Die Krise trifft die Jugendlichen besonders hart, doch das lassen sie nicht auf sich sitzen. Zusammen mit MigrantInnen und Frauen geraten sie besonders ins Visier der Gehilfen des Kapitals. Weltweit sind die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen unter Beschuss. Und weltweit steht die Jugend zuvorderst auf den Barrikaden. Zufall? Wohl kaum!
Jugend in der Krise
Ob es um junge Geflüchtete oder einheimische Arbeitslose geht, die Jugendlichen kommen in der Krise am meisten unter die Räder. Nachdem wir diese Tatsache anhand von konkreten Beispielen und statistischem Material erläutert haben, widmet wir uns der Frage des Kampfes. Weshalb stellen die Jugendlichen einen derart revolutionären, aktiven Teil der Gesellschaft dar? Was können wir anhand des Prozesses des Arabischen Frühlings in Tunesien über die konkrete Rolle der Jugendlichen lernen?
Dass es MigrantInnen in der Krise am schlimmsten trifft, ist bekannt. Dazu kommt, dass der Grossteil der nach Europa Geflüchteten Jugendliche sind. In Deutschland machten sie dieses Jahr 58.3% aus. Viele leiden an einem Trauma, haben Familien verloren und sind rassistischen Übergriffen ausgesetzt. Zuerst das Leben auf der Flucht, dann in einem fremden Land, geprägt von unwürdigen Unterkünften, ohne angemessene Betreuung und mit düsteren Zukunftsaussichten. Doch auch der „einheimischen“ Jugend geht es vielerorts an den Kragen. Im Europa der Banken und Konzerne sind Jugendarbeitslosigkeit und prekäre Formen der Beschäftigung weit verbreitet. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen in Europa lag vor der Krise (2007) bei 15.2%. Im Verlauf der Krise ist sie angestiegen und hat laut Eurostat Anfang 2013 einen Wert von 23.8% erreicht. Zum Vergleich: Die Arbeitslosigkeit der Gesamtbevölkerung stieg im selben Zeitraum von 7.5% auf 12.0%. Spitzenreiter bei der Jugendarbeitslosigkeit ist Griechenland, wo jeder zweite Jugendliche keine Arbeit hat. Danach folgt Spanien mit 45 %.
Diese Zahlen sind bereits gute Hinweise, zeigen aber noch nicht alles. Dazu kommen nämlich viele nirgendwo gemeldete Arbeitslose und junge Menschen, welche arbeiten, aber stark prekär beschäftigt sind. Dazu zählen beispielsweise unbezahlte Praktika, Teilzeitarbeit oder Arbeit auf Abruf. Jene Menschen leiden unter grosser Unsicherheit, schlechterer Bezahlung und ungenügenden Sozialleistungen. Ein weiterer Umstand, der die Arbeitslosenzahlen schönt sind Jugendliche, die keine Arbeit finden und eine weitere Ausbildung beginnen um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Ein anderes Indiz für die fehlenden Perspektiven der Jugendlichen ist die Zahl derjenigen 20-30 Jährigen, die immer noch bei ihren Eltern wohnen. Europaweit lag diese Zahl 2013 bei sagenhaften 55.6% der jungen Menschen. Diese Zahlen zur schlechten Lage der Jugendlichen drücken sich dann auch in der Statistik der “von Armut und sozialer Betroffenen” aus. Gemäss den Zahlen von Eurostat stieg diese Quote von 25% (2005) auf fast 30% (2014).
Wenn es im Zuge der Sparwut gegen die Bildung geht, sind dabei besonders die Jugendlichen stark betroffen. Streichen von Stunden, schlechter bezahlte Lehrpersonen oder andere Abbaumassnahmen gehen direkt auf Kosten der Qualität des Unterrichts. Gleichzeitig nehmen die Unternehmen immer direkter Einfluss auf die Inhalte: Ob an den Berufsschulen oder Universitäten, die Jugendlichen sollen zu willigen Arbeitskräften erzogen werden. Dabei wird die natürliche Wissbegierde und die persönliche Entfaltung unterdrückt. Die Entfaltung und Forschung wird dem Profit geopfert. Die Jugendlichen leiden unter der Krise. Das System hat versagt, es hat keine Zukunft zu bieten. Aber die Jugend leidet nicht einfach passiv. Überall wo dagegen gekämpft wird, stehen sie an vorderster Front und dafür gibt es gute Gründe.
