Wir wollen den Genozid in Palästina und den Angriff auf den Libanon stoppen. Deshalb rufen wir dazu auf, gemeinsam auf einen landesweiten Streik an Schulen und Unis hinzuarbeiten.
Dabei werden wir gefragt: Ist das überhaupt möglich? Und wenn ja, wie? Vergessen wir nicht, dass erst vor ein paar Jahren die unglaubliche Klimastreik-Bewegung die ganze Schweiz aufgewirbelt hat! Wir müssen daraus die Lehren ziehen für heute.
«Warum lernen für eine Zukunft, die es nicht mehr geben wird, wenn niemand etwas für ihre Rettung tut?» Mit dieser tiefen Wahrheit traf die Schülerin Greta Thunberg 2018 den Nerv einer ganzen Generation.
In der Schweiz folgten erst Hunderte, dann Tausende und schliesslich Zehntausende Gretas Beispiel. Sie verweigerten den Schulunterricht und organisierten grosse, energische Demos in allen Städten. Im März 2019 gingen am Freitag 65’000 nicht in die Schule. Die Bewegung zog Zehntausende Jugendliche in die politische Aktivität. Es sprossen Klimastreik-Gruppen an praktisch allen Schulen.
Das ist die erste Lektion: Eine Streikbewegung der Jugend ist komplett möglich. Der Klimastreik hat es bewiesen.
Das Potenzial dafür ist heute nicht kleiner. Im Gegenteil. Seit 2020 versinkt die Welt in einer quasi-apokalyptischen «Permakrise»: Covid, Ukrainekrieg, Inflation, Klimakrise. Und jetzt noch Genozid, Krieg im Libanon! In der Wut der Jugend über diese imperialistischen Gräueltaten kristallisiert sich heute der riesige Frust über die gesamte Situation: Keine lebenswerte Welt, keine Zukunft.
Mit einem korrekten Programm, Vorbereitungsarbeit und Organisation ist heute eine massive Streikbewegung möglich, die, ausgehend von Schulen und Unis, die ganze Schweizer Gesellschaft von oben bis unten durchschütteln wird!
Doch dafür müssen wir nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Lehren ziehen: Wie kann es sein, dass wir trotz dieser krassen Bewegung heute mehrere Schritte näher am Klimakollaps, aber keinen Schritt näher an der Lösung sind?
Der Slogan des Klimastreiks war «System change, not climate change». Das entsprach dem korrekten Gefühl: Hier geht es ums grosse Ganze! Doch in der Bewegung herrschte keine Klarheit darüber, was dieses «System» ist und wie man es «changen» kann.
Die Wahrheit ist: Die Klimakrise ist das Produkt des blinden Profitstrebens des Kapitalismus. Die Lösung der Klimafrage erfordert massive Investitionen in den Umbau der gesamten Wirtschaft, den Transport und die Infrastruktur. Doch die Kapitalisten werden nur investieren, wo es profitabel ist, ohne jede Rücksicht auf Mensch und Umwelt. Ob es einem gefällt oder nicht, der Kampf gegen den Klimawandel geht nur gegen die Kapitalisten und ihr System.
Die Kapitalisten – diese kleine, superreiche Elite – haben kein Interesse daran. Und sie sind es, die den Staat, die Regierung, das Parlament, die Medien und das Bildungssystem kontrollieren. Sie sind die «herrschende Klasse». Davon hätte die Bewegung ausgehen und konsequente Schlussfolgerungen für ihre Praxis ziehen müssen.
Stattdessen richtete der Klimastreik seine Appelle an «die Politik», den Staat und «die Wirtschaft» (lies: die Kapitalisten). Diese mächtigen Player gaben sich einen grünen Anstrich, nur um die Bewegung dann zu ignorieren und in die Sackgasse laufen zu lassen.
Das Problem ist nicht, dass die Herrschenden schlecht informiert sind und die Dringlichkeit der Klimafrage (oder des Leids der Palästinenser!) nicht verstehen. Das Problem ist, dass sie für die Verteidigung ihrer Profitinteressen bereit sind, die ganze Menschheit in den Abgrund zu ziehen.
Sie können nicht überzeugt, sie müssen gezwungen werden. Wer kann das? Nur die Arbeiterklasse! Sie ist die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft und hat den Kapitalisten direkt entgegengesetzte Interessen. Nur sie hat – durch ihre Stellung als Produzentin allen Reichtums – die Macht, die Kapitalisten in die Knie zu zwingen. Der Klimastreik hätte seine Strategie darauf ausrichten müssen, die Arbeiterklasse in den aktiven Kampf zu ziehen.
