Dilettantische Aktion von Schmugglern, die Koffer voller Bargeld in die Schweiz oder in andere Ländern bringen, gibt es seit Jahrzehnten. Doch dieser Skandal hat andere Dimensionen. Er reiht sich ein in die schmutzigen Geschäfte der Banken, die schon bei der Immobilienkrise in den USA sichtbar wurden und 2008 mit ein Auslöser für die weltweite Wirtschaftskrise waren. Damals gab man bewusst Kredite an Häuslebauer, die den zu hohen Kredit der Banken nicht zurückzahlen konnten. Nun wird schlagartig deutlich, dass Vermögende aus aller Welt Steuern gezielt hinterziehen, indem sie eine Briefkastenfirma gründen. Steuern, die angesichts um sich greifender Armut und verkommender Infrastruktur weltweit dringend benötigt wären.
Doch viele Menschen sind von dem Skandal kaum überrascht, da prominente Fälle von Steuerhinterziehung schon längst bekannt sind. So wurde Uli Hoeness, Ex-Präsident des FC Bayern München, im März 2014 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt und schon nach Verbüssung der halben Haftzeit Ende Februar 2016 wieder freigelassen.
Doch eines ist jetzt anders: Mit den Panama Papers wird Millionen Menschen schlagartig bewusst, dass es sich in hohem Masse um eine organisierte „legale“ Steuerhinterziehung handelt. Gerade auch politische und wirtschaftlichen Eliten aus aller Welt sind hier vereint, auch wenn sie sich in der Tagespolitik offiziell distanziert und feindselig gegenüberstehen. Poroschenko und Putin und ihre Clans, Cameron und Assad, Argentiniens Präsident Macri, der neue Präsident Afghanistans, Chinas Ex-Premier Li Peng und der saudische König Salman sind nicht die einzigen, die mit Hilfe der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca Steuerhinterziehung betrieben haben.
Erste Köpfe rollen
Nach wenigen Tagen haben die Enthüllungen bereits eine erste Konsequenz gehabt: So musste Islands konservativer Ministerpräsident Sigmundur Davíð Gunnlaugsson am 6. April zurücktreten. Er war mit dem Versprechen gewählt worden, die Korruption in Island zu bekämpfen. Nun wurde aber amtlich, dass der „Saubermann“ seine frühere Beteiligung an einer millionenschweren Briefkastenfirma seiner Ehefrau auf den British Virgin Islands verschwiegen hatte. Im Gegensatz zur immer reicher werdenden politischen und ökonomischen Elite leidet die Bevölkerung unter zunehmend schlechteren Lebensbedingungen. Kurz nach den Enthüllungen versammelten sich rund 22.000 Menschen zum Protest. In einem Land mit nur 330.000 Einwohnern ist dies eine sehr deutliche Missfallensbekundung.
Doch die Korruption macht in Island nicht Halt. In der Süddeutschen Zeitung heisst es: „Jean-Marie Le Pen, der greise Patriarch von Frankreichs Rechtsnationalen, soll steuermindernd einen Teil seines Vermögens dem internationalen Finanzkapital anvertraut haben.“ Seit Juni wird gegen Jean-Marie Le Pen bereits wegen Verdachts, 2,2 Millionen Euro ins Ausland geschafft zu haben, ermittelt. Auch seine Tochter Marine Le Pen, die heutige Führerin der Rechtspartei Front National (FN), die sich bislang als „Sauberfrau“ und Gegnerin des „Establishments“ in Szene gesetzt hat, wird jetzt vom Skandal erfasst. Zwei ihrer engsten Vertrauten tauchen in den Panama-Enthüllungen im Zusammenhang mit einem komplexen Geflecht von Niederlassungen in Hong Kong, den British Virgin Islands und Singapore auf. Dabei soll es auch um eine illegale Wahlkampffinanzierung für den FN gegangen sein. Offenbar sind die FN-Spitzen nicht weniger verkommen und korrupt als andere bürgerliche Parteien und Politiker. Le Pen Senior schiesst zurück: Die Panama-Papers seien nur der Versuch der NATO, politische Gegner zu diskreditieren. Schliesslich seien noch keine Daten von Steuerhinterziehern aus Deutschland und der USA veröffentlicht worden.