Jugend gegen die Krise
Der Mythos der passiven Jugend löst sich in Luft auf, wenn wir die gegenwärtigen und vergangenen sozialen Kämpfe betrachten. Der Grund für den ausserordentlichen Mut, Kampfeswillen und die revolutionäre Initiative der Jungen ist in ihrer gesellschaftlichen Stellung zu suchen. Seit sie die Welt bewusst wahrnehmen können, sind sie mit Krise, Terrorismus und Krieg im Nahen Osten konfrontiert. Den Kalten Krieg und lange wirtschaftliche Boom-Zeiten kennen sie nur aus Geschichten. Sie beginnen wissbegierig und voller Tatendrang diese Welt zu erleben und zu erkunden. In der Schule stossen sie bald auf Normierungszwang und Konkurrenzdruck. Beginnen sie zu arbeiten, sind sie Ausbeutung und prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt.
Die älteren ArbeiterInnen erleben das auch, allerdings sind die Jungen noch weniger belastet von deprimierenden Niederlagen vergangener Kämpfe, sind schlicht noch nicht so vomTrott der Routine kaputt gemacht wie ihre älteren Kolleginnen und Kollegen.
Um in dieser Welt zu bestehen, übernehmen wir psychologische und ideologische Denkmuster, die uns helfen Ungerechtigkeiten leichter zu akzeptieren. Die gesellschaftliche Stellung eines Arbeiters oder einer Arbeiterin, Lebens- und Arbeitsbedingungen, Erfahrungen mit Ausbeutung, und Unterdrückung, schlagen sich ideologisch auf die eine oder andere Art nieder. Wir reden uns nicht bewusst ein, übernehmen aber unbewusst derartige, gesellschaftlich erzeugte Gedanken. Diese beinhalten etwa: Dies sei alles normal so, alle bekämen was sie verdienen und so weiter. Die Bedeutung dieser unvollständigen Ideologien für die individuelle Existenz zeigt sich deutlich wenn wir sie uns für den Moment wegdenken. Die daraus folgende Einsicht in Ausbeutung, Entfremdung etc., bringt weitreichende Konsequenzen mit sich. Aus dem Erkennen, dass Ausbeutung, Unterdrückung und Konkurrenz veränderbare Übel sind, folgt meist der Drang, jene zu bekämpfen. Ein derartiges Ausbrechen aus den sozialen Normen kann Ausgrenzung, Jobverlust und viele weitere Dinge zur Folge haben.
Diese Risiken gehen Jugendliche viel einfacher und häufiger ein. Sie haben meist keine Familie zu versorgen, weniger Probleme, einen neuen Job zu finden. Allgemein sind sie noch nicht so stark ideologisch geformt, offener für neue Gedanken. Die erwähnten „Schutzmechanismen“ sind weniger ausgebildet. Dazu kommt, dass vor allem StudentInnen oder andere Lernende oft viel mehr Zeit und Möglichkeiten haben, um sich mit revolutionären Theorien und Prozessen auseinanderzusetzen. Auch deshalb haben Jugendliche eine wichtige Vorreiterrolle bei grossen sozialen Kämpfen gespielt.
Die Ersten auf den Barrikaden
Die Rolle der Jugend zeigt sich in den konkreten sozialen Kämpfen, wie beispielsweise in den arabischen Revolutionen. Die Revolution in Tuniesien kam für viele wie aus heiterem Himmel: Ausgelöst wurde die Bewegung durch die Selbst-Verbrennung eines jungen Akademikers, der sich als Gemüsehändler verdingte, da er keine andere Arbeit finden konnte. Eine massive Welle von Demonstrationen und Krawallen erschütterte das Land. Die gestiegenen Nahrungsmittelpreise, die schlechte wirtschaftliche Lage, die Jugendarbeitslosigkeit (70%!) und fehlende politische Freiheiten legten das Fundament für das landesweite Ausbreiten des Aufstands. Zusammen mit den Mittellosen bildeten vorallem die tausenden StudentInnen die Basis der Proteste. Neu dazu kam nun die grosse Schicht der Jugendlichen mit guter Ausbildung, allerdings ohne Aussicht auf Arbeit.
