Der Krieg in der Ukraine diktiert aktuell die politische, wirtschaftliche und soziale Situation. Putin konzentriert seine Truppen auf den Osten der Ukraine, während der Nato-Block seine Waffenlieferungen an die ukrainische Armee massiv erhöht hat. «Wir wollen Russland schwächen» sagt US-Aussenminister Blinken.
Die Imperialisten auf beiden Seiten haben ein klares Interesse an der Eskalation und der Verlängerung des Krieges. Dieser Krieg zeichnet sich zudem durch eine gigantische Propagandamaschinerie auf beiden Seiten aus. In Russland betreibt Putin mit der «russischen Identität» Mobilmachung. Im Westen wird der Arbeiterklasse in penetranter Medien-Dauerschleife erzählt, dass sie ein gemeinsames Interesse mit der Nato hätte, das heisst, der blutigsten Kraft auf dem Planeten. Wir MarxistInnen sind die einzigen, welche den Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse verteidigen.
ArbeiterInnen und Jugendliche – ob als wehrpflichtiges Kanonenfutter oder als Zivilisten – sind die ersten Kriegsverlierer. Die militärische Aufrüstung in allen Ländern bedeutet, dass noch mehr Geld bei der Gesundheit und der Bildung fehlt. Überall auf der Welt leiden lohnabhängige Familien unter der explodierenden Inflation. Für die imperialistische Kriegstreiberei muss die Arbeiterklasse weltweit bezahlen.
In der Schweiz beteiligt sich der Bundesrat über die Sanktionen aktiv an der westlichen Kriegstreiberei. Die Annäherung der Schweiz an die Nato wird politisch breit diskutiert, wobei die SP-Nationalräte mit einstimmen.
Das Schweizer Kapital bringt sich für den «Wiederaufbau» der Ukraine bereits in Stellung, um seine Position als aktuell viertgrösster Investor in der Ukraine weiter zu stärken. Die grüne Nationalratspräsidentin Kälin erklärt: «Die Schweiz ist seit den 1990er Jahren in der Ukraine präsent und hat die Reformbemühungen unterstützt. Die Schweiz kann und soll eine wichtige Rolle spielen.»
Kälin vergisst jedoch zu erwähnen, dass die westlichen «Reformbemühungen» in der Ukraine aus Privatisierungen, Sparmassnahmen und Angriffen auf die Gewerkschaftsrechte bestehen. Die Schweiz ist mittendrin: Im Juli findet in Lugano die nächste «Ukraine Reform Conference» statt, ein regelmässiges Treffen von Nato, EU, IWF und OECD. Es wird Selenskyjs erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn. Das Schweizer Establishment rollt den westlichen Kriegstreibern und Kriegsprofiteuren den roten Teppich aus. Auch die Schweizer Kapitalisten nutzen zynisch den Krieg, um ihre Profitinteressen zu festigen.
Gleichzeitig lassen die Herrschenden auch hierzulande die Arbeiterklasse für ihren Krieg und ihre Wirtschaftskrise bezahlen: Die Inflation greift die Lebensbedingungen der lohnabhängigen Familien frontal an. In einer Comparis-Umfrage gaben 80 % an, dass sie die Inflation als beunruhigend empfinden. Die allermeisten ArbeiterInnen fragen sich kopfkratzend, wie reich man sein muss, damit einem explodierende Preise keine Sorgen bereiten. Während die Schweizer Kapitalisten in den letzten Jahren und Monaten grosse Profite angehäuft haben, weigern sie sich, die Löhne der Inflation anzupassen.
Stattdessen werden die Arbeiter an allen Ecken und Enden zur Kasse gebeten: Das Rentenalter der Frauen soll im Herbst auf 65 erhöht werden, welches nach Vorstellung der Kapitalisten als Trampolin für das allgemeine Rentenalter von 67 genutzt werden soll. Auch die Arbeitszeiten sollen entsprechend den Profitinteressen «flexibilisiert» werden. Die Krankenkassenprämien werden dieses Jahr um bis zu 10 % steigen. Und um die Staatsschulden aus der Corona-Krise abzubezahlen – d.h. jene Steuergelder, welche in der Pandemie den angeblich allmächtigen kapitalistischen Markt retten mussten – wird jeglichem Ausbau der Sozialwerke ein harter Riegel vorgeschoben.
