Jeremy Corbyn hat momentan die grösste Unterstützung von allen Kandidaten, die um den Parteivorsitz der Labour-Party kämpfen. Wie ein rebellischer Hinterbänkler zur Gallionsfigur der Massenproteste werden konnte, erklärt Stefan Wagner.
Die Wahl des neuen Vorsitzenden drohte schon langweilig zu werden, da lange Zeit nur das Triumvirat aus Yvette Cooper, Andy Burnham und Liz Kendall auf dem Papier stand. Die drei sind ausgewiesene Anhänger der Politik von Tony Blair (Blairite) und wollten so auch die Wahl gewinnen. Laut ihnen sei nämlich der Wahlverlust von Labour auf das Wahlprogramm zurückzuführen, das zu links war.
Dass Labour in Schottland komplett zerstört würde, während die Stimmen an die SNP wanderten, die Labour links überholt hatte, wurde einfach unter den Tisch gekehrt. Mit Jeremy Corbyn trat nun ein Kandidat in die Wahl ein, der offen die Austeritätspolitik verurteilte und auch Nationalisierung von Infrastrukturunternehmen verlangte.
Der neue Parteivorsitz wird in Grossbritannien mithilfe eines Vorwahlsystems gewählt. An dieser Wahl dürfen alle Parteimitglieder, Gewerkschaftsmitglieder und auch einfache UnterstützerInnen, die sich dies durch den Beitrag von 3£ „erkaufen“, teilnehmen. Die historische Ironie liegt darin, dass diese Unterstüzerregelung von den Rechten innerhalb der Partei eingeführt wurde um den Gewerkschaftsflügel zu schwächen. Genau diese neu geschaffene Möglichkeit wird nun aber, gegen alle Erwartungen der Blairites, von ArbeiterInnen und Jugendlichen genutzt, die vom Kurs der Labour-Party frustriert sind, Corbyn unterstützen wollen und sich für 3£ zu UnterstützerInnen erklären.
Dass Corbyn überhaupt auf die Kandidatenliste kam, stand bis zuletzt auf Messers Schneide. Nur Minuten bevor die Deadline ablief, hatte er die letzten Unterstützungserklärungen erhalten. Um auf die Kandidatenliste zu kommen braucht man nämlich 35 Unterstützungserklärungen von Labour-Abgeordneten. Corbyn wollte lange Zeit nur Unterstützungen vom linken Flügel, erhielt aber nur 17. Hier sieht man, dass Labour im Parlament noch weiter rechts als ohnehin schon steht. Corbyn musste also auch um Unterstützungen von Blairisten betteln. Diese liehen ihm ihre Stimmen nur, um die parteiinterne Demokratie etwas aufzupolieren. Man wollte einfach eine breitere Diskussionsgrundlage schaffen, so die Blairisten. Dies war ein politisches Kalkül, da man Corbyn nicht ernst nahm.
Was seit der Nominierung Corbyns sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Labour Party passiert, ist beispiellos. Corbyns Ideen wurden bei dessen Reden von Tausenden gehört. Am 4. August hielt Corbyn eine Rede in der Haupthalle des Camden Centers. Der Zudrang war enorm, es kamen mindestens 2.500 Leute. Es wollten noch immer Leute in die Halle, so dass junge Menschen am Fenster lauschten und zusahen. Aber auch jene, die nicht mehr reinkamen, mussten nicht traurig sein. Corbyn wiederholte seine Rede im Korb eines Feuerwehrkrans, den die Feuerwehrgewerkschaft bereitgestellt hatte.
Wie kommt aber der Senior Corbyn, der schon seit dreissig Jahren im Parlament sitzt, zu so einem Massenpublikum? Vieles hat mit den Protesten gegen die neue Tory-Regierung zu tun, wofür am 20. Juni Hunderttausende auf die Strasse gingen. Corbyn steht klar gegen den Austeritätskurs, den Labour momentan vertritt. Corbyn will die Steuern für Reiche erhöhen, er will Steuerlöcher stopfen und dafür in Gesundheit und Bildung investieren. Ausserdem sollen die Kommandohöhen der Wirtschaft verstaatlicht werden. Sein Kampf gilt dabei der hohen Arbeitslosigkeit, besonders der noch höheren Jugendarbeitslosigkeit und die Wohnungsnot soll gelindert werden.
Letzteres trifft zum Grossteil die Jugend, die auch zahlreich zu Corbyns Veranstaltungen kommt. Einige dürften wahrscheinlich noch nicht mal wählen. Innerhalb der Labour-Party wird Corbyn von den meisten Gewerkschaften unterstützt und die Basis der Partei ist auch aufseiten Corbyns. Dies sieht man vor allem an der Entwicklung der Mitgliederzahlen der Partei. Seit den Wahlen hat sich die Partei von 200.000 auf über 425.000 mehr als verdoppelt. Und diese neuen Mitglieder sind zumeist UnterstützerInnen von Corbyn.
Man muss festhalten, dass die vernichtende Niederlage von Labour in Schottland und der Wahlsieg der SNP ebenso wie das rege Interesse und die breite Unterstützung der Corbyn-Kampagne, unterschiedliche Ausdrücke derselben Stimmung in der Arbeiterklasse sind. Während in Schottland das Unabhängigkeitsreferendum zum Referenzpunkt für eine Bewegung gegen die Sparmassnahmen der Tories wurde, ist dies im Rest Grossbritanniens die Corbyn-Kampagne, die sich auch gegen den weiten Rechtsruck der Labour Party zur Wehr setzt.
Wurde Corbyn zu Beginn vom Partei-Establishment noch belächelt, so änderte sich dieses nachdem Umfragen einen Sieg von Corbyn voraussagten. Von nun an gab es zahlreiche Angriffe von den rechten Blairisten. Sie meinten vor allem, dass Labour mit einem Vorsitzenden wie Corbyn nicht mehr wählbar wäre. Aber die verbalen Angriffe des Partei-Establishments zogen noch mehr Leute auf die Seite Corbyns. Daraufhin gab es offene Drohungen eines Putsches, falls Corbyn Mitte September der neue Vorsitzende wird. Jetzt beginnt die Partei sogar schon, Mitgliedschaften abzuerkennen.
Gegen alle diese Angriffe muss Corbyn verteidigt werden. Als MarxistInnen unterstützen wir Corbyns Kampagne im Kampf um Reformen, die das Leben der ArbeiterInnen und der Jugend verbessern. Wir müssen aber auch auf die Grenzen des Programms von Corbyn hinweisen. Der krisengebeutelte Kapitalismus hat die materielle Basis für Reformen zerstört, die Lösung lautet also: Die Überwindung des Kapitalismus hin zum Sozialismus. Deshalb:
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