Die Juso Schweiz plant ein neues nationales Projekt. Seit der letzten DV stehen noch drei Projekte zur Auswahl. Die 50/50 Initiative der Geschäftsleitung, ein Projekt zum Thema Migration und die Menschenrechtsinitiative. Wie sind diese Projekte einzuordnen und welche Möglichkeiten bieten sie unserer Partei? Diese Fragen müssen genauer unter die Lupe genommen werden. Eine Analyse.
An der JV 2015 soll wieder ein nationales Projekt lanciert werden, welches auch im Hinblick auf die Nationalratswahlen 2015 das politische Aushängeschild der Partei werden sollte. Grundsätzlich ist dieser Schritt zu begrüssen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass ein gemeinsames und koordiniertes Projekt, welches die richtigen politischen Forderungen aufgreift, unserer Partei enormen Schub geben konnte. Bestes Beispiel dafür war die 1:12 Initiative. Ebenfalls kann mit so einem Projekt dem Regionalismus der einzelnen Sektionen, welcher sich auf Grund des föderalistischen Systems in der Schweiz immer wieder durchsetzt, etwas entgegengewirkt werden. Dieser Artikel soll sich weder mit den Vor- und Nachteile von nationalen Projekten befassen, noch die Frage ob Initiative oder nicht behandeln, sondern konkret die Vorschläge analysieren, welche auf dem Tisch liegen.
Bei der Auswahl eines solchen Projekts müssen wir uns zwei zentrale Fragen stellen. Hebt diese Forderung und die daraus entstehenden Diskussionen und Kämpfe das Klassenbewusstsein der Lohnabhängigen in der Schweiz und inwiefern dient die Forderung dem Aufbau der Partei? Diese zwei Fragen sind natürlich eng miteinander verknüpft, so führt ein höheres Klassenbewusstsein in der Gesellschaft tendenziell auch zu einem Erstarken unserer Partei. Gerade für den Parteiaufbau der Juso muss ein solches Projekt aber auch im Stande sein, die Jugend zu aktivieren und zu politisieren. Keines der drei Projekte erfüllen momentan diese Bedingungen. Obwohl das Projekt der GL in die richtige Richtung geht, müssen die Forderungen anders gestellt werden, damit das Projekt eine fortschrittliche Wirkung erzielen kann.
Es ist zentral, politische Forderungen anhand der konkreten Bedingungen unter welchen sie gestellt werden zu betrachten. Eine Forderung kann zu einem gewissen Punkt in der Entwicklung des Klassenkampfes eine sehr fortschrittliche Rolle spielen, unter weiter fortgeschrittenen Bedingungen hingegen einen äusserst reaktionären Charakter annehmen. So kann zum Beispiel die Forderung nach einer Republik im Kampf gegen eine Diktatur sehr fortschrittlich wirken. Wird die Forderung jedoch in einer revolutionären Situation gestellt, in welcher sich Arbeiterkomitees oder andere Doppelmachtstrukturen bilden, kommt sie der Forderung nach einer Restauration der bürgerlichen Ordnung gleich und ist demnach durchaus reaktionär.
Die Frage nach der Wirkung einer Forderung auf das Klassenbewusstsein muss also immer konkret gestellt werden. Wen spricht die Forderung an, welche Diskussionen entstehen daraus, inwiefern setzt die Forderung an den realen Problemen der Lohnabhängigen an und wie steht es um die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen? So können wir konkret sagen, ob eine Forderung fortschrittlich ist, oder eher eine hemmende Wirkung auf den Klassenkampf ausübt.
In diesem Zusammenhang muss sich die Juso vor allem die Frage stellen, ob eine Forderung das Potential hat, die fortschrittlichsten Teile der Jugend zu aktivieren und zu politisieren. Dazu muss diese Forderung gut fassbar, einfach verständlich sein und eine gewisse Radikalität besitzen. Zudem muss ein Bezug zur Lebensrealität der Jugendlichen bestehen und der Kampf muss am Bewusstsein der Jugend anknüpfen, damit in ihrem Umfeld Diskussionen um die Frage entstehen, bei welchen sie sich politisieren können. Das soll nicht heissen, dass nur reine „Jugendthemen“ in Frage kommen, aber es muss eine Identifikation mit dem Thema vorhanden sein.
Eine solche Forderung muss auch aktiv in die Jugend getragen werden. Es geht also auch um die Frage, wie eine Kampagne um unser Anliegen aussehen würde. Gehen wir einfach auf den Bahnhofplatz um zu agitieren, oder gehen wir zielstrebig vor die Berufsschulen, vor die Betriebseingänge, also an die Orte, wo sich die jungen ArbeiterInnen, SchülerInnen und StudentInnen befinden?
