Wir durchleben momentan einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte. In solchen Zeiten ist es selbstverständlich, nach Bezugspunkten oder historischen Parallelen zu suchen. Aber nichts scheint wirklich zu dem zu passen, was wir gerade erleben.

Die Bank of England sagt voraus, dass dies die tiefste Krise seit 300 Jahren sein wird, aber selbst diese Bezeichnung scheint nicht ausreichend. In Wirklichkeit ist die aktuelle Situation unvergleichbar.Um etwas auch nur annähernd Vergleichbares zu finden, müssten wir bis zum Schwarzen Tod im vierzehnten Jahrhundert zurückgehen, der zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung Europas auslöschte.

Die Menschen dachten damals, dass dies das Ende der Welt sei. Während es in Wirklichkeit nicht das Ende der Welt war, das sich näherte, sondern der Untergang eines bestimmten sozioökonomischen Systems, das Feudalismus genannt wird. Es markierte den Aufstieg einer neuen revolutionären Klasse, der aufkommenden Bourgeoisie, und den Beginn der bürgerlichen Revolution in Holland und England. Zwar hat die aktuelle Pandemie noch nicht derart dramatische Ausmasse erreicht. Aber am Ende wird sie sich als noch verheerender erweisen.

Die Krankheit schreitet unerbittlich voran und richtet besonders in den ärmeren Ländern, die keine Mittel zur Bekämpfung haben, verheerenden Schaden an. Die Pandemie gerät ausser Kontrolle, besonders in Afrika, Asien und Lateinamerika, aber auch in den USA. Zwar hat sie noch nicht so viele Todesopfer wie der schwarze Tod gefordert, aber die weltweite Zahl der Todesopfer wird bis Ende September mehr als eine Million erreichen. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Weltperspektiven lag die Gesamtzahl der positiv auf Coronavirus getesteten Menschen weltweit bei über 24 Millionen.

Trotz beschwichtigender Stimmen einiger Regierungen muss die Wirksamkeit der Impfstoffe erst noch bewiesen werden. Wie immer sind es die armen Leute, die am meisten leiden. Die freie Marktwirtschaft ist unfähig eine Lösung dieser Problematik, die für Millionen von Menschen eine Frage zwischen Leben und Tod ist, zu bieten. Dadurch wird das kapitalistische System an sich zunehmend in Frage gestellt.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Pandemie nicht die Ursache der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist. Diese begann weit bevor irgendwer jemals vom Coronavirus gehört hatte. Aber die Pandemie hat zweifellos die ganze Situation verkompliziert und die Krise vertieft. Dialektisch gesehen wird die Ursache zur Wirkung, und umgekehrt wird die Wirkung wiederum zur Ursache.

Beschleunigte Prozesse
Engels wies darauf hin, dass es in der Geschichte Perioden gebe, in denen in zwanzig Jahren so wenig geschieht wie an einem Tag. Aber er fügte hinzu, dass es andere Perioden gibt, in denen sich die Geschichte von 20 Jahren in vierundzwanzig Stunden komprimieren lässt.

Diese Bemerkung ist ein exakter Ausdruck der gegenwärtigen Episode, deren Hauptmerkmal die Geschwindigkeit ist, mit der sich die Ereignisse bewegen. Scharfe und plötzliche Wendungen sind in der gesamten Situation zwangsläufig. Hätte jemand im Januar vorausgesagt, was in den nächsten 6 Monaten passieren würde, hätte ihm niemand geglaubt. Tatsächlich hätte man ihn oder sie für völlig verrückt erklärt.

Erstens ist die Geschwindigkeit des wirtschaftlichen Zusammenbruchs erstaunlich. Der Einbruch der weltweiten Wirtschaft durch COVID-19 war weitaus schneller und heftiger als die Finanzkrise von 2008 und sogar auch als die Grosse Depression der frühen 1930er Jahre.

Der wirtschaftliche Einbruch in den USA ist so schwerwiegend wie damals während der Grossen Depression. Doch während der Einbruch nach 1929 sich über eine Periode von vier Jahren hinzog, so erstreckte sich der Kollaps durch den Coronavirus über einem Zeitraum von vier Monaten.

Nach dem Wall Street Crash von 1929 brachen die Aktienmärkte um 50% oder mehr ein und die Kreditmärkte erstarrten. Dies führte zu massiven Konkursen und liess die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigen, während gleichzeitig das BIP stark schrumpfte. Aber all dies entwickelte sich über eine Periode von drei Jahren.

In der aktuellen Krise kam es zu einem ähnlichen finanziellen und wirtschaftlichen Einbruch, der sich aber innerhalb von drei Wochen ereignete. Es dauerte nur 15 Tage, bis der US-Aktienmarkt von seinem Höchststand um 20% fiel – der schnellste Rückgang dieser Art, den es je gab. Innerhalb von wenigen Monaten oder Wochen erreichte die Arbeitslosigkeit in den USA 40 Millionen. Konsum, Investitionen und Exporte befinden sich in einem beispiellosen freien Fall. Um die Worte von Nouriel Roubini zu zitieren:

Nicht einmal während der Grossen Depression in den frühen 1930er Jahren und im Zweiten Weltkrieg ist der Grossteil der wirtschaftlichen Aktivität zum Erliegen gekommen, wie es heute in China, den USA und Europa der Fall ist.

Eine weltweite Krise
Dies ist eine weltweite Krise in jedem Sinne des Wortes. Trumps Politik ist „America First“, die er rücksichtslos verfolgt hat. Er wollte Amerika wieder grossartig machen, wobei er vergessen hat hinzuzufügen, dass dies auf Kosten des Rests der Welt geschieht. Ökonomischer Nationalismus ist die Zusammenfassung seines Denkens, insofern er denn überhaupt denkt. Mutig verkündet er, dass ein Handelskrieg „gut“ sei. Dies wird die Krise aber nur weiter verschärfen.

Durch seine heftigen Angriffe auf China droht das zerbrechliche Gebilde des Welthandels und der Globalisierung zusammen zu klappen. Das wiederum ist aber nur ein Symptom dieses Phänomens. Er hat auch gegen eine Reihe anderer Länder Zölle verhängt, darunter vermeintliche Verbündete wie die EU, Kanada und Japan. Die Pandemie hat die Lage noch weiter verschlimmert und zu einer neuen Runde Protektionismus sowie zu einem geschätzten Rückgang des Welthandels um 13% geführt.

Dies bedeutet, dass wir auf eine grosse Depression zusteuern. Erinnern wir uns daran, dass das, was die Grosse Depression zwischen den beiden Weltkriegen verursachte, nicht der Crash von 1929 war, sondern die nachfolgende Welle des Protektionismus, der Abwertungsspiralen und der „Beggar-thy-neighbour“-Politik („Mach deinen Nachbarn zum Bettler“-Politik), die versuchte, die Arbeitslosigkeit in andere Länder zu exportieren.

Kolossale Almosen
Um einen sofortigen Zusammenbruch abzuwenden, schütteten die Regierungen Billionen von Dollar in die Wirtschaft. Innerhalb weniger Tage nach dem Lockdown beschloss der US-Kongress ein Konjunkturpaket, das bei weitem das grösste in der Geschichte der US-Friedenszeiten ist. Überall auf der ganzen Welt wurden die gleichen Massnahmen ergriffen. Bis Ende Juni hatten die G20-Regierungen Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt 10 Billionen Dollar angekündigt, was 12% der Weltwirtschaft entspricht. Seitdem hat die EU jedoch ein weiteres Paket im Umfang von 850 Milliarden Dollar verabschiedet. Und auch der US-Kongress wird mindestens eine weitere Billion als Paket zur Belebung der Wirtschaft gut heissen.

Um dem immensen Einbruch durch den Shutdown entgegen zu wirken, mobilisierte die Zentralbank der Vereinigten Staaten eine riesige Menge an liquiden Mitteln. In den sieben Jahren nach dem Crash von 2008 kaufte die Zentralbank in mehreren Runden Vermögenswerte im Wert von 3,5 Billionen Dollar auf. In hingegen nur drei Monaten der aktuellen Krise kaufte sie Vermögenswerte von drei Billionen Dollar auf. Die Hälfte davon wurde für den Ankauf von Staatsschulden verwendet, um die Konjunkturpakete zu erleichtern, die andere Hälfte wurde auf den Märkten für Unternehmensanleihen und Hypotheken ausgegeben.

Die kolossalen Almosen, die zur Abfederung der Auswirkungen an das Grosskapital vergeben wurden, sind historisch beispiellos. Aber selbst diese enormen Summen, die den Marshall-Plan im Vergleich geradezu unbedeutend erscheinen lassen, werden eindeutig nicht ausreichen, um den Abwärtstrend der Wirtschaft aufzuhalten.

Tatsache ist, dass die kapitalistische Wirtschaft derzeit nur dank enormer Finanzspritzen der Regierungen überleben kann. All dies hat zur Folge, dass sich ein Schuldenberg auftürmt, und diese Schulden müssen früher oder später bezahlt werden.

Wird es einen Erholungseffekt geben?
Um sich selbst zu trösten, sagen die Ökonomen eine kräftige Erholung voraus. Das ist eine Illusion. Die Wahrheit ist, dass die Regierungen Billionen von Dollar in die Wirtschaft gesteckt haben, um einen sofortigen Zusammenbruch abzuwenden. Am 9. April veröffentlichte foreignpolicy.com einige interessante Kommentare zur Krise. Darin hiess es:

Diese gewaltige und sofortige Ausgleichsmassnahme hat bisher einen sofortigen weltweiten Finanzkollaps verhindert, aber wir stehen nun vor einer langen Periode, in der sinkender Konsum und sinkende Investitionen zu einem weiteren Schrumpfen führen.

