Zum Jubiläum der Protestbewegung, welche 2011 in Downtown New York ihren Anfang nahm, publizieren wir einen Artikel, welcher im November 2011 im Funke #18 erschienen ist. Die Autorinnen gehen dabei nicht nur auf das Geschehen in den USA, sondern auch auf die internationale Occupy-Bewegung, inklusive „Occupy Paradeplatz“ ein.


Was Mitte September mit der Protestbewegung „Occupy Wall Street“ begann, weitet sich rasant aus. Vor allem junge Menschen gehen auf die Strasse und besetzen Plätze, um ihren Unmut über die ungerechte Verteilung des Geldes, die harten gesellschaftlichen Bedingungen und das korrupte Banksystem an sich kundzutun. Diese neue Bewegung ist global; doch welches sind ihre Perspektiven?

Wir leben in einer Periode des Kapita­lismus, in welchem die Interessen der global Herrschenden immer deutlicher zutage treten. Offen zeigt sich die Finan­zoligarchie als Puppenspieler der nati­onalen Bourgeoisien und deren Politik. Und die anhaltende Weltwirtschaftskrise setzt nun auch den letzten Träumereien von einem sozialen Kapitalismus ein klares Ende. Doch der globale Missstand erzeugt auch globalen Widerstand. Ara­bischer Frühling, europäischer Sommer und nun auch amerikanischer Herbst – die Massen haben dem Kapital den Kampf angesagt! Die neuste Erscheinung in diesem Feldzug ist die Occupy- Bewe­gung, welche sich von New York aus über andere Grossstädte wie Boston, Chicago und Miami ausgebreitete und nun auch in Europa angekommen ist. Spontan als Funke entstanden, breitet sich diese Be­wegung wie ein Lauffeuer über nationale Grenzen und Gesellschaftsschichten aus.

Alles begann in New York
Ausgerufen wurde die Occupy- Bewe­gung von dem kanadischen Journal „Ad­busters“, welcher gegen den massiven Konsumterror kämpft. Am 17. September fanden sich hunderte Menschen auf dem Zuccotti Park in New York ein und besetz­ten diesen. Auf dem Platz wurde und wird diskutiert, campiert, gegessen, Bücher an Ständen angeboten usw., und rings um den Park lauerte die Polizei und wartete auf Ausschreitungen. Die Occupy Wall­street wurde von der amerikanischen Presse erst totgeschwiegen, dann als eine Art bunt zusammengewürfeltes Fest dargestellt. Dies änderte sich aber nach einem Zwischenfall, bei dem die Polizei zwei Frauen mit Pfefferspray attackierte und als sich die Gewerkschaften offiziell einklinkten. Seitdem ist es nicht mehr möglich die Bewegung zu ignorieren.

Nun hat die Occupy einen neuen Höhe­punkt in Oakland (California, Westküste) erreicht. Nachdem es am 25. Oktober zu Polizeigewalt gegen die Protestierenden gekommen ist (gewaltsame Platzräu­mung, Demolierung der Zeltplätze unter Einsatz von Tränengas, Knallgranaten und Gummischrot), hat die Bewegung mit Unterstützung der wichtigsten loka­len Gewerkschaften einen 24stündigen Generalstreik ausgerufen, der am 2. No­vember erfolgreich stattfand. Die Soli­darität in der Bevölkerung mit der Oc­cupy- Bewegung ist in den Staaten nach mehreren polizeilichen Angriffen auch in anderen Städten massiv gewachsen. Und immer mehr schalten sich auch Gewerk­schaften und unabhängige Organisati­onen ein, welche sich mit der Bewegung solidarisieren.

Die Massen rebellieren
Das Phänomen der spontanen Massen­bewegungen und Besetzungen von Stadtteilen konnten wir schon in der ara­bischen Revolution und in Griechenland beobachten. Öffentliche Bereiche, wur­den von der Bevölkerung eingenommen und über Wochen friedlich verteidigt. Die Beteiligung an diesen Aktionen wuchsen stetig, Menschen aus allen Gesellschafts­schichten kamen zusammen und bil­deten eine riesige Diskussionsplattform für ihre unterschiedlichen Interessen und Forderungen. Viele wussten nicht was sie wollten, doch sie alle wussten genau, was sie nicht wollten: Dieses System der Ausbeutung und Unterdrückung!

