[dropcap]D[/dropcap]ie JUSO wählt das zweitwichtigste Mandat innerhalb der Partei neu. Durch den Abgang von Dario Schai wird das Zentralsekretariat am 23. April 2016 gewählt. Aus der Sicht der Zeitschrift «der Funke» ist es wichtig, dass auch diese Wahl eine inhaltliche und eine politische Frage ist. Damit wir uns detaillierter mit den Positionen der Kandidatinnen und Kandidaten auseinander setzen können, haben wir diesen einige Fragen gestellt. Dabei haben wir Themen gewählt, die in der Partei nicht ganz unumstritten sind und wir gehen auch grundsätzlich auf die Arbeitsweise und den Aufbau der Juso ein. Wie soll sich die JUSO in aktuellen Fragen, wie der EU- oder Regierungsbeteiligung positionieren? Was sind die grössten Baustellen der JUSO? Diese Fragen versuchen sie hier ebenso zu beantworten, wie welche historischen Vorbilder sie der Schweizer Linken als Vorbild empfehlen.

Nach welchen Kriterien soll sich die SP Schweiz entscheiden, Exekutivämter anzustreben? Welche Positionen sollen diese Politiker_innen dann vertreten und wie kann die Parteibasis dies effektiv kontrollieren?

 

Gian Luca Bonanomi:GianLuca

Grundsätzlich ist es sehr wichtig, linke Exekutivpolitiker_innen auf allen Ebenen einbringen zu können, da sie bei einer funktionierenden Zusammenarbeit mit unseren Legislativpolitiker_innen unsere Kämpfe auf parlamentarischer Ebene stark vorwärtsbringen können. Gibt beispielsweise eine linke Regierungsrätin der SP frühzeitig Hinweise darauf, wo eine bürgerlich dominierte Exekutive kürzen will, kann die SP – im Idealfall – proaktiv darauf reagieren und entsprechende Basisarbeit leisten, um dann im Ernstfall sofort zur Stelle zu sein. Ausserdem haben Exekutivpolitiker innerhalb ihres Bereichs oft grossen Einfluss auf beispielsweise Personalfragen und können dort viel bewirken.

In der Realität sieht das momentan leider oft etwas anders aus: Einerseits stellt die SP oft Exekutivpolitiker wie Mario Fehr, die keine solide linke Politik betreiben und sich nicht der Parteibasis verpflichtet fühlen. Für solche Ämter sollten aber nur Genossinnen und Genossen in Frage kommen, welche diese Bezeichnung auch wirklich verdienen. Dies könnte im Voraus über deren Leistungsnachweis abgeschätzt und bei einer allfälligen Wahl mit konkreten Versprechen festgehalten werden. Werden diese dann im Amt nicht eingehalten, müssen wir auf eine Korrektur pochen und diese mit allen Mitteln erzwingen – sonst ist ein Rücktritt Pflicht.

Andererseits sind unsere Exekutivpolitiker in bürgerlichen Regierungen oft gezwungen, Politik mitzutragen, hinter der wir als Linke nicht stehen. Das ist in solchen Gremien immer der Fall, problematisch wird es erst dadurch, dass sich die SP in solchen Situationen nicht kritisch von ihren Exekutivpolitikern abgrenzt und gegen die Regierung schiesst, wie das beispielsweise die SVP macht, wenn Entscheide nicht in ihrem Sinne gefällt werden.

Das Problem liegt meiner Meinung nach also im Umgang der SP mit der Regierungsbeteiligung und nicht in der Regierungsbeteiligung per se. Als JUSO müssen wir deshalb dafür kämpfen, dass die SP anders mit ihren Exekutivpolitikern umgeht anstatt für einen kompletten Rückzug aus der Regierung.

 

Mia Gujer:Mia (2)

PolitikerInnen in Exekutivämtern stehen stark im Interesse der Öffentlichkeit. Daher ist es wichtig, dass die SPS den Anspruch an eine hohe ideologische Verbindlichkeit der Kandiderenden mit der SPS hat. Sie sollen nicht in dieses Amt wollen, weil sie eine Karriere anstreben oder sich selber gerne in der Zeitung sehen, sondern weil sie etwas verändern wollen. Wir dürfen die Entscheidungskompetenzen der Exekutivämter nicht den Bürgerlichen überlassen, denn es ist wichtig, dass wir dort einen linken Einfluss haben. Gerade auch was die Asylfrage betrifft. Es ist wichtig, dass die Personen ein historisches Bewusstsein haben, damit Fehler nicht wiederholt werden und man mit einem gewissen Weitblick das Amt ausführt. Mir persönliches ist es zusätzlich ein wichtiges Anliegen, dass sich die Person für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt und diese als oberstes Gesetz bei all ihren Entscheidungen sieht.

