Die Schweiz ist endgültig angekommen im Chaos und der Verwüstung des sterbenden Kapitalismus. Dieses bankrotte System taumelt nur noch von einer Krise zur nächsten.
Die Arbeiterklasse ringt mit höheren Rechnungen und steigenden Preise – und muss zuschauen, wie die Regierung mal schnell 259 Milliarden Franken aufs Spiel setzt, um den Kapitalismus vor seinen eigenen Folgen zu retten. Gleichzeitig werden Spitalschliessungen und die nächsten Angriffe des Bundesrats auf die AHV angekündigt.
Wut und Ablehnung waren in der Bevölkerung die dominanten Reaktionen auf die CS-Rettung. Die Hälfte findet den Bundesrat unglaubwürdig, 83 % haben Angst vor Arbeitsplatzverlust im grossen Stil. Die bürgerliche Propaganda vom «Sonderfall Schweiz», der «ewigen Schweizer Stabilität» und dass es «in der Schweiz allen gut geht», entspricht immer weniger der Realität der Arbeiterklasse.
Der Kollaps der Credit Suisse und die Bankenrettung sind offen sichtbare Symptome des relativen Niedergangs des Schweizer Imperialismus. Die Schweiz ist je länger je mehr einfach ein weiteres Land wie alle anderen: tief getroffen von der Krise des Weltkapitalismus. Die Inflation ist der grösste flächendeckende Angriff auf unsere Lebensbedingungen seit Jahrzehnten.
Doch ähnliche Bedingungen führen zu ähnlichen Resultaten. Die Streiks und Massenbewegungen in Frankreich, Grossbritannien oder Deutschland geben uns eine Vorschau darauf, was auch in der Schweiz unausweichlich ansteht: eine Periode der sozialen Explosionen.
Die bürgerlichen Verteidiger des Kapitalismus verzerren bewusst die Wahrheit. Sie behaupten, die Inflation sei in der Schweiz nicht so schlimm, weil sie im umliegenden Ausland viel höher sei. Aber die offiziellen rund 3 % entsprechen für die Arbeiterklasse nicht der Realität.
Im Supermarkt sind die Produkte unseres täglichen Bedarfs bis zu 20 % teurer geworden. Die Energiepreise sind 2022 im Schnitt um 27 % gestiegen. Das sind für einen Durchschnittshaushalt 260 Franken Mehrausgaben pro Jahr. Dazu kommt die Erhöhung der ohnehin schon absurd hohen Krankenkassenprämien um 6.6 %. Die Mietzinsen werden dieses Jahr um bis zu 4.3 % ansteigen. Die ÖV-Preise in der 2. Klasse wollen sie um 4.8 % anheben. Dazu die Angriffe auf die Renten und ab nächstem Jahr die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Der Anstieg der Lebenskosten ist ein Wendepunkt in den objektiven, materiellen Bedingungen der Arbeiterklasse in der Schweiz. Die Löhne in der Schweiz haben 2022 durch die Inflation so stark an Kaufkraft verloren wie seit dem Zweiten Weltkrieg (1942) nicht mehr.
Das trifft auf eine Situation, in der die Lebensbedingungen grosser Teile der Schweizer Arbeiterklasse bereits hart angeschlagen waren. «Früher haben 4600 Franken gereicht, um irgendwie über die Runden zu kommen. Heute nicht mehr. Wer mit 4600 Franken eine Familie mit zwei Kindern durchbringen muss, lebt auf dem Niveau der Sozialhilfe», erklärt ein Schuldenberater im Tagesanzeiger.
Die herrschende Klasse wälzt seit Jahrzehnten die Krise ihres Systems auf die Lohnabhängigen ab. Die schleichenden und zerstückelten Angriffe haben das finanzielle Polster breiter Schichten abgetragen. Das frei verfügbare Einkommen für einen durchschnittlichen Arbeiterhaushalt ist in den letzten 43 Jahren kontinuierlich gesunken: Die Löhne haben seither quasi stagniert, während die Fixkosten (Mieten, Strom, Steuern, Gebühren, Krankenkasse, Mobilität etc.) und Ausgaben für Nahrung stetig gestiegen sind. Sparmassnahmen und Privatisierungen haben ganze Sektoren wie das Gesundheitswesen kaputt gemacht. Stress und Intensität haben stark zugenommen, Burnouts sind mittlerweile eine «Volkskrankheit».