Auch muss, wie wir später noch sehen werden, die Forderung nicht isoliert stehen. Sie muss lediglich eine Komponente eines gesamtgesellschaftlichen, eines revolutionären sozialistischen Programms sein. Ein solches hat sich die Juso mit der Annahme des Aktionsprogramms der marxistischen Strömung gegeben. Ein solches ist nötig, um bei sozialen Kämpfen ausserhalb der blossen Sphäre des konkreten Projektes nicht an diesem haftenzubleiben, sondern schnell auf die veränderten subjektiven Bedingungen reagieren zu können und die gesamte Organisation für die Agitation in anderen Bereichen umorientieren zu können.
Das Projekt zur Migrationsfrage kann in diesem Zusammenhang keine wirklich fortschrittliche Wirkung entwickeln. Auch wenn, wie es im Berner Vorschlag steht, das Ziel ist das Bewusstsein der Menschen auf „Klasse statt Rasse“ zu lenken, bleibt der Diskurs bei der Frage von Schweizer oder Ausländer hängen. Wir würden also das Risiko eingehen, eine Diskussion zu lancieren, welche die Spaltung der Lohnabhängigen an nationalen Grenzen weiter vorantreibt, anstatt das Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen aller ArbeiterInnen zu heben. Mit diesem Thema, würde die Juso nicht einmal versuchen, die Debatte auf die Klassenfrage zu lenken. Dies soll nicht heissen, dass wir keine Position zur Migration haben sollen, aber als freistehendes nationales Projekt ist es denkbar ungeeignet. Im St.Galler Vorschlag steht, dass die Migrationspolitik wieder links werden soll. Die Frage die wir uns stellen müssen ist jedoch, ob „Migrationspolitik“ jemals links war und dies unter kapitalistischen Bedingungen überhaupt sein kann. In der Geschichte des Kapitalismus entsprach Migrationspolitik immer den Bedürfnissen der herrschenden Klasse nach Arbeitskräften. Unter diesem Gesichtspunkt sind sämtliche Ausprägungen von Migrationsgesetzen, seien sie nun liberal oder restriktiv, zu betrachten. Zudem war der öffentliche Diskurs zu diesem Thema immer nur ein Mittel, die arbeitende Klasse zu spalten.
Es ist zwar so, dass der Rassismus durchaus ein starkes Gegenmobilisierungspotential in der Jugend hat. Dies haben Antirassismus und Anti-SVP Demonstrationen immer wieder gezeigt. Auch Bewegungen wie Bleiberecht etc. können breitere Schichten von Jugendlichen kurzfristig mobilisieren und politisieren. Die Kurzlebigkeit solcher Phänomene ist jedoch immer wieder erstaunlich. Es ist auch symptomatisch, dass im Moment, obwohl wir einen vorläufigen Höhepunkt der Diskriminierung von Migranten in der Schweiz erreicht haben, praktisch keine Mobilisierungen stattfinden.
Die Frage der Migration, muss in den Kontext der kapitalistischen Barbarei gestellt werden und im Kampf gegen diese gelöst werden. Dies geschieht mit direkten Aktionen gegen rassistische Aufmärsche, Abstimmungen und Hetzkampagnen und mit der gewerkschaftlichen und politischen Organisierung der ausländischen ArbeiterInnen. Diese ermöglicht es uns in konkreten Situationen, bei Streiks und Demonstrationen die Einheit unserer Klasse gegen die Bürgerlichen zu demonstrieren und die gemeinsamen Interessen anhand von realen Kämpfen aufzuzeigen. Den MigrantInnen als der am stärksten ausgebeuteten Schicht der Klasse, mit ihren oft kämpferischen Traditionen aus den Herkunftsländern, kommt im Kampf aller Arbeitenden in diesem Land eine besondere Schlüsselrolle zu. Es ist als Teil dieser Klasse, mir ihren internationalen Interessen und Kämpfen, dass wir auch unsere KollegInnen und GenossInnen aus Migrantenfamilien behandeln sollen und somit ihre Kämpfe gegen Diskriminierung als Teil des Kampfes aller ArbeiterInnen gegen die kapitalistische Ausbeutung führen.
Das Projekt der Juso Zürich stellt die Forderung auf, dass Unternehmen, welche in der Schweiz ansässig sind, juristisch für Vergehen ihrer Tochtergesellschaften in andern Ländern nach Schweizer Recht belangt werden müssen. Mit Vergehen sind vor allem Umweltsünden, Menschenrechtsverletzungen, wie Gewalt gegen gewerkschaftlich Organisierte etc., gemeint.
