Der Krieg: Zermalmer des Menschen und Mutter der Revolutionen

Im August bejubelte die bürgerliche Presse die Nachricht von einer ukrainischen Militäroffensive in Russland. Die Kriegstreiber und Waffenhändler ergötzen sich, die Toten schweigen. 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, schrieb Henri Barbusse in Das Feuer: «Während dieses Krieges werden die wenigsten unter den Intellektuellen, den Künstlern oder den Reichen ihr Gesicht an eine Schiessscharte vorgewagt haben.» Er hatte gerade ein Jahr an der Front verbracht und berichtet in diesem Buch über das Leben der Soldaten in den Schützengräben.

«Gewiss, man ist grundverschieden von einander. Und doch sieht man einander so ähnlich.»

Barbusse beschreibt geduldig jeden seiner Gefährten: «Unser Alter? Alle möglichen Alter haben wir. Unsre Rassen? Alles mögliche ist bei uns vertreten und aus allen Gegenden sind wir zusammengelaufen. […] Unsere Berufe? Auch so ziemlich alles durcheinander. In früheren Zeiten, als man sich noch einer sozialen Stellung erfreute und man seine Zukunft in diese verregneten und beschossenen Maulwurfslöcher, die man immer wieder neu aufscharren muss, noch nicht vergraben hatte, damals waren wohl die meisten von uns Ackersleute und Arbeiter.»

Ihr Alltag bestand aus endlosem Warten, Läusen, Schmutz und Enge. «Gegen den Regen, der von oben kommt, gegen den Dreck, der von unten kommt und gegen die Kälte, die wie eine Unendlichkeit überall fliesst.» Die Feuchtigkeit, «in der rostet der Mensch ein wie’s Gewehr, langsamer zwar, aber gründlicher». Der Kanonendonner, «dieses wütende, flammende Gewitter hat nie, nie ein Ende». Die Nacht, die man «zusammengekauert, mit angespannter Aufmerksamkeit und schwarz wie ein Schatten im Schlunde des Horchloches» verbringt. Der Geruch von frischem Blut, «schnürt uns das Herz zusammen», die zerschmetterten Oberkörper, die von den Splittern zerhackten Beine, die ineinander verdrehten und in Todesqualen versteinerten Leichen: «unförmige, beschmutzte Larven», auf denen grünes Moos wächst.

Die Spaltung «zwischen denjenigen, die den Gewinn haben und den andern, die sich abarbeiten»!

In dieser Hölle versuchen die Männer zu überleben, «sie lassen sich führen und geben sich her, das zu tun, was ihnen befohlen wird, ohne merklichen Widerstand, und sind fähig, lange zu leiden.» Ein Urlaub hinter der Front lässt ihren Zorn auf «die Halunken», die «den ganzen Tag, hinter der Front» sind, herausbrechen. «Es hat nicht nur ein Land, es ist nicht wahr; es hat zwei», es gibt diejenigen, «die den Gewinn haben», und diejenigen, «die sich abarbeiten», so ihr Fazit.

Im Laufe der Erzählung werden die Gefährten von Barbusse einer nach dem anderen vom Tod verschlungen. Die verwesenden Leichen von drei von ihnen werden in einer Ecke des Schützengrabens gestapelt, da es nicht möglich ist, sie zu begraben oder abzutransportieren. «Wenn man den Tod eines Menschen erfährt oder sieht, an dessen Seite man gekämpft und mit welchem man ein gemeinsames Leben geführt hat, empfindet man zuerst einen heftigen Stoss ins eigne Fleisch, bevor man sein Verschwinden begreift», schreibt er.

Sie halten durch, aber der Krieg, wie die Geschosse, die in die Erde hämmern, reisst Schlag um Schlag einen Graben in ihren Kopf, in dem ein neues Bewusstsein wachsen kann.

«Das Werk der Zukunft wird darin bestehn, unsre Gegenwart auszuwischen.»

Nach einer Nacht der Zerstörung in klebrigem Schlamm, unter Bombenangriffen und tosendem Regen bricht endlich ein unheimlicher Morgen an. Die Schützengräben, die in der Nacht zugeschüttet wurden, sind verschwunden. Barbusse und seine Leidensgenossen befinden sich in einer weiten sumpfigen Ebene, sie sind «von Kot und Wasser triefend und sie haben die gleiche Farbe, wie die Erde, zu der sie gehören». «Aus dieser furchtbaren Nacht tauchen hin und wieder einige Übriggebliebene auf; sie tragen die gleiche Uniform des Elendes und des Schmutzes. Alles hat jetzt ein Ende. Es ist die Stunde der ungeheuren Rast, die epische Pause des Krieges.»

In diesem Waffenstillstand diskutieren die Überlebenden: «Keinen Krieg mehr, keinen Krieg mehr!», rufen sie in Echos aus. Sie suchen nach einem Ausweg: «Sie wollten wissen und über die Gegenwart hinausblicken. Sie bebten und versuchten, aus sich selbst eine leuchtende Weisheit und einen Willen zu erzeugen.» Die Diskussion entfesselt ihr Bewusstsein rasend schnell, denn der Krieg hat die soziale Realität enthüllt: «Es geschieht nur im Interesse einiger Führer, die man an den Fingern abzählen kann; dass sich ganze Völker herdenweise zur Schlachtbank führen lassen», sagt einer. Das Gespräch bringt Klassenlinien zum Vorschein: «Und den sehenden Augen wird es klar werden, dass die Trennung, die zwischen den Menschen besteht, nicht diejenige ist, die man annimmt, und dass jene, an die man bisher glaubte, gar nicht besteht», sagt ein anderer.

Als Patrioten eingezogen, als Revolutionäre ausgetreten

Diese Soldaten sind als Patrioten in den Krieg gezogen, und er hat sie im Schlamm neu geformt, hat sie zu Revolutionären gemacht. In diesem Moment sind sie wie Samen, die für eine zukünftige Ernte auf das Feld geworfen werden, aber es sind tatsächlich sie, die den Krieg beenden werden: zuerst in Russland 1917 und dann in Deutschland 1918. Diese im Feuer geformten neuen Menschen sollten die Reihen der jungen kommunistischen Parteien der Nachkriegszeit vergrössern.

Hundert Jahre später, erneut im Angesicht des Schreckens des Krieges und der scheusslichen Lügen der Imperialisten, die ihn zu rechtfertigen versuchen, müssen wir unseren Blick nach vorn richten und uns auf die Revolutionen vorbereiten, die er unweigerlich in Gang setzen wird.