Nach dem Mord an einer jungen kurdischen Frau, Jina Mahsa Amini, durch die berüchtigte Sittenpolizei des Irans, brachen im ganzen Land Proteste aus. Ausgehend von den kurdischen Gebieten verbreiteten sie sich in mehr als 30 Städten, darunter die Größten im Land: Teheran, Maschhad, Isfahan, Karadsch, Täbris und die so genannte heilige Stadt Ghom. Was als Reaktion auf die Polizeibrutalität begann, hat sich schnell zu einer Stimmung der Wut gegen das Regime insgesamt entwickelt.
Mahsa, die ursprünglich aus der Stadt Saqqez stammt, aber auf Urlaub in Teheran war, wurde am Dienstag, den 13. September abends von der Sittenpolizei verhaftet, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen hatte. Sie wurde in einen Van gezerrt und zur „Umerziehung“ mitgenommen. Nur Stunden später wurde ihr Hirntod festgestellt. Das Regime stritt zunächst jede Schuld ab und veröffentlichte ein Überwachungsvideo, in dem angeblich die gesund aussehende Mahsa Amini an einem behaupteten Herzinfarkt zusammenbricht. Doch unter dem Druck der wachsenden Proteste sollen spätere Röntgenaufnahmen einen Knochenbruch, Blutungen und ein Hirnödem festgestellt haben, was bestätigen würde, dass sie durch einen Schlag auf den Kopf starb.
Als sich die Nachricht von ihrem Tod verbreitete, kam es im ganzen Land zu spontanen Protesten. In Teheran versammelten sich Tausende um den Argentinischen (Arjantin) Platz und im Saei Park. Ein hartes Eingreifen der Polizei trieb die Demonstranten schließlich auseinander, aber die Protestierenden fanden schon bald wieder auf die Straße, wo sie mit den Einsatzkräften zusammenstießen und offen politische Parolen riefen wie: „Tod für Khamenei“, „Khamenei ist ein Mörder – sein Regime ist illegitim“ und „Frauen sind unterdrückt – von Kurdistan bis Teheran“.
An der Speerspitze der Proteste in Teheran standen die Studierenden, die aus allen Universitäten zu Tausenden auf die Straßen strömten – selbst aus den Unis, an denen es bisher wenige Anzeichen für politische Aktivität gab. An der Top-Uni des Landes, der Amirkabir-Universität für Technologie, skandierten die Studenten: „Der ganze Iran ist voller Blut: von Kurdistan bis Teheran“, „Getötet für ein Kopftuch?“ und „Wie lange wird diese Demütigung anhalten?“. Ein weiterer populärer Slogan war: „Frau, Leben, Freiheit“ – angelehnt an den Slogan der Revolution von 1979 „Brot, Arbeit, Freiheit“, der in den letzten Jahren ein Revival erfuhr. Um die Jugend niederzuhalten mobilisierte das Regime die Basidsch (eine paramilitärische Jugendorganisation) auf die Universitäten, aber das provozierte nur eine weitere Parole: „Tod den Basidsch“.
In allen wichtigen Städten und in den meisten Regionen des Landes gab es größere Proteste, die oft von Frauen angeführt wurden. Der Hauptslogan war „Tod dem Diktator“ – eine direkte Herausforderung an den obersten Führer Ali Chamenei und damit an die Basis des ganzen Regimes.
In Karadsch, einer industrielle Vorstadt Teherans, die die viertgrößte Stadt im Iran ist, tauchte der Slogan unter den Protestierenden auf: „Reuet den Tag, an dem wir bewaffnet sein werden“. Diese Parole verbreitete sich in viele andere Gegenden. In Rascht wurde sie von den Menschenmengen gerufen, nachdem sie am Montag Basidsch-Milizionäre verprügelt und verjagt hatten. Ein anderer recht beliebter Sprechchor war „Tod dem Unterdrücker, egal ob Schah oder oberster Führer“, der sich sowohl auf Chamenei, als auch auf Mohammad Reza Pahlavi bezieht, dem von den USA gestützten Sohn des verstorbenen Schahs, der eine konstitutionelle Monarchie errichten will.
