Die JUSO Schweiz befindet sich im Entscheidungsprozess um eine neue Initiative. Die marxistische Strömung beteiligt sich aktiv an diesem Prozess und stellt zwei eigene Vorschläge zur Diskussion. In diesem Artikel wollen wir diese vorstellen und damit einen Beitrag zur Entscheidungsfindung innerhalb der Partei leisten.
Auf der nächsten Seite stellen wir unsere beiden Vorschläge für das Initiativprojekt vor. An dieser Stelle möchten wir uns aber zuerst kurz mit der Frage von Sinn und Zweck einer Initiative befassen, sowie Kriterien aufstellen, die ein Initiativthema erfüllen muss, um sich als wirksames Mittel im Kampf gegen den Kapitalismus und im Aufbau unserer Partei zu erweisen. Diese Diskussion soll eine Grundlage für eine fundierte Entscheidung sein, wie ein Projekt angegangen wird, so dass es die JUSO stärkt.
Was wollen wir mit einer Initiative?
Die Erfahrungen mit linken Volksinitiativen zeigen, dass es in der Schweiz noch keine Mehrheit für den Sozialismus gibt, welche bereit und fähig wäre, eine Sozialreform auch gegen die Macht der herrschenden Klasse durchzusetzen. Die Arbeiterbewegung ist schlicht noch viel zu schwach. Falls die Initiative trotzdem angenommen wird, werden sie vom bürgerlichen Parlament entgegen den Interessen der Lohnabhängigen (und dem Sinn der InitiantInnen) umgesetzt. Das Werkzeug der Initiative muss für uns daher in erster Linie dazu verwendet werden, unsere Partei aufzubauen und das generelle Klassenbewusstsein der ArbeiterInnen zu heben. Damit diese Punkte erfüllt werden, muss unsere Forderung in eine allgemeine Perspektive des Klassenkampfs in der Schweiz eingebettet sein. Wir müssen deshalb einerseits schauen, dass wir ein Thema aufgreifen, welches gemäss unserer Analyse in den nächsten Jahren ein zentraler Kristallisationspunkt im Kampf zwischen Arbeit und Kapital sein wird, andererseits, dass wir die Forderung mit unserer allgemeinen Orientierung auf die Jugend verbinden können. Das heisst, wir müssen mit der Initiative Themen aufgreifen, welche die Jugend bewegen und uns erlauben an Schulen und Universitäten für unsere Ideen zu werben und neue Schichten von Jugendlichen zu politisieren und zu organisieren. Natürlich geschieht dies nicht von selbst, sondern die Forderung muss von den Sektionen aktiv an die Schulen und Universitäten getragen werden.
Wir haben daher bereits Kritik am Vorgehen der Geschäftsleitung der JUSO Schweiz geäussert und uns gegen den Entscheid eingesetzt, die Lancierung einer Initiative zu beschliessen, bevor wir wissen, mit welchem Thema wir uns überhaupt beschäftigen sollten. Eine Diskussion zur Entwicklung des Klassenkampfs in der Schweiz und unserer Perspektive als SozialistInnen innerhalb dieser Prozesse wäre nötig gewesen, um eine fundierte Diskussion zu einem neuen Initiativprojekt überhaupt erst zu ermöglichen. Die willkürliche, vor allem durch die Lieblingsthemen einzelner GenossInnen geprägte Diskussion ist die Folge davon. Diese Entscheidung ist jedoch demokratisch getroffen worden und wir sollten nun die Diskussion um das Thema der Initiative so fundiert wie möglich führen.
Im Folgenden führen wir die Überlegungen aus, welche zu unseren Vorschlägen geführt haben. Wir erklären das Potential, welches hinter diesen Forderungen steckt.
Klassencharakter einer Forderung
Wir leben in einer durch und durch von Widersprüchen und Konflikten durchzogenen Gesellschaft. Jede Initiative provoziert daher die Aushandlung eines Interessenskonfliktes. Die Frage, welche Lager sich bei diesem Interessenskonflikt gegenüberstehen sollen, ist daher zentral. Wir wollen die herrschende Klassen besiegen und enteignen, und das geht nur, wenn wir (zukünftige und gegenwärtige) Lohnabhängige uns alle zusammenschliessen und uns nicht nach Geschlecht, Rasse oder Sexualität aufspalten lassen. Wir brauchen Forderungen, welche es uns ermöglichen, die Klassenwidersprüche in der Gesellschaft aufzuzeigen, die Lohnabhängigen über Grenzen der Nationalität, Generation, Religion, Geschlecht etc. auf der Basis ihrer gemeinsamen Bedürfnisse zu vereinen und die Bourgeoisie als das zu entlarven was sie ist: eine parasitäre Minderheit, welche von unserem erarbeiteten Reichtum lebt.
