Städte, die im Smog versinken; Regenwald, der abgeholzt wird; Erhöhung der Temperatur durch den massiven Ausstoss von Treibhausgasen… Heute besteht die reale Möglichkeit, dass der Planet dermassen verschmutzt wird, dass die Bedingungen für menschliches Leben untergraben werden. Immer mehr Menschen sind sich dessen bewusst und reagieren darauf. Im ethischen Konsum glauben sie eine Lösung gefunden zu haben.
Ethischer Konsum ist Konsum von Produkten, die sowohl umweltschonend und ressourcensparend als auch sozialverträglich produziert wurden — bspw. Fairtrade- oder Bioprodukte. Wer sich in einem Supermarkt umsieht, dem erscheint es als ein Leichtes, ethisch zu konsumieren. Der Markt für Produkte, die «nachhaltig» oder «fair» produziert werden, steigt kontinuierlich an. Der Umsatz von Bioprodukten hat sich in der Schweiz von 2007 bis 2017 von 1.3 auf 2.7 Mia. Franken verdoppelt (Bundesamt für Landwirtschaft); derjenige von Fairtrade-Produkten stieg im selben Zeitraum von 257 auf 700 Mio. Franken (Max Havelaar). Doch bedeuten diese ständig steigenden Umsatzzahlen, dass die Art und Weise, wie produziert wird – die Produktionsweise, welche ja erst Produkte hervorbringt — «grüner» und «fairer» wird?
Es existieren unzählige Beispiele, bei welchen aufgedeckt wird, dass sie nur zum Schein «ethisch» produziert wurden. Bei Fairtrade-Bananen aus der Dominikanischen Republik beispielsweise bekommt die Produzentin zwar einen «fairen» Preis für ihr Produkt, die illegalen MigrantInnen aus Haiti jedoch, die zum Anbau angestellt worden sind, werden mit Hungerlöhnen abgespiesen. Oder das MSC-Label, welches nachhaltigen Fischfang garantieren soll, steht in der Kritik, da immer grösseren Fischfangkonzernen ihr Label verleihen wird. Der WWF empfiehlt MSC als unbedenklich, während Greenpeace es als «absolut nicht vertrauenswürdig» (beobachter.ch) kritisiert. Die Autorin Kathrin Hartmann deckt in ihrem Buch «Die Grüne Lüge» haufenweise solcher «Einzelfälle» auf. Sowohl ökologisch-soziale Parteien als auch viele NGOs beschränken sich in ihrer Kritik am «ethischen» Konsum auf solche Einzelfälle — angesichts des blossen Aussmasses dieser «Einzelfälle» eine sehr oberflächliche Kritik. Die Kritik muss an der kapitalistischen Produktionsweise selbst ansetzen: die «Einzelfälle» sind blosser Ausdruck der systemischen Unfähigkeit des Kapitalismus, nach ethischen Gesichtspunkten zu produzieren.
Alles, was wir heute kaufen, wurde kapitalistisch produziert. KapitalistInnen produzieren nicht, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Profite zu generieren. Diese Produktion um des Profits willen ist, wie Marx gesagt hat, «masslos» und «schrankenlos». Sinn und Zweck der kapitalistischen Produktion ist schlicht, permanent aus Geld mehr Geld zu machen. Sie hat keinen Zweck ausserhalb dieser «Verwertung von Wert» (Marx), an dem sie sich misst: So ist sie «masslos». Und sie hat auch keine qualitativen Schranken: Kapitalistisch produzieren heisst, permanent, also immer wieder von Neuem, Wert zu verwerten. «Wachstum» ist alles.
Grund dafür ist aber nicht primär die «Gier» der KapitalistInnen. Diese sind gezwungen, den erzielten Profit zu reinvestieren, um mit ihren KonkurrentInnen mitzuhalten. Dabei können sie nicht einfach auf einen Teil des Profites verzichten, indem sie beispielsweise höhere («faire») Löhne zahlen oder höhere Kosten in Kauf nehmen, um umweltschonender zu produzieren.
