Am Sonntag 8.11.2015 wurde in Weil am Rhein von zwei Einzelpersonen zum ersten „friedlichen Abendspaziergang“ aufgerufen. Dieser sollte „besorgten Bürgern“ Platz zu einem friedlichen Widerstand verschaffen. Sie distanzierten sich in Worten von PEGIDA und anderen rechten Organisationen. Für linke AktivistInnen war jedoch schnell klar wer sich hinter diesem Aufruf verbirgt. Sven Diesslin war der Kopf des „friedlichen Wiederstandes“. Er und Andy Weigland, ein Mitveranstalter, sind bekannt aus NPD-Kreisen und so war der Charakter dieses Spaziergangs offenkundig. Der Spaziergang der „besorgten Bürger“ sollte vom Berliner Platz bis zum Rathausplatz führen, doch dazu kam es nicht. Die Linksjugend [’solid] hatte auf eine halbe Stunde vor Beginn des „friedlichen Widerstandes“ auf dessen Startpunkt der Route mobilisiert. So kam es, dass ca. 200 linke AktivistInnen lediglich 10(!) „besorgten Bürgern“ gegenüberstanden und diese schnell verjagten. Die Gegendemonstration bestand aus diversen Linksparteien, darunter die Linkspartei, die Linksjugend [’solid], JUSOs in der SPD, JUSO CH und verschiedenen linksautonomen Gruppierungen.
Eine Woche später kam es zum zweiten Aufruf der „besorgten Bürgern“. Doch diesmal sollte es kein Spaziergang, sondern eine öffentliche Kundgebung auf dem Marktplatz geben. Diese Kundgebung war auf 18:30 Uhr angesetzt, wurde dann aber aufgrund der Gegenmobilisierung der linken Parteien vorverschoben. Dies hatte zur Folge, dass sich die Gegendemonstranten in zwei verschiedene Gruppen spalteten. Die eine Gruppe, bestehend aus Linksautonomen, Maoisten und Antifas, versuchte die vorverschobene Kundgebung direkt zu stören, während die linken Parteien weiter an ihrem Zeitplan der Gegendemonstration festhielten. Alle Versammlungen wurden von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Auf beiden Seiten ist die Zahl der Teilnehmenden gestiegen. Während die Linken ca. 350 Gegendemonstranten stellten, standen ihnen ca. 90 „besorgte Bürger“ gegenüber. Bei dieser zweiten Kundgebung bekannte sich nun der „friedliche Widerstand“ zu PEGIDA und nannte sich fortan PEGIDA Dreiländereck.
Was will PEGIDA wirklich?
PEGIDA steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Ende Oktober 2014 wurde diese Bewegung in Deutschland gegründet. Der Sprecher des Vereins Lutz Bachmann, forderte seine Anhänger zu „Montagsdemonstrationen“ in Dresden auf. Die Zahl der Teilnehmenden bestand anfangs aus wenigen hundert, nahm jedoch rasant zu und erreichte zum Schluss bis zu 17’000. Ableger von PEGIDA wurden sowohl in Kassel (KADIGA) wie auch in Bonn ( BOGIDA) gebildet. Aber nicht nur in Deutschland bildeten sich an PEGIDA orientierte Gruppierungen, sondern auch in der Schweiz wurden versuche gestartet, so auch in Schweden und Österreich. Überall wurden jedoch auch Gegendemonstrationen und Gegenkundgebungen seitens der Linken veranstaltet.