Die beste Kontrolle ist die Basisdemokratie. Wir haben die Möglichkeit die ParlamentarierInnen, welche sich nicht an Parteitagsbeschlüsse halten nicht mehr aufzustellen, sprich sie nicht mehr für ihre Ämter zu nominieren. Von dieser Möglichkeit sollte die Basis öfters Gebrauch machen und allfällige ParlamentarierInnen die nicht mit der Basis politisieren und sich zu oft davon distanzieren abwählen.

 

Sebastian Werlen:Sebastion

Wenn es um die Mitwirkung in einer Exekutive geht, muss man sich vor allem die Frage stellen: Bringt das etwas? Das Ziel muss sein etwas zu bewirken und nicht einfach nur mitzumachen. Konkret bedeutet das für mich, dass die SP Kandidaten aufstellen muss, welche die Werte und Positionen der Partei vertreten und nicht nur auf dem Papier Sozialdemokraten sind. Die Parteibasis kann und soll das bei der Aufstellung der Kandidaten kontrollieren. Aus meiner Sicht ist es aber richtig und wichtig, dass die SP Exekutivämter anstrebt.


Was sind die nächsten Aufgaben der Juso im weiteren Aufbau der Partei? Wie bewältigen wir diese? Was willst du verändern gegenüber dem bisherigen Kurs?

 

Gian Luca Bonanomi:

Die JUSO ist in den letzten Jahren immer weiter gewachsen: Sowohl was die Anzahl Mitglieder als auch das politische Know-how, die Parteistrukturen und die Aktivität anbelangt. Ich habe den Eindruck, dass diese Entwicklung etwas ins Stocken geraten ist. Zwar haben wir mit der Spekustopp-Initiative mit 40% von aussen gesehen ein Glanzresultat hingelegt, die Sektionen gingen aber nicht wirklich gestärkt aus der Kampagne hervor. Über die Gründe dafür müsste man diskutieren, wichtig ist aber auf jeden Fall, dass wir im kommenden Jahr die Gratwanderung zwischen Eigenständigkeit der Sektion und einheitlichem Auftreten als JUSO nach Aussen wieder besser hinkriegen.

Ein anderes – wichtiges – Beispiel ist die Romandie, die mit ihren Anträgen an der JV ihre Unzufriedenheit deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Diese Stimmen müssen wir ernst nehmen und schauen, was genau an der Kritik dran ist. Dazu braucht es ein gutes Verständnis dieser Probleme und die Bereitschaft, sich wirklich vertieft auf sie einzulassen.

Ich persönlich sehe eine gewisse Gefahr des Party-Hypes: Es ist für unsere Bewegung zwar unglaublich wichtig, dass wir es lustig zusammen haben und uns auch den einen oder anderen Spass erlauben dürfen, solide inhaltliche Arbeit kann aber nicht überschätzt werden. Hier muss bei der Basis wieder vermehrt die Lust geweckt werden, sich vertieft mit inhaltlichen Fragen auseinander zu setzen.

 

Mia Gujer:

Die JUSO steht nach ihren vielen Erfolgen am Scheideweg. Die Gratwanderung zwischen Professionalisierung und freiwilligen Engagement wird immer schmaler. Wir müssen aufpassen, dass wir mit unseren Quoten, Wettbewerben und Gewinnoptimierungen nicht ein Teil der Leistungsgesellschaft werden. Meiner Meinung nach, haben wir uns ein Stück weit bereits dem System angepasst. Ich will wieder mehr Aktivismus in die JUSO bringen, provokative Aktionen machen und den Menschen aufzeigen, dass der Kapitalismus nur einigen wenigen dient. Es ist wichtig dass wir den AktivistInnen unsere Wertschätzung zeigen für ihre unglaubliche Arbeit die sie leisten und für all die Zeit welche sie in die JUSO investieren. Wir müssen aufhören Personen für Kampagnen aufzubrauchen. Wir sagen ja selbst immer “Die haben zwar Geld, aber wir die Menschen” was machen wir also wenn wir plötzlich keine Menschen mehr haben? Wir müssen wieder mehr Verantwortung für unsere Mitglieder übernehmen und sie nicht mehr nur als Arbeitskraft betrachten. Wir müssen wieder basisdemokratischer sein und verhindern, dass einige Wenige in der Partei eine Machtposition erlangen und so versuchen Entscheidungen massgebend zu beeinflussen.