Ein Beispiel: Im Gegensatz zu nicht erneuerbaren Energiequellen produzieren Windräder und Solarzellen, sobald sie aufgestellt sind, praktisch gratis Strom. Der Grund hierfür ist, dass zwar für ihre Produktion menschliche Arbeit aufgewandt werden muss; für ihren Betrieb jedoch fast keine mehr. Folglich fallen die Strompreise und damit die Profite. Wert kann dabei nicht schrankenlos verwertet werden und Investitionen in diese grüne Technologie fallen aus. Es zeigt sich: Ob eine Investition für den Kapitalisten sinnvoll ist oder nicht, misst sich nicht an Faktoren wie Nachhaltigkeit. Dieses Mass kennt das Kapital nicht. Es gäbe dutzende bekannte Technologien, die – konsequent angewendet – innerhalb relativ kurzer Zeit sämtliche Umweltprobleme lösen könnten. Doch KapitalistInnen investieren nur dann in nachhaltige Technologie, wenn sie damit die Produktionskosten pro Stück senken und Profit generieren können.
Selbst wenn gewisse grüne Technologie nun tatsächlich einen Konkurrenzvorteil durch Kosteneinsparungen und für die KapitalistInnen akzeptable Profite mit sich bringt (z.B. neue Herstellungsprozesse, bei welchen weniger Material für ein gleichwertiges Produkt gebraucht werden), heisst das im Kapitalismus aber immer noch nicht unbedingt, dass wirklich umweltschonender produziert wird. Denn der Kapitalismus ist schrankenlos: die eingesparten Kosten werden wiederum in neue Produktionsanlagen investiert und die Produktion wird weiter ausgedehnt. Der zunächst positive Effekt der Einsparung von Energie oder Ressourcen kann somit durch die Ausweitung der Produktion zunichte gemacht werden. Denn die Ausweitung der Produktion führt nun wieder zu mehr Emissionen und/oder zu einem höheren Ressourcenverbrauch.
In der geplanten Obsoleszenz, einem weiteren typisch kapitalistischen Phänomen, zeigt sich wiederum die Schrankenlosigkeit des Kapitalismus. Um den Absatz sicherzustellen, werden Produkte so produziert, dass sie möglichst bald ersetzt werden müssen. Weitherum bekannte Beispiele hierfür sind Strumpfhosen, Drucker und Glühbirnen. Produkte, die «ewig» halten würden und somit viel nachhaltiger wären, sind fürs Kapital ein Problem: Wären die Bedürfnisse nach bspw. Glühbirnen befriedigt, weil sie nicht dauernd kaputt gingen, so würde dem Kapital die Nachfrage nach Waren fehlen, um sich fortlaufend anzuhäufen. Das wäre eine Schranke, die dem Kapital gesetzt würde, die es nicht akzeptieren kann. Die geplante Obsoleszenz stellt Bedingungen für die schrankenlose Anhäufung von Kapital sozusagen künstlich wieder her — ganz offensichtlich auf Kosten möglicher nachhaltiger Produktion.
Eine weitere Strategie, die denselben Effekt wie die geplante Obsoleszenz hat, ist, den Leuten durch omnipräsente Werbung und Showauftritte vorzugaukeln, ein Produkt sei veraltet: Obwohl das iPhone noch einwandfrei funktioniert, wird versucht, das Gefühl zu erzeugen, es sei notwendig, ein neues zu kaufen.
Schön und gut, die kapitalistische Produktionsweise ist nicht nachhaltig — aber können wir nicht die Produktion verändern, indem wir als KonsumentInnen ethisch konsumieren? An diesem Punkt drängt sich die Frage auf, wie Produktion und Konsumtion zueinander im Verhältnis stehen. Kapitalistisch produzieren setzt voraus, dass die Arbeitenden lohnabhängig sind. Es scheint, dass wir nach freiem Gutdünken wählen können, was wir mit diesem Lohn kaufen. Doch der Lohn repräsentiert im Durchschnitt nur den Wert, der notwendig ist, um die arbeitenden Individuen bzw. die Arbeiterklasse zu erhalten und zu erneuern. Das raubt dem Grossteil der Arbeiterklasse die Möglichkeit, sich mit «fairen» und «nachhaltigen» Produkten einzudecken, weil solche Produkte zwangsläufig teurer sind. Kapitalistische Produktionsverhältnisse setzen also dem, wieviel wir konsumieren können, harte Schranken — abgesehen davon, dass nur auf dem Markt auftaucht, was Kapital vermehrt.