Die Propaganda der PEGIDA baut unter anderem darauf auf, dass Europa angeblich islamisiert werde, d.h. dass der Islam durch den hohen Anteil muslimischer ImmigrantInnen die kulturelle Vorherrschaft ergreifen würde. Aktuelle Befragungen der deutschen Bevölkerung wiederspiegeln diese Ängste deutlich. So wird beispielsweise der Anteil der Muslime in Deutschland auf 19% geschätzt, der tatsächliche Anteil liegt jedoch um die 6%, ausserdem stieg in der letzten Jahren der Anteil der Muslime in Deutschland nur marginal und wird in Zukunft kaum weiter ansteigen, da die Geburtenrate der nicht–muslimischen und der muslimischen Bevölkerung sich weiter angleicht. Vor allem aber wird von PEGIDA suggeriert, dass der Islam eine Bedrohung für den europäischen Säkularismus sei, jedoch geht von diesen MuslimInnen definitiv keine Gefahr für die Religionsfreiheit aus (im Gegensatz zu PEGIDA), der Islam wird als private Religion praktiziert. Die muslimische Minderheit ist weder fähig noch gewillt in Deutschland einen islamischen Staat auszurufen. Es findet also definitiv keine Islamiserung statt.
Ausserdem wird laut Äusserungen der PEGIDA die Gesellschaft Deutschlands von radikalen Salafisten bedroht. Diese radikal fundementalistische Gruppierung stellt jedoch eine verschwindend kleine Minderheit unter den MuslimInnen in Deutschland dar. Ausserdem ist bei den Salafisten auch nur ein kleiner Anteil gewaltbereit. Spätestens wenn man die Statistiken der religiös motiviterten Gewalttaten mit den rechts-extremistisch motivierten Gewalttaten vergleicht, sieht man ganz klar von welcher Gruppierung die eigentliche Aggression aussgeht.
PEGIDA versucht jene Menschen anzusprechen, welche sich Kapitalismus übergangen fühlen, welche mit der aktuellen Politik nicht zufrieden sind. Die Gründe dafür sehen sie in einer „Islamisierung Europas“ und in den Flüchtlingswellen, statt in der kapitalistischen Krise. Neben ihrem Lieblingsfeind – der Islamisierung – zielt ihr Kampf gegen Linke, gegen Multikulti, gegen die GroKo (die Regierung in Deutschland, Koalition aus SPD und CDU), gegen Sozialisten und die Antifa. Ihr Lippenbekenntnis zur Ablehnung des Nationalsozialismus hindert sie nicht daran, zusammen mit der NPD aufzumarschieren. Laut der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird PEGIDA sogar in mindestens sechs Bundesländern von bekennenden Rechtsextremen gesteuert. So auch PEGIDA Dreiländereck: Ignaz Bearth agierte in Neonazikreisen wie der Schweizer Partei PNOS, Tobias Steiger wurde aufgrund seines braunen Gedankenguts aus der rechtspopulistischen SVP rausgeworfen.
Ihre lächerlichen Behauptungen, weder links noch rechts zu sein, entpuppen sich bald als alter Wein in verstaubten Schläuchen: ein zorniger Nationalkonservatismus wird gepredigt, der vor autoritären Mitteln nicht zurückschreckt, nur stellt er sich, ähnlich damals dem „völkischen Sozialismus“, nicht als Vertreter des Establishments, sondern als empörte Basisbewegung dar. So soll der Faschismus den Massen langsam schmackhaft gemacht werden. So zieht PEGIDA von Dorf zu Dorf, verbreitet ihr braunes Gedankengut und bietet Neonazis eine Plattform, um sich zu vernetzen, zu organisieren und neue Mitglieder zu rekrutieren. So soll langsam ein faschistischer Block aufgebaut werden. Der Unmut verelendeter Schichten der Gesellschaft gegen „die da Oben“ soll umgelenkt und zur aggressiven Verteidigung nationaler Profitinteressen missbraucht werden, während Gegenprotest durch zivilen Terror im Keim erstickt werden soll. Na dann, prost!