Der Versuch internationalistische Politik zu betreiben, indem wir hier ansässige Unternehmen angreifen, welche in anderen Ländern Verbrechen begehen, ist grundsätzlich richtig. Gerade in der Schweiz, wo derart viele multinationale Konzerne ihren Hauptsitz haben, ist es unsere Pflicht internationale Solidarität zu pflegen. Wir müssen international in regem Kontakt stehen mit den Sozialisten und Gewerkschaften aller Länder und bei Bedarf sie in ihren Kämpfen unterstützen. Ist diese Initiative aber der richtige Weg dazu? Wenn wir uns die Frage stellen, inwiefern diese Initiative das Klassenbewusstsein und die Kampfbereitschaft erhöht, müssen wir klar sagen, dass sie dies nicht tut. Der Gedanke, dass der bürgerliche Staat mit seinen Gerichten dem menschenunwürdigen Treiben der Multis einen Riegel vorschieben würde, wenn nur die Gesetzeslage anders wäre, ist schlichtweg naiv. Zudem würden wir uns bei dieser Initiative in einer Situation wiederfinden, in der wir die bürgerliche Justiz als Lösung für die Auswüchse des Kapitalismus präsentieren und verteidigen müssten, obwohl sie im Gegenteil eine ihrer wichtigsten Stützen ist. Dies würde auf keinen Fall ein höheres Bewusstsein schaffen, sondern im Gegenteil massive Illusionen in den bürgerlichen Staat und seine Institutionen schüren.
Das Projekt der GL fordert grundsätzlich, dass die Angestellten aller Unternehmen je zur Hälfte am Gewinn und an den Entscheidungen des Unternehmens beteiligt werden. Die Gewinne, welche den Arbeitern zufallen, sollten dann in einem Fond landen, welcher von den Arbeitern selbst verwaltet wird. Diese Forderung ist zutiefst sozialpartnerschaftlich geprägt. Sie stellt sozusagen die Vollendung der Sozialpartnerschaft dar, wo Arbeit und Kapital gleichberechtigt miteinander die Wirtschaft führen und sich den Ertrag teilen. Uns muss dabei bewusst sein, dass diese Forderung sehr utopisch ist und ihre konkrete Umsetzung nicht realistisch ist, oder zumindest nicht in unserem Sinn, also im Interesse einer radikalen sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft, umgesetzt werden kann. Die ganze Geschichte der Sozialpartnerschaft hat immer wieder gezeigt, dass konkrete Errungenschaften, welche aus ihr resultieren, zwingend immer dem Klassenkampfniveau und dem Bewusstsein der Massen hinterherhinken. Man kann also sagen, dass eine Umsetzung dieser Forderung nur in einer Situation geschehen kann, in der sie den Klassenkampf dämpft und somit einen reaktionären Charakter einnimmt. Dies liegt daran, dass die Bürgerlichen immer nur dann bereit sind, Zugeständnisse zu machen und die damit verbundenen Profiteinbussen zu akzeptieren, wenn sie dadurch weitergehende Forderungen abwehren können. Das heisst, wenn die Arbeiterklasse tatsächlich stark genug ist, um eine solche Forderung nach Abgabe eines wichtigen Teils der Verfügungs- und Profithoheit der Kapitalisten über die Unternehmen durchzusetzen, hat sie die Macht de Facto in ihren Händen. In einer solchen Situation wäre es ein grober Fehler, sich am kapitalistischen System festzuklammern, das Privateigentum grundsätzlich unangetastet zu lassen und sich mit mehr „Mitbestimmung“ zu begnügen. Gerade weil diese Forderung den Kapitalismus als System unangetastet lässt, ist ihre Umsetzung auch nicht so möglich wie sich das die GL vorstellt. In der Realität wären die Entscheidungsgremien, welche die ArbeiterInnenklasse stellen würde, genauso der kapitalistischen Logik ausgesetzt, wie das Management der Besitzenden. Sie befänden sich mitten im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Kapital, in welchem sie sich letztendlich zugunsten des Kapitals entscheiden müssten, um die Firma als ganzes nicht zu gefährden. Auch die enormen Geldsummen, welche diesen Fonds plötzlich zur Verfügung stünden, würden zudem innert kürzester Zeit zu Eigeninteressen an führenden Positionen in der ArbeiterInnenbewegung führen, was eine massive Bürokratie erschaffen würde. Es würde eine Arbeiteraristokratie entstehen, welche sich sehr schnell von den Arbeitern in den Ateliers und Grossraumbüros entfremden würde.
Die Sozialpartnerschaft als Institution beruht ja gerade auf dem Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Fortschritte in diesem Bereich basieren immer auf dem Druck von unten und der Organisation in den Betrieben. Wir können im momentanen Zustand der Schwäche und des niedrigen Klassenkampfes nicht einfach die Initiative als Abkürzung nehmen.