Hinzu kommt, dass die «fairen» Produkte, meist Lebensmittel, lediglich einen kleinen Teil aller Waren ausmachen. Die Nahrungsmittelproduktion macht in der Schweiz lediglich 2% des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus (Branchenstudie Food 2016). Wie bspw. ein Haus gebaut wird, kann der oder die Lohnabhängige nicht entscheiden – die Baubrache macht schon 6% des BIP aus (BFS). Auch die Produktion von Maschinen kann schlicht und einfach nicht durch ethischen Konsum beeinflusst werden. Daraus kann nur gefolgert werden, dass sich die Produktionsweise nicht über den Konsum verändern lässt.
Die kapitalistische Produktionsweise bestimmt aber nicht nur die Konsumtion über weite Strecken, sondern sie bringt auch hervor, wie wir die Gesellschaft wahrnehmen. Diese Wahrnehmung ist durch die Entfremdung geprägt: Einerseits erscheinen uns die gesellschaftlichen Verhältnisse als fixfertig und unabhängig von uns; andererseits erscheinen wir uns selber als un-gesellschaftliche, vereinzelte Individuen. Die Welt erscheint uns als scharf gespalten in «Ich» und «die Gesellschaft». Diese macht den Anschein — weil als unabhängig von uns wahrgenommen — als wäre sie unveränderbar. Doch in Wahrheit stehen wir mitten drin in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen: «die Gesellschaft» bringen wir selbst tagtäglich hervor.
Die Gründe dieser Entfremdung liegen in den Widersprüchen des Kapitalismus. Einerseits treten die Arbeitenden nicht direkt und bewusst miteinander in Kontakt, sondern vermittelt durch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Andererseits arbeitet die Arbeiterklasse nicht, indem sie bewusst und kollektiv über «ihre» Produktion und die Verteilung entscheiden kann. Vielmehr müssen die einzelnen Arbeiter für einen Lohn arbeiten, der wiederum erst die individuelle Bedürfnisbefriedigung ermöglicht.
Der ethische Konsum widerspiegelt diesen entfremdeten Standpunkt: Die zentralen gesellschaftlichen Verhältnisse werden nicht angetastet; es wird ausschliesslich beim individuellen Konsum angesetzt. Diese Praxis zementiert die gefühlte Ohnmacht gegenüber der Gesellschaft: Diese kann ich eh nicht verändert, also verändere ich mich. Der ethische Konsum drückt aber nicht nur die Entfremdung aus. Er scheint sie auch im gleichen Atemzug aufzuheben. Er löst das Gefühl, nichts verändern zu können, zum Teil auf: es scheint, als ob ich, wenn ich nur «richtig» konsumiere, durchaus etwas verändern kann. Indem er uns vorgaukelt, real etwas zu verändern, kann er uns daran hindern, die wirkliche Veränderung der Gesellschaft anzugehen.
Ethischer Konsum hat so sogar einen tendenziell klassenspalterischen Charakter. Wer sich nicht durch und durch mit Nachhaltigkeits-Label-Produkten versorgt, wird — zumindest in den Kreisen, die sich links-grün geben — teilweise angefeindet. Doch der einzelne Konsument, die einzelne Konsumentin kann nicht für die gesellschaftlich organisierte, im Besitz des KapitalistInnen stehende Produktionsweise verantwortlich gemacht werden, welche die Kinder in Bangladesch dafür schuften lässt, damit die hiesigen Bekleidungsgeschäfte ihre Waren ultra günstig verticken können. Die Verantwortung hierfür trägt einzig und alleine diejenige Klasse, welche die Produktionsmittel besitzt.
Wer die Erde retten will, muss die Produktionsweise angreifen, denn diese bestimmt, was und wie konsumiert wird. Der ethische Konsum im Kapitalismus ist ein Etikettenschwindel: Er ist kein Weg und kein Mittel, um die Verwüstungen der Erde abzuwenden.
(C) Foto: Junge Alternative Zug
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