Und die USA?
Interessant ist in der Tat, dass die Untersuchungen zu Mossack Fonseca von dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlicht worden, einer Organisation, die ihren Sitz in der US-Hauptstadt Washington DC hat und Gelder von marktbeherrschenden US-Grosskonzernen wie Ford, Kellogg, Carnegie und Rockefeller erhält. Es ist kaum vorstellbar, dass ausgerechnet die herrschende Klasse der USA, dass Konzerne, Banken und Politiker, die als besonders korrupt gelten, nicht in Steuerhinterziehung über ein Geflecht von Briefkastenfirmen verstrickt sein sollen. Schon wird darüber spekuliert, dass eine volle Enthüllung aller Verflechtungen Auswirkungen auf den US-Präsidentschaftswahlkampf und vor allem das Duell zwischen den demokratischen Bewerbern Hillary Clinton und Bernie Sanders haben könnte. Schliesslich hat Clinton in ihrer Amtszeit als Aussenministerin unter Präsident Obama von 2009 bis 2011 ein Freihandelsabkommen mit Panama durchgesetzt. Gegner des Projekts, darunter Senator Bernie Sanders, warnten damals vor einer erleichterten „legalen“ Steuerhinterziehung über ausländische Briefkastenfirmen im Gefolge des Abkommens. Clinton gilt schon längst als die Kandidatin der Milliardäre und des „Establishments“, während Sanders seine Kampagne mit kleinen Einzelspenden von Millionen Menschen finanziert und als Gegenpol zum „Establishment“ angesehen wird. Die Wut der Massen auf korrupte Eliten könnte sich steigern und Sanders stärken, auch wenn die Namen aus den USA vorerst nicht preisgegeben werden.
Südamerika
Auch in Südamerika haben die Enthüllungen weitreichende Folgen. So ist durch Korruptionsskandale die Position der Präsidentin Dilma Roussef und Regierung der Arbeiterpartei PT ins Wanken geraten. Die bürgerliche Partei PMDB war vor wenigen Tagen publikumswirksam aus der angeschlagenen Regierung ausgetreten. Nun ist ihr vermeintliches „Saubermann-Image“ durch Enthüllungen über Steuerhinterziehungen durch führende Politiker aus ihren Reihen ernsthaft zerstört. In Peru überschatten die Panama-Enthüllungen in den letzten Tagen vor der Präsidentschaftswahl am 10. April den Wahlkampf. Hier sind die beiden bürgerliche Kandidaten Keiko Fujimori und Pedro Pablo Kuczynski durch die Papiere ernsthaft belastet. Lachende Dritte könnte die linke Kandidatin Veronika Mendoza sein, die als Gegnerin des „Establishments“ gilt und sich die Korruptionsbekämpfung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Wie lange hält sich Cameron?
In Grossbritannien ist der konservative Regierungschef David Cameron durch die Panama-Enthüllungen in grosse Bedrängnis geraten, nachdem er unter öffentlichem Druck Tag für Tag nur scheibchenweise zugab, dass sein Vater eine Briefkastenfirma betrieben hat. Auch namhafte konservative Abgeordnete und Ex-Parlamentarier tauchen in den Listen auf. In der Konservativen Partei ist eine Art „Bürgerkrieg“ ausgebrochen und angesichts der Volksabstimmung über den Verbleib des Landes in der EU am 23. April ist selbst eine Spaltung der Partei möglich.
Insgesamt sind die bisherigen Enthüllungen nur die „Spitze des Eisbergs“. So half allein die Anwaltskanzlei Mossack Fonseca bei der Gründung von 214.488 Briefkastenfirmen in 21 Steueroasen. Hinzu kommt, dass die Süddeutsche Zeitung, welche in Besitz dieser Daten ist, nicht bereit ist, die Daten an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, geschweige denn sie zu veröffentlichen. Doch bekannt ist, dass mehrere tausend Deutsche von mindestens 28 deutschen Banken an die Offshore-Firma vermittelt wurden. 1200 Briefkastenfirmen wurden so mit Hilfe deutscher Banken gegründet.