Stattdessen setzte er auf die Zusammenarbeit mit Hunderten NGOs, die die Arbeiterklasse verachten, und schürte Hoffnung in die kleinbürgerlichen Grünen, die im Parlament den Kapitalismus mitverwalten. Ohne Verständnis des Klassenkampfes musste der Klimastreik ohnmächtig bleiben, sein eigenes Ziel zu erreichen.
Das ist die zweite Lektion: Wir brauchen maximale politische Klarheit, wer Freund, wer Feind und was der Charakter des Staates ist. Präziser: Wir brauchen eine Strategie, die auf dem Verständnis der Klassengegensätze in der Gesellschaft basiert.
Diese Klarheit über die Klassengegensätze ist die notwendige Voraussetzung für eine zielführende Strategie. In jeder Bewegung kommen neue Leute mit unterschiedlichen Hintergründen, Ideen und Meinungen zusammen. Es ist völlig normal, dass am Anfang noch keine Klarheit herrschen kann. Aber um gemeinsame Schlagkraft zu entwickeln, müssen die Positionen der Bewegung im Verlauf geklärt werden.
Diese notwendige politische Klärung wurde im Klimastreik verhindert. Es dominierte die Angst, dass Meinungsunterschiede und «radikale Positionen» den Zusammenhalt der Bewegung zerstören und «die Leute abschrecken» würden. Die Bewegung wurde bewusst entpolitisiert. Das war ein Fehler, der der Bewegung letztlich das Genick brach.
Die notwendige Klärung wurde zusätzlich verhindert durch die völlig undemokratischen und lähmenden Strukturen der Bewegung mit ihrem «Konsensprinzip». Hier ist nicht der Platz für eine ausführliche Kritik am Konsensprinzip. Es reicht, zu sagen, dass die politischen Diskussionen abgeklemmt und zentrale Fragen der Strategie und des Programms in kleine Arbeitsgruppen ausgelagert wurden sowie die de facto Führungspersonen der Bewegung nicht rechenschaftspflichtig, weil nicht gewählt, waren.
Das ist die dritte Lektion: Einheit und Schlagkraft gehen nur mit demokratischen Strukturen. Eine Streikbewegung braucht volle Demokratie. Wir brauchen politische Auseinandersetzungen. Das erfordert auf jeder Stufe Vollversammlungen, um die grossen inhaltlichen Linien, das Programm, die Strategie, die nächste Ziele und Schritte gemeinsam zu klären. Nach der Diskussion entscheiden wir per Mehrheitsentscheid.
Nur so verstehen alle Teilnehmer die Bewegung wirklich als ihre Bewegung und werden ermächtigt, selbst voll mitzuarbeiten und die Bewegung auszuweiten.
Der Klimastreik zog auch so Zehntausende Jugendliche in die Aktivität. Eine mächtige Kraft mit grossem Potenzial! Doch dann rächte sich, dass die Bewegung es nicht geschafft (und aktiv verhindert) hatte, sich auf der Grundlage eines Programms und einer Strategie des Klassenkampfes zu vereinen. Die Bewegung konnte und wollte sich nicht auf die Arbeiterklasse ausbreiten und isolierte sich zunehmend. Sie flaute ab und kann der Gegenoffensive des Kapitals seit 2020 nichts entgegensetzen.
Das ist die vierte Lektion: Die Jugend muss ihren eigenen Hebel verstehen, das heisst: ihren eigenen Platz innerhalb einer klassenkampfbasierten Strategie erkennen.
Der eigentliche Hebel im Kampf gegen die Kapitalisten liegt in der breiteren Arbeiterklasse. Aber die Jugend ist sensibler, noch weniger vom Konservatismus des Alltags vereinnahmt. Sie bewegt sich schneller und leichter. Und diese Jugend hat unzählige Male in der Geschichte gezeigt, dass sie zur Speerspitze des Klassenkampfes werden kann.
200 Schüler oder Studenten können nicht die Arbeiterklasse in den Kampf mobilisieren. Aber sie können 1000 weitere Schüler und Studis, und diese dann Zehntausende bewegen. Eine landesweite Streikbewegung von Zehntausenden an Schulen und Unis schüttelt die gesamte Gesellschaft durch! Eine solche Bewegung kann unmöglich ignoriert werden – sowohl die herrschende Klasse wie auch die Arbeiterklasse müssen auf sie schauen! Kein Zweifel, das war beim Klimastreik der Fall!
