Der NATO-Gipfel in Madrid vom 28.-30. Juni fand vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine statt. Trotz des Geredes über „Einigkeit“ besteht in Wirklichkeit ein tiefer Riss zwischen den USA und der Deutschland-Frankreich-Achse. Im neuen strategischen Konzept der NATO wird China zum ersten Mal als „systemische Herausforderung“ bezeichnet. Dies ist eine offizielle Anerkennung des relativen Niedergangs des US-Imperialismus und der Bedrohung durch eine aufstrebende Macht.
Dieser Artikel wurde am 8. Juli 2022 auf In defence of Marxism veröffentlicht. Aufgrund der steigenden imperialistischen Spannungen zwischen den USA und China veröffentlichen wir ihn hier auf deutsch.
Wie immer war die offizielle Erklärung des Gipfels und die öffentlichen Erklärungen der Hauptteilnehmer voller Übermut und Optimismus. Sie betonten alle eine Botschaft: Einheit. „Ich denke, wir sind uns alle einig, dass dies ein historischer NATO-Gipfel war“, sagte US-Präsident Biden. „Wir sind völlig geeint“, sagte der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson, der auf dem vorangegangenen G7-Gipfel in Deutschland darüber gescherzt hatte, Putin „unsere Muskeln zu zeigen“. „Wir stehen in Einigkeit und Solidarität zusammen und bekräftigen das dauerhafte transatlantische Band zwischen unseren Nationen“, hieß es in der offiziellen Erklärung des Gipfels.
Sogar Macron und Johnson, die seit Monaten wegen der Ukraine zerstritten sind, schienen einen neuen Geist der Zusammengehörigkeit gefunden zu haben, denn der britische Premierminister stimmte Macrons Vorschlag einer Europäischen Politischen Gemeinschaft offenbar zu. Wenn man jedoch über die Schlagzeilen hinausgeht, zeigt sich in diesem wie auch in den anderen diskutierten Bereichen ein anderes Bild als das der Einigkeit.
Eine der zentralen Fragen, die auf dem NATO-Gipfel erörtert wurden und die auch das jüngste G7-Treffen beherrschten, war natürlich der Krieg in der Ukraine. In dieser Frage herrscht keine Einigkeit. Ja, alle NATO-Staaten unterstützen Kiew offiziell, aber es gibt fundamentale Unterschiede in Bezug auf die zugrunde liegende Strategie. Dies wurde zwei Wochen zuvor bei einer Reihe von Besuchen europäischer Würdenträger deutlich sichtbar.
Zunächst waren Scholz, Macron und Draghi an der Reihe, nach Kiew zu reisen. Hinter den offiziellen Erklärungen über die volle Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland wurde deutlich, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Deutschland, Frankreich und Italien drängen auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges, selbst wenn dies territoriale Zugeständnisse an Russland bedeutet. Grund dafür ist, dass die europäische Energieversorgung stark von Russland abhängig ist und Putin das geschickt als Druckmittel einsetzt.
Tatsächlich konnten sich auf dem letzten G7-Treffen die Mächte der Welt nicht einmal auf einen Vorschlag der USA einigen, den Preis für russisches Öl zu deckeln. Deutschland war damit nicht einverstanden.
Auf den Besuch dieser Troika folgte dann der Überraschungsbesuch von Boris Johnson, der wichtige Verpflichtungen in Großbritannien hinter sich ließ und nach Kiew eilte. Zuvor musste er nach zwei Nachwahlen schwere Niederlagen einstecken. Was war der Grund für seinen Besuch? Es ist glasklar, dass er jeglichen Schaden, den das europäische Trio angerichtet haben könnte, rückgängig machen wollte. Er wollte sicherstellen, dass Selenskyj nicht wankelmütig wird. Währenddessen plädierte Boris Johnson an Selenskyi mit einer eindeutigen Botschaft: Der Krieg gegen die russische Invasion muss um jeden Preis fortgesetzt werden, und wir werden euch unterstützen; ein Sieg Russlands darf nicht zugelassen werden, denn das wäre ein schwerer Schlag für das Ansehen des US-Imperialismus. Damit agierte Johnson als Agent Washingtons (obwohl selbst in den USA wachsende Bedenken über den Verlauf des Krieges bestehen) und als Cheerleader für die Kriegshetzer in Polen und den baltischen Staaten.