Bis zum Sommer werden viele Plätze in der Geschäftsleitung frei. Es ist wichtig, dass wir jetzt die Richtigen Personen wählen, denn diese werden die nächsten Jahre der JUSO prägen. Ich hoffe durch meine Kandidatur und meine eventuelle Wahl, einen wichtigen Unterschied leisten zu können.

 

Sebastian Werlen:

Die Juso muss weiter wachsen und weiter Mitglieder gewinnen. Diese Mitglieder dürfen aber keine Karteileichen sein, wie in den anderen Jungparteien, sondern müssen in die aktiven Strukturen der Partei eingebunden werden. Ein wichtiger Teil der Parteiarbeit muss die Bildung sein, nicht nur thematische sondern auch organisatorische. Zudem ist es für mich wichtig, dass die Juso ihren Einfluss in der SP verstärkt, sowohl in den Sektionen als auch national. Mit dem jetzigen Kurs bin ich in grundsätzlich zufrieden.


Die Lernendenkampagne ist leider nicht so gelaufen, wie es sich viele in der Partei gewünscht hätten. Hättet ihr in der Kampagne etwas anders gemacht, wenn ja was?

 

Gian Luca Bonanomi:

Das strukturelle Hauptproblem der Lernendenkampagne war meiner Ansicht nach, dass man zu sehr versucht hat, als JUSO (ohne als «Studentenpartei» Glaubwürdigkeit in Lernendenfragen zu haben) von aussen an die Berufsschulen zu gehen und die Lernenden abzuholen. Es wäre wohl zielführender gewesen, zuerst eine solide Bestandsaufnahme zu machen und zu schauen, an welchen Berufsschulen wir Leute haben, und diese dann intensiv im Aufbau einer Berufsschulgruppe zu unterstützen, denn eine Lernendenbewegung muss von den Lernenden selbst gewollt und organisiert werden und kann von uns zwar unterstützt, aber keinesfalls aufgezwungen werden. Ähnliches probieren wir erfolgreich im Kanton Zürich, wo wir nach dem «Tag der Bildung» unsere Mitglieder und linke Interessent_innen an den Schulen dabei unterstützen, weiterhin aktiv zu bleiben und gemeinsam weitere Aktionen durchzuführen.

Man kann aber nicht leugnen, dass von Seiten JUSO Schweiz zu wenig Ressourcen zur Verfügung standen und das Projekt von grossen Teilen der Basis nicht genügend mitgetragen wurde – so kann kein Projekt funktionieren. Hier bräuchte es bei einem nächsten Projekt einerseits mehr Bereitschaft der JUSO Schweiz, auch unliebsame Projekte stark zu fördern und andererseits mehr Überzeugungsarbeit in den einzelnen Sektionen, indem insbesondere stärker aufgezeigt wird, wie sich Student_innnen und Schüler_innen engagieren können, die oft grosse Hemmungen hatten, Lernende auf ihre Probleme anzusprechen.

 

Mia Gujer:

Bei der Lernendenkampagne fehlte die Verbindlichkeit zum Projekt. Um dem entgegen zu wirken, hätte die Geschäftsleitung mehr bei den Sektionen nachfragen sollen wie weit sie denn nun sind in der Kampagne schon sind. Da wäre eine Einstellung mit höheren Stellenprozent auch eine Möglichkeit gewesen, welche leider nicht genutzt wurde. Grundsätzlich ist es halt immer einfacher ein Initiativprojekt voranzubringen als eine Kampagne, die weniger Druck von aussen mit sich bringt (wie z.B auch der Sparalarm, welcher nicht de gewünschte Wirkung erbrachte). Ich finde es wichtig und richtig, dass wir diese Kampagne gemacht haben und hoffe, dass wir trotzdem aus dem Projekt wichtige Schlüsse für zukünftige Kampagnen ziehen und parteiintern auf die Anliegen der Lernenden und die Problematiken der Lehre sensibilisieren konnten.