Forderung mit
Übergangscharakter
Als SozialistInnen wollen wir den Kapitalismus überwinden und eine sozialistische Gesellschaft errichten. Unsere Forderung sollten daher immer als Teil dieses Kampfes verstanden werden und das herrschende System an sich in Frage stellen. Während wir bei den bestehenden Kämpfen und Forderungen der Lohnabhängigen und der Jugend ansetzen, muss es uns gelingen, mit unseren Forderung die Grenzen des Kapitalismus aufzuzeigen und dementsprechend mit ihrer Umsetzung bereits einen Aspekt einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft vorwegnehmen. Das heisst, wir müssen auch weitergehende Forderungen in unsere Argumentation aufnehmen, welche einen Ausweg aus der Sackgasse des Kapitalismus aufzeigen. Nur in diesem Zusammenhang ist der Kampf für den Sozialismus nicht mehr eine abstrakte Floskel im Vorwort des Parteiprogramms, sondern ein konkretes Ziel, dass aus den Kämpfen gegen aktuelle Probleme erwächst.
Schluss mit Mietwucher – für die Kostenmiete
Die Forderung, die mit diesem Projekt aufgestellt wird, ist die Einführung einer flächendeckenden Kostenmiete in der ganzen Schweiz. Das heisst Vermieter von Gewerbe- und Wohnflächen dürfen als Miete nicht mehr verlangen als sie für Unterhalt und Verwaltung ausgeben. Damit würde der gesamte Wohnungsmarkt der Profitlogik entzogen. Oft ist der Mietzins einer der grössten Ausgabeposten im monatlichen Budget der privaten Haushalte. Aber natürlich betrifft diese Problematik alle, welche in einer Mietwohnung wohnen. Das Gegenüber in diesem Konflikt sind die Immobilienhaie, welche mit der Tatsache, dass jeder ein Dach über dem Kopf braucht, gewaltige Profite machen. Die Frage der Mieten ist bei den jungen Erwachsenen ein zentrales Thema. Ob sie das Bedürfnis haben, auszuziehen und Mühe haben, eine günstige Wohnung zu finden, ob sie vom Elternhaushalt die starke Belastung des Haushaltsbudgets mitbekommen, oder ob sie zusammen mit KollegInnen einen Bandraum mieten oder sich sonstigen Freiraum schaffen wollen. Zudem bietet das Thema Wohnraum und Freiraum eine Vielfalt an möglichen Aktionsformen, um für Aufsehen zu sorgen. Die Forderung polarisiert die Diskussion entlang der Klassenlinien. Wenn wir also die Frage der Mieten betrachten ist klar, dass auf der einen Seite die Besitzenden stehen, welche Häuser besitzen und diese zu Profitzwecken vermieten, während auf der anderen Seite die grosse Mehrheit der ArbeiterInnen stehen, welche einen grossen Teil ihrer Löhne direkt an die Hausbesitzer abdrücken müssen, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Zudem müssen die Besitzenden in der Debatte erklären, warum es gerechtfertigt ist, dass der schiere Umstand, dass sie ein Haus besitzen ihnen erlaubt, Gewinn aus der Vermietung zu machen. Der parasitäre Charakter des Grundbesitzes wird so den MieterInnen klar vor Augen geführt. Eine solche Initiative hätte auch klar eine systemsprengende Komponente und würde eine Diskussion um das kapitalistische System an sich provozieren.
