nur im Kampf für den Sozialismus möglich, im Kampf gegen den Menschen als Ware. Dass die chinesischen ArbeiterInnen sich wehren, haben sie im vergangenen Jahr tausendfach bewiesen. Tun wir es ihnen gleich.
Es ist davon auszugehen, dass auch der Ständerat das Freihandelabkommen ratifiziert und ein fakultatives Referendum ausschliesst. Dies gehört in aller Schärfe als weiterer Schritt in Richtung Aushöhlung der demokratischen Rechte in der Schweiz verurteilt.
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024
Nah-Ost — von Hamid Alizadeh, marxist.com — 08. 12. 2024
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024