In der Stadt Ghom, dem Zentrum der religiösen Institutionen und wichtigsten Islamschulen (und damit einer wichtigen Basis des theokratischen Regimes) zogen Jugendliche in Scharen auf die Straßen und riefen „Kanon, Panzer, Böller – der Klerus muss verschwinden!“. In Filmaufnahmen aus Ghom werden Basidsch-Milizionäre von wütenden jungen Männern und Frauen verprügelt.
Unzählige Videos aus dem ganzen Land zeigen Frauen, die ihre Kopftücher abnehmen und sie oft aus Protest verbrennen.
Die Sicherheitskräfte des Regimes reagierten mit Gewalt auf die Proteste. Mindestens sieben Personen wurden von der Polizei getötet und dutzende verletzt. Nichtsdestotrotz scheint die Menge trotz der Repressionen mit unnachgiebiger Entschlossenheit nach vorne zu gehen.
Aus Sari gibt es Berichte, dass das Hauptquartier der Basidsch und das Büro des Gouverneurs angezündet wurden. In Amol wurde das Regierungsgebäude besetzt und später niedergebrannt. Die Polizei zog sich völlig aus dem Stadtzentrum zurück. Es gibt keine Hinweise darauf, dass irgendeiner der Proteste entscheidend niedergeschlagen wurde. Im Gegenteil: Jeder Knüppelschlag und jeder Schuss scheinen die Massen nur noch weiter anzuheizen. Aus vielen Städten wird berichtet, dass die Polizei sich nur in Zivil bewegen kann, ohne verprügelt zu werden. Zahlreiche Videos zeigen Polizisten oder Paramilitärs, die von den wütenden Massen attackiert werden. Das Blatt scheint sich gegen das Regime zu wenden, das sich vor der Aussicht auf eine breitere revolutionäre Bewegung fürchtet.
Insbesondere die kurdischen Gebiete sind von tiefem Zorn erfüllt. Die Nachricht vom Tod Mahsas wurde von tausenden jungen Menschen mit der Zerstörung von Bildern und Symbolen der Islamischen Republik beantwortet – inklusive der Bilder von Ajatollah Chamenei. Mahsas Trauerzug schlug in einen Protest um, in dem Frauen ihre Kopftücher abnahmen und Zehntausende skandierten: „Tod für Chamenei!“ Nach dem Begräbnis zogen die Protestierenden zum Sitz des Gouverneurs, wo sie mit Tränengas und scharfer Munition begrüßt wurden und sich in gleicher Weise wehrten. In weiten Teilen Kurdistans herrschen in den letzten Tagen bürgerkriegsähnliche Zustände mit Schießereien zwischen Protestierenden und Regierungskräften.
Bis zum Montag scheint diese Stimmung nicht abgeflaut zu sein und es brachen Streiks auf den Bazaren in Saqqez, Bukan, Mahabad, Aschnoje, Banh, Marivan, Sanandadsch, Piranschahr und Mohamadschahr aus. In der ganzen Region Kurdistan gibt es Rufe nach einem Generalstreik – auch in den Gebieten im Irak, in Syrien und in der Türkei. Streiks und Proteste der Basar-Händler und -Arbeiter haben sich auch auf Teheran, Karadsch und andere Städte im Iran ausgebreitet.
Die kurdischen Gebiete Irans, die auf eine lange revolutionäre Tradition zurückblicken, sind seit Jahrzehnten Opfer von Diskriminierung und Unterdrückung durch das Regime. In diesen Gebieten gibt es, ähnlich wie in anderen von ethnischen Minderheiten bewohnten Gegenden, große Mineral-, Öl- und Wasservorkommen sowie dichte Wälder, die alle eine zentrale Rolle in der Iranischen Wirtschaft spielen. Jahrzehntelang hat das Regime diese Ressourcen aber zur Verarbeitung in andere, hauptsächlich persisch bewohnte Gebiete gelenkt, während Kurdistan aus Angst vor der Entstehung einer mächtigen kurdischen Arbeiterklasse absichtlich unterentwickelt blieb.