Jetzt noch der Schlag der Preisanstiege oben drauf, das macht die Situation unhaltbar. Caritas-Läden verzeichneten letztes Jahr 33% mehr Verkäufe und einen Rekordumsatz. Gleichzeitig hat sich das Vermögen der Schweizer Milliardäre seit Beginn der Pandemie um 52% erhöht. Die vier reichsten Schweizer haben mehr Vermögen als die ärmeren 40 % der Bevölkerung! Das schafft eine explosive soziale Situation.
Diese Situation ist das Resultat der tiefen Krise des gesamten kapitalistischen Systems. Jedes Gesellschaftssystem in der Geschichte hatte seinen Aufstieg und seinen Niedergang. Der Kapitalismus war einst fortschrittlich und trieb die Menschheit vorwärts. Heute gibt es innerhalb dieses Systems schlicht keinen Weg vorwärts mehr.
Marx erklärte, dass die Kapitalisten ihre Krisen niemals lösen können, denn diese haben ihre Ursache in den Grundmechanismen des Systems selbst: der Produktion für Profit auf der Basis des Privateigentums der Unternehmen. Sie können sie nur verschieben – um den Preis, dass die Krise später umso breiter und tiefer zurückschlägt.
So versuchen die Kapitalisten und ihre Regierungen seit den 1970er-Jahren die organische Krise ihres Systems zu überbrücken und hinauszuschieben. Die Ausdehnung der Märkte durch die Globalisierung und Verschuldung gab dem Kapitalismus für eine ganze Phase nochmals einen Schub. In der Weltwirtschaftskrise 2008 flogen ihnen die Konsequenzen davon um die Ohren. Regierungen und Zentralbanken haben seither die Märkte mit billigem Geld überflutet, um einen härteren wirtschaftlichen Einbruch und soziale Explosionen abzudämpfen. Gelöst haben sie damit kein einziges Problem, im Gegenteil: sie haben nur ihre jetzige Sackgasse vorbereitet.
Heute haben sie die Rechnung: Inflation und fehlendes Wirtschaftswachstum – das Monster der «Stagflation» aus den 1970ern ist zurück, aber auf einem unendlich viel höheren Niveau. Die heutige Inflation kommt vor dem Hintergrund einer rückläufigen Globalisierung, zunehmendem Protektionismus und Handelskriegen, sowie einer rekordhohen Verschuldung von Staaten, Haushalten und Unternehmen, die auch den Finanzsektor zu einem einzigen gigantischen Pulverfass macht. Die aktuelle Situation vereint die jeweiligen Hauptmerkmale von jeder einzelnen der grössten kapitalistischen Krisen der Vergangenheit.
Damit stehen die Kapitalisten in einer Zwickmühle, aus der es für sie keinen guten Ausweg gibt. Um die Inflation zu senken, haben sie kein anderes Mittel, als die Leitzinse zu erhöhen, um dem Markt Liquidität zu entziehen. Doch das führt zwangsläufig zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Produktion. Nach Jahren der Niedrigzinsen sind die Märkte und Staaten regelrecht süchtig nach billigem Geld. Der kalte Drogenentzug durch Zinserhöhungen bringt riesige Qualen und Gefahren von Firmenschliessungen, Finanzcrashes und Staatsschuldenkrisen mit sich.
Doch sie haben schlicht keine Wahl. Es ist entweder Inflation ausser Kontrolle oder eine Rezession mit unkontrollierbaren Risiken im Finanzsektor. In ihrer Panik, das eine oder andere zu verhindern, zögern und schwanken sie – und bekommen am Ende beides.
In beiden Fällen sind es die Arbeiter, die für die Krise ihres Systems zahlen sollen: entweder mit dem allgemeinen Verlust der Kaufkraft oder mit dem Verlust des Jobs auf Massenebene. In beiden Fällen ist eine massive Reaktion der Arbeiterklasse unausweichlich.