No PEGIDA Dreiländereck
Um PEGIDA erfolgreich zu bekämpfen, ist es notwendig nicht nur ihr Programm, sondern auch ihre Strategie und Taktik nachvollziehen zu können. PEGIDA orientiert sich nun taktisch auf Kandern, wo sich PEGIDA grössere Chancen in der Rekrutierung ihrer so genannten Bewegung erhofft. PEGIDA geht dabei den Weg des geringsten Widerstandes, einerseits haben ihnen die grossen Gegenproteste durchaus beigebracht, wie das Kräfteverhältnis momentan steht, andererseits haben sie in Weil am Rhein möglicherweise bereits alles „abgegrast“. Doch auch in Kandern waren die Linken massiv in der Überzahl, am 10.1.2015 waren etwa 30 bis 40 PEGIDA-AnhängerInnen gegen gut sechs bis sieben Mal so viele Gegendemonstranten. Ein paar Leute aus dem braunen Mob hielten ein gespraytes Transpi mit der Aufschrift „Migrants out – Elsass free“, was auf Support von Neonazis von der anderen Seite des Rheins hindeuten könnte, vielleicht auch nur altbekannte grossdeutsche Fantasien wiederspiegelt. PEGIDA hatte einen kleinen Teil des Blumenplatzes besetzt, der von der Polizei grosszügig abgesperrt wurde und sonst von protestierenden Menschenmassen gehalten wurde. Dass trotz strömendem Regen und Kälte hunderte Menschen mehrere Stunden lautstark protestierten ist äusserst motivierend. Ob sich PEGIDA ein weiteres Mal nach Kandern wagt ist fraglich. Ihre Botschaft konnten sie wegen des Lärms höchstens an die eigenen Leute bringen. PEGIDA hat allerdings eine Kundgebung am 3.2.2016 in Basel geplant, wo sie mit lokalen Hitlerverehrern wie Eric Weber kooperiert. Wie dies zu beurteilen ist, ist schwierig abzuschätzen, denn die Linke ist sehr gross und gut organisiert in Basel, die Gegendemonstranten werden also massiv in der Überzahl sein. Möglicherweise dient die Kundgebung nur der Vernetzung lokaler Rechtsextremer, um so in der Schweiz zumindest einen Fuss in die Türe zu kriegen. Bei der Beurteilung ihrer langfristigen Strategie ist ihr Name wohl durchaus ernst zu nehmen: Angefangen beim schwächsten Glied soll das ganze Dreiländereck in einen braunen Sumpf verwandelt werden. Doch die Linke am Dreiländereck wird ihnen zeigen, dass es sich bei diesen Träumen um blanken Grössenwahn handelt. Keinen Fussbreit den Faschisten!
Es ist wichtig, dass wir eine klare politische Gegenposition zu PEGIDA einnehmen und die Einheit im Kampf der ArbeiterInnen aller Länder für soziale Verbesserungen in den Mittelpunkt stellen. PEGIDA verteidigt die herrschenden Besitzverhältnisse und ist somit ein versteckter Kämpfer des Kapitals. Sie spalten die Gesellschaft entlang der Religion und äusserlichen Erkennungsmerkmalen, was dem Kapital gelegen kommt: Teile und herrsche, wie es im Buche steht. Dabei verschleiern sie systematisch, dass hinter Krieg und Krise das Kapital steht. Faschistische Bewegungen sind nichts anderes als ein Vorschlaghammer, mit dem Kapitalinteressen durchgesetzt werden sollen. PEGIDA selbst ist zwar keine faschistische Bewegung, sondern eine neurechte, die Brücken zwischen dem Rechtspopulismus und dem Faschismus schlagen will. Die faschistische Führung will dabei aus der Bewegung einen eisernen Kern für den Faschismus rekrutieren. Wir werden die Bildung eines faschistischen Blocks auf allen Fronten mit vereinter Kraft bekämpfen. Wir müssen aufzeigen, dass die Grenzen nicht zwischen Nationen oder Religionen liegen, denn die Grenzen verlaufen zwischen den Klassen. Deshalb müssen die Gegenmobiliserungen an politischem Inhalt gewinnen. PEGIDA bloss zu übertönen kann dem Anspruch einer Gegendemonstration nicht gerecht werden.
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