Der FC Winterthur ist eine Ausnahmeerscheinung in der Schweizer Fussballlandschaft. Wegen seiner linken Fans und der Ausrichtung gegen die fortschreitende Kommerzialisierung des Fussballs, trägt der Verein den Spitznamen „FC St. Pauli der Schweiz“. Wir haben uns mit dem Geschäftsführer des FCW, Andreas Mösli, über Gentrifizierung (Aufwertung), Fanarbeit und Repression unterhalten.
Ein Slogan des FC-Winterthur lautet „erstklassig zweitklassig“. Der Verein war zu Nationalliga-B-Zeiten Anführer der ewigen Tabelle der zweithöchsten Schweizer Liga. Gleichzeitig ist Winterthur wohl das Paradebeispiel der B-Schweiz, die im Gegensatz zur A-Schweiz wenig mit dem Image eines wirtschaftsstarken Bankenstandorts zu tun hat. Hat dieses Underdog-Image auch eine politische Dimension?
Ja ich denke schon. Als ich beim Verein anfing, stand dieser kurz vor dem Konkurs. Einerseits ging es darum den Verein zu retten – das war natürlich eine Herzensangelegenheit – aber es war auch eine Chance den Verein neu auszurichten. Dem Verein ein Image, zu geben, das Leute anzieht aber auch ein Image mit dem man etwas verbinden kann. Sei es nun mit der Stadt Winterthur oder auch mit politischen Inhalten. Ich finde aber ganz klar: Fussball ist politisch. Fussball ist politisch, weil er eine gesellschaftliche Angelegenheit ist, in die ganz viele Dinge hineinprojiziert werden. Da spielen Schweizer zusammen mit Migranten. Und weil ich auch keine Lust habe neben einem Nazi im Stadion zu stehen, müssen einige Rahmenbedingungen stimmen, damit man sich wohl fühlt. Jetzt kann man darüber diskutieren, ob Fussball politisch sein darf, aber diese Diskussion finde ich nicht relevant, denn er ist politisch. Das mit dem Slogan hat auch eine ironische Seite. Ich weiss noch, als ich angefangen habe beim FC Winterthur. Da hatten wir ein Stadion das fast auseinander gefallen ist, man hat immer verloren, der Verein war immer pleite. Es ist klar, wenn man GC und den FCZ und die Stadt Zürich, die alles wie ein schwarzes Loch aufsaugt, in der Nähe hat, dann muss man sich eine Nische suchen, wenn man nicht einfach als Vorort von Zürich wahrgenommen werden will. Und für mich war ganz klar, dass ich eine Nische möchte, in der dieses Politische auch mitspielt, dass man gegen Rassismus ist, gegen Diskriminierung, sich für Gleichstellung einsetzt. Diese Themen, die in der Gesellschaft da sind, hast du im Fussball auch.
Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren bezeichnet Stehplätze in Stadien als Sicherheitsrisiko. Auf der Schützenwiese, dem Stadion des FCW, gibt es praktisch nur Stehplätze. Gehört das irgendwie dazu für dich? Stehplätze und eine Anzeigetafel, bei der noch von Hand die Nummern ausgewechselt werden anstatt VIP-Logen und beheizten Sitzplätzen und Cüpli?
Wenn man einen Verein übernimmt, muss man sich die Realität anschauen. Man kann lang von VIP-Logen träumen, aber die wird in den nächsten Jahren sicher nicht entstehen. Die Stadt Winti hat kein Geld und auch die Struktur der Stadt ist eine andere. Ich weiss noch als wir angefangen haben, haben alle rumgemotzt: „So ein Scheiss-Stadion.“ Und ich hab halt gesagt: „Ich weiss gar nicht, was ihr habt, ist doch ein geiles Stadion.“ Inzwischen ist die Schützenwiese Kult. Es redet niemand mehr davon, dass es Mängel hat. Die Leute finden es cool und kommen weil es so ist, wie es ist. Fussball ist eben nicht immer Chelsea oder FC Bayern. Ein Stadion ohne Stehplätze wäre für mich eine Katastrophe. Wenn ich mir vorstelle, dass ich 90 Minuten da hocke, in irgend so einem Kessel, der genau gleich ausschaut,wie zehn andere Stadien und man hat diese Anonymität. Man sitzt da und klatscht ein bisschen. Ich finde das grauenhaft. Fussball ohne Emotionen ist kein Fussball und Sitzplätze fördern halt das „Gesittete“. Wir haben das Problem, dass unsere neue Stehplatztribüne eine Längstribüne ist, die als Sitzplatztribüne konzipiert wurde, weil du in der Super League keine Stehplatztribünen längs mehr haben darfst. Die Vorstellung, dass man diese neue Tribüne bei einem Aufstieg zu einer Sitzplatztribüne machen müsste, ist mir ein Graus. Das ist wieder so eine Kollektivbestrafung: Man ortet irgendwo ein Problem, pauschalisiert es und bringt eine Lösung, die keinerlei Flexibilität erlaubt. Das ist eine Gleichschaltung der Vereine, dass alle diese Auflagen erfüllen müssen, egal ob die zu den Fans passen oder nicht. Fussball hat viel mit Emotionen zu tun und es gibt auch manchmal Probleme mit Gewalt. Aber man darf nicht wegen Einzelnen, die Probleme machen, Kollektivbestrafungen einführen. Ich habe mich deshalb auch immer klar gegen das unverhältnismässige Hooligankonkordat gewehrt.
