Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses bezeichnete eineR der SprecherInnen der regierenden konservativen PP Spanien als „unregierbar“. Das ist momentan ein passendes Bild dieses Landes.
Das Wahlergebnis hat zu einem äusserst zersplitterten Parlament geführt. Das spiegelt die Klassengegensätze und Radikalisierungen, die in Spanien in den letzten Jahren geschehen sind, wider. Das deutlichste Symptom dieser Prozesse ist das Eindringen der Linkspartei PODEMOS in die politische Szenerie. Sie erfüllte ihr Vorhaben des Comebacks und erreichte 20,66% der Stimmen. Damit ist sie nur 1,35% von der alten sozialdemokratischen Partei PSOE entfernt. Sie hat der spanischen Politik eine grosse Erschütterung gebracht, wie Pablo Iglesias festgestellt hat: „Spanien hat für einen Systemwechsel gestimmt.“
Das Ergebnis
Zuerst ist anzumerken, dass das Zweiparteiensystem, die Stütze der bürgerlichen Herrschaft seit Francos Tod (1975), vorbei ist. Ein System, in dem sich die PP und die PSOE die Macht teilten. Ein System, in dem die PSOE als Sicherheitsventil für den Zorn der Massen gegen die Rechte agierte. Der Aufstieg von PODEMOS, angetrieben von einer historischen Welle der Radikalisierung, hat nun alle Sicherheitsventile der bürgerlichen Demokratie Spaniens zerrissen.
Im Vergleich zur Parlamentswahl 2011 verlor die PP 15,92 Prozentpunkte – fast vier Millionen Stimmen. Ciudadanos, künstlich aufgebläht von den Medien und den KapitalistInnen, die mehrere Monate Geld in diese Partei gepumpt hatten, schnitt unerwartet schlecht ab. Am Ende der Wahlkampagne nahmen sie viele Menschen korrekterweise als eine rechte, reaktionäre Partei war, geschaffen als ein potenzieller Ersatz für die geschlagene PP. Die PSOE schaffte es jedoch nicht, diese Stimmen für sich zu gewinnen. Im Vergleich zu 2011 verlor sie 6,7 Prozentpunkte – über 1,5 Millionen Stimmen.
Es ist wichtig, die Erosion der PSOE zu betonen, eine Entwicklung, die in Spanien als „Pasokisierung“ der Partei bezeichnet wird, eine Anspielung auf die einst mächtige und nun nichtexistierende griechische sozialdemokratische Partei PASOK. Im Gegensatz zur PASOK ist die PSOE noch keine Koalition mit der Rechten eingegangen. Die Regierungszeit, in der sie Austeritätsmassnahmen durchführte, dauerte nur eineinhalb Jahre, von Mai 2010, in dem die ersten Kürzungsmassnahmen von Zapatero verkündet wurden, bis November 2011; viel weniger als bei PASOK. Diese schnelle Erosion der PSOE trotz Opposition bezeugt die rasche Radikalisierung der spanischen Bevölkerung in diesen Jahren der Massenmobilisierung und des Klassenkampfes. Die Erneuerung der Parteiführung nach den EU-Wahlen im Mai 2014, indem der alte, uncharismatische Perez Rubalcaba durch den jungen Pedro Sanchez ersetzt wurde, konnte den Abstieg der PSOE nicht aufhalten. Die schweren Zeiten, in denen sie sich nun befindet, sind nicht nur der Tatsache geschuldet, dass die Leute ihre Rechnung mit einer Partei begleichen wollen, die Austerität durchführte und in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt war, sondern auch der Einsicht eines grossen Teils der Bevölkerung, dass die Probleme der spanischen Gesellschaft nicht durch eine „gemässigte“ Politik der PSOE, die nichts anderes als eine mildere Form der Austerität beabsichtigt, gelöst werden können. Was benötigt wird, ist eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft.