Nourel Roubini von der Stern School of Business der New York University schrieb:

Nur Zentralbanken haben Bilanzen, die gross und stark genug sind, um den Zusammenbruch des Privatsektors zu verhindern.“ Doch dann fügt er hinzu: „Aber diese defizitfinanzierten Interventionen müssen vollständig monetarisiert werden. Wenn sie über die normale Staatsverschuldung finanziert werden, würden die Zinssätze stark ansteigen, und die Erholung würde in ihrer Wiege erstickt werden.

Das heisst, die Zentralbank muss weiterhin Geld drucken, um die Staatsausgaben zu finanzieren. Roubini verachtet die übermässig zuversichtlichen Vorhersagen über eine V-förmige Erholung: „Die Schrumpfung, die im Moment im Gange ist, scheint weder V- noch U- oder L-förmig zu sein (ein starker Einbruch, gefolgt von einer Stagnation). Vielmehr sieht sie aus wie ein I: eine vertikale Linie, die den Absturz der Finanzmärkte und der Realwirtschaft präsentiert.“

Das ist die Perspektive, auch ohne einen erneuten Ausbruch der Pandemie, die keineswegs ausgeschlossen ist. Statt des versprochenen wirtschaftlichen Aufschwungs werden die Massen in allen Ländern jahrzehntelang mit Einschnitten in ihrem Lebensstandard, Arbeitslosigkeit und Sparmassnahmen konfrontiert sein.

Wer wird dafür bezahlen?
„Wer wird dafür bezahlen?“ Das ist die Frage, die niemand stellen, geschweige denn beantworten möchte. Martin Wolf, der Chefökonom der Financial Times, schreibt:

„Die Pandemie hat selbst im Vergleich zur Finanzkrise weitaus höhere Staatsausgaben erzwungen. Das wirft nun die Frage auf, wie mit diesen Schulden umgegangen werden soll und wer sie bezahlen wird.“

FT, 5.7.2020

Aber die Antwort ist klar. Das volle Gewicht der Krise, wird auf die Schulter derer gelegt, die am wenigsten zahlen können: die Armen, die Alten, die Kranken, die Arbeitslosen und die Arbeiterklasse im Allgemeinen. Aber auch die Mittelschicht wird nicht ungeschoren davonkommen.

Einige linke Reformisten (z.B. Podemos in Spanien) haben dummerweise die Schlussfolgerung gezogen, dass die hohen Summen, die den Unternehmen für die Bezahlung der in Kurzarbeit beurlaubten ArbeitnehmerInnen aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wurden, einen grundlegenden Wandel im Wesen des Kapitalismus darstellten. Sie sehen darin das Ende des „neoliberalen Modells“ und eine höchst willkommene Rückkehr zum Kapitalismus mit einem lächelnden (keynesianischen) Gesicht.

Und diese Damen und Herren haben die Unverschämtheit, den MarxistInnen vorzuwerfen, sie seien Utopisten! Sie werden ein anderes Lied singen, wenn die Regierungen, die die riesigen Geldsummen ausgegeben haben, die sie nicht besassen, dazu übergehen, sie dem Volk durch Steuererhöhungen und tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben zu entziehen.

Die immense finanzielle Belastung wird noch Jahre – vielleicht Jahrzehnte – zu spüren sein und jede Möglichkeit einer ernsthaften Erholung verhindern. Und früher oder später werden die riesigen Defizite eine hohe Inflation, eine Kreditverknappung, einen massiven Rückgang der Kreditaufnahme und einen neuen Kollaps zur Folge haben. Das ist die wirkliche Perspektive für die absehbare Zukunft. Es ist ein fertiges Rezept für einen Klassenkampf in allen Ländern.

Dies verstehen auch die nachdenklicheren Vertreter der herrschenden Klasse, wie wir der Financial Times vom 9. März entnehmen können:

Für die Pandemie zu bezahlen, wird bei allen dieselben Fragen aufwerfen. Eine Rückkehr zur Austeritätspolitik wäre verrückt – eine Einladung zu weit verbreiteten sozialen Unruhen, wenn nicht gar Revolutionen, und ein Geschenk des Himmels für die Populisten. Mit der Zeit – über eine lange Zeit – werden die Steuerrechnungen bezahlt werden müssen. Die liberale Demokratie wird diesen zweiten grossen wirtschaftlichen Schock jedoch nur überleben, wenn die Anpassungen im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages erfolgen, der das Wohlergehen der Mehrheit gegenüber den Interessen der Privilegierten anerkennt.

FT, 9.3.2020

Wie allerdings dieses Wunder genau erreicht werden soll, erklärt die Financial Times nicht. Dennoch sind diese Zeilen sehr aufschlussreich. Sie zeigen, dass die Strategen des Kapitals zu der gleichen Schlussfolgerung kommen wie die MarxistInnen. Die Bourgeoisie steckt in einer Zwickmühle. Sie versteht, dass Revolutionen in der gegenwärtigen Situation unausweichlich sind. Und sie irren sich nicht.

„Reinschlittern in die Katastrophe“
1938 bezeichnete Leo Trotzki die herrschende Klasse der Welt als „mit geschlossenen Augen in die Katastrophe schlitternd“. Diese Zeile können heute geschrieben worden sein. Die Reaktion der Bourgeoisie und ihrer angeheuerten Politiker auf die Coronavirus-Pandemie ist die einer blinden Panik. In der Vergangenheit hatten die Menschen selbst in Momenten tiefer Krisen und Kriege das Gefühl, dass die Regierung, wenn sie schon nicht gerade die Kontrolle über die Situation hatte, zumindest eine Art Plan hatte, um aus der Krise herauszukommen.

Heute ist das nicht der Fall. Die Strategen des Kapitals sind völlig aus dem Gleichgewicht geworfen worden. Die Leitartikel der seriösen bürgerlichen Presse spiegeln einen Zustand der Verwirrung und Beunruhigung wider, welcher der Verzweiflung nahe kommt.

Die Welt befindet sich in ihrem steilsten wirtschaftlichen Zusammenbruch der Geschichte – und die alten Wirtschaftslehrbücher werden über Nacht in die Abfalleimer geworfen. Unternehmen können die Zukunft nicht vorhersagen, Investitionen brechen zusammen, und die Wirtschaft hat eine Krise durchlebt, die weitaus schlimmer und viel schneller ist, als jene der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Wirtschaftsprognosen des IWF und der Weltbank sind völlig wertlos, da niemand den Ausgang der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie vorhersagen kann.

Noch schlimmer ist die Situation, wenn wir auf die politische Führung zu sprechen kommen. Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, dass das Volk die Regierung bekommt, die es verdient.

Donald Trump in den USA, Boris Johnson in Britannien und Bolsonaro in Brasilien stellen die Personifizierung des intellektuellen und moralischen Bankrotts der Bourgeoisie in ihrem Stadium des senilen Zerfalls dar. Fröhlich führen sie ihre Nationen an den Rand des Abgrunds und werfen sie darüber. Eine schlechte Führung macht eine schlechte Situationen tausendmal schlimmer. Die Bourgeoisie rauft sich die Haare und beschwert sich über die Situation, aber sie kann nichts dagegen tun.

Die USA
Am deutlichsten kommt dies in den USA, dem reichsten Land der Welt, zum Ausdruck. Es wird erzählt, dass Kaiser Nero seine Leier spielte, während Rom brannte. Jetzt imitiert Kaiser Trump seinen berüchtigten römischen Vorgänger, obwohl er sich endlich dazu bereit erklärt hat, eine Gesichtsmaske aufzusetzen – was zumindest eine Verbesserung darstellt.

Millionen Amerikaner sind von ihrem Job entlassen oder beurlaubt worden. Fast-Food-ArbeiterInnen und VerkäuferInnen riskieren ihr Leben für einen Mindestlohn, während die Pandemie ausser Kontrolle gerät und Millionen von Menschen unnötigem und überflüssigem Leid und Tod aussetzt.

Neue Anträge auf Arbeitslosenunterstützung sind in den USA auf ein nie gekanntes Niveau angestiegen, was auf eine hohe Zahl von Entlassungen und einen rasch schrumpfenden Arbeitsmarkt hindeutet. Die Plötzlichkeit des Zusammenbruchs kam für Millionen von amerikanischen ArbeiterInnen wie ein Schock. Die Auszahlungen von Geldern der Regierung haben die Situation vorübergehend entschärft. Doch die Zahl der Opfer des Coronavirus-Ausbruchs ist unaufhaltsam weiter angestiegen.

Und am härtesten traf es jene benachteiligten Gebiete, die hauptsächlich von armen „People of Color“ und anderen ethnischen Minderheiten bewohnt werden, wodurch die seit langem bestehenden rassistischen Ungleichheiten noch schlimmer wurden als zuvor.

Eine aufständische Bewegung
Die schwelende Unzufriedenheit und Wut von Millionen armer Menschen in den USA, insbesondere Schwarzer, explodierte schliesslich nach dem Mord an George Floyd. Diese Bewegung kam nicht aus dem Nichts. Sie war das Ergebnis jahrzehntelanger Ausbeutung, Unterdrückung, Armut, schlechter Wohnverhältnisse, Rassismus und Polizeigewalt.

Douglas Brinkley, Historiker und Professor an der Rice University, hat die Lage mit bewundernswerter Klarheit dargestellt: „Die Fäden unseres bürgerlichen Lebens könnten sich aufzulösen beginnen, denn jeder lebt in einem Pulverfass“.

Es gab viele solcher Morde über die letzten Jahrzehnte hinweg, ohne Proteste dieses Ausmasses zu provozieren, aber für Millionen armer Menschen in den USA war der Mord an George Floyd der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die schockierenden Bilder der Polizeigewalt fielen wie ein angezündetes Streichholz in ein Fass Schiesspulver.