 

Sebastian Werlen:

Die Lernendenkampagne lief suboptimal. Auch ich muss zugeben, dass ich sie leider im Oberwallis vernachlässigt habe. Die Juso muss die Ziele der Lernendenkampagne weiterverfolgen und sie zu einem wichtigen Teil der Grundstrategie der JUSO machen.

Lehrlingskampa


Sollte die Juso Schweiz sich für einen Beitritt zur europäischen Union aussprechen? Wenn nicht, welche andere Form der europäischen Integration unterstützt du?

 

Gian Luca Bonanomi:

Wenn die Schweiz – und damit wir JUSOs – die EU verbessern will, wird ein Beitritt nötig sein und die JUSO wird sich dafür aussprechen müssen. Die momentane Situation mit den Bilateralen Verträgen ist zwar grundsätzlich positiv, gibt uns aber zu wenig Mitsprachemöglichkeiten und ist nicht stabil genug, um den stetigen Angriffen von rechts auf Dauer standzuhalten. Allgemein braucht es aber zunächst eine deutlich stärkere und vor allem besser vernetzte und solidarischere europäische Linke, sowie eine wahre internationale Gewerkschaftsunion. Erst dann macht ein EU-Beitritt der Schweiz Sinn und wir können unsere Ansichten so einbringen, dass Katastrophen wie die momentane Austeritäts- oder Flüchtlingspolitik der EU verhindert werden. Selbstverständlich würde ich aber in dieser Frage – wie auch sonst – eine andere Entscheidung der Basis mittragen und voll unterstützen.

 

Mia Gujer:

Das Konstrukt der EU ist, meiner Beurteilung nach, intransparent und antidemokratisch. z.B hat jedes Land hat ein Vetorecht, so können Entscheidungen nicht nach der Mehrheit gefällt werden. Das ParlamentarierInnen in Gremien gewählt werden, welche sich öffentlich gegen die EU aussprechen, zeigt zusätzlich, dass die Bevölkerung kein Vertrauen in dieses Organ hat und ich bin mir nicht sicher, ob dieses Vertrauen in der nächsten Zeit wieder hergestellt werden kann. Wir scheitern ja schon an der Frage über die Verteilung des Flüchtlingsstroms. Eine Konstruktive Zusammenarbeit ist momentan schlichtweg nicht möglich.

Daher bin ich momentan gegen einen Beitritt in die EU. Ich finde es aber extrem wichtig, dass man die Bilateralen verteidigt und falls Bemühungen in die Richtung einer neuen übernationalen Gemeinschaft gibt, dass man sich von Anfang an daran beteiligt. Die Schweiz darf keine sich selbst abschottende Insel sein. Darum ist es auch wichtig, dass wir die Bilateralen unterstützen.

 

Sebastian Werlen:

Nein, aus meiner Sicht sollten sowohl die Juso als auch die SP im Moment sich nicht für einen Beitritt zur EU aussprechen. Trotzdem ist für mich als Internationalist klar, dass die Herausforderungen unserer Zeit nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Die Idee einer Europäischen Union ist grundsätzlich gut, doch die Umsetzung leider sehr schlecht. Die EU ist für mich ein zu wenig demokratisches Gebilde, welches eine linke Wende zu unterdrücken versucht, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Die EU ist für mich Teil des Problem und nicht der Lösung. Zudem ist das Letzte was die EU jetzt braucht, ein weiteres von rechts-konservativen Kräften dominiertes Land, wie die Schweiz, als Mitglied.


Wie kann die politische Linke in der Schweiz wieder zur natürlichen Wahl für die Werktätigen werden?

