Vom 30.08.2014 bis 4.01.2015 widmet das HVM in St. Gallen Tina Modotti die bisher umfangreichste Ausstellung in der Schweiz, akribisch recherchiert. Tina Modotti war aber nicht nur eine der herausragendsten Fotografinnen des vergangen Jahrhunderts, sondern auch eine Vollblut-Revolutionärin.
Tina Modotti wird 1896 in eine arme Arbeiterfamilie aus dem italienischen Udine hineingeboren. Sie hat vier Geschwister, die der Vater mit allerlei Gelegenheitsarbeiten durchbringt. Einen Vater, den sie später ehrfurchtsvoll als echte Kämpfernatur und unermüdlichen Arbeiter beschreibt. Den grössten Teil ihrer Kindheit verbringt sie in Österreich, wo sie auch zur Schule geht und am eigenen Leib als Fremde erfährt, wie wichtig die Nationalität sein kann. Schon früh besucht sie gemeinsam mit ihrem politisch engagierten Vater Protestveranstaltungen der Arbeiter, die sich gegen die oft unzumutbaren Arbeitsbedingungen wehren. Das Leben in Europa bietet für die Modottis keine Perspektiven und so beschliesst ihr Vater, seinem Bruder in die USA zu folgen. 1913 reist auch Tina nach und lässt sich in San Francisco nieder, arbeitet dort in einer Textilfabrik und jobbt nebenbei aber auch als Mannequin, Künstlermodel und Hutmacherin. Sie ist eine blendende Erscheinung, schön, ernsthaft und voller Pläne. Sie beginnt Gedichte zu schreiben, übt sich im Textildesign und steht schliesslich auch auf der Theaterbühne. 1917 lernt Tina Roubaix de l’Arbirie Richey kennen, einen aus wohlhabendem Elternhaus stammenden Maler, Schriftsteller und Bohemien. Dank ihm verkehrt sie bald in Künstlerkreisen und trifft renomierte Schriftsteller, Maler und Intellektuelle. Schmerzlich wird sie sich im Kreise dieser Leute ihres Bildungsdefizits bewusst. Bald bezieht das Paar ein Appartement in bester Lage, wo sie sich mit dem Batiken von Stoffen beschäftigt und diese auch erfolgreich verkauft. Nebenbei hat sie genug Zeit, endlich die lang vermisste Bildung aufzuholen, liest Freud, Oscar Wilde und Nietzsche. In dieser Zeit lernt sie Edward Weston kennen. Einen der bedeutendsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts und steht ihm in seinem Studio Modell für eine Bilderserie. Aus der Zusammenarbeit wird Liebe. Ihr noch angetrauter Mann erhält 1921 eine Einladung nach Mexiko, das zehn Jahre nach Ende der Revolution die Bildung des Volkes in Angriff nehmen will. Mexiko mit seinem revolutionären Schwung zieht in den 20er-Jahren Künstler und Intellektuelle aus aller Welt an. Er sagt zu und reist ab. Seine begeisterten Briefe an Tina, bringen sie schliesslich doch dazu ihm zu folgen. Noch auf der Fahrt dahin erfährt sie vom Tod ihres Mannes. In Mexiko angekommen, organisiert sie ihm zu Ehren eine grosse Kunstausstellung mit Künstlern aus den USA und Mexiko in Mexico-City. Absoluter Höhepunkt der Ausstellung sind die Fotografien Edward Westons von Tina. Der Mythos Tina Modotti ist begründet.Sie begründet.
Der Tod ihres Mannes wird zum Wendepunkt in ihrem Leben. Sie sucht nach einer wirklichen Aufgabe, die ihr mehr sein kann als ein Broterwerb, und sie findet diese, sicherlich mit Westons Hilfe, in der Fotografie. Es ist der Aufbruch in ein neues Leben. Bald schliesst sie Freundschaft mit verschiedenen mexikanischen Künstlern unter anderem mit Diego Rivera, der gerade an seinen Wandmalereien im Bildungsministerium arbeitet. Er gehört zu den drei grossen mexikanischen Wandmalern, die die mexikanische Renaissance einläuten. Der politischen Revolution soll eine Revolution der Kunst folgen; Kunst soll Volkskunst werden, soll raus aus den Museen und Privathäusern, jedermann zugänglich gemacht werden. Durch die Muralisten werden Tina und Weston rasch Teil der hiesigen Künstlerszene und automatisch auch Teil der kommunistischen Bewegung. Erschüttert von den Ereignissen in Europa und dem Siegeszug des Faschismus in ihrer Heimat, beginnt Tina 1922 erste Artikel für die revolutionäre Zeitschrift „El Machete“ zu schreiben, die 1925 zum Organ der Partido Communista Mexicano (PCM) wird. Sie schliesst sich der Internationalen Roten Hilfe an und wird Mitglied der Antiimperialistischen Liga. Für sie ist klar, dass das mexikanische Volk erst durch eine sozialistische Revolution endgültig frei werden wird.