Steigende Preise treiben die Arbeiterklasse bereits jetzt überall in den Kampf. In den entwickeltsten kapitalistischen Ländern sehen wir den grössten Aufschwung an Streiks seit Jahrzehnten. Das ist die Perspektive, in der Schweiz wie international. Eine Rückkehr zu früherer ökonomischer, politischer und sozialer Stabilität ist ausgeschlossen: Die Kapitalisten haben keine andere Lösung als ihre Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Doch damit drängen sie selbst genau jene kolossale gesellschaftliche Kraft in den Kampf, welche die Macht und das Interesse hat, ihrer kapitalistischen Herrschaft ein Ende zu setzen.
Die Aufgaben der Arbeiterklasse ergeben sich heute direkt aus der Situation des Kapitalismus. Wir brauchen massive Investitionen in gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen und Infrastruktur wie Gesundheit, Bildung, Verkehr, Kindererziehung, soziale Sicherheit und den ökologischen Umbau der gesamten Wirtschaft. Wir brauchen Lohnerhöhungen und eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation.
Es ist offensichtlich, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung diese Massnahmen braucht. Der gesellschaftliche Reichtum dafür ist längst vorhanden. Doch in diesem System ist es die kleine Minderheit der Kapitalisten, die entscheidet. Und ihr Profitinteresse steht im diametralen Gegensatz zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen. Es ist entweder sie oder wir, einen Mittelweg gibt es nicht. Unseren Lebensstandard zu verteidigen setzt heute voraus, mit dem Kapital zu brechen: Wir müssen für eine Regierung der Arbeiterklasse kämpfen, die das Privateigentum der Kapitalisten beendet.
Die entschädigungslose Enteignung der Banken und Grosskonzerne ist der einzige Weg, um diese lebenswichtigen Ausgaben zu finanzieren. Nur das wird es ermöglichen, die riesigen gesellschaftlichen Ressourcen unter die demokratische Kontrolle der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung zu bringen. Das ist der Zweck der sozialistischen Revolution.
Das ist nicht nur objektiv notwendig, weil es der einzige Ausweg aus der Sackgasse des Kapitalismus ist. Es ist auch möglich, ja, es ist implizit in der gesamten Situation! Die Arbeiterklasse war niemals grösser, sie hatte ihre Hände noch nie an einem gewaltigeren Hebel der gesellschaftlichen Produktion. Und sie tritt in einem Land nach dem anderen in den Kampf zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen und ihrer Zukunft. Nicht weil wir Marxisten das sagen, nein, weil der Kapitalismus ihr zunehmend keine andere Wahl mehr lässt!
Wir stehen am Beginn einer Periode, die zahlreiche Revolutionen und revolutionäre Situationen hervorbringen wird. Alle Bedingungen für die proletarische Revolution sind entweder schon da oder reifen in schnellem Tempo heran – ausser einer: der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Die Führungen der heutigen Massenorganisationen der Arbeiterklasse, die SP und die Gewerkschaften, haben ihren Kopf tief im bürgerlichen System. Sie haben der Arbeiterklasse und der Jugend keinen Ausweg aus dem Niedergang in die kapitalistischen Barbarei zu bieten. Es ist an uns, heute den Kern der revolutionären Organisation aufzubauen, die in den kommenden Kämpfen zu einer Massenkraft werden kann.
Wir leben in einer entscheidenden Phase in der Weltgeschichte. Die Sackgasse des Kapitalismus stellt die Menschheit vor die Wahl. Entweder bleiben die Kapitalisten an der Macht und ziehen mit sich die gesamte Menschheit in den Abgrund der Barbarei, möglicherweise gar in die Zerstörung der menschlichen Spezies. Oder die Arbeiterklasse wird zu unseren Lebzeiten die Macht ergreifen und die Wirtschaft auf die sozialistische Grundlage stellen. Es gibt keine dritte Option.
Es ist das Privileg unserer Generation, mit Tausenden von Jahren der Klassengesellschaft zu brechen und die Tür aufzustossen für eine Blüte der menschlichen Kultur auf einer nie gekannten Höhe. Die Ideen des Marxismus ermöglichen uns, die Bedeutung dieser Zeit zu begreifen und zu verstehen, welche Rolle wir in dieser historischen Aufgabe spielen können. Du solltest dich diesem Kampf anschliessen: Für den Sozialismus zu unseren Lebzeiten!
Die Redaktion, der Funke
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