Somit ist die Occupy- Bewegung, wie auch die anderen Massenbewegungen im Laufe des letzten Jahres, Ausdruck einer tiefen und weit verbreiteten Un­zufriedenheit. Grund dafür ist einerseits der gesunkene Lebensstandart in den letzten Jahren, nicht nur der Unter­schicht, sondern auch grosser Teile der Mittelschichten, andererseits das wach­sende Bewusstsein für die krass unge­rechte Vermögens- und Besitzverteilung in der kapitalistischen Gesellschaft. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist so hoch wie seit 52 Jahren nicht mehr: Offiziell sind mehr als 14 Millionen Amerikane­rInnen arbeitslos und die Dunkelziffer ist weit höher. Die Lohnschere wird immer grösser und viele AmerikanerInnen sind wegen des Kredit(-karten)systems hoch verschuldet. Und dies obwohl die Wirt­schaft überaus produktiv ist, und der ge­sellschaftliche Reichtum sehr gross. Vor allem die Jugend sieht sich einer immer grösseren Unsicherheit und Perspekti­venlosigkeit gegenübergestellt – dies nicht nur in den Vereinigten Staaten son­dern weltweit. Die daraus resultierende Wut und Frustration dringt an die Ober­fläche und entlädt sich auf der Strasse. Spanien, Italien, England, Israel und viele weitere Beispiele zeigen, wie gross und weitverbreitet diese Wut ist.

Occupy Paradeplatz
Am 15. Oktober fand diese Wut, neben 1500 anderen Städten weltweit, ihren Weg in die Schweiz. In Genf, Basel und Zürich trafen sich die „Empörten“ für eine friedliche Platzbesetzung. In Zürich fand diese auf dem Paradeplatz statt, welcher von über 1000 Menschen besetzt wur­de. Mit dem Slogan „Rettet Menschen, nicht Banken“ nahmen verschiedenste Gruppierungen und (Jung-)Parteien teil; vor allem die JUSO war sehr präsent und aktiv an den Gesprächen beteiligt. Die Platzbesetzung gestaltete sich sehr bunt und kreativ, so breit der Unmut in der Gesellschaft, so bunt äusserte sich die Kundgebung. An der Vollversamm­lung am Nachmittag teilten die Teilneh­merInnen ihre Ansichten mit kleinen Statements und Forderungen mit. Viele Forderungen waren nicht konkret und unpolitisch, stellten aber eine Möglich­keit dar, die verschiedenen Missstände in der Schweiz und weltweit aufzuzeigen. So wurden verschiedene Themen wie das Bankensystem, die harten Arbeitsbedin­gungen, die Flüchtlingspolitik und wei­teres angesprochen. Klare Forderungen wurden nicht beschlossen. Man war sich aber einig, den Platz nicht zu räumen und so campierten rund 40 AktivistInnen über Nacht auf dem Paradeplatz. Diese wechselten am Sonntagabend friedlich den Standort auf den Lindenhof, wo sie sich immer noch aufhalten. Der Parade­platz wird seitdem jeden Samstag be­setzt. Warum aber wählen die Massen die Strassen und Plätze und nicht die Politik, um ihrem Unmut Gehör und Platz zu ver­schaffen?