Der vollkommen korrupte, ihren Luxus zur Schau stellende herrschende Clan sollte von einer Welle des Zorns hinweggespült werden. Das Staatsoberhaupt Ben Ali versuchte sich mit massiver Repression, die etliche Tote forderte, zu retten. Er schloss die Schulen und Universitäten um die Jungen zu Hause zu behalten und so ihre Gruppierung und kollektive Erfahrung zu behindern. Allerdings hatte diese Massnahme nicht den gewünschten Effekt: Ohne Schule sind die Jugendlichen noch eher an die Demonstrationen gegangen. Die Masse, allen voran die Jugend hatte die Angst vor der Gewalt verloren. Gleichzeitig begann das Militär die Seiten zu wechseln. Berichte erzählten von Teilen der Armee die Demonstrationen gegen die Polizei beschützten. Dazu gibt es zu sagen, dass das tunesische Militär teilweise eine Miliztruppe war, die hauptsächlich aus jungen Männern des Proletariats bestand. Neben der Repression versuchte sich Ben Ali mit leeren Versprechen Luft zu verschaffen: Demokratie und Pluralismus versprach er, sowie 300’000 neue Arbeitsplätze für junge Menschen. Das Regime war sich also der Zeitbombe, welche die Jugendarbeitslosigkeit darstellte bewusst. Doch die Jungen liessen sich nicht kaufen. Die Schwäche des Diktators erkennend, war das Motto der Bewegung: “Ben Ali muss weg!”. Daraufhin musste dieser nach Saudi Arabien fliehen.
Innerhalb weniger Tage entwickelte sich die revolutionäre Bewegung über ganz Nordafrika zu dem was wir heute als den Arabischen Frühling kennen. Überall spielte die Jugendlichen, die teilweise bis zu 40% (Jemen, Jordanien) der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, eine entscheidende Rolle.
Aufschlussreich ist zudem die Rolle der Fussball-Ultras in Ägypten. Hauptsächlich aus jungen Menschen bestehend, war die Fussball-Szene einer der wenigen Orte in denen sich Ansätze von Opposition entwickeln konnte und nicht direkt brutal niedergeschlagen wurde. Obwohl eher unpolitisch, entwickelten die Ultras einen Grad der Organisation und Militanz die in Ägypten ihresgleichen suchte. Da sie hauptsächlich aus Menschen bestanden, welche die Revolution unterstützten, standen sie schnell auf der Seite der Aufständischen. Und im Unterschied zu den anderen politischen Akteuren waren sie organisiert und auf gewaltsame Konfrontation vorbereitet. “Vier Jahre lang haben wir für unsere Rechte im Stadium gekämpft. Das hat uns für den heutigen Tag vorbereitet. Wir sagten unseren Leuten, dies sei unser entscheidender Test. Versagen war keine Option.”, liess sich einer der Anführer zitieren. Sie beschützten die Demonstranten vor Schlägertrupps und Provokateuren des Regimes, was von den vielen Aktivisten – bei Fehlen jeglicher Alternative – begrüsst wurde.
Die Jugend hat Zukunft!
Derart massive, revolutionäre Kämpfe, über viele Länder hinweg, wie wir sie im Arabischen Frühling gesehen haben, erleben wir in Europa noch nicht. Einen Vorgeschmack bieten die Kämpfe gegen Austerität in Griechenland, Spanien oder diejenigen in Frankreich gegen die Arbeitsgesetzrevision, welche Millionen von Jungen und ArbeiterInnen involvieren.
In der Schweiz hat sich das bislang erst in kleineren aber doch flächendeckenden SchülerInnenbewegungen ausgedrückt, während andere Teile der Betroffenen noch wenig Anstalten machen, sich zu wehren. In Bern, Luzern, Basel und weiteren Orten konnten wir über spontane Bewegungen mit einigen Hundert SchülerInnen berichten. Etliche dieser Kämpfe sind bereits über eine reine Jugend-Bewegung hinausgegangen und konnten öffentliche Angestellte verschiedenster Berufsgruppen einbinden, so etwa in Genf mit einem Streik mit über 10’000 Beteiligten.
Die Probleme der Krise, wie wir in dieser Zeitung ausführlich aufzeigen, bieten keine Alternative als den revolutionären Kampf. Alle erfolgreich geführten Kämpfe, ob aktuell oder historisch, zeigen die Bedingung auf, unter der die Jugendbewegungen erfolgreich sein können: Sie müssen sich mit der ArbeiterInnenbewegung verbinden. Dort spielen sie eine wichtige Vorreiterrolle, besitzen aber alleine nicht das gesellschaftliche Gewicht, das vonnöten ist, um die Probleme einer kapitalistischen Krise zu lösen.
Lukas Nyffeler
JUSO Stadt Bern
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