 

Gian Luca Bonanomi:

Wir müssen kämpferischer und konsequenter Auftreten und unseren Forderungen auch vermehrt Nachdruck verleihen. Der absolut falsche Weg ist dabei für mich eine Öffnung zur Mitte wie sie in der SP teilweise leider angestrebt wird. Wenn die Linke sich ebenfalls auf das Niveau von Migrantenbashing und Terrorhysterikern herablässt, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Statt dessen müssen wir wieder vermehrt die Gesamtzusammenhänge aufzeigen und die menschenunwürdigen Auswüchse des Kapitalismus beim Namen nennen. Dazu wäre es jedoch nötig, dass die Linke (und insbesondere die SP) aus der Defensive kommt und nicht einfach eine softere Variante der Mitte-Politik, sondern eine reale Alternative bietet, ansonsten lassen Tony Blair und New Labour grüssen. Dazu muss die Linke wieder vermehrt fundamentale Bereiche wie Wirtschafts- und Finanzpolitik ansprechen und dort eine klare Vision haben. Der Ruf nach mehr Kinderkrippen ist zwar ein wichtiges und richtiges Anliegen, aber nur bedingt geeignet um aufzuzeigen, welche systembedingten Probleme wir haben.

Unsere Lösungsansätze mögen kompliziert erscheinen, sind aber die einzigen, welche tatsächlich halten, was sie versprechen. Wenn es uns gelingt, mit dieser Botschaft gehört zu werden, können wir auch wieder zur natürlichen Wahl der Werktätigen werden.

 

Mia Gujer:

Wir müssen die Probleme der Werktätigen aktiv angehen und ihnen eine politische Heimat bieten. Vor allem muss auf dem parlamentarische Weg genutzt werden um die Situation der Werktätigen zu verbessern und klar aufgezeigt wird, dass wir für ihre Rechte kämpfen und nicht die SVP. Nur so schaffen wir die Basis, dass sie sich neu mit uns identifizieren können.

 

Sebastian Werlen:

Wir müssen das Vertrauen der Werktätigen wiedergewinnen. Dafür müssen wir wieder vermehrt mit den „normalen“ Leuten sprechen. Wir müssen eine Alternative zu den einfachen Parolen anbieten. Zudem müssen wir ihnen aufzeigen, dass die Politik der Bürgerlichen für sie schädlich ist.


Ist das System der Sozialpartnerschaft angesichts massiver Angriffe und Massenentlassungen seitens der Bürgerlichen noch zeitgemäss?

 

Gian Luca Bonanomi:

Das System der Sozialpartnerschaft muss meiner Meinung nach breiter gedacht und konsequenter erkämpft werden als heute. Wer in der Schweiz ein Unternehmen gründen oder ansiedeln möchte, soll sich stärker zu guten Arbeitsbedingungen und fairer Entlohnung bekennen müssen. Dazu braucht es eine viel strengere Gesetzgebung, für welche wir uns auf dem politischen Weg einsetzen sollten. Mit den Gewerkschaften, welche nicht nur einfach auf steigende Mitgliederzahlen setzen sollten (wie dies teilweise heute den Anschein macht), sondern sich vehement für eine Verbesserung der Situation ihrer Mitglieder einsetzen sollten, braucht es eine vertiefte Zusammenarbeit. Gerade im aktuellen Umfeld von Massenentlassungen in vielen Branchen ist es wichtig, dass das Zusammenspiel zwischen der Linken und den Gewerkschaften funktioniert. Da muss auch die JUSO sich noch verstärkt einbringen.

 

Mia Gujer:

Ja. Denn ohne die Sozialpartnerschaft gäbe es gar keinen Schutz für die Arbeitnehmenden. Genau in der Zeit angesichts massiver Angriffe und Massenentlassungen seitens der Bürgerlichen ist es wichtig die Rechte der ArbeiterInnen zu verteidigen und für diese einzustehen. Wir dürfen eine Diktatur durch Grosskonzerne nicht erlauben.

 

Sebastian Werlen:

Eine funktionierende Sozialpartnerschaft wäre sicher gut. Aber ich habe den Eindruck, dass die Arbeitgeber die Arbeitnehmer immer mehr nicht als Partner sondern als Untertanen ansehen. So stösst die Sozialpartnerschaft an ihre Grenzen.


Welche Massnahmen sollten gegen die Auswirkungen des starken Frankens unternommen werden?