Ohne Zweifel ist PODEMOS die Partei, die als Vehikel zur radikalen politischen Veränderung betrachtet wird. Gegründet im Februar 2014, stieg sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf und wurde in dieser Wahl Dritter. Trotz der Tatsache, dass sie einige Monate der Stagnation durchmachte, als prognostiziert wurde, dass sie Vierter hinter Ciudadanos werden würde, mit etwa 10 bis 15%, konnte PODEMOS den Trend mit einer starken Kampagne umkehren, in der sie eine klassenorientierte, linke Sprache verwendete und zur Erinnerung an all die Kämpfe der vergangenen Jahre aufrief. In seiner letzten Wahlveranstaltung in Valencia, zu der etwa 12.000 Leute kamen, bezog sich Pablo Iglesias auf die Kämpfe der 1930er und 1970er Jahre. Dabei bekräftigte er, dass sich die Sprache seit damals zwar verändert hat, die Ideale jedoch gleich geblieben sind, und betonte, dass das Franco-Regime von der Arbeiterbewegung gestürzt worden war. Die äusserst bedeutende Anwesenheit der Bürgermeisterin von Barcelona und Anti-Zwangsräumungsaktivistin Ada Colau während der gesamten PODEMOS-Kampagne war eine bildliche Verdeutlichung dieses Verständnisses. Auf Basis dieser Kampagne war es PODEMOS möglich, ihren anfänglichen Schwung zurückzuerlangen. Obwohl sie es nicht schaffte, die PSOE zu überholen, ist das Ergebnis beeindrucken: 20,66% – 5 159 078 Stimmen.
Die respektablen 3,67% der Izquierda Unida (IU), fast eine Million Stimmen, müssen ebenfalls erwähnt werden. Und man sollte im Kopf haben, dass die Stimmen in Katalonien und Galizien, wo sie in einem Wahlbündnis mit PODEMOS und anderen Kräften war, hier nicht gezählt werden. Ihre Kampagne, fokussiert auf ihren charismatischen Spitzenkandidaten Alberto Garzon, der, anknüpfend an eine deutliche linke Sprache und Klassenwahl, ebenso fähig war, tausende Leute um sich zu scharen. Jedoch ist das Ergebnis das schlechteste der IU. Das ist der Preis, den man für die Jahre der Fehler und bürokratischen Blindheit der Parteiführung zahlen muss.
Zusammen haben PODEMOS und IU 576 073 Stimmen mehr als die PSOE. Das verdeutlicht wieder einmal die Notwendigkeit einer Einheit der Linken, die von den kleinlichen Interessen der Apparate beider Parteien ruiniert worden ist. Es ist wichtig, daraus die Lehre für die Zukunft zu ziehen.
Wer wählte PODEMOS?
Die Wahlanalyse bietet uns ein Bild von der Politik des Landes. Allerdings muss man ein wenig tiefer graben, um die tatsächlichen Kräfte der spanischen Gesellschaft, die eine Rolle spielen, zu erkennen. Die Wahrheit ist, dass PODEMOS als eine neue, mit dem Strom der Zeit schwimmende Kraft in der Arbeiterklasse und den Städten viel gewann und, obwohl dazu noch eine detailliertere Analyse der Ergebnisse notwendig ist, es ist zu erwarten, dass PODEMOS am stärksten innerhalb der Jugend dazugewann, so wie es die Umfragen prognostiziert hatten. PP und PSOE stützten sich auf ihre traditionelle Unterstützungsbasis in den kleinen Städten und den ländlichen Gegenden. Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass besonders viele unter den älteren und geringer politisierten Teilen der Bevölkerung die PSOE weiterhin als eine linke, progressive Partei betrachten. Die Gesamtheit der Stimmen für PSOE, PODEMOS, IU und andere kleinere Kräfte wie ERC oder EH Bildu markiert eine scharfe Wende nach links in der Gesellschaft.
PODEMOS und ihre Bündnisse haben die PSOE in den meisten grossen Städte überholt: Madrid, Barcelona, Valencia, Alicante, Zaragoza, Bilbao, Oviedo, Coruña, Palma de Mallorca, Vigo, Vitoria, Donostia-San Sebastian, Tarragona, Santa Cruz de Tenerife etc. Die einzigen grösseren Ausnahmen sind Sevilla und Malaga, beide in Andalusien, wo die PSOE traditionell stark ist.
