Eine FaBe im Behinderten-Bereich aus der Region Basel erzählt über die Herausforderungen in ihrem Beruf, die prekären Arbeitsbedingungen, den Gewerkschaften und der Unmenschlichkeit während der Pandemie.
Wir veröffentlichen Berichte aus dem Alltagsleben der Lohnabhängigen, die trotz dem Coronavirus zur Arbeit gehen müssen – unabhängig davon, ob ihre Arbeit lebensnotwendig ist oder nicht. Dies soll aufzeigen, wie inkonsequent die Massnahmen des Bundes sind. Die Corona-Krise soll nicht auf den Schultern der Lohnabhängigen abgewälzt werden!
Wir fordern, dass alle, die nicht-essentielle Arbeit machen müssen, zu Hause bleiben dürfen. Nur so kann die Pandemie eingedämmt werden. Leben vor Profite!
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Ich arbeite als Fachfrau Betreuung (FaBe) im Behinderten-Bereich und begleite dort Klienten in ihrem Tagesablauf. Das ist also ein Wohnheim für Menschen mit Behinderungen und ich unterstütze sie durch den Tag, in Beschäftigungen, die ihnen Tagesstruktur geben. Das reicht von alltäglichen Arbeiten bis zu kopflastigen Arbeitern, die sie auch fördern sollen. Ich arbeite 70% und habe relativ regelmässige Arbeitszeiten, was in der Betreuung nicht so üblich ist. An meiner jetzigen Arbeitsstelle habe ich ein gutes Arbeitsklima und Team. Ich arbeite gerne dort.
Da gibt es schon einige Dinge, die man anschauen müsste. Beispielsweise die unregelmässigen Arbeitszeiten. In meinem jetzigen Betrieb ist das nicht so ein Problem, aber im Pflegebereich allgemein ist das sicher ein Thema. Auch was den Lohn betrifft, bezahlt mein Betrieb im Vergleich gut für meine Ausbildung. Es gibt aber im FaBe-Bereich viele, die deutlich weniger, also bis zu 600.- Franken weniger verdienen als ich.
Früher habe ich in einem anderen Betrieb gearbeitet, wo Missstände schon da waren: Die Menschen mit Behinderungen wurden vernachlässigt, das Personal wurde immer wieder reduziert, ungerechtfertigte Kündigungen kamen vor, von einem Tag auf den anderen. Das waren sicher Dinge, die ausschlaggebend für mich waren, um zu sagen, das geht so nicht, und heute würde ich auch nicht mehr so arbeiten. Der Unterschied zu meinem jetzigen Betrieb liegt sicher auch bei der Leitung des Betriebes, welche jetzt viel mehr Erfahrung hat und ein Leitbild, dass den Menschen als Ganzes und nicht nur die Behinderung sieht. Und was ich auch oft von anderen oder aus meiner Erfahrung kenne, sind die vielen Umstrukturierungen, also Personalwechsel, was viel Unruhe für die Klienten bedeutet und es schwer macht, wirklich etwas aufzubauen. Und das sehe ich als eine der Hauptproblematiken: Dass die Betriebe nicht die Arbeitsbedingungen bieten, so dass das Personal auch länger bleibt. Man sieht das oft, dass viele FaB im Behindertenbereich nicht lange in diesem Bereich arbeiten; sie bilden sich weiter oder wechseln den Beruf, weil nach einer Weile einfach die Belastung zu gross wird. Das ist oft so.
Es ist ein sehr belastender Beruf, der Lohn ist nicht überragend, also in diesem Bereich arbeitet man sicher nicht wegen dem Lohn, und eben, die Arbeitszeiten sind unregelmässig. Ich habe da gerade gute Bedingungen, aber viele arbeiten in geteilten Diensten und haben unregelmässige Arbeitszeiten, 12-Stunden-Schichten und viel Verantwortung. Und das führt halt oft zu einer sehr hohen Belastung. Man hat ja nicht nur Verantwortung für die Klienten, man arbeitet auch nahe im Team zusammen. Wenn dann dies nicht gut funktioniert oder die Leitung nicht gut unterstützt, wird die Belastung schnell zu gross. Der Pflege-Bereich ist auch riesig und es arbeiten Menschen mit verschiedensten Qualifikationen dort zusammen, von Quereinsteigern und Unqualifizierten bis zu Menschen mit akademischen Graden, das ist auch nicht immer einfach. Es sind verschiedene Faktoren. Klar ist, dass man in diesem Bereich nicht über längere Zeit 100% arbeiten kann (selbst bei guten Bedingungen), die Belastung ist einfach zu gross. 80% sehe ich als das Maximum und die meisten arbeiten auch nicht mehr. Und jetzt in der Krise ist es sicher nochmals schwerer, weil jetzt auch verschärfte Massnahmen ergriffen wurden.