 

Gian Luca Bonanomi:

Eine erneute Einführung des Mindestkurses erscheint mir kurzfristig am sinnvollsten. Zusätzlich muss der Staat unbedingt die interne Nachfrage ankurbeln, z.B. mit grossen Infrastruktur-Projekten oder im gemeinschaftlichen Wohnungsbau. Dabei ist aber auch stets darauf zu achten, dass es kein Lohndumping gibt. Es darf zudem nicht vergessen gehen, diese Auswirkungen auf ihren Ursprung zurückzuführen: den internationalen Finanzmarktkapitalismus. Nur durch seine konsequente Bekämpfung können wir nachhaltige Stabilität erreichen.

 

Mia Gujer:

Als Massnahme gegen den starken Franken müsste man jetzt massiv in die Wirtschaft investieren und die Löhne anheben. Durch die neue Kaufkraft würde die Produktion steigen und neue Arbeitsplätze geschaffen. Zudem würden Familien und Einzelpersonen weniger über die Grenze einkaufen gehen, da sie sich die Produkte in der Schweiz leisten könnten.

 

Sebastian Werlen:

Die Aufhebung des Mindestkurses war ein totaler Fehlentscheid. Zuerst müssen die beiden Hauptschuldigen Schneider-Ammann und allen voran SNB Direktor Thomas Jordan weg. Dann muss ein Mindestkurs von mindestens 1,20 festgelegt werden.


Im März 2014 verabschiedete die Juso das „Aktionsprogramm“. Im Teil „Für Arbeit und eine demokratische Wirtschaft“ steht „Beginnt ein Betrieb zu entlassen oder droht mit Abwanderung, fordern wir dazu auf, den Betrieb unter der demokratischen Kontrolle der Lohnabhängigen zu verstaatlichen.“  Würdest du dieses Mittel als Gegenargument zur Angstmacherei („Sonst wandern wir ins Ausland ab“) selber gebrauchen?

 

Gian Luca Bonanomi:

Absolut. Es kann nicht länger angehen, dass die Arbeiter_innen in der Schweiz oder sonst irgendwo auf der Welt sich dieser Form von Heuschrecken-Kapitalismus ausgesetzt sehen müssen. Viel zu oft werden meiner Meinung nach in vorauseilendem Gehorsam grossen Wirtschaftsakteuren gewaltige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet und Steuererleichterungen gewährt, nur damit diese bei erstbester Gelegenheit dennoch gleich mit der Abwanderung drohen. Diese undemokratische Vorgehensweise beider Seiten zeigt auch international verheerende Auswirkungen: Zurzeit findet ein veritables „race to the bottom“ zwischen Staaten statt, welche sich in der Steuerbelastung gegenseitig immer weiter unterbieten. Die Folgen sind fehlende Staatseinnahmen, die wir dann beim Sozialwesen und der Bildung wieder einsparen sollen. Das kann so nicht weitergehen und wird sich radikal ändern müssen!

 

Mia Gujer:

Ja, ich würde dieses Argument so brauchen. Ich finde dies sogar ein sehr wichtiges Argument. Wir müssen uns die Frage stellen: weshalb ist die Drohung der “Abwanderung” der Firmen so effektiv? Sie ist deshalb effektiv, weil eine solche Abwanderung Arbeitsplätze kosten würde. Der Arbeitsplatzverlust ist in unserem System ein gravierendes Problem, denn eben genau wegen diesem System verlieren die Lohnabhängigen mit ihrem Arbeitsplatz gleichzeitig jegliche Lebensgrundlage. Zudem steht die Drohung exemplarisch für die heutigen systematischen Besitzverhältnisse. Die Lohnabhängigen “besitzen” die Arbeit, während die Grosskonzerne das Kapital “besitzen” und gleichzeitig die Lohnabhängigen vom Besitz am Kapital ausschliessen. Da sich das Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit automatisch auf die Besitzenden des Kapitals und der Arbeit projiziert, haben wir in unserer heutigen Gesellschaft ein Machtungleichgewicht zugunsten der Besitzenden des Kapitals, welche obendrein noch den von den Lohnabhängigen generierten Mehrwert parasitär abschöpfen und undemokratisch darüber entscheiden. Deshalb muss es unsere Forderung sein, diesen unter die demokratische Kontrolle der Lohnabhängigen zu bringen, um so den Besitzauschluss (und dadurch das Machtungleichgewicht) der Lohnabhängigen aufzubrechen. Einer der zentralen Pfeiler des Klassenkampfes ist genau dieses Machtungleichgewicht. Mehr Wirtschaftsdemokratie muss daher unsere Position sein, wenn wir wirklich für die Lohnabhängigen kämpfen wollen.