Wenn wir eine Forderung nach Kostenmiete stellen heisst das, dass man uns entgegenhalten wird, niemand würde mehr Wohnungen zur Verfügung stellen. Für uns ist dies jedoch kein Argument gegen diese Forderung, sondern im Gegenteil ein weiterer Beweis, dass dieses System nicht einmal in der Lage ist, einfachste Forderungen der ArbeiterInnenschaft zu erfüllen. Wir akzeptieren die Gesetze des Kapitalismus nicht, sondern zeigen einen Ausweg auf. In der Kampagne müssen wir also klar sagen, dass, wenn die Besitzer der Mietwohnungen sie nicht mehr vermieten wollen (und sie werden das nicht mehr wollen), wir sie enteignen und den Wohnraum unter demokratische Kontrolle stellen müssen. Somit nehmen wir weitgehende Elemente sozialistischer Wohnpolitik vorweg und zeigen das Potential demokratischer Planung auf.
Privatisierungsstopp
Diese Initiative fordert einen sofortigen Stopp von Privatisierungen. Sowohl in der Schweiz als auch International ist der Verkauf von staatlichen Betrieben ein wichtiges Werkzeug der herrschenden Klasse, um den Service Public abzubauen, Löhne zu senken und wichtige Wirtschaftssektoren der Profitlogik zu unterwerfen. Die Privatisierungsfrage kann sehr gut mit dem Kampf gegen Sparpakete verbunden werden, da Privatisierungen und Sparmassnahmen oft Hand in Hand gehen. Auch im Kampf gegen neoliberale Abkommen wie TTIP oder TISA wäre eine solche Initiative ein wirksames Mittel. Die Privatisierungsfrage ist indirekt mit der Jugend verbunden. Einerseits sind Privatisierungen ein wichtiges Instrument in der Sparpolitik der herrschenden Klasse, also ein Thema das die Jugend immer wieder von neuem bewegt. Privatisierungen betreffen den ÖV, die Bildung, Gesundheitsversorgung etc. Das sind alles Themen, welche die Jugend entweder als KonsumentInnen, SchülerInnen oder als Lernende direkt betreffen. Zudem hat die Frage der Privatisierung auch in Bezug auf neoliberale Freihandelsabkommen immer wieder zu heftigen Reaktionen der Jugend geführt. Die Radikalisierungen rund um TTIP/TISA zeigen auf, dass dieses Thema auch bei der Jugend sehr präsent ist. Ein solcher Vorstoss wäre aber auch ein kraftvolles Werkzeug um bereits bestehende gewerkschaftliche Kämpfe zu vereinen und die Zusammenarbeit mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung voranzutreiben. Internationale Erfahrungen zu Privatisierungen zeigen deutlich, dass sie zu schlechteren Arbeitsbedingungen, schlechterer Qualität und tieferen Löhnen führen. Zudem wird das Konzept des Service Public untergraben, da profitorientierte Unternehmen nur profitable Bereiche eines Unternehmens weiterführen. Auf dieser Basis können wir die Bürgerlichen entlarven und aufzeigen, dass einzig die Perspektive von Profiten sie dazu veranlasst, Privatisierungen voranzutreiben. Auch hier werden die Klassenlinien offen zutage treten. Die Lohnabhängigen und die Jugend will in erster Linie eine günstige und funktionierende gesellschaftliche Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, ÖV, Bildung etc., während sich die Besitzenden auch gut mit teureren privaten Alternativen zurechtfinden und aus diesen grosse Profite schlagen können. Das Privatisierungsverbot kann ebenfalls einen systemsprengenden Charakter annehmen. Bei der Forderung nach einem Privatisierungsstopp stellen wir direkt die Frage nach dem Eigentum und der Kontrolle über wichtige Bereiche der Infrastruktur und des Service Public. Vor allem wenn die demokratische Planung des Service Public, der Gesundheitsversorgung und Bildung durch die Lohnabhängigen, PatientInnen und SchülerInnen als zentrales Thema gesetzt wird, können wir die Überlegenheit zur privaten Profitwirtschaft aufzeigen. Wir können also den Kampf gegen den Ausverkauf der Errungenschaften mit einer sozialistischen Planung unserer Infrastruktur und der freien Zugänglichkeit zu den wichtigsten Gütern und Dienstleistungen verbinden.
Diese Vorschläge sind noch nicht vollständig ausformuliert sondern sollen vielmehr zwei Ideenskizzen, zu welchen wir uns ein Inititativprojekt vorstellen können. Die genaue Formulierung der Forderung, welche der bürgerliche Staat zulässt, wird noch genauer abgeklärt werden müssen. Wir fordern alle dazu auf unsere Vorschläge zu Unterstützen und bei der Ausarbeitung Ideen einzubringen.
Die Redaktion
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