Deutsche Banken mischen mit
Somit geraten auch die grossen deutschen Banken, allen voran die Commerzbank und die Deutsche Bank, durch die Panama-Enthüllungen in den Fokus. Wenn angesichts der offenkundigen Verstrickungen des Finanzplatzes Frankfurt am Main Hessens Finanzminister und Banken-Lobbyist Thomas Schäfer warnt, man dürfe jetzt nicht in Aktionismus verfallen, dann spricht das Bände. Seit Jahren stellen Hessen und andere Länder viel zu wenige Beamte ein, um die Banken zu kontrollieren. Bei allem sollten wir auch nicht vergessen, dass die Bundesregierung in der Krise 2008/9 die Banken mit Milliarden Steuergeldern vor der selbstverschuldeten Pleite gerettet hat. So flossen alleine in die Commerzbank über 16 Milliarden Euro. Damit hätte der Bund die ganze Bank übernehmen, also faktisch verstaatlichen können. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) gab sich aber mit 25% der Aktien zufrieden. Und nun sollen wir hinnehmen, dass diese geretteten Banken den Reichen und Superreichen in diesem Lande bei der Steuerhinterziehung helfen. Was liegt da näher als eine Verstaatlichung aller Grossbanken und demokratische Kontrolle durch die Beschäftigten? Diese Forderung schrieb sich die LINKE 2009 auf ihre Fahnen. Es ist höchste Zeit, dass sie sich jetzt aus aktuellem Anlass dazu bekennt und es nicht nur bei zahmen Forderungen nach mehr staatlicher Kontrolle belässt.
Klar ist: Die Steuerhinterziehung ist kein neues Phänomen. Briefkastenfirmen auch nicht. Allein Mossack Fonseca besteht seit 1977. Fonseca, einer der Gründer der Anwaltskanzlei, ist ein enger Berater des Präsidents von Panama und liess sich drei Wochen vor den Enthüllungen der Panama-Papers beurlauben.
Was nun?
Was folgt daraus? Die herrschende bürgerliche Politik ist ganz offensichtlich nicht willens, die Steuerhinterziehung zu stoppen. Sie steckt mit dem Kapitalismus unter einer Decke und deckt als Stütze des Systems die Machenschaften des Kapitals. Je mehr enthüllt wird, desto klarer wird, dass eine andere Gesellschaft notwendig ist. Dass die Gründung von Briefkastenfirmen legal ist und dieses Schlupfloch als Rechtfertigung für Steuerhinterziehung immer wieder genutzt wird, spricht Bände. Die Panama Papers sind in aller Munde. Vermutlich werden in den kommenden Wochen noch weitere Details an die Öffentlichkeit geraten und Köpfe rollen. Doch sie sind nur ein Symptom für die Krankheit des Systems. Der Kapitalismus zeigt immer wieder, dass er nicht in der Lage ist, den gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum für die Gesellschaft zu nutzen. Das Kapital will von gesellschaftlicher Verantwortung und fairer Finanzierung der Aufgaben und Infrastruktur für die Allgemeinheit nichts wissen.
Das grösste Vergehen der Kapitalistenklasse ist jedoch nicht die legale oder illegale Steuerhinterziehung über Briefkastenfirmen, sondern die Ausbeutung der arbeitenden Klasse und private Aneignung des von ihr geschaffenen Reichtums. Der Kapitalismus stützt sich auf Ausbeutung und Korruption und ist ohne sie nicht vorstellbar. Eine sozialistische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung ist möglich und nötig.
Kunst & Kultur — von Sylvain Bertrand, Genf — 14. 10. 2024
Arbeiterbewegung — von Martin Kohler, Bern — 10. 10. 2024
Nah-Ost — von Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI) — 09. 10. 2024