In den letzten Wochen musste ich mein ganzes Leben umstellen wie wahrscheinlich so einige in dieser Zeit. COVID-19 hat überall auf der Welt seine spuren hinterlassen. Wir Lohnabhängigen müssen diese Krise bezahlen.
Die Firma, in der ich arbeite, gehört zum amerikanischen Grosskonzern Wabtec. Dieser hat sich in den letzten Jahren in Europa einige Bahnindustrien gekauft, zum Beispiel in Deutschland, England und Frankreich. Sie wollen ganz klar auf dem Europäischen Markt mitspielen und unter anderem auch Know-how abgreifen. Zumindest würde es ich so einschätzen. Bei meinem Standort werden Kupplungen für Züge entwickelt und zusammengebaut. Das heisst, wir haben ein Grossraumbüro mit einigen kleineren abgetrennten Abteilungen mit ungefähr 45 Leuten. Dazu kommt eine Werkstatt mit 30 Leuten. Zuerst wurde die Anzahl der Mitarbeiter halbiert, die, die konnten, gingen ins Homeoffice. Eine Woche später wurde die Anzahl geviertelt, es wird nur noch jeden zweiten Tag und dann auch nur morgens von 6:00 Uhr bis 13:00 Uhr oder Abends von 13:00 Uhr bis 19:00 Uhr gearbeitet. Der Betrieb muss unbedingt so gut wie es geht aufrecht erhalten werden – mit dem Vorwand, dass es uns in den Zeiten von Corona umso mehr brauche, weil wir den Personen- und Güterverkehr aufrechterhalten müssen. Doch eigentlich geht es einfach um ihren Profit. Wenn sie die Krise besser überstehen als ihre Konkurrenten, können sie weiter wachsen. In der Realität halten die Leute den Abstand von 2 Meter kaum ein. Oft kommt es zu Situationen, in denen gemeinsam vor einem Bildschirm gestanden wird, um etwas zu besprechen. Der Gang auf die Toilette, bei dem Abstand Einhalten unmöglich ist, kommt dann auch noch dazu. Da die Firma fehlerhafte Kupplungen ausgeliefert hat, die bereits im Einsatz sind, müssen diese so schnell wie möglich repariert werden. Sonst zahlen wir für jeden verstrichenen Tag drauf. Ein Projektleiter musste deswegen halb krank mit Husten zur Arbeit kommen, um gemeinsam mit den Leuten aus der Produktion den Umbau zu organisieren. In Anbetracht dessen, dass der ÖV gerade reduziert wurde, erscheint mir der Umbau gerade nicht systemrelevant.
In meiner WG arbeiten auch noch alle. Der Mitbewohner ist auf dem Bau und die Mitbewohnerin arbeitet in einer Kita. Vor zwei Wochen haben wir noch eine gemeinsame Freundin bei uns aufgenommen, die ebenfalls in einer Kita arbeitet. Sie kann nicht mehr nach Konstanz zu ihrem Zuhause, da die Grenze zu ist. Sie ist im 5. Monat Schwanger und kann ihren Freund nur noch durch einen doppelten Grenzzaun sehen. Wenn nur jemand in meiner WG sich das Virus einfängt, ist die Chance gross, dass wir es alle an unseren Arbeitsort tragen.
Die Eingrenzung des Virus findet vor allem im privaten Leben statt. Überall, wo es um Profit geht, werden möglichst keine Massnahmen beschlossen. Wir werden in unserer Freiheit eingegrenzt und gleichzeitig wird an die eigene Verantwortung appelliert. Wir Lohnabhängigen müssen unser Leben verkomplizieren und werden noch viel mehr zahlen, um die Krise aufzufangen, und das nur für die Profite der Patrons.
Zum Schutz der Autoren werden die Berichte anonymisiert.
#VirusAtWork
#WirWollnNachHauseGehn
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024