Aber was dann? Diesen Zehntausenden fehlte es weder an Energie noch am Willen, alles für die Rettung unserer Zukunft zu tun. Aber die Bewegung wusste nicht, was sie mit ihrer eigenen Kraft machen sollte.
Ohne Verständnis, wie die Bewegung auf die nächste Stufe gehoben werden kann und was jeder Einzelne dafür tun kann, ebbte die Bewegung ab. Was, wenn diese Zehntausenden auf der Grundlage von Klassenkampf-Methoden vereint gewesen wären? Was, wenn diese Kraft von Zehntausenden laut und stark erklärt hätte: «Die Kapitalisten sind verantwortlich für die Klimakrise! Wir fordern die Enteignung der grossen Konzerne und Banken. Nur so können wir den ökologischen Umbau der gesamten Wirtschaft und des Transports finanzieren und demokratisch planen. Wir werden streiken und mobilisieren, bis wir das erreicht haben!»
Natürlich, das hätte eine heftige wütende Reaktion der herrschenden Klasse provoziert! Doch die Bewegung wäre standhaft geblieben und in die Gegenoffensive gegangen, im Wissen: Das ist nur das verzweifelte Gebrüll einer kleinen Elite, die ganz zu Recht Angst hat. Wir sind mehr, wir können die Bewegung auf die Arbeiterklasse ausweiten!
Jede streikende Schule hätte Delegationen zu den Betrieben schicken können, hätte begonnen, systematisch Druck auf die verkrusteten Gewerkschaften zu machen und hätte die mediale Aufmerksamkeit genutzt, um geduldig und kohärent zu erklären:
«Arbeiter! Die kleine superreiche Minderheit von Kapitalisten zerstört eure Zukunft und die eurer Kinder! Es sind die gleichen Konzerne, die für ihre Profite bereit sind, die gesamte Umwelt zu zerstören, die auch in deinem Betrieb die Arbeit intensivieren und Löhne drücken, die Preise und Mieten in die Höhe treiben. Es sind ihre Marionetten in der Politik, die unser Gesundheits- und Bildungssystem kaputtsparen und eure Renten klauen. Es sind ihre gekauften Medien, die uns gegeneinander aufhetzen, um von der entscheidenden Wahrheit abzulenken: In euren Händen liegt die Macht! Wenn ihr euch zusammenschliesst und streikt, steht die gesamte Gesellschaft still! Wir rufen euch auf! Bildet Komitees, bereitet den Streik vor!»
Statt dass, inspiriert von der Klimabewegung 2019, ein paar Prozent mehr die Grünen gewählt hätten, hätten zum ersten Mal in ihrem Leben Millionen von Arbeitern einen authentischen Vorschlag in ihrem Interesse gesehen – etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Die Wucht einer solchen Bewegung hätte die Kapitalisten zu echten Zugeständnissen zwingen können. Sie hätte eine massive Welle der Organisierung bewirkt, wo zig Tausende mit einem Verständnis des Klassenkampfes ausgerüstet worden wären. Wir könnten heute – fünf Jahre nach der Klimabewegung – aus einer deutlich stärkeren Position, mit Tausenden organisierten klassenbewussten Revolutionären, in den Kampf gegen den Genozid, Krieg, soziale Krise und Klimawandel treten.
Nehmen wir uns diese Lehren zu Herzen! Eine Jugend-Streikbewegung ist heute möglich. Doch der Kampf gegen Imperialismus, wie gegen den Klimawandel, ist, wie alle grossen Fragen unserer Zeit, eine Klassenfrage. Je klarer das Verständnis des Klassengegensatzes in der Bewegung sein wird, desto stärker und schlagkräftiger wird die Bewegung.
Der Klimastreik hat auch ohne Klassenverständnis Zehntausende mobilisiert. Im Kampf gegen das Schlachten im Nahen Osten wird das nicht möglich sein. Die Herrschende Klasse reagiert schon auf die sanfteste Kritik am Zionismus mit härtester Repression und Hetze. Sie haben uns schon den Krieg erklärt. Wir werden nicht auf die ersten Tausenden kommen, wenn wir nicht verstehen, dass unser Kampf sich gegen die gesamte imperialistische herrschende Klasse hier in der Schweiz richtet, gegen die Konzerne, die Banken, den Staat, die Medien, die Rektorate. Wir werden siegen, wenn wir verstehen und aufzeigen können, dass unsere einzige Kraft die Macht der Massen ist, der Schüler, Studenten und Arbeiter.
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