Das Partygirl mausert sich innerlich aber auch äusserlich zu einer hart arbeitenden Frau. Als Objekte bevorzugt sie die Bauern und Arbeiter Mexikos, proletarische Mütter mit kleinen Kindern, die Armen. Sie alle verkörpern eines ihrer wichtigsten Themen: Arbeit. Ihre Bilder sind Zeitdokumente und Sozialreportagen in einem und sie haben immer eine politische Aussage. Sie stellt ihre Fotos in den Dienst der mexikanischen Revolution, versucht aufzuklären und anzuklagen. Weston verlässt Mexiko und Tina beginnt eine Liebesbeziehung mit dem kommunistischen Maler Xavier Guerrero. Durch ihn taucht sie noch mehr in die kommunistische Bewegung ein. Sie arbeitet jetzt zur Unterstützung des Guerillakampfes von Augusto Cesar Sandino in Nicaragua als Spendensammlerin und beteiligt sich an den Protestaktionen gegen die Hinrichtung der amerikanischen Anarchisten und tritt 1927 der Kommunistischen Partei PCM bei. Nachdem Guerrero bei ihr eingezogen ist, wird ihre Wohnung zum Tagungsort des Zentralkomitees der PCM. In diesem Zusammenhang macht sie Bekanntschaft mit der neuen Botschafterin der UdSSR Kollontai sowie dem italienischen Revolutionär Vittorio Vidali, welcher Tina gegen Ende ihrer Lebzeiten ein treuer Partner sein wird. Guerrero wird nach Moskau berufen. Kurz darauf lernt sie den kubanischen Revolutionär Julio Antonio Mella kennen. Er ist ein Mythos und gilt als der Adonis der Linken. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick und man beschliesst zusammen zu ziehen. Er macht sie mit seinen Freunden bekannt, darunter die junge Malerin Frida Kahlo, welche Tina mit Diego Rivera bekannt macht und damit auch deren Liebe und Zusammenarbeit begründet. Als Mella im Januar 1929 mit Tina spät Abends durch die menschenleeren Strassen laufen, fallen zwei Schüsse, Mella stirbt. Um die politische Dimension des Anschlages zu verschleiern, wird ein Verbrechen aus Leidenschaft konstruiert. Polizei und Presse fallen über Tina her. Man benutzt sie, um die Kommunistische Partei zu diskreditieren. Sie wird unter Hausarrest gestellt, Tag und Nacht verhört und schliesslich freigelassen als der tatsächliche Mörder gefasst wird. Die Auseinandersetzungen um den Tod Mellas verschärfen den Klassenkampft in Mexiko. Die mexikanische Regierung ergreift erste Massnahmen gegen die Kommunistische Partei. Tina droht nun eine Deportation als unerwünschte Ausländerin. Aber auch innerhalb der PCM nehmen die Flügelkämpfe zwischen Stalinisten und Trotzkisten zu. Ein erfolgloser Mordanschlag auf den mexikanischen Präsidenten dient der Regierung als Vorwand, viele Kommunisten zu verhaften, darunter auch Tina Modotti. Nach 13 Tagen holt man sie aus der Zelle. Ihr bleiben 48 Stunden das Land zu verlassen.
Sie verlässt Mexiko und geht nach Berlin, wo sie wieder zu fotografieren beginnt. Viele ihrer Bilder werden in den Arbeiterzeitungen von Willi Münzenberg veröffentlicht. Nach sechs Monaten wird sie allerdings erneut aufgefordert das Land zu verlassen und geht mit zu Vidali nach Leningrad um dort für die sowjetische Sektion der Internationalen Roten Hilfe zu arbeiten. Nach dem Verlust ihrer grossen Liebe, verschreibt sie sich ganz der kommunistischen Idee. Bald hängt sie auch die Fotografie an den Nagel. Sie will nicht mehr länger dokumentieren, sondern anpacken und verändern. In Paris übernimmt sie mit Vidali fünf Monate lang das Büro der Roten Hilfe und engagiert sich vor allem gegen die Faschisten, die ganz Europa zu überrennen drohen. Im Frühjar 1936 gehen Tina und Vidali als Repräsentanten der Roten Hilfe nach Spanien und kämpfen unter Decknamen bei Ausbruch des Bürgerkriegs für die Republik. Doch aller Idealismus und alle Opferbereitschaft sind umsonst. Franco siegt mithilfe Hitlers und Mussolinis und wird 1938 international anerkannt. 1939 verlässt Tina gemeinsam mit Vidali Spanien und reist über Frankreich in die USA. Dort verweigert man ihr jedoch die Einreise. Auf Umwegen landet Tina letztlich auf einem Schiff, das sie nach Mexiko bringt. Unerkannt kommt sie ins Land. Tina lebt zurückgezogen und eher schlecht als recht von Übersetzungen. Auch ihre Gesundheit macht ihr zusehends zu schaffen. Als sie vom Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 erfährt, stürzt sie dies in tiefe Verzweiflung. Sie verbringt ihre letzten Tage nun mehr auf der Dachterrasse ihres Hauses und lässt ihr Leben Revue passieren. In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 1942 stirbt Tina Modotti auf dem Rücksitz eines Taxis, nachdem sie eine Party bei Freunden besucht hatte. In der Handtasche der Toten findet man ein Foto von Julio Antonio Mella. Die Todesursache bleibt bis heute unaufgeklärt.
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