Die Stadionvorgaben in der Super League kann man als „Gentrifizierung im Stadion“ bezeichnen. Gentrifizierung findet aber auch ausserhalb der Stadien, gerade in Winterthur, statt. Mit der Standortfucktor-Demo wurde die Debatte um Repression und Verdrängung wieder aktuell. Gab es eigentlich von offiziellen Stellen Druck auf den FCW, der im Kontext der Gentrifizierung ja so ein bisschen eine Ausnahmeerscheinung in der Stadt darstellt?
Da sind wir ja wieder bei der Politik. Wenn wir etwas verändern wollen, dürfen wir nicht stur theoretische Modelle verfolgen. Wir müssen mit den herrschenden Zuständen und mit den Menschen arbeiten. Und da müssen wir eben auch Leute überzeugen, die sonst nicht so Fan sind, von dem was wir machen. Das hat relativ gut geklappt. Es sind schon SVPler zu mir gekommen, die fanden: „He, das ist inhaltlich nicht mein Ding, was ihr da macht, aber ist huere geil.“ Was wir machen ist authentisch und das ist mir schon wichtig. Ich glaube das schätzen die Leute. Es gibt viele Fans, die aus Zürich, St. Gallen oder sonst wo zu uns kommen, weil sie finden, dass bei uns Fussball ist wie er sein soll. Bei vielen Stadien merkt man: Das sind kommerzielle Kunstprodukte. Da haben sich Marketingprofis ein Konzept überlegt und in der Pause hampelt irgendein Clown auf dem Platz rum. Und alles noch mit Werbung überall und du denkst dir: „Oh Mann…“ Ich denke es ist wichtig, dass man nicht an jeder Ecke mit Kommerz und Werbung überschwemmt wird. Die Gentrifizierung findet eben überall statt. Und im Fussball ist die Gentrifizierung ein Problem, weil der Kommerz bei vielen Akteuren über dem Fussball steht. Der kommerzielle Druck fällt aber auch wieder auf die Klubs zurück. Weil die Stadien einfach nicht genügen, weil die Vorschriften so hoch sind oder weil sie einfach Sicherheitskosten haben bis zum geht nicht mehr. Oder weil Sachen verboten sind, die Vereine bräuchten, um ihre Leute anzuziehen. Im Moment macht die Swiss Football League die Hürden so hoch, dass manche Vereine gar nicht auf die Idee kommen aufzusteigen.
Wenn man in die Medien schaut, dann kann man schon sagen, dass Fussballfans gesellschaftlich verdrängt werden. Ein Thema sind Pyros. Auch in der Kurve vom FCW wird gezündet. Wobei aber der Verein dann Bussen ins Haus stehen hat. Wie handhabt ihr das Thema?
