«Echte Franken für Alle!» Das hat sich die Vollgeld-Initiative auf die Fahnen geschrieben. Die Vollgeld-Initiative will die Geldschöpfung der Geschäftsbanken verbieten. Einzig die Nationalbank soll künftig das Schweizer Geld herstellen, auch das elektronische Geld. Denn ca. 90% des Schweizer Geldes ist momentan Buchgeld, «das die Banken per Knopfdruck selber schaffen, um damit ihre Geschäfte (u.a. Kredite, Immobilien, Aktien) zu finanzieren». (Quelle: vollgeld-initiative.ch) Genauer gesagt vergeben Banken Kredite, die nur zu 2.5% durch Reserven (sprich Eigenkapital der Banken) gedeckt sein müssen. Vergeben die Banken einen Kredit, ohne dass dieser durch «echtes» Geld auf den Sparkonten gedeckt ist, so entsteht dadurch Geld. Dies wird als «Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken» bezeichnet. So geschaffenes Buchgeld existiert nicht in Form von Münzen oder Banknoten, sondern nur elektronisch.
Die Folge der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken sind laut den BefürworterInnen «falsche» Franken, Finanzkrisen und «unfaire Wettbewerbsverzerrungen». Die Vollgeld-Initiative fordert deshalb, dass in Zukunft alle vergebenen Kredite durch Einlagen und damit Geld der Nationalbank gedeckt sind. So wollen sie «eine der Hauptursachen der Finanzkrisen» beseitigen und eine «faire Marktwirtschaft» herstellen. Diese zwei Behauptungen wollen wir im Folgenden kritisch beleuchten.
Misstrauen gegen Banker
Wie die «Minder-Initiative» oder die «1:12-Initiative» ist Vollgeld eine Reaktion auf die Finanzkrise von 2008. Damit trifft sie einen Nerv. Verschiedene Online-Umfragen zeigen eine relativ hohe Zustimmung zur Initiative wie auch zur Idee grundsätzlich. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Initiative angenommen wird. Aber es zeigt: Das Misstrauen gegen den Finanzsektor hält sich auch zehn Jahre nach der UBS-Rettung hartnäckig – zurecht. Aber kann die Vollgeld-Initiative halten, was sie verspricht?
Momentan könnten Banken sich selbst Geld gutschreiben, um damit beispielsweise an der Börse Aktien auf eigene Rechnung zu kaufen. Dadurch würde «der Wettbewerb verzerrt». Vollgeld will den Banken diesen «unfairen Vorteil» nehmen. Wie sich dies mit der Behauptung der BefürworterInnen an anderer Stelle verträgt, die «Banken verlieren nichts», ist eine offene Frage.
Fairer Wettbewerb?
Bereits 2012 schrieb Beat Ringger im Denknetz-Jahrbuch: «Die Diagnosen bleiben technokratisch und «keimfrei», das heisst unbefleckt von sozialen Fragen. […] Eine solche Sicht auf die Welt ermöglicht, Reformvorschläge zu machen, die radikal erscheinen, ohne sich jedoch mit den Gegensätzen zwischen Kapital und Arbeit beschäftigen zu müssen.» Dieser Kritik schliessen wir uns an.
Heute besitzen acht Männer über 50% des globalen gesellschaftlichen Reichtums. Fast alle wichtigen Industrien und Dienstleistungsbranchen, darunter auch der Finanzsektor, werden weltweit von wenigen multinationalen Konzernen kontrolliert. Die erwähnte Konzentration und Monopolisierung der Wirtschaft ist aber selbst eine Folge des freien Wettbewerbs. Denn wer über mehr Kapital verfügt, hat offensichtlich einen Wettbewerbsvorteil und kann seine KonkurrentInnen vom Markt drängen.
Aber damit nicht genug: Im Zuge der konjunkturellen Krisen gibt es immer wieder Firmen, die Pleite gehen und vom Markt verschwinden, fusionieren oder übernommen werden. Dies führt zwangsläufig zu einer zunehmenden Konzentration des Kapitals und letztendlich zur Herausbildung von Monopolen.
Trotzdem behaupten die BefürworterInnen, nur eine Geldreform trenne dieses System von «fairem Wettbewerb.» Fair für wen? Für multinationale Konzerne, die nicht selbst Geld schöpfen können, gegenüber multinationalen Banken, die selbst Geld schöpfen können? Welchen Vorteil hat wohl beispielsweise eine Pflegefachkraft von diesem «fairen Wettbewerb?»