Also das Geld kommt vom Staat für die einzelnen Klienten: Die Menschen mit Behinderungen werden eingestuft in vier Stufen und bekommen dann je nach Stufe einen Geldbetrag. Also wirtschaftliche Gründe spielen sicher eine Rolle beim Funktionieren der Pflegebetriebe. Für leere Betten müssen schnell neue Klienten gesucht werden und bei der Einstellung von unqualifiziertem Personal ist die Frage der Lohnhöhe sicher entscheidend. Es gibt auch viele Betriebe die nicht nur durch kantonale Gelder, sondern durch private Stiftungen finanziert, beziehungsweise teilfinanziert werden. Und klar ist auch, dass kleinere Pflegebetriebe meist unter grösserem wirtschaftlichen Druck stehen. Ich kenne mich nicht mit allen Finanzierungsfragen aus, aber hier ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag: Damit ein Klient höher eingestuft werden kann und dann auch mehr Gelder vom Kanton bekommt, muss dieser mindestens über drei Monate betreut und diese Betreuung dokumentiert werden. Dieser Mehraufwand wird vom Kanton nicht finanziert, auch nicht rückwirkend, falls der Klient höher eingestuft werden kann. Für einen kleinen Betrieb ist sowas dann eben eine grössere Belastung.
Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass es Gewerkschaften gibt. Ich selbst war auch Mitglied des VPOD (Gewerkschaft der öffentlichen Dienste). Aber ich muss ehrlich sagen, als ich sie wirklich brauchte, haben sie mir nicht geholfen, das fand ich einen schlechten Scherz. Ich hatte in meinem Ausbildungsbetrieb damals ziemliche Probleme. Da habe ich mich bei der Gewerkschaft gemeldet, aber mehr als ein paar Ratschläge konnten sie mir nicht geben. In dem Betrieb damals gab es einige Probleme und ich hätte mir erhofft, dass man da etwas dagegen machen kann. Ich war ja auch nicht die einzige, die das dachte. Ich meine, man arbeitet ja für die die Bewohner, für die Menschen, und ich hätte ihnen gerne geholfen. Stattdessen wurde mir einfach nur geraten, auf mich und meinen Abschluss zu schauen und den Betrieb zu wechseln. Das war sehr enttäuschend und für mich der ausschlaggebende Punkt für meinen Austritt aus der Gewerkschaft.
Also ich habe sicher Sicherheitsmassnahmen getroffen; ich gehe weniger hinaus und meide private Kontakte. Im Betrieb haben sich die bereits vorhandenen Hygienemassnahmen nochmals verschärft. Der Personalwechsel bei den einzelnen Patienten wurde eingeschränkt, das heisst, ich betreue jetzt nur noch ein bis zwei Klienten, und zwar immer dieselben, davor hatte ich mehr Wechsel. Kleinere Gruppen heisst auch, dass es mehr Personal benötigt. Bei uns ist das so, von anderen habe ich aber das Gegenteil gehört: Dass sie weniger Personal haben als zuvor. Bei uns wird man auch getestet, wenn Corona-Symptome auftauchen (Husten, Fieber etc.). Bei uns ist vor allem speziell, dass unsere Klienten nicht ins Spital dürfen, da sie als sekundäre Fälle eingestuft wurden. Im Ernstfall würde dies bedeuten, dass wir Corona-Fälle im Wohnheim selbst isolieren und medizinisch betreuen müssten und sie nicht ins Spital einliefern dürfen. Wir haben zum Glück relativ junge Klienten, die nicht zu den Risikogruppen gehören.
Ich finde sie schrecklich. Man sieht in so einem Ausnahmezustand einfach, wer in dieser Gesellschaft zählt und wer nicht. Offensichtlich zählt in dieser Gesellschaft jemand der eine Leistung erbringt einfach mehr, und Menschen mit Behinderungen werden als weniger wertvoll eingestuft, nur als Kosten wahrgenommen. Ich finde das ziemlich daneben und erschreckend. Am Anfang war ich auch sehr wütend, allerdings können wir im Betrieb nicht viel dagegen tun. Für uns heisst es jetzt einfach, dass wir noch genauer aufpassen müssen und die Hygienemassnahmen gut umsetzen müssen, da wir ja das Virus in den Betrieb tragen würden. Das heisst diese Massnahme zieht uns schlussendlich in eine grössere Verantwortung.
Allgemein finde ich, dass in dieser Pandemie halt vor allem die kleinen Leute leiden. Da habe ich zum Beispiel mit einem Taxi-Fahrer geredet, der mir von seinen Problemen erzählt hat. Oder es trifft die kleineren Geschäfte. Ich persönlich bin sehr froh, dass ich noch arbeiten gehen kann, weil die Isolation zuhause auch sehr belastend sein kann.
Ich glaube die ganze Krise zeigt jetzt auch auf, welche Berufe systemrelevant sind, das ist die Pflege und die Betreuung, die Ärzte. Und da finde ich es jetzt einfach wichtig, dass nach all den Jahren der Einsparungen in diesen Bereichen, nun ein Erwachen passiert. Dass man anerkennt: Das sind wichtige Berufe. Dann braucht es auch einen angemessenen Lohn und genügend Personal. Dagegen ist halt die Betreuung mit Menschen mit Behinderungen, die ja in den Corona-Zeiten auch weitergeht, noch weniger sichtbar. Wir können in der Krise ja nicht schliessen, wir sind ein 24-Stunden-Betrieb. Klar sind wir auch ein kleinerer Berufsstand im Pflegebereich, aber trotzdem würde ich mir wünschen, dass auch dieser Bereich mehr Beachtung findet.
Vielen Dank für das Interview
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