In Minneapolis, wo die Bewegung begann, musste die Polizei vor einer Menge wütender Demonstranten fliehen, die eine Polizeiwache niederbrannten. Dies waren Szenen mit aufrührerischem Charakter. Aber was noch bedeutsamer ist, ist die Geschwindigkeit, in der sich die Ereignisse entfalteten.

Wie von unsichtbarer Hand bewegt, wuchsen die Massenproteste von Küste zu Küste und erfassten eine US-Stadt nach der anderen. Mindestens zehn Prozent der Bevölkerung nahmen an den Protesten teil und viele weitere unterstützten sie. Erstaunlicherweise teilte eine Mehrheit der AmerikanerInnen (54 Prozent) die Auffasung, dass die Inbrandsetzung der Polizeiwache von Minneapolis gerechtfertigt sei. Von noch grösserer potenzieller Bedeutung war die Tatsache, dass die Arbeiter in 29 Häfen aus Solidarität in den Streik traten, während sich in einigen Städten Busfahrer weigerten, Einsatztruppen der Polizei zu den Kundgebungen zu befördern.

Daraufhin ging der Staat mit äusserster Brutalität gegen die Bewegung vor – über 200 Städte wurden Ausgangssperren verhängt. Dennoch hielten die Proteste wochenlang an. Dies war ein Vorzeichen der bevorstehenden Ereignisse, eine Art Generalprobe für die amerikanische Revolution.

Ereignisse dieser Art sind einmalig in der Geschichte der USA. Diese Bewegung ist die endgültige Antwort auf all die Skeptiker und Feiglinge, die argumentierten, dass sich die Arbeiterklasse niemals bewegen würde – am wenigsten in den Vereinigten Staaten.

Spaltungen in der herrschenden Klasse
Spaltungen in der herrschenden Klasse sind das erste Anzeichen für eine sich entwickelnde revolutionäre Situation. Trump wollte die Armee zur Niederschlagung der Revolte einsetzen. Doch dies provozierte eine Rebellion der Armeeführung und sogar eines Teils der Republikaner.

Noch bevor der Präsident ankündigte, er sei bereit, das Militär einzusetzen, um die Ordnung in den Städten der USA wiederherzustellen, zitierte CNN Beamte des Verteidigungsministeriums. Sie erklärten, es gebe „ein tiefes und wachsendes Unbehagen“ unter einigen im Pentagon, dem US-Verteidigungsministerium.

Das Wall Street Journal titelte: Nicht die Truppen einsetzen. Es schrieb: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde der Anblick von Truppen auf den Strassen der USA die Situation eher entflammen als beruhigen…“

Trump schickte später Truppen der Homeland Security, um Demonstrationen in Portland zu unterdrücken. Genau wie das WSJ vorhergesagt hatte, führte dies zu einer noch grösseren Bewegung und Gewaltausbrüchen. Es wurde fast zu einem Bürgerkrieg auf den Strassen. Auf diese Weise hat Donald Trump die Revolution tatkräftig angeheizt! Dies zeigt die Grenzen der staatlichen Macht. Es zeigt im Umriss, was kommen wird.

Grenzen der Spontaneität
1938 schrieb Leo Trotzki, dass sich die Krise der Menschheit auf die Krise der Führung des Proletariats reduzieren lasse. Wir sollten sorgfältig darüber nachdenken, was diese Worte bedeuten. Es versteht sich von selbst, dass die Bewegung der Massen immer der Hauptmotor der Revolution darstellt. In diesem Punkt stimmen wir mit den Anarchisten überein. Aber ihre Schlussfolgerung endet dort, wo die wirklichen Probleme der Revolution beginnen.

Was zeigen uns die Ereignisse in den Vereinigten Staaten? Sie haben die enorme potentielle Macht der Massen offenbart. Sie zeigen uns, dass es in der Gesellschaft eine Macht gibt, die stärker ist als selbst der stärkste Staat, Armee oder Polizei. Ja, das ist vollkommen richtig. Die spontane Bewegung der Massen ist die Vorbedingung für die sozialistische Revolution. Aber an und für sich reicht sie nicht aus, um den Erfolg zu garantieren.

Auch der Dampf ist eine enorme Kraft. Es ist die Kraft, die die industrielle Revolution vorangetrieben hat und das Wirtschaftsleben bis heute antreibt. Aber Dampf ist nur dann eine Kraft, wenn er auf einen einzigen Punkt, einen Kolbenkasten, konzentriert ist, der seine Kraft zentralisiert und vertausendfacht. Ohne diesen würde der Dampf lediglich nutzlos in die Luft weichen.

So ist es auch bei der Revolution. Ohne die notwendige Organisation und Führung bliebe die enorme Stärke der Arbeiterklasse nur eine potentielle, nicht aber eine tatsächliche Macht.

Die Geschichte des Krieges gibt uns viele Beispiele, wo eine grosse Armee tapferer Soldaten von einer weitaus kleineren disziplinierten Truppe, unter Führung erfahrener Offiziere, besiegt wurde. Und der Krieg zwischen den Klassen weist viele Ähnlichkeiten mit dem Krieg zwischen Nationen auf.

Was wir in den USA gesehen haben, zeigt die Grenzen der staatlichen Macht angesichts eines Massenaufstandes. Diese spontane Bewegung der Massen ist die Vorbedingung für eine sozialistische Revolution. Aber an und für sich reicht sie nicht aus, um den Erfolg zu garantieren. Etwas hat gefehlt, und dieses Etwas ist eine Organisation und eine Führung, die in der Lage ist, einen Weg nach vorn aufzuzeigen.

Ohne die notwendige Organisation und Führung mussten die Proteste früher oder später nachlassen. Das Überraschende war, dass sie dennoch so lange andauerten. War dies eine Revolution? Offensichtlich war es noch keine Revolution. Aber die Bewegung kann mit Sicherheit als Generalprobe für eine Revolution in der Zukunft betrachtet werden.

Nichts wird je wieder so sein wie früher
In den USA vollzieht sich ein gewaltiger Bewusstseinswandel. Umfragen zeigen einen Anstieg der Unterstützung für den Sozialismus. 67% der jungen Menschen würden einen sozialistischen Präsidenten wählen. Noch überraschender ist, dass 30% der über 65-Jährigen dies ebenfalls tun würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Aber diese wurde ihnen nicht gegeben.

Bernie Sanders, nachdem er die Hoffnungen von Millionen von Menschen geweckt hatte, weigerte sich, als Sozialist zu kandidieren, obwohl es eine breite Unterstützung für eine neue Partei gab. Stattdessen entschied er sich dafür, Joe Biden als Kandidaten der Demokraten zu unterstützen, mit dem Argument, dass Trump besiegt werden müsse. Dieses Argument wird zweifellos Gewicht haben bei den vielen Menschen, die ihn um jeden Preis loswerden wollen. Aber viele andere werden sich mit Abscheu abwenden.

Die Wahlen finden im November statt und bis dahin kann noch viel passieren, aber der Wahlkampf hat bereits begonnen. Trump hat versucht, die Karte „Recht und Ordnung“ auszuspielen, was nicht funktioniert hat. Jetzt wiederholt er ständig, dass die Wahl wegen der Briefwahl manipuliert sein werde. Diese Tatsache ist ein klarer Hinweis darauf, dass er mit einer Niederlage rechnet. Die Umfragen zeigen in der Tat, dass er an Boden verliert. Dies bedeutet jedoch noch nicht zwingend, dass er verlieren wird.

Viele Menschen haben die richtige Schlussfolgerung gezogen, dass die Wahl zwischen Demokraten und Republikanern überhaupt keine Auswahl darstellt. Und es gibt ein entsprechend wachsendes Interesse an sozialistischen und sogar kommunistischen Ideen. Dies zeigen die raschen Fortschritte unserer US-Sektion, aber auch der Anstieg von Beitritten in die „Democratic Socialists of America“ (DSA) im ganzen Land. Seit März hat die Mitgliedschaft um schätzungsweise 10.000 Personen zugenommen, so dass sich die Gesamtmitgliederzahl der DSA nach internen Zahlen auf etwa 66.000 beläuft.

Eines ist klar: Ganz gleich, wer nächstes Jahr im Weissen Haus sitzen wird, nichts wird je wieder so sein wie vorher. Den USA stehen turbulente Zeiten bevor. Es wird Siege und Niederlagen geben. Aber für eine Periode wird das Pendel scharf nach links schwingen.

Die Notwendigkeit der Dialektik
Nur die Kenntnis der marxistischen dialektischen Methode ermöglicht es, hinter die Oberfläche (die „Fakten“) zu schauen und in die realen Prozesse einzudringen, die langsam unter der Oberfläche reifen. Oberflächliche Empiriker und impressionistische Beobachter waren erstaunt über diese Bewegungen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, wie ein Donnerschlag aus einem klaren blauen Himmel. Aber die gegenwärtigen Umwälzungen kommen nicht aus dem Nichts. Sie wurden von der gesamten vorhergehenden Periode vorbereitet.

Der Mangel an dialektischem Denken erklärt die völlige Ohnmacht der Strategen des Kapitals, welche nicht in der Lage sind, die gegenwärtige Krise zu erklären oder eine Lösung für sie zu finden. Das gilt auch für die Mittelschicht und die Intelligenzia, welche von einer Verzweiflung erfasst wird, die sich durch den Einfluss des Postmodernismus erklären lässt, welcher die Möglichkeit eines Fortschritts im Allgemeinen verneint, einfach weil der Fortschritt im Kapitalismus zum Stillstand gekommen ist.

Dialektisch gesehen verkehrt sich alles früher oder später in sein Gegenteil. Das Bewusstsein der Arbeiterklasse entwickelt sich nicht in einer geraden Linie. Es kann lange Zeit hinter den Ereignissen zurückbleiben. Aber früher oder später holt es mit einen Schlag auf. Genau das ist es, was eine Revolution ausmacht. Wir sehen nun, wie sich dieser Prozess vor unseren Augen entfaltet.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass die revolutionären Umwälzungen bereits im vergangenen Jahr begonnen haben, im Sudan, im Libanon, im Irak, in Ecuador, in Chile usw. Vor allem aber spiegelt sich die Radikalisierung in einem raschen Bewusstseinswandel der Massen wider.