Das Resultat ist bittere Armut und Arbeitslosigkeit unter großen Teilen der iranischen Kurden. Währenddessen wurde jedem Versuch, für bessere Bedingungen zu kämpfen, vom Regime mit harter Repression und Bestrafung begegnet. Das hat in der letzten Zeit immer kämpferischere Reaktionen der iranischen Kurden provoziert, die regelmäßig mit Polizei und Militär zusammenstoßen. Die Kurden des Iran sehen den Mord an Mahsa Amini zweifellos als Ausdruck des Rassismus und Chauvinismus, der den Taten des Regimes gegen sie zugrunde liegt.
Ähnlich verhält es sich mit der Frauenfrage. Jedes Jahr bestraft die Sittenpolizei mehr als 16.000 Frauen für das falsche Tragen eines Hidschabs. Diese Frauen sind verbalen Übergriffen und Gewalt ausgesetzt. Mahsa Amini war tatsächlich nur wenige Stunden in Gewahrsam, wurde aber ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie von diesen berüchtigten Schlägern der Islamischen Republik brutal verprügelt worden war. Augenzeugen berichten, dass Mahsa und andere Gefangene gegen ihre Anklagen protestierten und Beschimpfungen, Schläge und Pfefferspray dafür kassierten, was schließlich zu Mahsas Koma führte.
Solche Ungerechtigkeiten sind im Iran, wo Frauen nur Bürger zweiter Klasse sind, nichts Ungewöhnliches. Praktisch alle Haushalte, die von Frauen wirtschaftlich erhalten werden, leben unter der Armutsgrenze und machen das ärmste Zehntel der Gesellschaft aus. Frauen haben kaum eine andere Wahl, als sich an einen Ehemann zu fesseln, wollen sie nicht in die absolute Armut abrutschen. Jedes Jahr werden 2000 Frauen durch Femizide ermordet, die 20% aller Morde im Iran ausmachen. Diese fürchterliche Situation wird von der Islamischen Republik mit ihren repressiven Gesetzen aufrechterhalten.
Jeden Tag predigen die Mullahs im Fernsehen die Vorzüge der Sittsamkeit und Keuschheit. Aber sie sind komplette Heuchler. Sie und ihre Kinder führen in Wahrheit ein Leben voller extravaganter Exzesse und geben sich wie die Reichen im Westen jeder fleischlichen Sünde hin: Drogen, Alkohol, Prostitution und alle Arten des Missbrauchs. Sie werden natürlich niemals von der Sittenpolizei belangt, deren wahre Aufgaben es ist, einfache Frauen und Männern gegeneinander aufzuhetzen und die arbeitenden Massen zu terrorisieren.
In Zeiten, in denen der Klassenkampf relativ ruhig ist, gelingen der herrschenden Klasse das teilweise. Aber das sind nicht die Zeiten, in denen wir heute leben. Die Frauen des Iran zeigen, dass sie das Schicksal, das die Mullahs für sie vorgesehen haben, nicht weiter akzeptieren wollen. Bewundernswert mutig strömten sie in großer Zahl auf die Straßen und nahmen in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Fällen eine führende Rolle ein, legten ihre Kopftücher ab, riefen die radikalsten Parolen und führten sogar oft die Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften an.
Frauen und andere unterdrückte Schichten, wie unterdrückte ethnische Minderheiten, spielen immer eine wichtige Rolle in Revolutionen. In der Februarrevolution von 1917 nahmen russische Arbeiterinnen und Hausfrauen das Heft in die Hand und gaben den Anstoß für einen Generalstreik. Ähnliches spielte sich in der Ägyptischen Revolution von 2012 und kürzlich im Sudan ab.