Diese Risse, die auf den materiellen Auswirkungen des Krieges auf die EU-Länder und insbesondere auf Deutschland beruhen, können nicht durch NATO-Erklärungen und strategische Konzeptformulierungen überdeckt werden.
Der Krieg in der Ukraine wurde genutzt, um die Aufrüstung in Europa voranzutreiben und den Vorstoß der NATO nach Osten zu festigen – genau die Strategie, auf die Russland mit seinem Einmarsch in die Ukraine im Februar reagierte.
Am Vorabend des Madrider Gipfels kündigte NATO-Generalsekretär Stoltenberg an, dass die Zahl der Truppen, die das Bündnis in „hoher Bereitschaft“ hält, von 40.000 auf 300.000 aufgestockt werde, was er als „die größte Überholung unserer kollektiven Verteidigung und Abschreckung seit dem Kalten Krieg“ bezeichnete. In der Tat war vieles davon wieder einmal darauf ausgerichtet, positive Schlagzeilen zu machen, um das Bündnis stark aussehen zu lassen. Wenn man sich jedoch die Details ansieht, wird deutlich, dass der Schritt etwas bescheidener ausfiel.
Es gab keine klare Aufschlüsselung der 300.000 auf die verschiedenen NATO-Mitglieder in Europa, die von der Ankündigung überrascht wurden. Ein NATO-Beamter, der anonym mit der Washington Post sprach, sagte, die Zahl von 300.000 sei „im Moment theoretisch“: „Das Konzept ist noch nicht vollständig ausgearbeitet, wir werden noch mehr tun müssen, um das Modell aufzubauen, bevor wir herausfinden können, wie hoch die nationalen Verpflichtungen sein können.“ Die Zahl wird von „Kräften in verschiedenen Bereitschaftsstufen“ abgeleitet, sagte ein hochrangiger Diplomat gegenüber Politico. In der offiziellen Gipfelerklärung, auf die sich die NATO-Mitglieder in Madrid geeinigt haben, wird die ganze Idee allerdings nicht erwähnt.
Die eigentliche Entscheidung, die getroffen wurde, eine bescheidene, aber bedeutende Entscheidung, ist die Erhöhung der Zahl der ständigen NATO-Truppen, die in den baltischen Staaten und Polen stationiert sind. Ursprünglich forderten sie eine Verzehnfachung der NATO-Truppen (von 5.000 auf 50.000), die Einrichtung dauerhafter Stützpunkte sowie die Stationierung von Luft- und Seeabwehrsystemen. Selbst hier blieb die endgültige Zusage hinter den eigentlichen Forderungen zurück, anstatt der Verzehnfachung der NATO-Truppen, sollte die Truppenstärke in jedem Land von 3000 auf 5000 Mann aufgestockt werden. Allerdings auf einer „Rotationsbasis“, d.h. die tatsächliche Truppenstärke würde sich kaum erhöhen. Die USA werden außerdem eine ständige Kommandozentrale in Polen einrichten.
Das soll nicht heißen, dass die NATO nicht Stärke gegenüber Russland zeigen will, um Russland die Stirn zu bieten. Es zeigt aber die Grenzen ihres Engagements auf, das mittel- und langfristig viel Geld kosten wird. Die Frage des NATO-Haushalts ist seit einigen Jahren ein wunder Punkt zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten, auf die Washington ständig Druck ausübt, damit sie einen größeren Anteil an den Kosten übernehmen. Das seit langem vereinbarte Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des BIP wurde von der Mehrheit der NATO-Mitglieder (19 von 29) noch nicht erreicht. Dazu gehören Deutschland, Italien, Kanada und Frankreich.
Die USA tragen nach wie vor die Hauptlast der NATO-Militärausgaben, mit dreimal so hohen Verteidigungsausgabenwie die der übrigen NATO-Länder zusammengenommen . Der Krieg in der Ukraine wird in mehreren Ländern, insbesondere in Deutschland, genutzt, um eine erhebliche Erhöhung der Militärausgaben zu genehmigen. In Zeiten der Wirtschaftskrise kann dies zum Brennpunkt des Klassenkampfes werden, wenn sich die Arbeiterklasse zu fragen beginnt, warum Geld für Waffen, aber kein Geld für Gesundheit, Bildung, Wohnen usw. vorhanden ist.