Eine genauere Betrachtung des Ergebnisses zeigt die Klassenzusammensetzung der PODEMOS-Stimmen. Zum Grossteil stammen sie aus der Arbeiterklasse. PODEMOS wurde Erster in den Industriezonen an den Rändern der grossen Städte, den sogenannten „roten Gürteln“, wo die spanische Arbeiterklasse stark konzentriert ist: in Gegenden wie Rivas, Coslada und Parla in Madrid; Hospitalet de Llobregat, Santa Coloma de Gramenet und Terrassa in Barcelona; Pasaia in Donostia-San Sebastian; Paiporta und Paterna in Valencia und Barakaldo in Bilbao. In vielen dieser Orte erreichte PODEMOS mehr als 30%. In anderen wichtigen linken Wahlbezirken, wie Cadiz und Coruña, wo die von PODEMOS unterstützten Bündnisse die Lokalwahlen im Mai gewannen, kam es ebenfalls zu beeindruckenden Ergebnissen für PODEMOS.
Diese nackten Zahlen können jedoch kein Gesamtbild der Klassenkräfte bieten, die eine Rolle gespielt haben. Die Wahlbeteiligung war um 3% höher als in den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2011. Aber diese Steigerung ist ziemlich ungleichmässig. Die zehn Gemeinden mit mehr als 100 000 EinwohnerInnen, in denen die Beteiligung am meisten wuchs, sind: Santa Coloma de Gramenet, Cadiz, Barakaldo, Donostia-San Sebastian, Getafe, Vitoria-Gasteiz, Vigo, Coruña, Terrasa, Hospitalet de Llobregat. All diese sind Arbeiter-Orte, in denen sehr viele für PODEMOS stimmten.
Umgekehrt sind die zehn Gemeinden mit mehr als 100 000 EinwohnerInnen, in denen die Beteiligung im Vergleich zu 2011 am meisten sank: Granada, Gijon, Mataro, Alicante, Huelva, Cordoba, Murcia, Badajoz, Jaen, Cartagena. Das sind kleine, ländliche Städte, ausgerichtet auf Tourismus und Landwirtschaft. Sie sind traditionell Bastionen der PP.
Diese Daten werden von Nachrichten vor Ort gestützt, die von vollgestopften Wahllokalen in Arbeiter-Gegenden wie Nou Barris in Barcelona, wo Leute voller Enthusiasmus waren, und von halbleeren Lokalen mit nervösen, älteren Rechtswählern in Gegenden wie San Juan in Alicante berichten. Besonders stark sank die Wahlbeteiligung im von Kleinstädten geprägten Andalusien, dem Kernland der PSOE.
Das alles spiegelt eine städtische Arbeiterklasse in der Offensive und ein Kleinbürgertum sowie eine Landbevölkerung, die verwirrt und demoralisiert sind, wider. Die Stimmenenthaltung in den ländlichen Kerngebieten der PSOE legt nahe, dass dort viele WählerInnen nicht sicher waren, ob sie für die PSOE oder PODEMOS stimmen sollten, und dass sie in näherer Zukunft von einer der beiden Parteien gewonnen werden könnten. In anderen Worten: Die PSOE lebt von geborgter Zeit.
Es ist dabei wichtig, festzustellen, dass das spanische Wahlrecht für Stimmenenthaltung undurchlässig ist. Jede Provinz erhält ohne Rücksicht auf die Wahlbeteiligung eine bestimmte Anzahl an Parlamentssitzen. Das nützte den ländlichen PSOE-Bollwerken, in denen die Enthaltung hoch war, während die grossen Städte, in denen PODEMOS reüssierte, für die hohe Wahlbeteiligung nicht belohnt wurden. Das erklärt, warum zwischen diesen beiden Parteien, die beinahe dieselbe Anzahl an Stimmen erreichten, eine skandalöse Differenz von 21 Parlamentssitzen liegt. Besonders erwähnenswert ist hier Katalonien, wo En Comu Podem, ein Bündnis, bestehend aus unter anderem PODEMOS, IU und Barcelona En Comu, die höchste Stimmenanzahl erreichte. In den Provinzen Barcelona und Tarragona wurde es Erster. Es hatte vor allem in der Stadt Barcelona einen grossen Erfolg, wo es mehr Stimmen erlangte als Ada Colaus Barcelona-En-Comu-Bündnis, das das Rathaus in den Regionalwahlen im Mai erobert hatte.