Währenddessen soll das Armeebudget um 40 % auf 7 Milliarden Franken erhöht werden. Die Rüstungsindustrie freut es, der Börsenkurs von Rüstungsriese Rheinmetall hat sich beispielsweise seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelt. Das Motto der herrschenden Klasse ist offensichtlich: Sie feiern ein Fest der Profite, füllen sich die Lampe mit Krieg, Ausbeutung und Börsenkursen – die Rechnung soll die Arbeiterklasse bezahlen.
Die Angriffe auf die Arbeiterklasse prallen auf eine soziale Situation, welche bereits angespannt ist. Die Lebensbedingungen in der Schweiz stagnieren seit 25 Jahren (Reallöhne sind seither nicht gestiegen). Die Jugend von heute ist die erste Generation, welche schlechtere Zukunftsaussichten hat als ihre Eltern. In der Pandemie mussten die Lohnabhängigen mit Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Krankheit und viel alltäglichem Verzicht den Gürtel «für die Allgemeinheit» enger schnallen. Für die Zeit nach Corona versprachen uns die Herrschenden einen wirtschaftlichen «Superboom» und die Rückkehr zur «Normalität». Als Belohnung erhält die Arbeiterklasse tatsächlich die «Normalität» – nämlich den Klassenkampf von oben.
Wirkliche Verbesserungen sind keine in Sicht, denn bereits jetzt ziehen weitere dunkle Wolken auf: Rezession in Europa, Covid-Lockdown in China, Schuldenkrise, platzende Spekulationsblasen und weitere sich anbahnende Kriege. Der Weltkapitalismus wird in nächster Zeit nicht aus der Krise finden.
Das Bewusstsein in der Arbeiterklasse für die zahlreichen kapitalistischen Brandherde ist hoch. In einer Studie zu den grössten Sorgen der Schweiz wurden die Ängste um Krieg, Klimawandel, Krankenkassenprämien und Altersvorsorge von der Mehrheit als grosse bis sehr grosse Sorgen angegeben. In einer Seco-Umfrage bezüglich der persönlichen finanziellen Situation gehen inzwischen fünfmal mehr Menschen von einer Verschlechterung aus als im Durchschnitt der letzten 10 Jahre! Die Krise frisst sich ihren Weg in die Köpfe der Arbeiterklasse.
Aus dieser Analyse der objektiven Entwicklung müssen wir eine entscheidende politische Schlussfolgerung ziehen: Alle Bedingungen für eine massive Gegenoffensive der Arbeiterbewegung sind vereint! Die Angriffe, der Zynismus der Herrschenden, die Krisenperspektive – es gibt bei weitem genug brennbares Material, um mit dem Unmut der Arbeiterklasse endlich auch den Klassenkampf von unten zu entfachen.
Doch die Führungen der Arbeiterbewegung – die SP und die Gewerkschaften – erkennen den Ernst der Lage nicht. In der Kriegsfrage (wie bereits in der Pandemie) stellen sie sich gänzlich hinter den Bundesrat. Bei der Frage der Lebensbedingungen beschränken sie sich auf nettes Betteln. Pierre-Yves Maillard, Präsident des Gewerkschaftsbundes, fragt die Patrons an, die Löhne in der Situation von Inflation von sich aus zu erhöhen – ohne aufzuzeigen, dass die Kapitalisten nur über den kollektiven Kampf der ArbeiterInnen dazu gezwungen werden können.
Cedric Wermuth, Co-Präsident der SP, zählte am 1. Mai zwar korrekt die Angriffe der Bürgerlichen auf, doch nur um im nächsten Moment an deren «Vernunft» zu appellieren. Auch hier sollen die ArbeiterInnen nicht aktiv kämpfen, sondern nur passiv darauf warten, bis die FDP und die SVP «vernünftig» werden – obwohl diese ein komplett unvernünftiges System verteidigen!
Diese kompromisslerische Herangehensweise von Wermuth und Co. verschleiert die real existierenden Klassengegensätze in der Gesellschaft. Dies sät Verwirrung und führt zu Vereinzelung bei den Lohnabhängigen. Es verhindert, dass sich die Arbeiterklasse als eigenständige politische Kraft mit eigenen Interessen erkennen kann. Somit wird den Kapitalisten den Weg für ihre Angriffe geebnet.