Wie sich das Bewusstsein verändert
Der Bewusstseinsrückstand, den wir in der Vergangenheit kommentiert haben, wird nun durch gewalttätige Explosionen auf Seiten der Massen ersetzt. Überall, wo wir hin blicken, sehen wir wachsende Unzufriedenheit, Wut, Zorn und einen Hass auf die bestehende Ordnung.

Dies äussert sich in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Weise. Aber überall sehen wir, dass die Massen, die ArbeiterInnen und die Jugend, beginnen, sich zu bewegen, die alte Ordnung herauszufordern und gegen sie zu kämpfen. Es genügt, die Ereignisse zu erwähnen, die sich gerade jetzt abspielen.

Nehmen wir zwei höchst bedeutsame Beispiele: Israel und Libanon. Wenn es ein Land in der Welt gab, in dem viele Menschen dachten, dass der Klassenkampf beendet sei, dann war das Israel. Es schien den meisten, dass Netanjahu die Situation vollständig unter Kontrolle hatte. Aber jetzt hat die Krise Israel getroffen, der Lebensstandard sinkt und die Arbeitslosigkeit wächst. Und die Massen sind auf die Strasse gegangen, um den Sturz der Regierung Netanjahu zu fordern.

Im Libanon haben wir ein noch eindrucksvolleres Beispiel. Nach der revolutionären Bewegung, die Ende letzten Jahres über das Land fegte, hat die Explosion im Hafen von Beirut, die die Stadt verwüstete und 300.000 Menschen obdachlos machte, eine neue und noch entschlossenere revolutionäre Bewegung ausgelöst. Noch vor nicht allzu langer Zeit schien eine solche Bewegung aufgrund der krassen sektiererischen Spaltungen in der libanesischen Gesellschaft unmöglich zu sein. Doch jetzt erleben wir einen kolossalen Aufschwung der Revolution, bei dem sich alle Teile der Arbeiterklasse im Kampf vereinen.

Diese Explosionen des Volkszorns fielen nicht von den Wolken. Sie wurden im Verlauf der gesamten vorangegangenen Periode vorbereitet, insbesondere in den letzten zehn Jahren der Austerität.

Belarus und Russland
Ein ähnlich dramatischer Wandel vollzieht sich vor unseren Augen in Belarus, wo eine Protestbewegung gegen Lukaschenko einen massiven Charakter angenommen hat. Es stimmt, dass diese Bewegung einen verworrenen und widersprüchlichen Charakter hat.

Die kleinbürgerliche Führung möchte den Prozess der Privatisierung beschleunigen und engere Beziehungen zur EU etablieren. Aber der Auftritt der Arbeiterklasse als Schlüsselkraft, die sich in Richtung eines Generalstreiks bewegt, ist zu einem wichtigen Element in der Gleichung geworden. Die ArbeiterInnen in den staatseigenen Industrien werden die Begeisterung der Liberalen für Privatisierung und freie Marktwirtschaft nicht teilen.

Die Situation ist nicht die gleiche wie in der Ukraine, wo die Bewegung von extrem reaktionären nationalistischen und offen faschistischen Elementen dominiert wurde. In Weissrussland gibt es in der Bevölkerung nicht die gleiche antirussische Stimmung. Belarus ist wirtschaftlich, sprachlich und historisch so eng mit Russland verflochten, dass ein Bruch mit Moskau und eine Hinwendung zum Westen unwahrscheinlich ist.

Es ist nicht möglich zu sagen, wie die gegenwärtige Bewegung enden wird. Putin wird diese Ereignisse mit wachsender Sorge beobachten. Aber Putins Möglichkeiten in Belarus sind begrenzt. Eine bewaffnete Intervention wäre Wahnsinn. Sie würde die Bevölkerung gegen sich aufbringen und ein antirussisches Gefühl hervorrufen, das sie in Richtung Westen drängen würde. Jedenfalls hat Putin kein besonderes Interesse daran, Lukaschenko zu retten, ganz im Gegenteil.

Die Kreml-Clique wird zweifellos mit den obersten Bürokraten in Minsk intrigieren, um eine geeignete „reformistische“ Figur zu finden, die den in Ungnade gefallenen Lukaschenko ersetzen und zu einer Einigung mit Moskau kommen wird. Ob ein solches Manöver glücken wird, hängt von der künftigen Entwicklung der Massenbewegung selbst ab.

Die Bewegung in Belarus wird ernste Auswirkungen in Russland haben. Putin befürchtet zu Recht, dass eine ähnliche Bewegung in Russland ausbrechen könnte. Die Ereignisse in Chabarowsk zeigen, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind. Die Vergiftung des liberalen Oppositionellen Navalny könnte eine Panikreaktion gewesen sein. Auf jeden Fall deuten die Widersprüche in Russland alle auf das Herannahen einer explosiven Situation hin.

Europa
Nationalismus, nicht internationale Zusammenarbeit, ist das vorherrschende Merkmal der gegenwärtigen Periode. Er bedroht das gesamte zerbrechliche System des internationalen Handels, das von der Bourgeoisie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit grossen Schmerzen aufgebaut wurde.

Der Handelskrieg zwischen den USA und China ist nur ein Symptom dieses Phänomens. Es gibt aber auch einen Handelskrieg zwischen den USA und Europa. Und selbst zwischen den europäischen Nationen entstehen immer wieder gefährliche Bruchlinien.

Wir haben vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass die europäische Bourgeoisie einen gewissen Grad an Integration einige Zeit aufrechterhalten werden könne, dass sich dieser Prozess aber, im Falle eines tiefen ökonomischen Einbruchs, in sein Gegenteil verkehren würde. Dies ist jetzt eindeutig der Fall.

Deutschland
Deutschland war der Hauptmotor der europäischen Wirtschaft, aber es wurde von der Krise hart getroffen. Seine Hauptstärke lag in seiner Exportfähigkeit. Diese Stärke erweist sich nun aber als seine Hauptschwäche. Die Verlangsamung in China und die Krise im übrigen Europa hat zu einem starken Einbruch der Exporte geführt, insbesondere im wichtigen Automobilsektor.

Bereits im letzten Quartal des Jahres 2019 war das deutsche BIP rückläufig. Nun wird für Deutschland, infolge seiner grossen Exportabhängigkeit, ein stärkerer Rückgang des BIP erwartet. Die Überproduktion von Autos führt in den meisten Teilen der Wirtschaft zu Fabrikschliessungen, Entlassungen und zur Vernichtung von Arbeitsplätzen. Es gibt mindestens drei Millionen Arbeitslose. Und dies, ohne die Selbständigen oder Studenten mitzuzählen. All dies hat alle Bruchlinien aufgedeckt, die die EU zerreissen.

Die gespaltene EU
Die Kluft zu den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten wächst. Viele in Brüssel sind der Meinung, dass Länder wie Polen und Ungarn nur dann Geld bekommen sollten, wenn sie ihre Politik der Justizreformen aufgeben, die von ihren Kritikern als Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit angesehen wird.

Die grösste Kluft besteht jetzt jedoch zwischen Ländern, die vom Virus am stärksten betroffen sind – wie Italien und Spanien – und einigen EU-Mitgliedern, die versuchen, an ihrem Geld festzuhalten. Italien war eines der ersten europäischen Länder, das einen Ausbruch erlebte, und hat 35.000 Todesfälle zu verzeichnen – eine der höchsten Todesraten weltweit. Diese Spannungen wurden bei dem jüngsten Treffen deutlich, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU darum rangen, zum einen das Konjunkturpaket auszuhandeln, das den Ländern helfen soll, sich von der Pandemie zu erholen, und zum anderen eine Einigung bezüglich des Sieben-Jahres-Budgets zu erzielen.

Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande weigerten sich zusammen mit Finnland hartnäckig, den Ländern, die am stärksten von den Auswirkungen von COVID- 19 betroffen sind, 500 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen zu gewähren. Sie argumentierten, dass das vorgeschlagene Paket zu grosszügig sei und ohnehin keine Zuschüsse, sondern rückzahlbare Darlehen sein sollte. Diese angeblich zivilisierten Führer, von denen die Mehrheit Sozialdemokraten waren, argumentierten wie Pferdehändler auf einem mittelalterlichen Marktplatz.

Am Ende eines langen und konfliktreichen Gipfeltreffens Ende Juli 2020, bei dem sich die EU-Staats- und Regierungschefs gegenseitig beleidigten und Macron auf den Tisch schlug und drohte, den Raum zu verlassen, wurde ein unbequemes und zerbrechliches Abkommen geschlossen. Sie hatten keine andere Wahl, als einem Kompromiss zuzustimmen. Doch das Ideal der europäischen Solidarität wurde dabei über Bord geworfen.

Italien
Im Mittelpunkt des Aufruhrs stand die italienische Frage. Ein Scheitern der Verhandlungen hätte zum Zusammenbruch der Regierungskoalition in Italien führen und die Möglichkeit eines Wiedererstarkens von Salvini und der antieuropäischen Lega eröffnen können.