Wie schon gesagt, war PODEMOS Teil eines breiten Wahlbündnisses mehrerer Linksparteien und Anti-Austeritätsbewegungen, unter der charismatischen Führung von Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona und Anti-Zwangsräumungsaktivistin, die zum linken Flügel der nationalen Parteiführung von PODEMOS gehört. In der Tat war die Kampagne dieses Bündnisses radikaler und klassenorientierter als die von PODEMOS in den anderen Teilen Spaniens. Seine Sprache in der nationalen Frage war unzweideutig, indem es energisch das Recht auf Kataloniens Selbstbestimmung verteidigte und ein bindendes Referendum über die Unabhängigkeit zur Grundlage jeglicher Vereinbarung mit der Regierung machte.
Es ist wichtig, zu betonen, dass DiL-CDC, die bürgerlich-nationalistische Partei, angeführt von Artur Mas, die an der Spitze der Unabhängigkeitsbewegung gewesen war, in dieser Wahl versagte. Sie sank von mehr als einer Million Stimmen in 2011 auf etwa die Hälfte dieses Ergebnisses. Sie erreichte nur 15% in Katalonien und wurde Vierter. Die Mitte-Links-Nationalisten der ERC erlangten bedeutende Gewinne. Sie verdoppelten sich auf 600 000 Stimmen.
All das zeigt einen grösseren Schwenk der katalanischen Gesellschaft nach links. Unter der Oberfläche einer nationalen Polarisierung, die die Regionalparlamentswahl im September prägte, bauten sich mächtige Klassengegensätze auf. Viele ArbeiterInnen und Jugendliche betrachteten eine Stimme für die nationalistischen Parteien als eine Infragestellung der konservativen Regierung in Madrid und des gesamten Establishments. Sie wählten eher für diese, um ihren Klassenhass auszulassen, und nicht deshalb, um eine katalanische Nationalidentität zu verteidigen. Einige konservativere Teile der Arbeiterklasse wählten im September Ciudadanos, aus Angst, von Spanien abgeschnitten zu sein, und aus Ekel vor dem bürgerlichen Demagogen Artur Mas.
In dieser Wahl konnte En Comu Podem durch eine klassenorientierte Sprache und mit einem Programm der radikalen Veränderung der Gesellschaft viele der progressiven nationalistischen Stimmen erfassen, ebenso die Unterstützung ehemaliger PSOE- und Ciudadanos-WählerInnen. In Katalonien erreichte die spanische Regierungspartei PP nur 11% der Stimmen und wurde Sechster.
PODEMOS hatte auch im Baskenland Erfolg. Dort erreichte sie insgesamt sowie in Araba und Gipuzkoa (traditionell ein Bollwerk der nationalistischen Linken) den ersten Platz. In Biskaya war sie nur ein paar tausend Stimmen von ihm entfernt. Das Ergebnis in Galizien ist ebenfalls gut. Auch dort war PODEMOS in einem breiten Bündnis, En Marea, das die linken Nationalisten von Xose Manuel Beiras inkludierte. En Marea wurde in Galizien vor der PSOE Zweiter mit 25%. In der dort grössten und am meisten industrialisierten Stadt Vigo erreichte dieses Bündnis 34%.
Das zeigt, dass in den unterschiedlichen Nationalitäten im Kampf um nationale Rechte und gegen Austerität eine Starke Suche nach Verbündeten im Rest Spaniens herrscht.
Wackelige Koalitionen
Die Büchse der Pandora ist geöffnet worden. Eine äusserst interessante Zeit beginnt nun in Spanien. Die Überschrift der Financial Times nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses lautete: „Spanien steuert auf Turbulenzen zu.“ In der Tat werden Instabilität und Klassenkampf in nächster Zeit die Norm sein. Die spanische Börse reagierte auf das Ergebnis mit Kursstürzen, ein zuverlässiges Mass für die Stimmung der Bourgeoisie. Es wird sehr schwer werden, eine Regierung zusammenzuflicken. Das Versagen von Ciudadanos hat die Hoffnungen auf eine mit Mehrheit ausgestattete PP-Ciudadanos-Koalition erschüttert. Jedoch benötigt die herrschende Klasse „Stabilität“, also eine starke Regierung, die die PP-Politik des Sozialabbaus und der Austerität fortsetzen kann.