Normalerweise kann die herrschende Klasse den Zorn der am meisten Geknechteten und Unterdrückten erfolgreich niederhalten. Aber wenn sich die Massen in Bewegung setzen ist es genau dieser Zorn, der der generellen Stimmung in der Gesellschaft am meisten entspricht und diese Schichten an die Speerspitze des Kampfes treibt, während die alten „Aktivisten“ und „Revolutionäre“, die jahrelang gegen den Strom schwammen und durch diese Erfahrungen gewissermaßen eingeschlafen sind, oft überrumpelt und zu Zuschauern degradiert werden.
Die Islamische Republik stützt sich auf die rückständigsten Ideen in der Gesellschaft, um die Massen entlang der Religion, Ethnie oder dem Geschlecht zu spalten. Ohne diesen Chauvinismus hätte die herrschende Klasse ihre Macht über die Gesellschaft nicht aufrechterhalten können. Daraus fließt, dass der Kampf gegen diese Unterdrückung ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Revolution ist.
Das wird von den Massen instinktiv verstanden, die sich um die Parole „Frau! Leben! Freiheit!“ scharen – nach „Tod dem Diktator!“ der zweitpopulärste Slogan der radikalisierten Schichten. Ebenso haben sich zahlreiche Sprechchöre in Solidarität mit der kurdischen Bewegung verbreitet. Die Studenten der Universität Täbris veröffentlichten das folgende Statement, das die sich entwickelnde Stimmung der Einheit unter den Massen zeigt:
„Einer der schönsten Slogans aus diesen Protesten ist: ‚Aserbaidschan ist wach, es unterstützt Kurdistan‘.“
„Viele Gruppen versuchten, Unterschiede zwischen sozialen Gruppen, Nationen, Stämmen und verschiedenen Teilen der Unterdrückten zu schaffen. Aber heute, im mutigen und erwachten Aserbaidschan, hören wir Slogans der Solidarität für das kämpferische und erwachte Kurdistan. Der Nachname von Mahsa Amini bedeutet „wir“. Wir sind alle, egal woher wir in diesem Land kommen oder welchen Hintergrund wir haben: Männer und Frauen, Junge und Alte, wir alle Unterdrückten und Leidenden, Lohnempfänger und Arbeiter und Unterdrückte, wir sind alle vereint.“
„Es lebe das eifrige Volk von Aserbaidschan mit diesem schönen Slogan. Es lebe das eifrige Volk von Gilan, das einzigartige epische Szenen geschaffen hat. Es lebe das Volk von Teheran, Chorasan, Isfahan, Qazvin und … all die mutigen Menschen, die sich gegen die Unterdrückung erhoben haben.“
Das zeigt, wie die Stimmung der Solidarität und der Einheit im Kampf den reaktionären aserbaidschanischen Nationalismus durchbricht, der seit langem in den aserbaidschanischen Gebieten des Iran präsent ist.
Lenin hat einmal erklärt, dass Revolutionen die „Feste der Unterdrückten“ sind. Wenn sich die Bewegung in Gang setzt, zieht sie die unterdrückten Schichten der Gesellschaft mit. Millionen von Arbeitern, Bauern, Krämern, Arbeitslosen, Armen und Vertriebenen feuern heute die Jugend in den Straßen an.
Jede Schicht hat ihre eigenen Probleme, aber hinter der brutalen Ungerechtigkeit, die Mahsa Amini widerfahren ist, sehen sie die tausenden anderen Ungerechtigkeiten, die ihnen täglich aufgetischt werden. Ein erstickender Mangel an demokratischen Rechten und erdrückende wirtschaftliche Not haben sich in den letzten Jahren angehäuft und haben des Leben für die Mehrheit der Menschen unerträglich gemacht. In der Zwischenzeit sind die Spitzen des Regimes völlig parasitär geworden und leben scheinbar nur noch, um von den Armen zu stehlen und dabei völlig ungestraft die abscheulichsten Verbrechen zu begehen.