Das Zentrum der Krise der EU hat sich von Griechenland nach Italien verlagert, das nun der kranke Mann Europas ist. Es ist das schwächste Glied in der Kette des europäischen Kapitalismus. Die Krise in Italien stellt eine weit grössere Bedrohung für die Zukunft der EU dar, als es Griechenland je getan hat. Schliesslich ist Griechenland eine relativ kleine Nation. Aber Italien ist eine grosse Volkswirtschaft, die 11 Prozent des BIP der Europäischen Union erwirtschaftet. Italiens riesige Schulden von 2.500 Milliarden Euro könnten die EU-Finanzen zum Einsturz bringen, und ein Kollaps Italiens könnte zur Zerstörung der EU selbst führen. Das erklärt die vorsichtige Haltung von Merkel. Es war ihr unmöglich, gegenüber Italien die gleiche harte Linie wie mit Griechenland zu verfolgen. Sie war teilweise gezwungen, ihre Haltung zu ändern. Dies erklärt auch teilweise die Wutausbrüche des französischen Präsidenten auf dem jüngsten Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs.

Die Coronavirus-Krise hat die extreme Schwäche des italienischen Kapitalismus und die Korruption und Inkompetenz seiner Regierung offenbart. Der Norden Italiens wurde von der Coronavirus-Krise hart getroffen. Er erwirtschaftet 50% des italienischen BIP. Dennoch erlebte diese wohlhabende Region Szenen von Tod und Zerstörung, die man normalerweise mit einem „Drittweltland“ in Verbindung bringen würde.

Die Art und Weise, wie die Regierung mit der COVID-19-Krise umgegangen ist, hat Wut und Entrüstung ausgelöst. Die Arbeitnehmer, vor allem diejenigen des Gesundheitswesens, die ihr Leben riskierten, mussten 12 bis 14 Stunden ohne Lohnzuschlag auch an Wochenenden arbeiten. Dies drückt die grausame Missachtung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter seitens der Bosse aus.

Plötzliche und scharfe Veränderungen im Bewusstsein sind offensichtlich. Lehrer und Studierende wurden radikalisiert und sind bereit zu kämpfen. Es gab eine Welle inoffizieller Streiks, die spontan von unten ausgerufen wurden, aber die Reformisten und die Gewerkschaftsführer taten ihr Bestes, um die Bewegung zurückzuhalten. Die Bosse sind in der Offensive, aber die Gewerkschaftsführer streben nach einem Sozialpakt, auch wenn es dafür keine Bedingungen gibt.

Dieser Widerspruch führt zu einem raschen Autoritätsverlust der Gewerkschaftsführung, was den Weg für noch grössere Explosionen in der kommenden Zeit bereitet. Die Weichen für ein Ausbruch des Klassenkampfes, wie es ihn seit den 1970er Jahren nicht mehr gegeben hat, sind gestellt. Dies hat ernste Auswirkungen auf ganz Europa.

Frankreich – der nächste an der Reihe
Obwohl das unmittelbarste Problem die Krise in Italien ist, ist Frankreich selbst nicht weit davon entfernt. Das erklärt die Reaktion von Emmanuel Macron auf die Sturheit der Nordeuropäer. Berichten zufolge schlug er mit der Faust auf den Tisch und drohte damit, die Diskussionen zu verlassen, wobei er die „sparsamen Vier“ beschuldigte, das europäische Projekt in Gefahr zu bringen.

Der französische Präsident sagte, dass es „keine andere Wahl“ gebe, als einen Fonds einzurichten, der „gemeinsame Schulden mit einer gemeinsamen Garantie ausgeben“ könne, um die Mitgliedsstaaten nach ihren Bedürfnissen und nicht nach der Grösse ihrer Volkswirtschaften zu finanzieren. Das aber ist eine Idee, der sich Deutschland und die Niederlande widersetzt haben.

Bruno Le Maire, Frankreichs Finanzminister, stellte die Herausforderung deutlich heraus:

„Entweder reagiert die Eurozone geschlossen auf die Wirtschaftskrise und geht gestärkt daraus hervor oder es geht drunter und drüber und sie droht zu verschwinden“.

FT, 23/3/20

Aber Europa reagiert nicht geeint. Im Gegenteil hat die Wirtschaftskrise die nationalen Unterschiede enorm verschärft und die herrschende Klasse in den verschiedenen Ländern in unterschiedliche Richtungen getrieben. Brexit war nur der Beginn eines Zerfallsprozesses, der noch lange nicht abgeschlossen ist und eine krampfhafte Krise nach der anderen auslösen wird.

Grossbritannien
Die unmittelbaren Auswirkungen des Brexits werden desaströs für Europa und katastrophal für Grossbritannien sein. Nachdem die britische Bourgeoisie die Europäische Union verlassen hat, wird sie sich in der schlimmsten aller Welten wiederfinden. All die dummen chauvinistischen Illusionen werden auf grausame Weise entlarvt werden als der Betrug, der sie immer waren. Grossbritannien wird sich auf die Rolle einer unbedeutenden kleinen Insel vor der Küste Europas reduziert sehen. Grossbritanniens viel gepriesene „besondere Beziehung“ zu Amerika wird als die demütigende Beziehung zwischen Herrn und Knecht entlarvt werden. Das Ansehen, das es in der Vergangenheit in der Welt genossen hat, wird über Nacht wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.

In einer düsteren Einschätzung sagte Martin Wolf in der Financial Times voraus:

„Ein ‚globales Grossbritannien‘ wird nicht entstehen, sondern eines, das Krümel ersucht von den Tischen der mächtigeren Handelsmächte, welche selbst in bösartiges Gezänk verwickelt sind.“

FT, 21.05.20

Schon jetzt treten die nationalen Widersprüche in den Vordergrund, die das Gefüge des Vereinigten Königreichs zerreissen. Die Unterstützung für die Unabhängigkeit Schottlands führt hat laut Meinungsumfragen nun 7 bis neun Prozentpunkte Vorsprung, da Hass und Ressentiments gegen die Tory-Regierung zunehmen. Boris Johnson könnte sich durchaus als Premierminister nicht von Grossbritannien, sondern von Klein-England wiederfinden.

China
China war in der letzten Zeit eine der wichtigsten treibenden Kräfte der Weltwirtschaft. Aber jetzt wird dialektisch alles in sein Gegenteil verkehrt. China wird nicht mehr als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems gesehen. China hat eine gewaltige industrielle Basis mit einer enormen Produktionskapazität aufgebaut. Aber die Binnennachfrage kann dieses kolossale Produktionspotenzial nicht absorbieren. China muss exportieren, um zu überleben. Doch sein Erfolg im Exportbereich hat nun bei seinen Konkurrenten, vor allem in den USA, aber auch in Europa, heftige Reaktionen hervorgerufen.

Schon vor der gegenwärtigen Krise verlangsamte sich die chinesische Wirtschaft in einem alarmierenden Tempo, aber die Krise hat die Wirtschaft über den Rand gedrängt. Im ersten Quartal prognostizierte JPMorgan Chase einen Rückgang des chinesischen Bruttoinlandsprodukts um 40 Prozent gegenüber den drei Vormonaten, die grösste Schrumpfung seit mindestens 50 Jahren.

Die jüngsten offiziellen Zahlen weisen Chinas Arbeitslosigkeit mit 5,9 Prozent aus, dem höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1990er Jahren. Aber diese Zahl ist eindeutig eine grobe Untertreibung der Krise in China, da Wanderarbeiter nicht in den Statistiken auftauchen.

Dies erklärt, warum Xi Jinping Schritte unternimmt, um seine diktatorischen Kräfte zu stärken und die Bewegung in Hongkong zu zerschlagen. Es ist eine Vorbereitung auf eine sich jetzt zusammenbrauende zukünftige Explosion des Klassenkampfes in China.

„Schrecken ohne Ende“
Lenin sagte einmal, dass der Kapitalismus ein Schrecken ohne Ende ist. Jetzt können wir die wörtliche Wahrheit dieser Aussage erkennen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen warnte kürzlich, dass über 265 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind. Die sozialen Folgen der Coronavirus-Pandemie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern sind schlimm genug, aber die armen Länder stehen vor einer absoluten Katastrophe.

Selbst in den reichsten Ländern wie den USA hat die Pandemie schreckliche Auswirkungen auf die ärmsten Schichten der Gesellschaft gehabt. Aber für den grössten Teil der Menschheit befindet sich diese Krise auf einer ganz anderen Ebene.

Die Coronavirus-Pandemie legt die brutalen Ungleichheiten in der Welt auf grelle Weise offen. Jeder zweite Mensch auf dem Planeten kämpft täglich ums Überleben. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Für Menschen in Armut kann Krankheit ein Todesurteil sein. Weltweit arbeiten zwei Milliarden Menschen im informellen Sektor ohne Zugang zu Krankengeld, die Mehrheit davon in armen Ländern.

Die Auswirkungen des Virus treffen vor allem die Armen, die Tagelöhner und informellen Arbeiterinnen und Arbeiter, von denen viele Frauen sind, die keinen finanziellen und sozialen Schutz haben. Millionen von Menschen sind gezwungen, zur Arbeit zu gehen und dem Tod durch das Killervirus ins Auge zu sehen, weil sie mit Verdienstausfällen und steigenden Preisen für Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter nicht leben können. In armen Ländern leben viele Menschen in informellen städtischen Siedlungen oder Elendsvierteln, die oft überfüllt sind und über schlechte sanitäre Einrichtungen verfügen. Wenn sich bis zu 250 Menschen einen Wasserhahn teilen, wie kann man dann von sozialer Distanzierung, Händewaschen und Rückverfolgung von Fällen sprechen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern?

Doch anstatt in ihre Gesundheitssysteme zu investieren und so sich gegen den Ansturm des Virus zu wehren, müssen diese Länder ihre kostbaren Ressourcen dafür nutzen, ihre Schulden zu begleichen. Die Auslandsschulden der 77 ärmsten Länder sollen sich allein im Jahr 2020 auf mindestens 40 Milliarden Dollar belaufen. Auch dann noch, wenn die Hälfte der Welt von einer schrecklichen Pandemie heimgesucht wird und Millionen von Menschen entweder durch Krankheit oder Hunger sterben müssen, saugen die imperialistischen Vampire weiterhin das Blut aus ihren Adern.