Es gibt nun drei Hauptmöglichkeiten. Die erste ist eine grosse Koalition von PP und PSOE. Das wäre die einzige stabile Regierungsvariante. Sie würde zwei Kräfte involvieren, die in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet haben (z. B. in der baskischen Regionalregierung) und, trotz ihrer verbalen Auseinandersetzungen, historisch gesehen die Parteien sind, denen die Bourgeoisie vertraut. Sie hätten eine komfortable Mehrheit mit 213 von 350 Parlamentssitzen. Jedoch würde ein solches Bündnis die PSOE politisch zerstören und sie auf den Weg der griechischen PASOK führen. Tatsächlich ist eine solche Variante sehr riskant, da sie die bürgerliche Herrschaft an der linken Flanke ungeschützt lässt. Jedoch ist es nicht undenkbar, dass die KapitalistInnen zu so einer Koalition drängen, während sie versuchen, Ciudadanos draussen zu halten und als Reserveposten für die Zukunft zu bewahren. Schon vor der Wahl diskutierte die grosse bürgerliche Presse, interne Quellen aus der PP wiedergebend, ernsthaft über den Austausch der PSOE-Führung von Pedro Sanchez mit Susana Diaz, der Präsidentin Andalusiens, die den rechten Flügel der Partei repräsentiert, um so ein Bündnis mit der PP voranzutreiben.
Die zweite Option ist eine Koalition von PSOE und PODEMOS, die nur 159 Sitze, für eine Mehrheit um 16 Sitze zu wenig, hätte. So müsste sie zusätzliche Kräfte wie IU, ERC, EH Bildu, CC und möglicherweise die PNV inkludieren. Ciudadanos hat schon klargestellt, dass sie eine Regierung mit PODEMOS nicht unterstützen würde. Diese Variante wäre eine äusserst instabile Zusammenstellung, die eine komplexe Arithmetik benötigen würde, um ein Gesetz durchzubringen. Des Weiteren gibt es ernstzunehmende Stolpersteine für die Bildung einer solchen Regierung. Ein bindendes Referendum für Katalonien, das, wie schon erwähnt, von PODEMOS zu einer Vorbedingung für jegliche Koalitionsvereinbarung bestimmt worden ist, wäre für die PSOE, die systematisch für die Einheit Spaniens steht, eine bittere Pille. Die Gegenwart von En Comu Podem und die Notwendigkeit, die ERC in so ein Bündnis zu integrieren, machen diesen Punkt unverhandelbar. Daneben gibt es auch noch die Wahlrechtsreform, die voraussichtlich als eine Kernforderung auftaucht und von der PSOE abgelehnt wird, da das jetzige System sie massgeblich bevorzugt. Generell gesagt haben die PSOE und PODEMOS beinahe denselben Stimmenanteil. Das wäre also keine Vereinbarung mit kleineren Parteien wie in Portugal, wo die radikale Linke von Bloco de Esquerda und Partido Comunista Portugues eine kleine Minderheit ist, sondern ein Bündnis mit einer mächtigen und aufsteigenden Kraft, die in der Lage wäre, der PSOE viele Zugeständnisse abzuringen. Die herrschende Klasse würde gegen jede Koalition, die PODEMOS involviert, mobilisieren. Die PSOE käme so unter starken Druck, diese aufzugeben. Alles in allem kann diese Option zwar eintreten, ist jedoch sehr unwahrscheinlich.
Die dritte und letzte Hauptmöglichkeit ist, in einigen Monaten wieder eine Wahl durchführen zu lassen. Nur wenige Leute wollen das, besonders unter den ernstzunehmenden Strategen der Bourgeoisie, da das die momentane Pattsituation kaum auflösen wird, ja sogar noch verschlimmern kann. Das würde ein griechisches Szenario der äussersten Instabilität eröffnen. Ausserdem fühlt besonders die PSOE, dass sie den Wind in den Segeln verliert. Sie wird daher wahrscheinlich versuchen, eine Rückkehr zur Wahl zu verhindern. Jedoch könnte in einigen Monaten die PP sich stark genug fühlen, zur Wahl zu rufen, in der sie sich als der einzige Garant für Stabilität präsentiert, mit der Hoffnung, die WählerInnen, die sie an Ciudadanos und andere Kräfte verloren hat, zurückzugewinnen.