Der Gedanke, dass es möglich ist, den Kapitalisten per Initiative die Entscheidungsfreiheit über ihren Besitz und gleichzeitig die Hälfte des Gewinns wegzunehmen, verstrickt sich bei genauerem Hinsehen ebenfalls in grosse Widersprüche. Die Aktienkurse würden völlig zusammenbrechen, wenn von einem Tag auf den anderen die Dividenden halbiert würden. Das Kapital würde abfliessen, oder die Firma ins Ausland verlagert werden. Kein Kapitalist würde solche Verwertungsbedingungen akzeptieren. Die Frage des Eigentums muss daher gestellt werden. Wir dürfen uns nicht länger vormachen, dass der Kapitalismus zu unseren Gunsten gezähmt werden kann.
Es wäre daher auch ein Fehler, die Forderung so zu stellen wie die GL dies tut. Obwohl der Vorschlag insofern in die richtige Richtung geht, als dass er die Fragen von Arbeit und Kapital überhaupt auf die politische Bühne bringt, so tut er dies in einer verzerrten Form. Denn wenn wir uns schon die Plattform schaffen, auf welcher wir Fragen wie „Wer entscheidet in den Betrieben und auf welcher Grundlage basieren diese Entscheidungskompetenzen?“, „Wer erarbeitet den Mehrwert in den Betrieben?“ und „Wer kennt die Produktionsabläufe am besten und sollte Entscheidungskompetenzen haben, sie zu verbessern?“ sollten wir auch die korrekten Antworten geben. Diese sind klar: die ArbeiterInnen den Mehrwert erschaffen, sie wissen was im Betrieb läuft und was man verbessern sollte. Gleichzeitig und widersprüchlicherweise liegt aber der Besitz und die Entscheidungskompetenz beim Kapitalisten. Diese Analyse ist so offensichtlich, dass sie nicht weiter erläutert werden muss. Was jedoch die politischen Schlüsse angeht, welche daraus folgen müssen, scheint weniger klar zu sein. Im Aktionsprogramm, welches an der letzten JV verabschiedet wurde, haben wir folgendes geschrieben:
Wie bei der 1:12- Initiative werden die Besitzenden die Unmöglichkeit darlegen, unsere Forderungen zu verwirklichen. Wir glauben das erst, wenn wir es selber gesehen haben: Die Offenlegung aller Geschäftsbücher muss her. Die Lohnabhängigen müssen detailliert wissen, warum an ihnen gespart werden soll, warum ihr Arbeitsplatz verlagert wird, und wo der von ihnen erarbeitete Reichtum hinfliesst. Gleichzeitig erhält die arbeitende Bevölkerung die Entscheidungsgrundlagen, um zukünftig die Gesellschaft selber steuern zu können. Die Einsicht in die Geschäftsbücher ist der erste Schritt zur Kontrolle der Produktion durch die Gesellschaft.
Beginnt ein Betrieb zu entlassen oder droht mit Abwanderung, fordern wir dazu auf den Betrieb unter der demokratischen Kontrolle der Lohnabhängigen zu verstaatlichen. Weiter müssen Unternehmen mittels Kapitalausfuhrkontrollen an der Abwanderung gehindert werden. Die Kapitalisten dürfen gerne das Land verlassen, doch der von uns erarbeitete Reichtum beziehungsweise die Produktionsmittel bleiben hier. Wenn die Schlüsselindustrien in die öffentliche Hand übergehen, können sie der Profitlogik entzogen und dem Willen der Menschen unterstellt werden.
Dieser Ausschnitt zeigt klar, was unsere Forderungen sind. Es geht nicht um die Hälfte der Bäckerei, sondern um die ganze! Es ist deshalb unverständlich, dass die GL dennoch die Sozialpartnerschaft als oberstes Ziel definieren will. Auf diese Weise schaffen wir grosse Illusionen in die Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems und präsentieren die Kapitalisten als valable Partner im Gestaltungsprozess einer neuen Wirtschaftsordnung. Wir fordern die GL deshalb dazu auf sich an die Forderungen im Aktionsprogramm zu halten. Anstatt 50% Mitbestimmung, fordern wir die Offenlegung der Geschäftsbücher und ArbeiterInnenkontrolle in den Betrieben. Anstatt 50% des Gewinns, fordern wir Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Banken und damit verbundene Kapitalausfuhrkontrollen. Auf diese Weise kann das Projekt der GL erst seine fortschrittliche Wirkung entfalten, indem es das Bewusstsein der Lohnabhängigen in der Schweiz anhebt und einen Ausweg aus dem kapitalistischen System aufzeigt.
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