Afrika
Südafrika, das einen der grössten Anstiege der Corona-Fälle an nur einem Tag verzeichnete, hat die höchste Zahl bestätigter Infektionen auf dem afrikanischen Kontinent. In Ägypten sind die Fallzahlen seit Mitte Mai rapide angestiegen. Auch Lesotho und Namibia verzeichneten in den letzten Tagen einen steilen Anstieg der Fälle.

Über das Geschehen in Nigeria, das gemessen an der Gesamtzahl der bisher auf dem Kontinent registrierten Fälle an dritter Stelle steht, wächst die Besorgnis. Die fünf Länder mit den höchsten Todesraten sind Tschad, Sudan, Niger, Liberia und Burkina Faso. In Malawi gibt es nur 25 Intensivpflegebetten und 16 Beatmungsgeräte für mehr als 18 Millionen Menschen. In Sambia gibt es einen Arzt für 12.000 Menschen.

In vielen Ländern sind die Märkte gestört, und die Quarantäne von Gemeinden hat zu Einkommensverlusten geführt. Millionen von Arbeitern wurden bereits ohne Bezahlung nach Hause geschickt. Andere in den am schlechtesten bezahlten und unsichersten Arbeitsplätzen können sich nicht von dem tödlichen Virus isolieren. Die UNO warnt davor, dass die Hälfte aller Arbeitsplätze in Afrika gefährdet ist.

Indien und Pakistan
Die Coronavirus-Pandemie hat in Pakistan verheerende Auswirkungen gehabt, aber die Situation hat in Indien die dramatischsten Ausmasse erreicht. Das wahre Ausmass der Ansteckung und der Todesfälle, die durch COVID-19 verursacht werden, beginnen wir erst jetzt zu verstehen. Die offiziellen Zahlen besagen, dass über zwei Millionen Menschen infiziert worden sind. Dies ist mit ziemlicher Sicherheit eine Unterschätzung.

Wissenschaftler haben auch davor gewarnt, dass Indien noch Monate vom Höhepunkt seines Ausbruchs entfernt sein könnte – obwohl es bereits die dritthöchste Zahl an bestätigten Fällen hat. Die Krankenhäuser in den am schlimmsten betroffenen Städten, darunter Mumbai und Bangalore, sind mit Patienten überfüllt. Narendra Modi versuchte, die Pandemie zu „lösen“, indem er Millionen von armen Menschen, die auf den Strassen von Delhi, Mumbai und anderen Städten leben, vertrieben hat. Dies diente nur dazu, die Pandemie auf die Dörfer und Provinzen zu verbreiten, denen es an elementarsten Gesundheitsvorkehrungen mangelt. Die menschlichen Folgen werden wirklich schrecklich sein.

Von den 471 Millionen Arbeitskräften Indiens sind nur 9 Prozent sozialversichert, 90 Prozent haben keinen formellen Arbeitsvertrag und 139 Millionen sind Wanderarbeiter. Viele von ihnen wurden Hals über Kopf in ihre Dörfer zurückgeschickt. Seit der Teilung 1947 hat es nichts Vergleichbares gegeben.

Modi und seine hinduistisch-chauvinistische Bande versuchen, die Aufmerksamkeit von der Krise abzulenken, indem sie die Flammen des Hindu-Chauvinismus und des Kommunalismus anfachen und damit noch mehr Elend und Gewalt für die leidenden Massen Indiens schüren. Als ob das harten Durchgreifen in Kashmiri und die folgenden Provokation eines Konflikts mit Pakistan nicht genügten, machte er mit einem Grenzkrieg mit China weiter, bei dem er sich eine blutige Nase holen wird.

Lateinamerika
In Lateinamerika hat das Coronavirus nun seine bösartigste Ausprägung angenommen. In Ländern wie Brasilien, Chile, Ecuador und Peru gerät es ausser Kontrolle. In einigen Städten Ecuadors sind die Friedhöfe voll und die Leichen liegen auf den Strassen.

Die rechten Regierungen haben sich als völlig unfähig erwiesen, mit dieser Bedrohung für das Leben der Menschen umzugehen. Im Gegenteil, durch ihr grausames und unverantwortliches Verhalten haben sie die Krise millionenfach verschlimmert. Aber die Stimmung in Lateinamerika ist durch die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten enorm ermutigt worden.

Die Massenproteste und die Black Lives Matter-Bewegung haben die Stimmung der Menschen südlich des Rio Grande befeuert, von denen die meisten nie geglaubt haben, dass so etwas im Kernland des Imperialismus möglich wäre. Die Massen sind zum Kampf bereit. Aber wieder einmal ist es ein Problem der Führung.

Brasilien und Chile
In Brasilien ist trotz der dummen Hysterie der so genannten Linken und der Sekten, die sich einbildeten, der Faschismus habe mit dem Wahlsieg von Bolsonaro triumphiert, die Basis des Präsidenten geschrumpft und seine Partei gespalten. Im Land gibt es bereits fast vier Millionen Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Dazu zählt auch der Präsident, der sicher die besten Ärzte haben wird. Aber für viele arme Menschen in Brasilien wird dies ein Todesurteil sein.

Die Coronavirus Krise hält die Bewegung vorübergehend zurück. Aber unter der Oberfläche gibt es eine ungeheure Wut gegen die Regierung. Sobald die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden, wird sich dies in einem massiven revolutionären Aufschwung äussern.

Der Fall Brasilien ist bekannt. Aber das Verhalten der Behörden in Chile ist nicht viel besser. Die rechte Regierung von Piñera regiert über eine nationalen Katastrophe. In Chile kam es im Herbst 2019 zu massiven aufständischen Protesten und eine neue Protestbewegung entsteht, die sich vor allem gegen die privatisierte Rentenversicherung richtet – ein Erbe der Pinochet-Diktatur. Menschen, die verzweifelt nach Geld zum Überleben suchen, fordern das Recht, ihr Geld aus der privatisierten AFP abzuheben.

Die Regierung leistet Widerstand, hat aber zwei Niederlagen im Parlament erlitten. Eine neue Bewegung könnte sie leicht zu Fall bringen. Vor kurzem gab es einen Streik der Hafenarbeiter, die gegen den Skandal protestierten. Jetzt drohen die Bergarbeiter mit einem Streik.

Die Regierung Piñera war gezwungen, ein Zugeständnis bezüglich der AFP zu machen, indem sie den Menschen erlaubte 10 Prozent ihres Geldes abzuheben. Dies zeigt, wie schwach seine Regierung ist. Die Regierung bleibt nur aufgrund der kompromisslerischen Haltung der parlamentarischen Linken und der Gewerkschaftsführer an der Macht. Aber nichts Grundlegendes ist gelöst worden und eine neue soziale Explosion ist in Vorbereitung.

Die Krise des Reformismus
Revolutionäre Möglichkeiten sind der gesamten Situation implizit. Diese Tatsache zeigt sich in der zunehmenden Radikalisierung einer Gesellschaftsschicht, insbesondere der Jugend. Diese Tendenz wurde von den Strategen des Kapitals mit Besorgnis beobachtet. Die Financial Times kommentierte dazu:

„Die Finanzkrise hat die Ansichten der Millennials in einer Weise geprägt, die bereits die Politik auf beiden Seiten des Atlantiks bestimmt, einschliesslich der grösseren Bereitschaft der jüngeren Menschen, sich selbst als Sozialisten zu bezeichnen.“

„Millennials hoben Jeremy Corbyn an die Spitze der Labour-Partei und ermöglichten Bernie Sanders beinahe die Präsidentschaftskandidatur bei den Demokraten. Das Coronavirus wird wahrscheinlich viele dieser Ansichten schärfen“.

Dies ist ein sehr aufschlussreicher Artikel, der zeigt, wie die ernsthaften Strategen des Kapitals zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen wie die Marxisten. Sie verstehen auch, dass sich die neu erwachten Schichten in erster Linie den linken Reformisten zuwenden werden. Eine solche Entwicklung ist unter den gegenwärtigen Bedingungen völlig vorhersehbar.

Linker Reformismus
Aufgrund der Schwäche der Kräfte des echten Marxismus werden sich diese radikalisierten Schichten in erster Linie linken reformistischen Politikern zuwenden, die einen Ausweg aus der Krise zu bieten scheinen. Unter dem Druck der Massen können sie eine sehr radikal klingende Rhetorik aufgreifen. Aber letztlich haben sie keine Perspektive, den Kapitalismus abzuschaffen.

Sie glauben, dass der Kapitalismus reformiert, humaner, demokratischer und so weiter gemacht werden kann. Diese Illusionen werden durch den Lauf der Ereignisse auf grausame Weise entlarvt werden, wie wir bereits im Fall von Tsipras in Griechenland gesehen haben.

Für die Reformisten kommt eine Revolution nie in Frage. Nicht nur für die rechten Reformisten, sondern vor allem auch für die linken Reformisten. Sie werden immer tausend und eins Gründe dafür finden, warum eine Revolution unmöglich, utopisch und so weiter und so fort sei.

Die Massen werden endlich gezwungen, sich der Realität zu stellen. Sie beginnen langsam Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist unsere grosse Stärke und die grosse Schwäche des Kapitalismus und Reformismus. Es wird Zeit brauchen, aber früher oder später werden die alten Illusionen allmählich aus dem Bewusstsein der Arbeiterklasse ausgebrannt werden.

Eine grosse Zahl von radikalisierten Arbeitern und Jugendlichen hat die Schule von Tsipras, Sanders und Jeremy Corbyn durchlaufen. Die besten Kräfte haben aus dieser Schule wertvolle Lehren gezogen. Nachdem sie ihren Abschluss gemacht haben, sind sie nun auf eine höhere Ebene gewechselt und streben nach weiterer Aufklärung in der Schule des revolutionären Marxismus. Wir sollten ihnen helfen, diesen Übergang zu schaffen. Aber wie soll das geschehen? Zwei Fehler sind hier möglich.