Für die herrschende Klasse sind alle Möglichkeiten schlecht. Dieser parlamentarische Stillstand spiegelt die Heftigkeit des Klassenkampfes und die Tatsache, dass die Arbeiterklasse das Bürgertum in die Defensive gedrängt hat, wider.
Was muss PODEMOS tun?
PODEMOS soll nun in die Offensive gehen und die PSOE unter Druck setzen. Sie muss darauf bestehen, die Austeritätsmassnahmen und die reaktionären Gesetze der PP zurückzunehmen, und das zur Grundlage für Koalitionsverhandlungen machen. Wenn die PSOE dies ablehnt, wird sie in weiterer Folge als Partei für Austerität entblösst. Die Verteidigung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung sollte eine weitere Schlüsselagenda der parlamentarischen Aktivität von PODEMOS sein. Sie muss versuchen, auf Basis dieser Forderungen die PSOE unter Druck zu setzen, um den Massen zu zeigen, dass sie wesentlich besser als die PP ist.
Das am meisten wahrscheinliche Szenario ist, dass PODEMOS in einigen Monaten die führende Oppositionspartei wird. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen. Zusammen mit IU hätte PODEMOS die PSOE überholen können. In den Regionen, in denen PODEMOS innerhalb breiter Fronten aufgestellt war, hatte sie mehr Erfolg. Die Einheit der Linken darf nicht wieder gefährdet werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass in den letzten eineinhalb Jahren, als die Spanier des Öfteren zu Wahlen gerufen wurden, die Aufmerksamkeit der Massen sich auf das Wahlgeschehen konzentrierte. Jedoch könnte die Wahrscheinlichkeit einer neuen bürgerlichen Regierung an der Macht die Leute wieder auf die Strassen drängen. Protestwellen wie von 2011 bis 2014 sind daher möglich. PODEMOS sollte sich selbst an die Spitze solcher Bewegungen stellen und ihre enorme Mobilisierungskraft in den Strassen nützen.
Jedoch gibt es eine allgemeinere Lehre, die aus den letzten paar Wochen gezogen werden kann. Während der Wahlkampagne konnte Pablo Iglesias dank einer radikalen, auf die Arbeiterklasse ausgerichteten Sprache die Stagnation überwinden, die PODEMOS erfahren hatte. Der Drang nach links durch Ada Colau und En Comu Podem war ebenfalls sehr bedeutend. Das war auch während der Lokalwahlen im Mai 2015 der Fall, als PODEMOS nach links schwenkte. In der Kundgebung nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Parlamentswahl sagte Iglesias: „Heute haben wir wieder einmal die Stimme der Arbeiterklasse gehört, die ihre Rechte durch Streiks erkämpft hatte, […] die Stimme der Republik, die Stimme von Largo Caballero, Companys, Durruti, Andreu Nin, Salvador Allende […] Lasst uns die Wirtschaft demokratisieren […] Die Geschichte ist auf unserer Seite, und Menschen machen Geschichte.“
Wenn Pablo Iglesias diese Sprache konsequent und nicht nur in den wenigen Wochen vor der Wahl gebraucht hätte, wäre er ungeheuer beliebt. Es sind Aussagen wie diese, die ihm den Zustrom der Massen brachten, und nicht keynesianische Vorschläge, den Schuldenberg zu erhöhen oder eine expansive Geldpolitik durchzuführen, oder das Versprechen, in der NATO zu bleiben. Er liegt richtig, wenn er betont, dass die spanische Arbeiterklasse wieder auf den Füssen ist und das Wahlergebnis einen scharfen Schwenk nach links in der Gesellschaft zeigt. Wenn nun die PODEMOS-Führung begänne, geduldig ein Übergangsprogramm zum Sozialismus zu erklären, basierend auf den frühen Erfahrungen mit SYRIZA in Griechenland, bevor sich Tsipras der Toika unterwarf, würden ihr Millionen von Leuten in Spanien und im Ausland zuhören. Sie könnte so das Fundament für eine neue Spanische Revolution in der Zukunft vorbereiten.
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