In der Zwischenzeit spielt Litauen ein gefährliches Spiel, indem es Sanktionen gegen russische Transporte in die Enklave Kaliningrad verhängt, eine sehr sensible Angelegenheit. Während Litauen vorgibt, lediglich die vereinbarten EU-Sanktionen gegen den russischen Handel buchstabengetreu umzusetzen, üben die Deutschen Druck aus, damit es seine Haltung aufgibt. Wir sollten nicht vergessen, dass Litauen bereits von Deutschland gezwungen wurde, seine kriegerische Haltung gegenüber China aufzugeben. Letztes Jahr beschloss das baltische Land, die Chinesen zu verärgern, indem es ein Büro für Handelsinteressen für Taiwan eröffnete. Peking setzte sein Druckmittel gegenüber Deutschland ein, um dem ein Ende zu setzen, indem es warnte, dass deutsche Unternehmen, die in Litauen Geschäfte machen, in China sanktioniert würden, wenn die Entscheidung, das Büro nach „Taiwan“ zu benennen, nicht rückgängig gemacht würde. Die deutschen Unternehmen sahen sich daraufhin gezwungen, ihren Rückzug aus Litauen anzukündigen, und das kleine Land entschuldigte sich schließlich öffentlich bei China.
So sind die Dinge in der „regelbasierten Welt“ des Imperialismus nun einmal. Dieser kleine Zwischenfall verriet viel über das Wesen Chinas, einer aufstrebenden imperialistischen Macht, die die Frage um Taiwan sehr ernst nimmt, aber auch über die Differenzen zwischen Deutschland und den USA, wenn es um die Beziehungen zu China und Russland geht. Diese Spaltungen haben eine materielle Grundlage und sind in den Interessen des deutschen Kapitals, seinen Auslandsinvestitionen und Energiequellen verwurzelt.
Der große Höhepunkt des Gipfels waren natürlich die Beitrittsanträge Finnlands und Schwedens, die schließlich von der Türkei grünes Licht erhielten. Dies war das Ergebnis einer demütigenden Vereinbarung, in der sich die nordischen Länder verpflichteten, gegen kurdische Organisationen und die türkische Opposition in ihren eigenen Ländern vorzugehen. Es sollen diejenigen ausgeliefert werden, die die Türkei als Bedrohung ansieht, und das Waffenexportverbot für die Türkei soll aufgehoben werden. Bei allem Gerede über Menschenrechte und demokratischen Werten wurde der Beitritt Schwedens und Finnlands durch ein Feilschen mit Erdogan erreicht, bei dem die demokratischen Rechte der Kurden (in der Türkei und in Syrien) für die NATO-Erweiterung geopfert wurden. Dies sind die wahren Werte einer Organisation wie der NATO.
Außerdem erhielt Erdogan von den USA Garantien, dass die Türkei in das erweiterte F16-Kampfjetprogramm aufgenommen wird, aus dem sie zuvor als Strafe für den Kauf russischer Luftabwehrsysteme ausgeschlossen worden war. Allerdings scheint das noch nicht das Ende von diesem unerquicklichen Spektakel zu sein. Unmittelbar nach dem Gipfel, als die schwedische Delegation noch in der Luft war und nach Hause flog, bestand Erdogan darauf, dass man sich darauf geeinigt habe, 73 politische Gegner auszuliefern. Damit sollte die schwedische Regierung in der Öffentlichkeit gedemütigt und blamiert werden, und die Türkei zeigen können, welchen Einfluss sie hat. Die Schweden protestierten, dass sie sich an ihr eigenes Rechtssystem halten müssten und keine Garantien bieten könnten, worauf Erdogan erwiderte, dass er sich ohne die Erfüllung seiner Forderungen nicht einmal die Mühe machen werde, den Vorschlag für die NATO-Erweiterung dem türkischen Parlament zur Genehmigung vorzulegen.