 

Sebastian Werlen:

Ja, natürlich. Wir müssen diesen Wirtschaftsbossen zeigen, dass wir in einer Demokratie und nicht in einer Oligarchie leben.

Linke Parteien und Bündnisse die mit radikalen, sozialistischen Wahlprogrammen an die Regierung kommen, haben grosse Probleme in der Umsetzung ihrer Versprechen. Wo siehst du Beispiele, die sich die Schweizer Linke als Vorbild nehmen könnten und was können wir von ihnen lernen?

 

Gian Luca Bonanomi:

Salvador Allende und seine damalige Regierung in Chile kommen mir hier als erstes in den Sinn. Sie haben damals kurz gesagt hoch gepokert und leider wegen externer Einflüsse alles verloren. Dennoch bin ich überzeugt, dass nur ein kämpferisches und überzeugtes, geeintes Vorgehen zum Ziel des demokratischen Sozialismus führen kann. Die wichtigste Lektion aus diesem Fall ist meiner Ansicht nach den Gegner – damals die imperialistischen USA, heute die Ideologie des Neoliberalismus an sich – in seiner Brutalität nicht zu unterschätzen und deswegen um so mehr von Anfang an gemeinsam zu kämpfen.

 

Mia Gujer:

Das die Umsetzung von Wahlprogrammen kann sich, so lange es keine geschlossene linke Mehrheit gibt in der Regierung, als schwierig erweisen. Zudem müsste in einem ersten Schritt die Schäden einer neoliberalen Regierung zuerst behoben werden bevor man an die Umsetzung der eigenen Wahlpunkte gehen könnte.

Das merke ich auch hier im Aargau. Selbst wenn wir plötzlich eine Mehrheit in der Regierung hätten, könnten wir nicht einfach plötzlich anfangen einen gratis ÖV anzubieten oder ein neues ausgebautes Bildungssystem mit Gratisbildung für alle. Da die Kasse des Kantons durch die Steuersenkungen schon massiv belastet wurde und seit 2 Jahren jedes Jahr für 136 Millionen Franken Leistungen in den üblichen betroffenen Bereichen abgebaut wird. So müsste man also in einem ersten Schritt die Steuern für Unternehmen und Vermögende erhöhen, in einem zweiten Schritt die schon abgebauten Leistungen wieder aufbauen und einem dritten letzten Schritt seine eigenen neuen Punkte vom Wahlprogramm umsetzen, dies dauert meist länger als nur eine Amtszeit.

So lange man also keine Mehrheit hat im Parlament, besteht die Arbeit aus Kompromissen und kleinen Teilerfolgen. Dass man aber bei konsequenter linker Politik trotzdem eine zweite Amtszeit machen kann, zeigt Syriza gerade in Griechenland.

Die SP muss meiner Meinung nach wieder klar links positionieren, sie muss Forderungen stellen und nicht immer aus der Defensive raus politisieren. Dann bin ich der Überzeugung, dass wir wieder Wahlerfolge erzielen können und auch längerfristig Erfolgreich sein werden. Zwei gute Beispiele für eine solchen linken erfolgreichen Wahlkampf haben wir aktuell gleich in zwei Ländern, Bernie Sanders in der USA und Jeremy Corbyn in UK.

Ein gutes Beispiel für die Problematik ist auch die Regierung und das Parlament von Frankreich. In beiden herrscht eine linke Mehrheit, doch sie können ihr Wahlprogramm trotzdem nicht umsetzen. Dies hat damit zu tun, dass das Kapital international agiert, es begrenzt sich nicht auf Nationen. Kein Staat der nicht international agiert, kann so Lösungen bieten, denn er ist immer in der kleineren Machtposition. Um dies zu ändern braucht es eine internationale linke Bewegung, welche sich durch das Volk bildet (wie z.B Podemos in Spanien). Diese Bewegung muss das System gemeinsam auf internationaler Ebene in Frage stellen.