Ich sage immer, die Schützenwiese ist das grösste Jugendhaus der Region Winterthur. Da kommen unzählige junge Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen und für einen Teil von denen gehört Pyrotechnik zur Fankultur. Man kann lange sagen, dass man das gut oder schlecht findet, aber das steht nicht zur Diskussion. Es ist einfach ein Teil der Fans, der das will und gut finden und damit muss man arbeiten. Wenn es um Pyros geht, kann man nicht einfach so tun als wären das Spinner, die solche Bedürfnisse haben. Die Kriminalisierung von Fussballfans ist schon so extrem, dass die Fans von den Medien in eine Verbrecherecke gestellt werden. Auch wenn ich persönlich nicht so Fan von Pyros bin — ich wurde eher von einer englischen Fussballkultur sozialisiert, wo das nicht dazugehört — finde ich, dass man einen Weg finden muss, wie man mit den jungen Menschen, die Pyros als Ausdruck ihrer Fankultur sehen, umgehen kann und welchen Rahmen man schaffen kann, damit sie das legal ausdrücken können. Wir als FCW können nicht sagen: „Ihr dürft zünden.“ Damit verstossen wir gegen das Sprengstoffgesetz. Es ist also ganz klar: Wenn gezündet wird, muss der Verein zahlen. Und wenn die Akteure erwischt werden, müssen wir ihnen ein Stadionverbot erteilen. Deshalb braucht es ein Gespür von allen Beteiligten, wie mit Pyros umgegangen wird. Es ist auch eine Frage des Verhältnisses zwischen Fans und Vereinsleitung. Bei vielen Vereinen hat man die Vereinsleitung hinter Glasscheiben in der VIP-Loge und die Fans hinter dem Gitter im Sektor. Da ist keine Kommunikation möglich. Du hast ein Unten gegen ein Oben. Dort ist klar, dass Pyros nicht nur gezündet werden, weil es Teil der Fankultur ist, sondern auch als Form des Protests. Bei uns ist das zum Glück nicht der Fall. Deshalb muss es möglich sein, dass die Leute ein Gespür dafür haben, wann was möglich ist. Ich sage immer: Wenn Pyros an besonderen Spielen gezündet werden, ok dann ist es halt so. Dann gibt es eine Busse und mit dem muss man halt leben als Verein. Aber auch die Fans müssen damit leben, wenn sie erwischt werden. Nicht akzeptabel wäre für mich, wenn ein paar wenige Fans ständig unüberlegt und aus egoistischen Motiven Pyros zündeten. Damit würden sie dem Verein und der offenen Kultur auf der Schützenwiese schaden.
Die Repression gegen Fussballfans wächst. Man hat Listen, man hat Sta-dionverbote. Das sind Entwicklungen beim Nachrichtendienstgesetz. Man hat fast den Eindruck, dass das Vorgehen gegen Fussballfans die Generalprobe war für eine noch stärkere Repression und Überwachung in der ganzen Gesellschaft. Das erinnert an die Zeiten vom Fichenskandal (1989), wo du ja auch aktiv warst. Hat man da Angst, dass das wieder kommt?
Man kann es ja nicht genau vergleichen. Bis Ende der 80er hatte man den kalten Krieg. Da waren die einen die Guten und die andern die Bösen. Differenzierte Inhalte waren oft kein Thema. Im Namen des Antikommunismus wurden massive Feindbilder aufgebaut, mit denen man vieles, auch gerade in Sachen Überwachung legitimiert hat. Wir waren damals mit der SAP (Sozialistische Arbeiterpartei, Mitglied der vierten Internationale) eine kleine Gruppe und wir waren alles andere als sowjetfreundlich aber trotzdem wurden wir überwacht und zwar in einer Verhältnismässigkeit die völliger Blödsinn war. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks, die Schwäche der antikapitalistischen Linken, durch das Fehlen der Massenbewegungen gegen die Mächtigen, hat sich auch die Strategie der Mächtigen geändert. Die Dringlichkeiten liegen heute anders: Die Ängste, die Leute wegen der Flüchtlingskrise haben und eben auch die Ängste, die wegen unserem Wirtschaftssystem da sind. Und dieses System ist eben etwas Auslösendes für die anderen Probleme, die wir haben. Dass dieses System nicht die Bedürfnisse aller befriedigen kann, dass es immer mehr Unruhen gibt. Dieses Mal kann man das eben nicht irgendwelchen bösen Sowjets in die Schuhe schieben, sondern es wird immer klarer, dass der Kapitalismus mit seiner Wachstumslogik ein Problem für den Weltfrieden ist, da es mit ihm immer Ungerechtigkeit und Ausbeutung geben wird. Das geht einfach nicht auf und im Moment bekommen wir das immer mehr zu spüren. Auch in der Schweiz, wo wir auf einem hohen Niveau leben – auch auf Kosten anderer. An allen Ecken bröckelt es und die Widersprüche werden immer klarer. Dass da die Repression stärker wird, ist eine logische Reaktion des Systems.
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