Wie auch immer diese NATO-Erweiterung ausgehen wird, diese Art von Vereinbarungen, die zwischen den beiden netten, demokratischen, friedliebenden und neutralen nordischen Ländern und der Türkei getroffen wurden, sollte alle Illusionen darüber zerstören, ob das Bündnis die Ukraine unterstützt, weil es sich um die nationale Souveränität und die demokratischen Rechte kleiner Nationen kümmert, die von größeren Nachbarn schikaniert werden. Der Ausverkauf der Kurden, insbesondere der Kurden in Syrien, ist umso skandalöser, da sie vor nicht allzu langer Zeit noch Verbündete der USA im Kampf gegen ISIS waren. Nachdem sie ihren Zweck als „boots on the ground“ erfüllt hatten, die Washington nur ungern einsetzte, wurden sie wie ein gebrauchtes Taschentuch entsorgt.
In einem ähnlich abscheulichen Schritt bestand Spanien darauf, dass die Migration im neuen strategischen Konzept als Bedrohung und im Zusammenhang mit der Verteidigung der Südflanke der NATO erwähnt werden müsse. Dies war besonders kaltherzig, da das Gipfeltreffen nur wenige Tage nach dem Tod von bis zu 37 Migranten stattfand, die beim Versuch den Militärzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla zu überwinden, ums Leben kamen. Die Migranten erstickten oder starben durch Stürze von dem 10m hohen Zaun, alles verursacht oder verschlimmert durch das Eingreifen der marokkanischen und spanischen Polizei, die die Grenze bewacht.
Natürlich lässt das Dokument wichtige Fragen bequemerweise außer Acht, wenn es von Migration als einer zu überwachenden Bedrohung spricht. Die Hauptgründe für die erzwungene Migration der Menschen, die versuchen nach Europa zu gelangen, sind größtenteils durch NATO-Interventionen verursachte Kriege oder Hunger und Armut, ausgelöst durch imperialistische Mächte, die auch Mitglieder der NATO sind. Das Bündnis ist nicht in der Lage, mit solchen Fragen umzugehen, und so macht es die Migration zu einem Sicherheitsproblem, zu einer Angelegenheit, bei der es darum geht, „jeden Zentimeter des alliierten Territoriums“ zu verteidigen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um eine spanische Regierung handelt, die von dem „Sozialisten“ Pedro Sánchez in einem Bündnis mit Unidas Podemos (UP), dem auch die Kommunistische Partei angehört, geführt wird. Um eine Blamage zu vermeiden, wurde ein Gentlemans Agreement vereinbart. Führende Persönlichkeiten sowohl von Podemos als auch der Kommunistischen Partei nahmen an den Protesten gegen den NATO-Gipfel teil, aber im Allgemeinen hatten sich beide Organisationen darauf geeinigt, sich zurückhaltend zu verhalten. Wie bei vielen anderen Dingen auch, darf die UP öffentlich gegen Entscheidungen der Regierung, der sie angehört, protestieren – allerdings nicht zu sehr -, ohne jedoch jemals mit ihr zu brechen.
Neben dem Krieg in der Ukraine wurde auf dem NATO-Gipfel auch über China gesprochen, das im neuen Strategischen Konzept zum ersten Mal als „systemische Herausforderung für die euro-atlantische Sicherheit“ genannt wurde. Es lohnt sich, das Konzeptdokument in vollem Umfang zu zitieren:
„Die erklärten Ambitionen der Volksrepublik China (VRC) und ihre auf Zwang beruhende Politik stellen unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte in Frage. Die VRC setzt ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher und militärischer Instrumente ein, um ihre globale Präsenz zu vergrößern und Macht zu demonstrieren, während sie ihre Strategie, ihre Absichten und ihre militärische Aufrüstung undurchsichtig hält. Die böswilligen Hybrid- und Cyberoperationen der VRC sowie ihre konfrontative Rhetorik und Desinformation richten sich gegen die Bündnispartner und schaden der Sicherheit des Bündnisses. Die VRC ist bestrebt, technologische und industrielle Schlüsselsektoren, kritische Infrastruktur sowie strategische Materialien und Lieferketten zu kontrollieren. Sie nutzt ihren wirtschaftlichen Einfluss, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und ihren Einfluss zu stärken. Sie ist bestrebt, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, auch in den Bereichen Weltraum, Cyberspace und Seefahrt. Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, laufen unseren Werten und Interessen zuwider.“