Als «eine der Hauptursachen der Finanzkrisen» sehen die BefürworterInnen die ungebremste Geldschöpfung. Denn dieses «übermässig geschöpfte Geld» befeuere Spekulationsblasen. Würde Vollgeld umgesetzt, könne die SNB die Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anpassen. Da die SNB neu geschöpftes Geld auch direkt an die Kantone oder den Bund ausschütten könne, würde mehr Geld in die Realwirtschaft statt an die Börsen gelangen. «Die Finanzbranche steht wieder im Dienst der Menschen – nicht umgekehrt», so wird für die Initiative geworben. Klingt das zu schön, um wahr zu sein? Das ist es auch.
Kapitalismus ohne Krise?
Spekulationsblasen auf den Finanzmärkten standen immer wieder am Anfang von schweren Wirtschaftskrisen. Doch die BefürworterInnen verwechseln hier das Symptom mit der Ursache der Krise. KapitalistInnen investieren nicht aus Interesse, Güter zu produzieren, die menschliche Bedürfnisse befriedigen. Sie investieren, um Profit zu machen. Damit sie konkurrenzfähig sind, müssen sie möglichst viel Profit erzielen. Sie investieren in riskante Finanzprodukte, wenn sie sich davon mehr Profit erhoffen als durch die Produktion von Waren. Daraus entstehende Spekulationsblasen sind aber lediglich ein Symptom für mangelnde Profitmöglichkeiten in der Realwirtschaft.
Die Ursache für die Krise seit 2008 ist weder Spekulation noch Geldschöpfung. Im Kapitalismus kommt es regelmässig zu Krisen aufgrund von Überproduktion. Ein Beispiel dafür ist der Erdöl-Markt. 2015 konnten die USA mit neuen Techniken zur Förderung von Schieferöl ihre Erdölproduktion erhöhen. Die Folge war eine Krise in der Erdöl-Branche und ein dramatischer Preiszerfall aufgrund des Überangebots. Ähnlich existiert Überproduktion ihn zahlreichen weiteren Branchen.
Das alles ist das notwendige Resultat der kapitalistischen Produktionsweise, die schon immer zu Krisen führte und es bis zum Ende ihrer Existenz tun wird. Die KapitalistInnen wollen (und müssen!) ihr Kapital aber auch noch vermehren, wenn profitable Investitionsmöglichkeiten in der Produktion abgenommen haben. Deshalb nimmt riskante Börsenspekulation zu. Die Geldschöpfung der Banken mag diese Entwicklung beschleunigen. Sie ist aber weder Grund der Spekulation noch der Krise insgesamt. Stattdessen finden wir die Ursache für die Krise im Trieb des Kapitals, blind immer mehr zu produzieren ohne dabei auf die Schranken der Märkte achten zu können: in der Überproduktion. Folglich stellt die Vollgeld-Initiative auch keine Lösung dar.
Welche Alternative?
Auch eine «faire Marktwirtschaft», was immer das sein soll, kann diese Entwicklung nicht beseitigen. Die Tendenz zur Überproduktion kann nur durch die Aufhebung der Anarchie des Marktes beseitigt werden. Anstelle der Produktion für den Profit der KapitalistInnen tritt eine demokratisch geplante Wirtschaft für die Bedürfnisse aller. Nur so würden die Ressourcen der Gesellschaft «in den Dienst der Menschen» gestellt. Eine demokratische Planung setzt aber voraus, dass die Produktionsmittel der Gesellschaft gehören, nicht einzelnen KapitalistInnen. Man kann nicht kontrollieren, was einem nicht gehört. Wollen wir also die Ursache der Krise bekämpfen, müssen wir Lohnabhängigen die Betriebe übernehmen.
Von solchen Ideen distanzieren sich die Vollgeld-Befürworter natürlich energisch. «Die Vollgeld-Initiative entspricht sehr präzise dem ordoliberalen Gedanken, der eine politisch gesetzte Rahmenordnung als Grundlage für funktionierenden Wettbewerb fordert. Hingegen soll sich der Staat aus dem Wirtschaftsprozess selbst heraushalten.» (vollgeld-initiative.ch)
Ein auf Vollgeld basierendes Finanzsystem hatte bereits vor 2008 AnhängerInnen, vor allem im akademischen Bereich. Aber erst mit der Krise erlebte die Idee eine gewisse Verbreitung über Hörsäle und Seminare hinaus. Bei ihrem technokratischen Marsch auf die grosse Geldreform ignorieren die BefürworterInnen die Massenbewegungen und die historischen Ereignisse, die die Welt in den letzten zehn Jahren in Atem gehalten haben.