Die Opportunisten üben keine Kritik an der reformistischen Linken und werden faktisch zu einer Art Fanclub. Auf dem anderen Extrem erklären die geistlosen Sektierer, die sich für grosse Revolutionäre halten, weil sie ein paar Zeilen Trotzkis gelesen haben, ohne ein einziges Wort zu verstehen, lautstark, dass dieser oder jener linke Führer verraten wird. In den Reihen der IMT gibt es keinen Platz für solche Abweichungen. Es ist schwer zu sagen, welche der beiden der Sache des echten Marxismus mehr schadet.

Im Umgang mit den linken Reformisten müssen wir darauf achten, prinzipielle Entschlossenheit gekonnt mit der notwendigen Flexibilität und dem nötigen Fingerspitzengefühl zu verbinden, wenn wir unsere Kritik äussern. Um die Worte von Marx zu zitieren, müssen wir „Hart in der Sache, sanft im Ton“ sein. Nur auf diese Weise können wir die besten der Arbeiter und Jugendlichen gewinnen, die noch ehrliche Illusionen in die reformistischen Linken haben.

Wir müssen den linken Reformisten antworten, nicht durch schrille Denunziationen, sondern durch geduldige Erklärungen. Durch Erfahrung werden die Menschen, die sich in eine revolutionäre Richtung bewegen, die Grenzen nicht nur der rechten Reformisten, sondern auch der Linken verstehen lernen.

Der Todeskampf des Kapitalismus
Überall wohin wir schauen, sehen wir den Zusammenbruch der Produktivkräfte, wachsende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und anschwellende Leiden, Kriege, Krisen, Krankheit und Tod. Doch dies sind lediglich die äusseren Erscheinungsformen einer zugrunde liegenden Krankheit. Und wie ein guter Arzt müssen wir in der Lage sein, die Symptome zu analysieren, um die zugrunde liegende Ursache zu erklären.

Leute, denen ein wissenschaftliches marxistisches Geschichtsverständnis fehlt, ziehen natürlich pessimistische Schlussfolgerungen. Aber wir haben die Symptome schon vor der Geschichte gesehen.

Der Niedergang des Römischen Reiches erstreckte sich über einen Zeitraum von Jahrhunderten und ging mit dem schrecklichsten wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und philosophischen Verfall einher. Diese lange Periode des Niedergangs verlief jedoch nicht geradlinig. Es gab Zeiten der Erholung, so wie ein Sterbender manchmal alle Symptome der Genesung zu zeigen scheint, die nur der Auftakt zu einem weiteren und unwiderruflichen Zusammenbruch sind.

Solche Phasen der Genesung sind für den Kapitalismus keineswegs ausgeschlossen. Aber die allgemeine Linie ist eindeutig die des Niedergangs. Eine dauerhafte Lösung ist nicht möglich. Um eine berühmte Formulierung Trotzkis zu verwenden: Dies ist der Todeskampf des Kapitalismus. Und dieser Todeskampf bedroht die gesamte Menschheit.

Die Kraft der Trägheit
Bei der Analyse von Phänomenen müssen Marxisten darauf achten, sie aus allen Blickwinkeln zu betrachten und dabei die widersprüchlichen Kräfte zu berücksichtigen, die in verschiedene Richtungen ziehen. Wir sind in die turbulenteste Periode der Menschheitsgeschichte eingetreten. Die gegenwärtige wirtschaftliche, soziale und politische Krise kann auf der Grundlage des gegenwärtigen Systems keine dauerhafte Lösung finden. Das bedeutet natürlich nicht, dass in bestimmten Momenten ein gewisses instabiles Gleichgewicht nicht wiederhergestellt werden kann. Im Gegenteil, Zeiten einer vorübergehenden Erholung sind unvermeidlich. Aber sie werden von kurzer Dauer sein und lediglich den Auftakt zu einem neuen und noch steileren Zusammenbruch bilden.

Die gegenwärtige Situation stellt ein kompliziertes Kräfteparallelogramm dar. Auf der einen Seite suchen die Massen verzweifelt nach einem Ausweg aus der Krise. Sie sind bereit, den revolutionären Weg einzuschlagen, aber es fehlt ihnen ein klares Programm und eine klare Perspektive für den weiteren Weg.

Folglich können die spontanen Ausbrüche der Rebellion die aufgeworfenen Probleme nicht lösen. Deshalb lassen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt nach, wie die Wellen des Ozeans, die auf festen Fels prallen, und werden schliesslich unterdrückt. Die bestehende Ordnung verfügt über einen mächtigen Widerstand. Das gibt einigen Strategen der Bourgeoisie Vertrauen. Der amerikanische Historiker Eric Foner hat kürzlich folgende Erklärung abgegeben:

„Es scheint eine sehr starke Trägheit zu geben, die uns zur Normalität zurückdrängt. Ich bin skeptisch gegenüber denen, die glauben, dass dieses Coronavirus alles verändern wird“. Es ist notwendig, dass wir diese Bemerkungen sehr sorgfältig prüfen, da sie einen wichtigen wahren Kern enthalten.

Natürlich messen wir der gegenwärtigen Welle von Kämpfen in den USA und anderen Ländern enorme Bedeutung bei. Wir begrüssen und umarmen sie mit der grösstmöglichen Begeisterung. Aber wir verstehen auch, dass das Symptome sind, die ein embryonaler Ausdruck grosser in Vorbereitung begriffener Ereignisse sind.

Um die richtige Perspektive und die richtige Taktik herauszuarbeiten, müssen wir die andere Seite der Frage verstehen. Die Kraft der Trägheit ist ein bekanntes und einfaches Element der Mechanik. Aber auch die stärkste Trägheit kann durch eine ausreichende Kraftanwendung überwunden werden.

Die mächtigste Trägheit von allen ist die Kraft der Gewohnheiten, Bräuche und Traditionen, welche schwer auf dem menschlichen Bewusstsein lasten. Instinkte, die aus einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit geerbt wurden, machen die Menschen widerstandsfähig gegen Veränderungen und ängstigen sie davor. Um einen Sprung nach vorn zu machen, muss diese Barriere überwunden werden. Aber das kann nur durch die mächtigsten sozialen und wirtschaftlichen Katastrophen geschehen, die Männer und Frauen dazu zwingen, Dinge in Frage zu stellen, die sie bisher als fest und unveränderlich betrachteten.

Die Aufgabe der Revolutionäre
Das kapitalistische System ist von lebenserhaltenden Massnahmen abhängig. Es hängt jetzt ausschliesslich von kolossalen Zuwendungen des Staates ab. Aber nach den Theorien der Marktwirtschaft soll der Staat im Wirtschaftsleben keine Rolle spielen.

Daher muss die Frage gestellt werden: Wenn das kapitalistische System nicht überleben kann, ohne dabei von den Krücken des Staates gestützt zu werden, warum schafft man es dann nicht ganz ab und lässt den Staat die vollständige Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen, um sie vor dem vollständigen und absoluten Bankrott zu bewahren?

Die gegenwärtige Situation ist eine völlige Verdammung des kapitalistischen Systems, das seine historische Rolle überlebt hat und nur noch auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen werden kann. Aber wir wissen, dass der Kapitalismus nicht einfach unter der Last seiner eigenen Widersprüche zusammenbrechen wird. Er kann selbst aus der tiefsten Krise herauskommen und er wird es auch aus der gegenwärtigen Krise. Die Frage ist jedoch: Wie wird er daraus herauskommen und zu welchem Preis für die Menschheit?

Auch wenn Phasen teilweiser und vorübergehender Erholung keineswegs ausgeschlossen sind, ist die allgemeine Linie eindeutig die eines Niedergangs. Die nächste Erholung wird nur vorübergehend sein, der Auftakt zu einem neuen und noch tieferen Zusammenbruch der Produktivkräfte. Im Kapitalismus ist keine dauerhafte Lösung möglich.

Der Kapitalismus gleicht heute einem Ungeheuer, das auf den Beinen stirbt, todkrank, altersschwach und zerfallend ist. Aber er weigert sich zu sterben. Und die Konsequenzen für die Menschheit für diese Verlängerung sind im Extremfall erschreckend. Doch das ist nur die eine Seite des Bildes. Unter den Symptomen des tödlichen Verfalls kämpft eine neue Gesellschaft darum, geboren zu werden.

Es ist unsere Pflicht, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um diesen Todeskampf zu verkürzen und die Geburt des neuen Systems herbeizuführen, diese Geburt zu unterstützen, damit sie so bald wie möglich und mit so wenig Schmerzen und Leiden wie möglich erfolgen kann.

Determinismus ist nicht Fatalismus
Der Marxismus basiert auf der materialistischen Geschichtsauffassung. Wir lehnen die postmoderne (idealistische) Auffassung von Geschichte als einer blossen Wiederholung sinnloser Zufälle ab. Die Geschichte hat ihre eigenen Gesetze und es ist unsere Pflicht, sie zu verstehen.

Wir sind Geschichtsdeterministen in dem Sinne, dass wir verstehen, dass die allgemeinen Prozesse der Geschichte nach bestimmten Gesetzen ablaufen. Aber Determinismus ist keineswegs dasselbe wie Fatalismus. Marx erklärte viele Male, dass Männer und Frauen ihre eigene Geschichte machen. Wenn ein sozioökonomisches System in eine Phase des Niedergangs eintritt, wird die soziale Revolution auf die Tagesordnung gesetzt.

Aber ob diese Revolution erfolgreich sein wird oder nicht, hängt von der aktiven Beteiligung des subjektiven Faktors ab – in modernen Begriffen –, der revolutionären Partei und ihrer Führung. Im siebzehnten Jahrhundert wurde in England die erste bürgerliche Revolution unter dem Banner der Religion ausgefochten. Die Puritaner glaubten, das Ende der Welt stehe bevor und das Reich Gottes sei nahe. Sie glaubten, dies sei unvermeidlich.