Bewusstseinssprünge – Eine globale Bewegung
Tausende, die an der Bewegung teilneh­men, waren bis zum Ausbruch der Bewe­gung nicht politisch aktiv und es reichte ein Funke, um dies zu ändern. Die Radi­kalisierung und Politisierung der Massen spiegelt sich aber nur spärlich oder gar nicht auf parlamentarischer Ebene wie­der. In den meisten europäischen Län­dern zeichnet die Wahlbeteiligung eine anhaltende Abwärtskurve (auch in der Schweiz befindet sich die Wahlbeteili­gung seit Ende der 70er unter 50% , im Vergleich dazu lag sie in den 20/30ern fast bei 80%). Wahlanalysten behaupten, Schuld daran sei das völlige Desinteresse der Bevölkerung an Politik. Schaut man sich jedoch die Massenproteste und De­monstrationen an, wird schnell klar, dass dem nicht so ist. Nur haben die Arbeite­rInnen keine Illusionen in die bürgerliche Demokratie mehr. Ob rechte oder linke Regierung, die Politik bleibt die gleiche: Die hart erkämpften Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse werden in grossen Brocken abgebaut. Massenent­lassungen, Auslagerungen, massive Ver­schlechterungen der Arbeitsbedingun­gen und Aushöhlung des Sozialstaates stehen auf der Tagesordnung. Und das auch unter sozialdemokratischen Parla­menten, wie Griechenland, Spanien und auch die USA gezeigt haben.

Politische Führung
Die spontane Versammlung auf der Stras­se – ohne Führung, ohne Organisation mag auf den ersten Blick positiv erschei­nen, kann die Bewegung so all die ver­schiedenen Meinungen und Individuen in sich vereinen und so grösser und brei­ter auftreten. Diese Heterogenität mag momentan ihre grösste Stärke sein, wird sich jedoch unweigerlich in ihre fatalste Schwäche verwandeln. Damit diese Be­wegung so vielfältig bleibt, muss sie nämlich jegliche Konkretisierung ihrer Ziele verweigern, einzig der gemeinsame Hass auf die Finanzoligarchie bleibt. Doch schon allein bei der Frage, wie denn diese bekämpft werden soll, gehen die Meinun­gen entschieden auseinander. Folglich hat die Bewegung trotz der antikapita­listischen Einstellung keine Führung und kein klares Programm, da alles mittels Konsensfindung entschieden wird. Durch die ebendiese stete Konsensfindung ist die Bewegung wenig handlungsfähig. So besteht die Gefahr, dass die entstandene Energie wirkungslos verpufft.

Frage der Demokratie
Auch die betriebene „absolute Basisde­mokratie“ an den Versammlungen ist widersprüchlich. Ohne jegliche Führung wird versucht praktische und theore­tische Fragen zu klären, ohne dabei vom Fleck zu kommen. DemonstrantInnen, welche arbeiten, haben aber nicht die Ka­pazität stundenlange, wenn nicht tage­lange Diskussionen mitzuverfolgen, bis Entscheidungen gefällt werden können. Einmal abgesehen von der extremen In­effizienz solcher Strukturen (schon über die simpelsten Fragen wie Toilettenvor­richtungen wird stundenlang diskutiert), wird auch die Entscheidungsmacht de­nen überlassen, welche am meisten Zeit investieren können – Eine informelle Füh­rung bildet sich. Dann wird schnell klar, dass eine demokratisch gewählte Füh­rung den Anspruch einer Demokratie viel eher erfüllen würde, als diese sogenann­te „basisdemokratische“ Methode es tut. Demokratisch- zentralistische Strukturen würden den Diskussionen ausserdem einen vernünftigen Rahmen setzen, Ab­stimmungen leiten und deren Beschlüsse effizient umsetzen.

Was tun?
Der wichtigste Schritt ist, dass sich aus der Bewegung ein politisches Programm entwickelt, mit klaren Perspektiven und Forderungen! Es muss sich eine direkt gewählte Führung herausbilden, welche rechenschaftspflichtig und handlungsfä­hig ist, um die Bewegung weiterzufüh­ren. Die Bewegung muss global vernetzt werden, um organisiert aktiv zu werden: Es müssen weltweit klare Punkte ausge­arbeitet werden, die definieren, für was man einsteht und was es zu verändern gilt. Konkrete Forderungen, wie beispiels­weise die Verstaatlichung der Banken un­ter demokratischer Kontrolle der Ange­stellten, sind essentiell um der Bewegung ein klares politisches Profil zu geben, mit dem sich auch die restlichen Arbei­terInnen identifizieren können. Bleibt dieser Protest unklar und perspektiven­los, werden sich die jetzt noch enthusias­tischen und kämpferischen AktivistInnen enttäuscht abwenden und die Bewegung wird sich im Nichts verlaufen. Denn was kann man schon erreichen, wenn man sich nicht auf die Fahne schreibt, was man erreichen will?