Die Bewegung auf den Straßen ist Ventil und Fokuspunkt für die ganze angestaute Wut und bietet eine Gelegenheit, um sich Gehör zu verschaffen. Arbeiter und Jugendliche auf den Barrikaden verlieren ihre Angst und fassen mit jedem Fortschritt und jeder neuen Schicht, die sich dem Kampf anschließt, mehr Mut. Es verbreitet sich eine Stimmung der revolutionären Entschlossenheit, die möglicherweise den Weg für eine Massenbewegung legen könnte. Eine lange Zeit hat sich brennbares Material angesammelt, das nur auf einen Zündfunken wartet.
Aber diese Bewegung umfasst nicht nur die ärmsten Schichten. Der Tod von Fr. Amini hat auch in den Mittelschichten der Gesellschaft für Empörungen gegen das Regime und Sympathien für die Bewegung gesorgt, so bei Intellektuellen, Künstlern, Sportlern (von denen viele zuvor als apolitisch oder Regimetreu galten) und sogar Elementen im Klerus, die jetzt für ein Ende der Kopftuchpflicht plädieren. Das ist eine existenzielle Gefahr für das Regime.
Wenn die Bewegung ihren Schwung aufrechterhalten kann und weitere Schichten auf die Straßen zieht, wären die Mullahs mit einer Revolution konfrontiert – einer, die sie mühelos stürzen könnte. Die Entwicklung der Situation hat sie offensichtlich völlig überrascht. Am Monat schrieb die Zeitung Hammihan panisch:
„jeden Tag schließen sich neue soziale Kräfte, wie Akademiker, zivilgesellschaftliche Organisationen, Handels- und Berufsgruppen der Sache an, nehmen dazu Stellung und analysieren sie. … Lasst uns nicht vergessen, dass dieses öffentliche Empfinden nicht als das Produkt unserer Feinde oder ausländischer Medien präsentiert werden sollte. … Dieses kollektive Empfinden ist das Produkt der gelebten Erfahrung [unseres Volkes] in den letzten Jahren…“
Sie fuhr fort, indem sie die Behörden dazu aufforderte, die Gesetze einzuhalten und eine professionelle Untersuchung zu veranlassen. Die Zeitung sieht in der Situation das Potenzial für eine soziale Explosion und warnt das Regime ausdrücklich vor seinem üblichen arroganten Umgang mit solchen Situationen, um nicht eine größere, unkontrollierbare Bewegung zu provozieren.
Weil sie genau so ein Szenario fürchten, versuchten auch Amtsträger des Regimes auf zynische Art und Weise ihre Sympathien für Mahsa Amini auszusprechen. Der Präsident, Ebrahim Raisi, soll Berichten zufolge der Mutter von Mahsa gesagt haben, sie sei „wie seine Tochter“ gewesen und versprach eine Untersuchung des Falls. So etwas ist natürlich schnell daher gesagt, besonders war es Raisi selbst, der für eine Verschärfung der Kopftuchgesetze und ihrer Durchsetzung gesorgt hat. Aber gerade, dass Raisi, der ein bekennender Hardliner ist, so versöhnliche Töne anschlägt, ist Anzeichen für die Beunruhigung des Regimes.
Auch aus anderen Institutionen, wie den Gerichten und dem Parlament, sind ähnliche Töne angeschlagen worden. Der oberste Richter Gholamhossein Mohseni-Esche’i erklärte, dass die Regierung während ihrer „Untersuchung“ von Mahsa Aminis Tod keinen „Freifahrtschein für die Fehler der Regierungsbeamten und -agenten, einschließlich der Polizeikräfte“ ausstellen würde. Er fügte hinzu: „Was auch immer dabei herauskommt, wir werden ohne zu zögern handeln.“ Es gab auch Berichte, nach denen der Chef der Teheraner Sittenpolizei suspendiert wurde.
