Am 10. Februar stimmt Bern über ein verschärftes Polizeigesetz ab, auf der Kulisse sich zuspitzender Klassengegensätze. Es reicht nicht, einfach nur «Nein» zu Stimmen ohne zu verstehen, welche Bedeutung das Gesetz wirklich hat.

Der grosse Rat nahm am 27. März 2018 die Neuerung des Polizeigesetzes mit einer Mehrheit von 123 zu 23 Stimmen an. Dagegen wurde zu Recht ein Referendum ergriffen von verschiedenen linken Parteien wie der JUSO, der SP und der linken Alternative und vom Fahrenden Verein Schäft qwant.

Das Gesetz beinhaltet, dass bei «Gewaltausschreitungen» die Kosten für Polizeieinsätze auf die VeranstalterInnen oder auf Teilnehmende von Demonstrationen oder Kundgebungen abgewälzt werden können. Es reichen schon eine eingeschlagene Fensterscheibe oder ein Graffiti an einer Wand und es können den VeranstalterInnen Kosten von bis zu 30’000 CHF bzw. Einzelpersonen bis zu 10’000 CHF aufgehalst werden. Besonders hart getroffen von solch hohen Geldsummen würden Lohnabhängige und Jugendliche, welche dann jahrelang verschuldet wären. Welche Folgen dieser Abschreckungseffekt hat, lässt sich bereits in Luzern sehen: Seit eine ähnliche Regelung eingeführt wurde, finden sich für die dortige 1. Mai-Demonstration keine Veranstalter mehr.

Darüber hinaus versucht das neue Polizeigesetz, unter dem Deckmantel verbesserter Sicherheit, die Rechte der Kantonspolizei auszubauen. Einen Monat lang darf diese verdeckt ermitteln, ohne dass ein konkreter Verdacht vorzuliegen hat — und ohne Möglichkeiten, dabei kontrolliert zu werden. Nach Einschränkungen für diese Schnüffelei sucht man vergeblich. Obschon ein kantonales Gesetz, kann man seine Ursache aber nur im Zusammenhang mit der aktuellen Weltlage begreifen.

Welt aus dem Gleichgewicht
Es wird zunehmend klar, wer die Kosten der 2008 ausgebrochenen, globalen Wirtschaftskrise zu bezahlen hat. Die Krisenkosten wurden auch in der Schweiz entschieden der Arbeiterklasse aufgebürdet: Verlängerung der Arbeitszeit, wachsende Armut und Zunahme von Steuern und anderen Abgaben. Die Bürgerlichen hingegen profitieren von tieferen Steuern auf Unternehmensgewinne und Vermögen. Die Anhäufung von Kapital, «Wirtschaftswachstum», soll sichergestellt werden — durch frontale Angriffe auf die Lohnabhängigen auf der einen Seite und Entlastungen fürs Kapital auf der entgegengesetzten. So soll die kapitalistische Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht gezwängt werden.

Doch der Versuch, das ökonomische Gleichgewicht wiederherzustellen führt dazu, dass das politische und soziale Gleichgewicht aus den Fugen gerät: Er mündet in einer zunehmenden Radikalisierung der politischen Landschaft. Die Arbeiterklasse und Jugend sind die bürgerliche Krisenpolitik leid, und sie wehren sich dagegen: die Unternehmenssteuerreform und die Rentenreform 2020 — erstere ein grosszügiges Steuergeschenk ans Kapital, letztere ein Angriff auf die Renten und somit auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse — misslingen.

Der Unmut unter der Oberfläche nimmt zu. Doch wie und wann dieser zum Vorschein kommt, können wir nicht vorhersagen. Klar ist aber, welche Rolle der Staat dabei spielt: Er tendiert dazu, sich für kommende Kämpfe zu rüsten bzw. diesen entgegenzuwirken. Ein Mittel dazu ist auch das neue Polizeigesetz.

Der bürgerliche Staat als Instrument der Klassenherrschaft
«Sie [die öffentliche Gewalt] verstärkt sich … in dem Mass, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen». Engels erkannte gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Beziehung dieser beiden Elemente. Diese öffentliche Gewalt — in unserem Fall: die Berner Polizei — weist uns in diesem Punkt den Weg. Ihre Vorgehensweise ist schonungslos und stark repressiv. Sie gibt uns einen Vorgeschmack darauf, womit wir auch in anderen Städten rechnen müssen. Diesen Prozess beobachten wir auf der gesamten Welt, und das ist kein Zufall.

Der bürgerliche Staat ist, wie alle Staaten, ein Instrument der Klassenherrschaft. Als die Gesellschaft sich in Klassen spaltete — d.h. als Teile der Gesellschaft begannen, sich die Arbeit anderer anzueignen, diese also ausbeuteten — wurde eine über die Gesellschaft sich stellende Macht notwendig mit dem Ziel, die Klassengegensätze zu dämpfen. Das heisst, Die Klassenkämpfe in eine für die bestehende Herrschaft geeignete Form zu bringen, in der sie nicht «die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren» (Engels). Diese Macht ist der Staat. Er ist Produkt der Gesellschaft selbst, welches dazu dient, die Ausgebeuteten zu unterdrücken. Besonders in Zeiten der Zuspitzung des Klassenkampfes ist er — weil es unmöglich ist, die Interessen gegensätzlicher Klassen zu versöhnen — gezwungen, die Repression gegen die Unterdrückten und ihren Widerstand auszubauen. Das beweist uns aktuell auch das krasse Eingreifen des Staates in der «Gelbwesten»-Bewegung in Frankreich.

Auch die erweiterte Überwachung im Zuge des neuen Polizeigesetzes bedeutet mehr staatliche Repression. Der Staat versucht, das Gewaltmonopol weiter auszubauen durch Einschnitte in die Privatsphäre. Einen massiven Ausbau der Überwachung konnte der Staat bereits mit dem Nachrichtendienstgesetz durchsetzen. Dies trat im September 2017 in Kraft. Die Vergangenheit zeigt uns auch klar auf, gegen wen die gesteigerte Überwachung ausgenutzt wurde: gegen Linke und AusländerInnen. Es wäre naiv zu glauben, dass die erweiterten Möglichkeiten nur gegen Kriminelle genutzt würden. (Siehe «Ueli der Schnüffler».)

«… die Sache an der Wurzel fassen»
In den Köpfen vieler ist der Staat weiterhin ein neutrales Organ, das die Interessen der beiden Klassen, der Lohnabhängigen und der KapitalistInnen, versöhnen könne. Doch das blinde Vertrauen in den Staat beginnt zunehmends zu bröckeln.

Es wird immer offenkundiger, dass der Staat die Interessen des Bürgertums aggressiver durchboxen muss. Wir müssen begreifen, dass er niemals die Interessen der gesamten Gesellschaft vertritt. Genauso unfähig ist er, die Klassen miteinander zu versöhnen. Wollen wir die vermehrte Repression des bürgerlichen Staats bekämpfen, damit auch das Berner Polizeigesetz, dann müssen wir «die Sache an der Wurzel fassen» (Marx): dem Kapitalismus, dessen Produkt in der Epoche der Krise auch das Polizeigesetz ist. Der Kampf gegen das Polizeigesetz muss eingebunden werden in den revolutionären Kampf gegen das gesamte kapitalistische System: für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates, für den Sozialismus.

Manuela M.
Marxistischer Verein Unibe

Bild: flickr.com, Anarchistische Gruppe Freiburg.