Es muss klar sein, nicht nur gegen wel­che Interessen die Protestbewegung sich stellt, sondern auch für welche In­teressen sie kämpft – die Interessen der Arbeiterschaft, der Arbeitslosen und Mi­grantInnen! Das kann sie nur, indem sie kompromisslos für Arbeitsplätze, Verbes­serungen der Arbeitsbedingungen und soziale Einrichtungen kämpft.

Organisierung der ArbeiterInnenklasse
Gerade jetzt, da die ArbeiterInnen den Kampf in ihren Betrieben gegen Restruk­turierungsmassnahmen aufnehmen und auch die Gewerkschaften vom Bruch mit dem jahrzehntelang anhaltenden Arbeitsfrieden sprechen, muss sich eine Occupy- Bewegung klar positionieren. Die Verbindung mit konkreten Arbeits­kämpfen in den Betrieben, die Errichtung von Betriebsräten und die Vernetzung mit diesen müssen als Grundlage für die Umsetzung einer bewussten Klassenpo­litik von Unten dienen. Die Solidarisie­rung mit Streiks und Demonstrationen stärkt die eigene Bewegung und erhöht die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen­klasse. In diesen Fragen keine Position zu beziehen ist gleichbedeutend mit einer bewussten Sabotage dieser Kämpfe. Sich von der ArbeitnehmerInnen zu isolieren würde der eigenen Bewegung den Bo­den unter den Füssen wegziehen, da die Legitimation einer Protestbewegung in seinem konsequenten Kampf für die In­teressen der unterdrückten Klasse liegt. Als Konsequenz muss sich die Occupy deshalb auch mit den Gewerkschaften und linken Parteien (In der Schweiz sind die JungsozialistInnen bereits sehr aktiv, wir verlangen das aber auch von der Sozi­aldemokratie!) vernetzen, wie das in den Staaten teilweise schon der Fall ist. Die Organisierung der ArbeitnehmerInnen wird so nicht nur auf der Strasse, sondern auch in den Betrieben und Schulen vo­rangetrieben und gewinnt durch die Teil­nahme der Parteien an politischem Profil und Stärke.

Für den Sozialismus!
Doch die unmittelbaren wirtschaftlichen Forderungen müssen im Kontext eines politischen Programmes stehen. Die Wirtschaftskrise mit ihren längerfristigen Folgen für die ArbeitnehmerInnen kann nicht einzig durch Betriebskämpfe und Demonstrationen gelöst werden. Selbst wenn durch siegreiche Kämpfe gewisse Verbesserungen erreicht werden konn­ten, leben wir nun in einer Periode des Kapitalismus, da solche Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse nicht mehr möglich sind. Der Lebensstandart wird längerfristig sinken, deshalb braucht es eine fundamentalere Lösung, um die Widersprüche im System zu lösen – nur eine geplante Wirtschaft unter demokra­tischer Kontrolle, nur der Sozialismus also kann diese lösen! Es wird ein harter und beschwerlicher Kampf bis zur Erreichung dieses Ziels sein, verbunden mit herben Rückschlägen, Zeiten der Endtäuschung und Desillusionierung. Revolutionen wer­den sich mit Gegenrevolutionen ablösen, überschwellende Kampfbereitschaft mit lähmender Frustration, und doch wird nichts an der Frage vorbeigehen: Sozialis­mus oder Barbarei?

Diese Frage wird sich immer deutlicher stellen und wir können sie nur zufrie­denstellend beantworten, wenn wir ihr organisiert und mit der Waffe eines revo­lutionären Programms entgegentreten. Nur eine revolutionäre Partei kann diese Aufgabe übernehmen. Deshalb organsie­ren wir uns in der Schule, im Betrieb, im Quartier und auf politischer Ebene, denn wir alle, die 99%, können den Kapitalis­mus bezwingen!

R. G., Juso Sektion Thurgau

Olivia Eschmann, Juso Sektion Basel