Erstmals in der Geschichte der USA hat ein Kandidat, der sich selber als Sozialist bezeichnet und von einer politischen Revolution gegen die Milliardärsklasse spricht, einen grossen Einfluss bei den Präsidentschaftswahlen – Bernie Sanders. Bereits in der letzten Ausgabe berichteten wir im Artikel „Feel the Bern“ über die US-Wahlen. Wie hat sich die Situation weiterentwickelt?
Bild © Phil Roeder, flickr
Bisher wurde in 37 Staaten (Redaktionsschluss 18. April) gewählt, in 17 davon hat Sanders die Vorwahlen gewonnen und liegt momentan mit 1’110 Delegiertenstimmen rund 650 Stimmen hinter seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Dies ist jedoch vor allem auf die sogenannten Superdelegierten zurückzuführen. Dabei handelt es sich um hochrangige Parteifunktionäre, welche nicht an die Volksentscheide gebunden sind. Von ihnen haben sich bis anhin nur 31 für Sanders ausgesprochen, während 469 Clinton unterstützen wollen. Betrachtet man die tatsächlichen Resultate der Vorwahlen, schrumpft Clintons Vorsprung auf etwas über 200 Delegierte.
Sanders greift sehr wohl das Unbehagen vieler Menschen auf, da er der angestauten Wut vieler AmerikanerInnen Ausdruck verleiht, welche immer mehr das Vertrauen in die herrschende Elite verlieren und genug von diesem System haben. Der Erfolg von Donald Trump bei den Vorwahlen der Republikaner ist auf sehr verzerrte Art Ausdruck des gleichen Phänomens. Denn Trump, obwohl milliardenschwerer Unternehmer, stellt sich ebenfalls erfolgreich als eine Alternative zum Establishment dar. Dass dies der entscheidende Punkt ist, wird dadurch gezeig, dass viele seiner Unterstützer angeben, unter Umständen auch Sanders zu unterstützen.
Ein Verdienst von Sanders’ Kampagne ist bereits heute das Erwachen von Millionen AmerikanerInnen aus ihrer Passivität und ihrem Desinteresse an Politik, die sich für sozialistische Ideen zu interessieren anfangen. Sanders hat eine neue Art von Dynamik und Enthusiasmus (vor allem unter jungen Menschen) entfacht, und auch wenn er hinter Clinton liegt, ist es immer noch möglich, dass er nominiert wird.
Was passiert im Falle einer Nicht-Nomination von Sanders?
Zu Beginn seiner Kandidatur erklärte Sanders, er werde Clinton unterstützen, falls diese für die Demokraten nominiert werde. Nun liess er anfangs April in einer Rede verlauten, dass Clinton nicht geeignet oder berechtigt sei, Präsidentin zu werden, da sie von der Wall Street finanziert werde:
„I don’t think you are qualified if you get $15 million from Wall Street through your super PAC.“
Das Auftauchen Clintons in den Panama Papers unterstreicht unzweifelhaft ihre Verstrickungen mit dem Establishment und dem Kapital und entfernt sie weiter von den Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Sanders‘ Ankündigung, im Falle seiner Nicht-Nomination in der Partei zu bleiben und Clinton – das „geringere Übel“ – zu unterstützen, um Trumps Wahl zu verhindern, muss deshalb kritisch beleuchtet werden.
Es wird argumentiert, dass Trump gewinnen würde, falls Sanders als unabhängiger Kandidat anträte. Das ist möglich, doch keinesfalls sicher! Zweck dieser Argumentation ist es, Sanders als Verräter der Demokraten und Wegbereiter Trumps darzustellen. Dies soll zum Ziel haben, dass sich Sanders der Parteielite fügt, somit in der demokratischen Partei bleibt und keine neue Partei gründet, die mit den beiden grossen Parteien mithalten könnte. Denn damit würde die Erhaltung des Status Quo und des Kreislaufs zwischen den beiden grossen Parteien in Gefahr geraten. Doch eben dieser Kreislauf muss durchbrochen werden. Die Politik in den USA ist festgefahren. Die demokratische und die republikanische Partei spielen von Zeit zu Zeit Pingpong, doch sie spielen ein und dasselbe Spiel. Erst mit dem Durchbrechen des Kreislaufs dieses Spiels durch neue Akteure kann es eine Veränderung geben. Dieses Durchbrechen wird nicht geradlinig laufen, es kann zu Erschütterungen, Erdbeben, ja Kollateralschäden kommen. Doch ein Sieg Trumps wäre nicht die Schuld Sanders’, sondern die der demokratischen Partei, die Clinton aufgestellt hat, sowie die der Gewerkschaften, die ebenfalls keine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen bieten.
Nun stellt sich die Frage, warum Sanders überhaupt für die Demokraten kandidiert und nicht eine eigene Partei gegründet hat. Er muss unheimlich viel Energie aufwenden, sich gegen Clinton durchzusetzen. Diese Energie hätte er anders investieren können als gegen die reiche Parteimaschine der Demokraten, beispielsweise in den Aufbau einer Arbeiterpartei und die Aktivierung der Gewerkschaften. Ohne diese Institutionen kann Sanders, selbst wenn er zum Präsidenten würde, nichts verändern. Und das weiss er – er selbst hat schon gesagt, er alleine könne nichts verändern.
Stellt sich Sanders hinter Clinton, verrät er sowohl seine Prinzipien als auch seine „politische Revolution“ und diskreditiert sich bei seinen UnterstützerInnen. Wer sich erst gegen das Kapital und die Wall Street stellt und verspricht, die grossen Banken aufzusplittern, danach aber deren Vertreterin – Clinton – unterstützt, ist nicht mehr glaubwürdig.
Perspektiven für den Sozialismus
Wer auch immer nominiert wird, der aussergewöhnliche Wahlkampf, den wir zur Zeit in den USA beobachten können, ist erst ein Anfang. In den beiden grossen Parteien der USA findet eine Polarisierung und Auflehnung gegen die herrschende Elite statt – in der republikanischen durch Trump, in der demokratischen durch Sanders. Momentan spielt sie sich noch im Rahmen der bekannten Parteien ab, doch früher oder später wird dieser Rahmen gesprengt werden müssen.
Dieses Phänomen der Polarisierung sehen wir aber auch in anderen Ländern der Welt, was zeigt, dass es ein Zeitphänomen ist, das mit der Krise einhergeht. Die inneren Widersprüche des Kapitalismus brechen auf und werden sichtbar. Je öfter das passiert, desto mehr beginnen die Leute, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich nach einer Alternative umzusehen. Dadurch radikalisieren sie sich und entwickeln ein höheres politisches Bewusstsein. Wir dürfen gespannt sein. Der Sommer wird heiss, auch in den USA.
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