Ansatzpunkte für eine kämpferische Gegenoffensive der Arbeiterklasse gibt es bei weitem genug. Die BauarbeiterInnen bereiten sich auf die Kämpfe im Hinblick auf den Landesmantelvertrag vor (siehe S. 6). In der Pflege brodelt es zunehmend, der Bundesrat sabotiert nun sogar die Umsetzung der Pflegeinitiative. Die Flughafen-ArbeiterInnen bereiten sich intensiv auf einen Arbeitskampf mit offensiven Forderungen vor. Auch im öffentlichen Dienst, beispielsweise in Genf, kommt es zu Mobilisierungen gegen die Sparmassnahmen. Die Schweiz ist Teil der internationalen Tendenz in Richtung mehr Klassenkampf (siehe S. 20).
Neben vielen weiteren Brennpunkten auf Betriebsebene schreitet insbesondere in der Jugend die Radikalisierung massiv voran. An den Demonstrationen, an den Gymis, Universitäten und Berufsschulen spürt man kaum etwas von der Nato-Propaganda oder der «gutschweizerischen» Kompromisshaltung, sondern vor allem viel Hass gegen den Kapitalismus sowie jene, die ihn verteidigen.
Doch alle diese Kämpfe werden von den reformistischen Führungen der Arbeiterbewegung einzeln und voneinander getrennt geführt. Dies ist völlig falsch, denn es schwächt die Arbeiterklasse. Alle Angriffe sind Teil des allgemeinen Abladens der Kriegs- und Krisenkosten auf den Schultern der Lohnabhängigen; alle Kämpfe sind Ausdruck des Widerstands der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Krisenpolitik; alle ArbeiterInnen und Jugendlichen haben ein kollektives Interesse an guten Lebensbedingungen. Ein einheitlicher, landesweiter Kampfplan würde das Selbstvertrauen und die Schlagkraft der Arbeiterklasse massiv stärken. Die Arbeiterklasse braucht ein allgemeines sozialistisches Programm gegen die Krise!
Die tiefen und mittleren Löhne müssen sofort erhöht werden. Zudem müssen sich die Löhne monatlich automatisch an die Inflation anpassen. Es braucht eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden bei gleichbleibendem Lohn. Und es braucht massive Investitionen in das Gesundheits-, Bildungs- und Energiesystem – bezahlt von den Kriegs- und Krisenprofiteuren!
Wenn die Unternehmer behaupten, dass sie nicht genug Geld für diese Verbesserungen hätten, dann sollen sie den Angestellten ihre Geschäftsbücher öffnen. Die ArbeiterInnen sollen sehen, wohin die Profite der letzten Jahre flossen. Sollten die Kapitalisten mit Entlassungen, Schliessungen oder Abwanderung drohen, müssen die Unternehmen verstaatlicht und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden.
Nur das Profitmotiv der Kapitalisten verhindert, dass wir den riesigen gesellschaftlichen Reichtum für das einsetzen können, was die Menschen wirklich brauchen. Der Kapitalismus führt zu Krieg und Krisen – für ein gutes und friedliches Leben müssen die Grosskonzerne, Banken und Rüstungsindustrie enteignet und in die internationale sozialistische Planwirtschaft integriert werden. Die Arbeiterklasse, organisiert auf Grundlage eines klassenkämpferischen sozialistischen Programms, hat die Macht, ihre Interessen gegen jene der Kapitalisten durchzusetzen.
Nochmals: alle Bedingungen für eine breite Gegenoffensive der Arbeiterbewegungen sind vereint! Die reformistischen Führungen bremsen den Kampfeswillen und die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse. Doch Bremsen nutzen sich mit der Zeit ab. Die Krise des Kapitalismus wird die ArbeiterInnen zunehmend in die politische Aktivität zwingen. In diesem Kampf werden sie merken, dass die Arbeiterbewegung eine kämpferischere Führung, härtere Kampfmethoden und vor allem einen wirklichen Ausweg aus der kapitalistischen Barbarei braucht. Die einzige realistische Alternative ist die revolutionäre Machtübernahme der Arbeiterklasse, die bewusste Kontrolle über die Produktion und die Verteilung sowie die tiefgreifende sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft.
Revolution, Internationalismus und Sozialismus zu unseren Lebzeiten – dafür steht die International Marxist Tendency, in der Schweiz durch den Funke vertreten!
Die Redaktion, Der Funke
27.05.2022
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