Als Antwort auf diese angeblich von China ausgehenden „Herausforderungen“ wird die NATO „unser gemeinsames Bewusstsein stärken, unsere Widerstandsfähigkeit und Bereitschaft verbessern und uns gegen die erpresserischen Taktiken und Bemühungen der VRC, das Bündnis zu spalten, schützen. Wir werden für unsere gemeinsamen Werte und die regelbasierte internationale Ordnung, einschließlich der Freiheit der Schifffahrt, eintreten.“
Diese Erklärung ist sehr bedeutsam. Sie sagt nicht, dass China ein Feind der NATO ist, aber sie kommt dem so nahe wie möglich, ohne es in klaren Worten auszusprechen. Dieses Dokument soll die Strategie der NATO für die nächsten 10 Jahre leiten. Auf dem Gipfeltreffen waren eine Reihe von Ländern aus dem pazifischen Raum eingeladen. Ein sehr provokanter Schritt, betont die NATO doch stets, dass sie sich lediglich mit der gegenseitigen Verteidigung seiner Mitglieder, die alle am Nordatlantik liegen, befasst. Selbst in der Gipfelerklärung von Madrid werden diese Plattitüden wiederholt: „Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und stellt für kein Land eine Bedrohung dar. Die NATO bleibt das Fundament unserer kollektiven Verteidigung und das wesentliche Forum für sicherheitspolitische Beratungen und Entscheidungen zwischen den Bündnispartnern.“
Das ist natürlich eine komplette Lüge. Die NATO ist ein Militärbündnis, das die Interessen des US-Imperialismus in der ganzen Welt verteidigen soll. Sie wurde geschaffen, um dem von der UdSSR dominierten Warschauer Pakt nach dem Zweiten Weltkrieg entgegenzutreten, und nach dem Zusammenbruch des Stalinismus sollte sie Washingtons „neue Weltordnung“ sicherstellen. Die NATO-Mitgliedsstaaten haben sich an imperialistischen Angriffskriegen in der ganzen Welt beteiligt, und die NATO selbst hat imperialistische Kriege gegen Serbien, Afghanistan und Libyen geführt, Länder, die eindeutig keine NATO-Mitgliedsstaaten angegriffen hatten.
Liest man das genehmigte Strategiekonzept der NATO aufmerksam, so wird der wahre Charakter des Konflikts zwischen den USA und China deutlich. China wird vorgeworfen, „seinen wirtschaftlichen Einfluss zu nutzen, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und seinen Einfluss zu vergrößern“. Das ist eine sehr gute Beschreibung des Imperialismus, die auch das Verhalten der westlichen imperialistischen Mächte in der NATO sehr gut beschreibt. Welche Rolle spielen der IWF und die Weltbank, wenn nicht die, wirtschaftliche Druckmittel einzusetzen, um Abhängigkeiten zu schaffen und den Einfluss der amerikanischen und europäischen Mächte zu stärken?
Wenn sich die NATO darüber beschwert, dass Russland und China „die auf Regeln basierende internationale Ordnung untergraben“, sagt sie in Wirklichkeit: „Sie werden sich nicht an die von uns auferlegten Regeln halten „. In Wirklichkeit gibt es so etwas wie eine „regelbasierte Ordnung“ nicht. Die Vereinigten Staaten, als das mächtigste imperialistische Land der Welt, nutzen „Regeln“ zu ihrem Vorteil, wenn sie ihnen passen, und brechen sie, wenn nicht! Der erste Golfkrieg 1991 wurde unter dem Banner der Vereinten Nationen geführt (wobei die Sowjetunion dafür stimmte und China sich enthielt). Der zweite Golfkrieg im Jahr 2003 wurde von einer von den USA geführten „Koalition der Willigen“ geführt, da sie den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht dazu bringen konnten, ihn zu unterstützen.
Das Völkerrecht ist ein Betrug. Die Vereinigten Staaten und andere NATO-Mächte verletzen seit langem die nationale Souveränität, die unantastbaren Grenzen von Ländern usw. Washington organisiert regelmäßig militärische Interventionen, Putsche, setzt Regierungen ab, bedroht andere und bricht dabei alle bestehenden Regeln. Wir sprechen hier nicht nur von der fernen Vergangenheit, sondern auch von der jüngsten Zeit. China, das jetzt als „systemische Herausforderung“ bezeichnet wird, hat bisher nichts von alledem getan. Nicht weil China ein gutmütigerer Staat ist, sondern weil es eine aufstrebende imperialistische Macht ist, die gerade erst ihre Muskeln spielen lässt und noch nichtin der Lage ist, solche Aktionen durchzuführen.