Denn für die Herren Professoren im «Wissenschaftlichen Beirat» des Initiativkomitees ist das Problem nicht der Kapitalismus, die Ausbeutung oder Ungleichheit. In ihrer Vorstellung trennt uns lediglich eine Geldreform davon, dass die Wirtschaft «wieder im Dienste der Menschen» steht. Dass die ArbeiterInnen fähig sind, die Wirtschaft demokratisch nach den Bedürfnissen aller zu planen – das käme den Vollgeld-Professoren nicht im Traum in den Sinn. «Das wäre ja Kommunismus!» Ganz genau!
Vollgeld hemmt Klassenbewusstsein
Seit dem Ausbruch der globalen Krise ist es auf der ganzen Welt zu einem Aufschwung des Klassenkampfes gekommen. Auf allen Kontinenten haben sich Massenbewegungen entwickelt und voneinander gelernt. Millionen Menschen nahmen ihr eigenes Schicksal in die Hand und suchten aktiv nach einem Ausweg aus der Sackgasse des Kapitalismus. Ihr Protest richtet sich beispielsweise gegen die allgegenwärtige Abbaupolitik, gegen Arbeitsmarktreformen oder Privatisierungen.
Keine dieser Bewegungen hat sich eine Vollgeld-Reform als Ziel gesetzt. Wieso auch? Denn Vollgeld kann keines dieser Probleme auch nur ansatzweise lösen. Wenige Grosskonzerne teilen die besten Absatzmärkte weltweit unter sich auf – die Vollgeld-Initiative verspricht, sie mit gleich langen Spiessen auszurüsten. KapitalistInnen spekulieren lieber an der Börse als in die Produktion zu investieren. An der Ursache dafür – fehlende Profitmöglichkeiten in der Produktion – ändert Vollgeld nichts.
Wer heute in der Schweiz unter den Folgen der Krise leidet, findet mit Vollgeld keine Antworten. Stattdessen verwischt die Initiative, dass die Krise ihre Ursache in den inneren Widersprüchen des Kapitalismus hat. Indem ein Symptom zur Ursache verklärt wird, behindert die Initiative die Entwicklung des Klassenbewusstseins. Deshalb bietet sie für die ArbeiterInnenbewegung keinen Ausweg.
Als Kritik der Vollgeld-Initiative den Industriestandort Schweiz zu verteidigen und die Wiedereinführung des Franken/Euro-Mindestkurses zu fordern, wie etwa Daniel Lampart, Chef-Ökonom des Schweizer Gewerkschaftsbundes, macht die Sache jedoch keinen Deut besser. Angesichts der globalen Krise ist es unsere Aufgabe, zu erklären: Der einzige Ausweg für die Lohnabhängigen ist, dieses System und seine Krisen ein für alle Mal zu beenden.
Absehbare Niederlage
Der Initiative steht vorerst ein schwerer Abstimmungskampf bevor. Eine breite Front von economiesuisse über die SNB bis zum Schweizer Gewerkschaftsbund sprechen sich gegen die Initiative aus. Ein Sieg unter solchen Bedingungen wäre in der Schweiz einzigartig.
Zwar haben die Abstimmung über die Unternehmenssteuer-Revision und die Rentenreform 2020 gezeigt, dass eine Polarisierung stattfindet. Doch die Vollgeld-Initiative wird davon kaum profitieren können. Denn die BefürworterInnen geben sich betont unpopulistisch. Nach ihrer Darstellung würden einfach alle von einer Annahme profitieren: die Bankkunden, der Staat, die Realwirtschaft, ja sogar die Banken. Das macht es unwahrscheinlich, dass sich das vorhandene Misstrauen gegen die Banker in der Unterstützung der Initiative ausdrücken wird. Damit ist ihre Niederlage an Urne absehbar.
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024
Nah-Ost — von Hamid Alizadeh, marxist.com — 08. 12. 2024
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Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024