 

Sebastian Werlen:

Ein mögliches Beispiel wäre für mich Franklin D. Roosevelt und sein New Deal. Er war sicher nicht perfekt und fehlerfrei. Doch trotzdem hat er mit mehreren Reformen dafür gesorgt, dass es vielen Leuten besser ging. Wir können von ihm lernen, dass man einen Staat haben kann, welcher nicht nur für einige wenige gut ist, sondern für alle.


Bald diskutieren wir wieder über eine neue Initiative. Was ist deine Position dazu? Nach welchen Kriterien entscheidest du dich? Was ist eine „gute Initiative“ für die Juso?

 

Gian Luca Bonanomi:

Die JUSO braucht ein weiteres nationales Projekt, um unsere Bewegung und die Parteistrukturen weiter zu stärken. Dazu halte ich eine Initiative für ein geeignetes Mittel. Mögliche Themen sehe ich vor allem im Bereich der Wirtschaftsdemokratisierung und der Transparenz in Wirtschaft und Politik. Eine „gute“ Initiative muss aus meiner Sicht ein konkretes Problem unserer heutigen Gesellschaft angreifen und ändern können. Mit der Spekulationsstopp-Initiative hatten wir ein Projekt, dass uns viel Seriosität verliehen hat und die Perversion des Kapitalismus schön aufgezeigt hat. Sie war letztlich aber auch sehr abstrakt und weit weg, zudem hat sich die JUSO bei der Kampagne ziemlich zurückgenommen. Eine nächste Initiative müsste meiner Meinung nach wieder ein greifbareres Problem zum Inhalt haben. Ausserdem wäre es mir bei einer nächsten Initiative wichtig, dass sich die JUSO-Basis wieder mehr mit der Initiative identifizieren kann, indem wir auch in der medialen Kampagne ganz vorne stehen. Zudem sollte die Initiative so radikal und neu sein, dass sie eine Debatte anstossen kann. Hinzu kommen Kriterien wie das Mobilisierungspotential und die Unterstützung durch eine solide Mehrheit der JUSO-Mitglieder.

 

Mia Gujer:

Ich bin sehr stark der Meinung, dass die JUSO eine neue Initiative braucht. Denn eine Initiative ist nicht nur eine politische Einflussnahme welche wir nützen müssen, sondern ist auch parteipolitisch ein wichtiges Werkzeug. Sie generiert neue Mitglieder durch Medienpräsenz und Aktionen, so wird unsere Bewegung nachhaltig gestärkt.

Die Initiative muss zeigen dass wir klar eine linke Bewegung sind. Wir müssen wieder eine Grundsatzdiskussion anstossen und eine breite Diskussion entfachen. Mit einer Kampagne kann man nur auf Missstände aufmerksam machen, mit einer gewonnenen Initiative jedoch, können wir das System verändern und gleichzeitig kritisieren.

 

Sebastian Werlen:

Für mich ist eine Initiative das beste Instrument um national Aufmerksamkeit zu bekommen. Aufmerksamkeit ist für eine Partei unerlässlich. Das ist aber nicht mein einziges Kriterium. Für mich muss eine Juso Initiative auch innovativ sein und unsere Basis packen. Ein interessantes Projekt wäre für ich eine Initiative zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Es gibt aber sicher noch viele andere interessante Ideen.


Und der Klassiker zum Abschluss: Reform oder Revolution?

 

Gian Luca Bonanomi:

Ich betrachte mich als Reformist, da Revolutionen aus meiner Sicht ein zu hohes Risiko eines totalitären Resultats tragen. Ich bin aber auch hier bereit, einen gegenteiligen Entscheid der Basis vollständig mitzutragen 😉

 

Mia Gujer:

Schon Rosa Luxemburg wusste, dass Reform und Revolution einhergehen. Beides zusammen stellt die Machtverhältnisse in Frage und bietet langfristigen Erfolg.

Reformen bekämpfen nur die Symptome des Systems, können aber kurzfristig Leid vermindern und die Situation verbessern. Danach braucht es aber die Revolution um ein neues System zu begründen. Kommt die Revolution aber zu früh, kann es die Machtverhältnisse zwar umkehren, begründet damit aber eine neue Minderheit und eine neue Klassengesellschaft.

 

Sebastian Werlen:

Ich bin wohl eher ein Reformist. Das aber nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil dieser Weg im Moment aus meiner Sicht am ehesten Erfolge bringen kann.

 

 

Vielen Dank für die Antworten!