Im Grunde genommen stellt sich die Frage wie folgt. China ist ein kapitalistisches Land, mit mächtigen Interessen und imperialistischen Ambitionen. Es nutzt seine Finanzkraft, um sich Märkte, Einflusssphären, Rohstoff- und Energiequellen zu sichern. Es tut dies ganz offen. Die „Neue Seidenstraße-Initiative“ wird seit Jahren öffentlich angekündigt und gefördert. Allerdings sind Chinas Vorstöße nicht im imperialistischen Interesse der USA und deshalb soll es nun eine Angelegenheit der NATO werden, da es ein Instrument für die imperialistische Vorherrschaft der USA über ihre Verbündeten, und ihrer Mitglieder ist.
Tatsächlich wurde die Frage um China auch auf dem G7-Gipfel in Deutschland diskutiert, der dem NATO-Treffen vorausging.
Es wurde versucht einen 600-Milliarden-Dollar-Infrastrukturplan auf den Weg zu bringen, um mit China zu konkurrieren. Wenn man sich die Details ansieht, handelt es sich dabei nicht um einen neuen Plan. Was Biden vor einem Jahr unter dem Namen „Build Back Better World“ vorschlug, wurde nun in „Partnership for Global Infrastructure“ umbenannt, nachdem seine innenpolitische Agenda floppte.
Natürlich müssen wir einen Sinn für Verhältnismäßigkeit haben. Die USA sind nach wie vor das mächtigste imperialistische Land der Welt. Ihre Militärausgaben sind dreimal so hoch wie die Chinas und entsprechen den Ausgaben der zehn folgenden Länder in der Rangliste zusammen. Die USA haben eine besonders mächtige Position durch ihre Finanzinstitutionen und die Vorherrschaft des Dollars als Weltreservewährung. Ihr Rückgang ist nur relativ zu ihrer früheren Position. Dennoch ist klar, dass sie China als gefährlichen Rivalen und Konkurrenten um Märkte, Rohstoffquellen, Investitionsfelder und Einflusssphären betrachten.
Auf der anderen Seite ist China eine aufstrebende imperialistische Macht, die sich noch in der Findungsphase befindet. Es nutzt hauptsächlich den wirtschaftlichen Hebel von Investitionen und Handel, um seine Ziele zu erreichen. Es verfügt nur über einen einzigen Militärstützpunkt im Ausland, in Dschibuti, das strategisch günstig am Golf von Aden liegt, einer wichtigen Verbindung zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer. Es gibt Gerüchte, dass die Chinesen eine Militäreinrichtung auf dem Militärstützpunkt Ream in Kambodscha errichten. Einige der Häfen, die die Chinesen entlang der Schifffahrtsrouten vom Indischen Ozean nach Europa bauen, sollen für eine zivil-militärische Doppelnutzung geeignet sein.
Die Entwicklung Chinas stößt jedoch an gewisse Grenzen. Während sein BIP, nach dem der USA, das zweitgrößte ist, ist China ein wesentlich bevölkerungsreicheres Land mit enormen regionalen Unterschieden. Zwar ist die Arbeitsproduktivität im Osten des Landes aufgrund der Übernahme der fortschrittlichsten Technologien recht hoch und übertrifft in einigen Bereichen die der USA, doch gibt es im Landesinneren auch weite Gebiete, die von Rückständigkeit geprägt sind. Chinas Wirtschaft ist auch stark von Exporten abhängig, und das in einer Zeit, in der sich die Weltwirtschaft in Handelskriege und Protektionismus zurückzieht. Die bis vor kurzem erzielten außerordentlichen jährlichen Wachstumsraten können nicht mehr aufrechterhalten werden, da sich die chinesische Wirtschaft einer klassischen Überproduktionskrise gegenübersieht.