Bis jetzt hat die Bewegung von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde an Boden gewonnen. Sie hat massenhafte, wenn auch passive Unterstützung. Aber auf den Straßen beschränken sich die Mengen noch auf die zehntausenden Armen und studentischen Jugendlichen. Um vorwärts zu gehen, muss die Bewegung bewusst an weitere Schichten der Gesellschaft appellieren, sich dem Kampf anzuschließen – insbesondere an die Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse ist die mächtigste Klasse in der Gesellschaft. Sie kann das ganze Land zum Stillstand bringen und der Regierung das Rückgrat brechen. Wir müssen uns daran erinnern, dass genau das im Jahr 1979 passiert ist, als das schwächelnde Regime des Schahs schließlich von einem landesweiten Generalstreik, der von den Ölarbeitern angeführt wurde gestürzt wurde und in Folge alle wichtigen Industrien von der Arbeiterklasse übernommen wurden.
In den letzten Jahren sahen wir die Wiedergeburt der iranischen Arbeiterbewegung und die größte Streikwelle seit 40 Jahren. Viele der neuen Gewerkschaften haben Erklärungen veröffentlicht, in denen sie die gegenwärtige Bewegung unterstützen. Darunter ist das Koordinationskomitee der Lehrer (ein kämpferisches Gremium, das streikende Lehrer repräsentiert), der Rat zur Organisation der Proteste von Vertragsarbeitern in der Ölindustrie und die Haft Tappeh Gewerkschaft.
Der Rat der Ölarbeiter fasst die Situation folgendermaßen zusammen:
„Frauen spielen jetzt eine klare und mutige Rolle in den Protestbewegungen, die das Regime zunehmend in Panik und Angst versetzen. Die zunehmende Verschärfung der Repression und Brutalität des Regimes hat die Gesellschaft in einen Zustand offener Rebellion versetzt, was die Notwendigkeit der Einheit unterstreicht, um diesen brutalen Zuständen ein Ende zu setzen.“
Die kämpferischen Arbeiter von Haft Tappeh bestärken den Ruf nach Einheit, gehen aber noch viel weiter, indem sie offen den Kapitalismus angreifen:
„Das repressive System des Kapitalismus beutet und unterdrückt Frauen und Männer nicht nur als Arbeiter, sondern auch als Frauen und als ethnische und religiöse Minderheiten aus, um die Arbeiterklasse zu spalten. Wir glauben, dass alle unterdrückten Gruppen, während sie für ihre spezifischen Forderungen kämpfen, sich gegen die Unterdrücker vereinigen müssen – gegen die Kapitalisten.“
Die Haft Tappeh-Gewerkschaft hat jetzt erklärt, dass sie sich der Bewegung auf den Straßen anschließen wird. Das ist ein sehr positiver Schritt. Aber um zu gewinnen braucht es mehr. Unmittelbar braucht es den Slogan, in allen Sektoren der Wirtschaft einen Generalstreik vorzubereiten. Kampfkomitees müssen in allen Vierteln, Schulen und Fabriken gewählt werden, um einen Generalstreik vorzubereiten, der den Sturz der Regierung zum Ziel hat.
Wenn diese Rebellion isoliert bleibt, kann sie unterdrückt werden, wie alle bisherigen Aufstände. Das Regime wird abwarten und seine Kräfte sammeln, während sich die Proteste ermüden, nur um sie dann brutal niederzuschlagen. Genau das war das Schicksal der Aufstände in Chuzestan in den Jahren 2018, 2019 und 2021.
Die nächsten Tage und Stunden werden zeigen, wie weit sich diese Bewegung entwickeln wird. Aber unabhängig davon was unmittelbar passiert – wir sind Zeugen eines revolutionären Erwachens der iranischen Massen. Der iranische Kapitalismus war nie in der Lage, den Massen eine würdevolle Existenz zu bieten, und das gilt besonders für Frauen: er muss gestürzt werden. Die Arbeiterklasse, vereint im Kampf, ist die einzige Kraft, die das bewerkstelligen und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen kann, die den Bedürfnissen aller Ausgebeuteten und Unterdrückten in der iranischen Gesellschaft gerecht wird.
Esaias Yavari und Hamid Alizadeh,
21.9.2022
Bildquelle: Masih Alinejad
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