Die Calvinisten glaubten inbrünstig an Fügung. Alles war durch den Willen Gottes vorherbestimmt, der weitaus grösser war als der Wille des einzelnen Mannes oder der einzelnen Frau. Aber diese Überzeugung schmälerte in keiner Weise ihren revolutionären Eifer und ihre Entschlossenheit, diese neue Welt so schnell wie möglich zu schaffen.

Im Gegenteil spornte sie das zu grossen Taten von revolutionärer Tapferkeit und Kühnheit an. Vor genau der gleichen Aufgabe stehen die Revolutionäre heute. Und wir werden sie mit genau der gleichen revolutionären Entschlossenheit angehen. Der Unterschied besteht darin, dass wir im Gegensatz zu ihnen mit den wissenschaftlichen Theorien des revolutionären Marxismus bewaffnet sind.

Die Weltrevolution
Was ist die wirkliche Bedeutung der gegenwärtigen Situation? Es ist eine Vorbereitungsphase der Revolution. Die Globalisierung und die daraus resultierende Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung hat die internationalen Verflechtungen in einem in der Vergangenheit unbekannten Ausmass verstärkt.

Bis vor kurzem diente die Globalisierung dazu, der Entwicklung des Kapitalismus zu neuen Höhen zu verhelfen. Jetzt wird dieselbe Sache dazu dienen, die Revolution im Weltmassstab auszubreiten. Im Zuge dieser Ereignisse wird die Arbeiterklasse viele Möglichkeiten haben, die Macht in ihre Hände zu nehmen. Früher oder später, in dem einen oder anderen Land, wird der Durchbruch kommen. Das wird die Situation im Weltmassstab verändern.

Es ist unmöglich zu sagen, wo der Durchbruch stattfinden wird. Er könnte in Brasilien, Italien, im Libanon, in Griechenland, Russland oder China stattfinden – oder möglicherweise sogar in den Vereinigten Staaten selbst. Aber wenn er einmal eingetreten ist, werden sich die Auswirkungen viel schneller über die ganze Welt ausbreiten als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte.

Die Revolutionen von 1848-49 beschränkten sich auf Europa und fanden in der übrigen Welt nur ein geringes Echo. Die grosse Oktoberrevolution von 1917 löste nicht nur in Europa revolutionäre Wellen aus, sondern auch in Asien, wo sie den eigentlichen Beginn der Kämpfe der versklavten Kolonialvölker für die Freiheit markierte. Aber jetzt sehen wir überall revolutionäre Bewegungen: von Frankreich bis zum Libanon, von Weissrussland bis Thailand, von den USA bis Chile. Mit anderen Worten, wir sehen bereits die Umrisse der Weltrevolution.

Revolutionäre Geduld
In der Vergangenheit dauerten vorrevolutionäre Situationen nicht lange. Die Krise wurde, oft innerhalb weniger Monate, durch den Sieg der Revolution oder aber der Konterrevolution, entweder in faschistischer oder bonapartistischer Gestalt, gelöst. Aber das gegenwärtige Kräfteverhältnis der Klassen lässt eine solch rasche Lösung nicht zu. Das Abschmelzen der gesellschaftlichen Massenbasis der Reaktion (Bauernschaft usw.) bedeutet, dass die herrschende Klasse in den meisten Ländern nicht sofort zu einer faschistischen oder bonapartistischen Reaktion greifen kann.

Auf der anderen Seite wird die Arbeiterklasse von den Führern ihrer eigenen Massenorganisationen daran gehindert, die Macht zu erobern. Aus diesen Gründen kann sich die Krise des Kapitalismus noch eine ganze Weile hinziehen – Jahre, vielleicht Jahrzehnte, mit Höhen und Tiefen.

Diese Periode wird von heftigen Ausschlägen der öffentlichen Meinung – sowohl nach links als auch nach rechts – geprägt sein, die Ausdruck der verzweifelten Suche der Massen nach einem Ausweg aus der Krise sind. Eine instabile Koalition wird auf eine andere folgen. Alle bestehenden Parteien und Führer werden auf die Probe gestellt werden. Die Massen werden eine Option nach der anderen austesten und erst die ein dann die andere Partei verwerfen, bevor sie schliesslich zu revolutionären Schlussfolgerungen gelangen.

Dieser Prozess hat zweifelsohne begonnen. Das ist eine äusserst wichtige Tatsache. Aber der Beginn eines Prozesses ist nicht mehr als das. Damit dieser Prozess reifen und sein volles Ausmass entfalten kann, wird es notwendig sein, eine Reihe von Erfahrungen zu durchlaufen, da die Massen nur aus Erfahrungen lernen können. Und sie werden lernen. Das Endergebnis ist noch nicht in Sicht.

Marxisten sind geduldige Menschen. Es macht uns nichts aus, wenn der Prozess ein wenig länger dauert. Aus dem einfachen Grund, weil wir noch nicht bereit sind. Die Menschen sind jetzt offener für unsere Ideen als zu jedem anderen Zeitpunkt. Überall entwickelt sich eine eindeutig antikapitalistische Stimmung. Unsere Ideen werden als relevant angesehen, weil sie die reale Situation genau widerspiegeln.

Die objektiven Bedingungen für eine sozialistische Weltrevolution sind, wie Trotzki hervorhob, nicht nur reif, sondern überreif. Aber zusätzlich zu den objektiven Bedingungen ist auch der subjektive Faktor notwendig. Unsere Aufgabe ist es, diesen Faktor aufzubauen.

Die IMT aufbauen!
Aus Gründen, die nicht in den Bereich des vorliegenden Dokuments fallen, wurden die Kräfte des echten Marxismus eine ganze historische Periode lang zurückgeworfen. Es ist diese Schwäche der revolutionär-marxistischen Tendenz im Weltmassstab, die es den Massen unmöglich macht, sich sofort in unseren Reihen zu sammeln.

In diesem Stadium wird unser Publikum auf die fortgeschrittensten Schichten der Arbeiter und der Jugend beschränkt sein, aus dem einfachen Grund, dass wir noch nicht genügend Kräfte angesammelt haben, um die Massen direkt zu erreichen. Aber gerade durch diese Schicht können wir die Massen erreichen. Es gibt wirklich keinen anderen Weg.

Natürlich müssen wir dort, wo sich grosse Möglichkeiten eröffnen, bereit sein, mutig die Initiative zu ergreifen. Sehr oft kann eine kühne Intervention nur eines unserer Genossen in einer Massenversammlung darüber entscheiden, ob ein Streik stattfindet oder nicht. Es ist möglich, dass eine mutige Initiative uns an die Spitze wichtiger Massenbewegungen katapultieren kann. Es versteht sich von selbst, dass wir solche Möglichkeiten mit beiden Händen ergreifen müssen. Aber zu jeder Zeit ist es notwendig, Augenmass zu wahren. Wir dürfen keine übertriebene Vorstellung unserer Kräfte haben, und wir müssen verstehen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist und was nicht.

Lenin betonte oft die Notwendigkeit revolutionärer Geduld. Wir dürfen nicht über die Köpfe der Arbeiterklasse springen. Wir können nicht lauter schreien als es unsere Stimme erlaubt. Trotzki warnte seine Anhänger davor, dass man dort, wo man nicht gesät hat, auch nicht ernten kann. Es gibt keine Abkürzungen zum Erfolg. Die Suche nach Abkürzungen ist ein sicheres Rezept für Abweichungen, sei es der opportunistischen oder der linksradikalen Art. Beide sind gleichermassen katastrophal.

Wir werden Schritt für Schritt vorgehen, uns ehrgeizige, aber realisierbare Ziele setzen und dann überprüfen, ob sie auch umgesetzt werden. Der Aufbau einer revolutionären Organisation besteht aus einer ganzen Reihe von kleinen Schritten. Aber kleine Fortschritte bereiten den Weg für weit grössere Dinge in der Zukunft.

Die IMT macht stetige Fortschritte. Dies wird sowohl von unseren Freunden als auch von unseren Feinden anerkannt. Unsere jüngste Weltschule hat gezeigt, dass unsere Ideen bereits Tausende der fortschrittlichsten Arbeiter und Jugendlichen erreichen, die einen revolutionären Ausweg suchen.

Das war ein grosser Schritt nach vorn, aber es ist erst der Anfang. Aus den Tausenden werden Zehntausende und letztendlich werden wir Millionen erreichen können. Es ist keineswegs dasselbe, mit einer Gruppe von 20 in eine neue Etappe der Weltrevolution einzutreten wie mit einer Organisation von tausend. Das ist eine recht schwierige, aber unvermeidliche Aufgabe.

Die schwierigste Aufgabe besteht darin, von der ersten kleinen Handvoll zu den ersten hundert zu gelangen. Von den ersten hundert zu den ersten tausend zu gelangen ist auch nicht einfach, aber es ist viel einfacher. Aber von den tausend zu den zehntausend zu gelangen, ist noch einfacher. Und von zehntausend zu hunderttausend zu gelangen ist nur ein Schritt.

Um einen Satz aus der Physik zu gebrauchen, wir müssen die kritische Masse erreichen – den Punkt, an dem die IMT wirklich als entscheidender Faktor in die Situation eintreten kann. Wir müssen vor allem auf die Ausbildung der Kader achten. Wir beginnen mit der Qualität, die sich an einem bestimmten Punkt in Quantität verwandelt, die wiederum zu Qualität wird.

Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Nur wenn wir das erreichen, wird es möglich sein, dem Alptraum des Kapitalismus ein Ende zu setzen und den Weg zu einer neuen und besseren Welt im Sozialismus zu öffnen.

Bild: © Socialist Appeal