Es handelt sich also um einen Kampf zwischen einer alten, im relativen Niedergang befindenden, imperialistischen Macht und einer jungen aufstrebenden imperialistischen Macht, die versucht ihre Position zu behaupten. Die USA sehen darin ihre Hauptbedrohung und betonen seit einiger Zeit die Politik der „Hinwendung zu Asien“. Während sie Russland in der Ukraine die Stirn bieten, sind sie sich darüber im Klaren, dass Putin seine Interessen nicht so gewagt durchsetzen könnte, wenn er nicht die Rückendeckung Chinas hätte. Gleichzeitig beobachtet China die Entwicklungen in der Ukraine genau und überlegt, welche Lehren es für seine eigenen Interessen in Bezug auf Taiwan ziehen kann.
Selbst in der China-Frage sind die Interessen Washingtons nicht genau dieselben wie die von Berlin-Brüssel-Paris. Die USA haben Zollschranken gegen China verhängt, aber die europäischen Unternehmen nutzen dies aus. Kaum eine Woche nach dem Gipfel in Madrid gab das europäische Unternehmen Airbus bekannt, dass es einen Vertrag über den Verkauf von Flugzeugen an chinesische Fluggesellschaften im Wert von 37 Milliarden Dollar unterzeichnet hat – das größte Geschäft in der Geschichte der Luftfahrt an einem Tag. Dies wurde jedoch zum Nachteil des US-Flugzeugherstellers Boeing abgeschlossen, der sich bitterlich beklagte: „Es ist enttäuschend, dass geopolitische Differenzen die US-Flugzeugexporte weiterhin einschränken.“ Die in chinesischem Staatsbesitz befindliche Global Times reagierte mit einem Leitartikel mit dem Titel „Boeing ist enttäuscht? Es ist nicht Chinas Schuld“. In dem Artikel wurde Washington darauf hingewiesen, dass „politische Manipulation nicht über das Gesetz des Marktes triumphieren können“. Man muss die Ironie schon lieben. Die NATO beschuldigt China, eine Bedrohung für die „regelbasierte internationale Ordnung“ zu sein, und China entgegnet, dass es die USA sind, die die Gesetze des Marktes brechen, indem sie protektionistische Zölle einführen!
Anfang dieses Jahres unterzeichnete Frankreich mit China ein Abkommen über gemeinsame Infrastrukturprojekte im Wert von 1,7 Mrd. Dollar in Ländern Afrikas, Südostasiens und Osteuropas. Das scheint kein besonders hoher Betrag zu sein, aber dies ist die vierte Runde solcher Vereinbarungen zwischen den beiden Ländern. Paris versucht wahrscheinlich, mit China zusammenzuarbeiten, da es befürchtet, aus dem französischsprachigen Afrika, einem traditionellen Einflussgebiet des französischen Imperialismus, vollständig verdrängt zu werden.
Wie lassen sich solche Abmachungen mit der Aussage der NATO erklären, China sei eine „systemische Herausforderung“? Die Wahrheit ist, dass die (vom deutschen Kapital dominierte) EU zwar nicht in der Lage ist, dem US-Imperialismus die Stirn zu bieten, aber dennoch ihre eigenen imperialistischen Interessen hat.
Trotz all des Lächelns und all des Geredes über Einheit, sind die NATO-Partner weit entfernt davon vereint zu sein. Sie sind sich nicht einig, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht. Sie sind sich nicht einig in Bezug auf China. Imperialismus ist auch die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten, insbesondere wenn neue entstehen und alte untergehen. Dies ist die Quelle für alle Arten von Konflikten. Ein direkter Krieg zwischen den Hauptmächten ist aufgrund der Existenz von Atomwaffen vorerst ausgeschlossen. Daher äußert sich der Konflikt zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten auf unterschiedliche Weise: Handelskriege, diplomatische Zwischenfälle und ja, „kleine“ lokale Kriege, wie der in der Ukraine und mehrere andere in Afrika. Im Großen und Ganzen sind dies „kleine“ Kriege, aber dennoch sterben Zehntausende und Millionen werden verdrängt.
Auf dem NATO-Gipfel in Madrid hat der westliche Imperialismus versucht, den Schein der Einigkeit zu wahren, aber in Wirklichkeit ist er gespaltener denn je.
Jorge Martin, IMT
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