Bald werden die Spitalbetten für die Bekämpfung der Krise nicht mehr ausreichen. Diese Situation ist das Ergebnis der Sparpolitik. Die Spitäler brauchen Ressourcen, und nur eine geplante Wirtschaft ist den Herausforderungen der Krise gewachsen.
Trotz den Beschwichtigungsversuchen der Regierung ist bereits jetzt klar, dass die Spitäler durch die zunehmenden Fälle von COVID-19-Erkrankungen überlastet sein werden. Laut einer Studie der ETH Zürich vom 27. März hätte der Zustand der Überlastung am 2. April erreicht werden sollen. Zwar haben die Quarantänemassnahmen das Ihre getan, um dieses Datum weiter in die Zukunft zu rücken. Hinsichtlich der nun geplanten Wiedereröffnung der Wirtschaft ist es aber wahrscheinlich, dass die Ansteckungsrate schnell wieder steigen wird. Der Schweizerische Ärzteverband schätzt, dass es in der Schweiz ungefähr 1000 Intensivbetten gibt, von denen 850 mit Beatmungsgeräten ausgestattet sind. Heute sind über 300 besetzt, die Fallzahlen nehmen weiter zu – und das bereits vor der vom Bundesrat beschlossenen Öffnung!
Die sozialen Distanzierungsmassnahmen sind angesichts dieser Krise nicht ausreichend. Das Gesundheitssystem braucht dringend zusätzliche Mittel. Es stimmt zwar, dass der Bund Massnahmen getroffen hat, um die Kapazitäten zu steigern. Diese Massnahmen dürfen aber keine zusätzlichen Kosten verursachen und erreichen so bereits ihre Grenzen. Auch wenn die Genfer Universitätsspitäler ihre Intensivbetten verdoppelt haben, sind 90 Intensivbetten für eine Bevölkerung von 500’000 Menschen bei weitem nicht ausreichend!
Die Hintergründe der Katastrophe
Die Mängel des Gesundheitssystems kommen nicht von ungefähr. Das Schweizer Gesundheitssystem ist schon jahrelang wiederholten Angriffen ausgesetzt und das Personal musste lernen, trotz Sparprogrammen auszukommen. Nehmen wir das Genfer Beispiel: Das «Victoria»-Programm 2007 kürzte 80 Mio. CHF, durch das «Performance»-Programm 2012 fielen weitere 75 Mio. CHF weg. Vergangenen Januar, als die Anzeichen auf eine Pandemie immer deutlicher wurden, veröffentlichte der Blick eine Liste von 12 Spitälern, die geschlossen werden sollten. 281 Spitäler für 8 Millionen Einwohner seien laut «Blick» einfach zu viele. Angesichts der Zahlen des BAG entsprechen die Forderungen des «Blick» bereits der Tendenz: Zwischen 2006 und 2017 sank die Zahl der öffentlichen Spitäler in der Schweiz um 44%.
Diese Reduktion gesundheitlicher Infrastrukturen wirkt sich in erster Linie auf die Arbeitsbedingungen des Personals in den Spitälern aus. Dieses ist Angriffen aus jeder Richtung auf seine sozialen Errungenschaften ausgesetzt. Die Gewerkschaft VPOD meldet, dass Teilzeitangestellte mit 60%-Pensum zeitweise 50-Stunden-Wochen stemmen und für ihre ArbeitgeberInnen rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen. Laut der UNIA fühlen sich 70% der PflegerInnen täglich gestresst. Wegen der COVID-19-Krise hat die Regierung die Arbeitszeitbeschränkung für medizinisches Personal aufgehoben, was die an sich schon schlimme Situation zusätzlich verschlechtert. Zudem wird die Dienstleistungsqualität hart getroffen: 87% des Personals sagen aus, nicht genügend Zeit für PatientInnen zu haben. Zu Normalzeiten arbeitet das Gesundheitssystem bereits an der Grenze des Möglichen. Herrscht eine Pandemie, ist es schnell völlig überfordert.
Aber weshalb ist das Gesundheitssystem in einem so reichen Land wie der Schweiz in einem so schlechten Zustand? Die Antwort in zwei Wörtern: Profite und Spardruck! Ein gutes, für alle zugängliches Gesundheitssystem ist teuer und drückt somit auf die Profite der Kapitalisten, die es durch Steuern teilfinanzieren müssen. In einer Krisenperiode, wie wir sie seit einigen Jahrzehnten erleben, setzen Kapitalisten mit Hilfe des Staates Kürzungen des Service public durch, um ihre Profite zu wahren. Es gibt also Sparmassnahmen: Kürzungen der öffentlichen Gelder, Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Angestellten, zerfallende öffentliche Infrastrukturen und so weiter.
Insbesondere die Krankenkassen üben Druck auf das Gesundheitssystem aus, um die Kosten zu reduzieren und so ihre Margen zu verbessern. Ausserdem werden die Kosten durch steigende Prämien zunehmend auf die Bevölkerung abgewälzt. Das ist in der Schweiz zwar schon immer so, aber die Krise verstärkt die Konkurrenz und zwingt Kapitalisten zu immer härteren Sparmassnahmen, um ihre Profite zu retten. So müssen sie die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse frontal angreifen und die offene Konfrontation mit den ArbeiterInnen suchen. Zwar haben wir in der Schweiz noch keine grossen Protestbewegungen gesehen, aber die Nachbarländer geben einen Vorgeschmack darauf, was uns erwartet.
Was nebst Spardruck hinzukommt: Die Zerstörung des Gesundheitssystems ist für den Privatsektor eine vorzügliche Gelegenheit. Die Leistungen, die öffentlich nicht mehr erbracht werden, müssen andernorts, also im privaten Sektor, angeboten werden. Dementsprechend sind zahlreiche öffentliche Spitäler, die in den letzten Jahren geschlossen wurden, von Privatunternehmen übernommen und weitergeführt worden. Während die Anzahl öffentlicher Spitäler um 44% sank, stieg jene der privaten Spitäler um 21%. Je weniger Gesundheitsdienstleistungen der Staat anbietet, desto mehr können Kapitalisten einspringen, um daraus Profit zu schlagen. Die Privatisierung wird systematisch von Preiserhöhungen begleitet.
Es ist also klar, dass man sich nicht auf die herrschende Klasse verlassen kann, wenn es um ernsthafte Massnahmen für ein pandemiefestes Gesundheitssystem geht. Die Massnahmen, die sie trifft, werden immer schwer auf dem Rücken der arbeitenden Klasse lasten.
Wenn die herrschende Klasse, die Kapitalisten und ihr Staat, sich im Krieg gegen das öffentliche Gesundheitssystem befinden, dann liegt es an uns, die dieses System brauchen und darin arbeiten, es zu verteidigen. Ohne geeinte Aktionen der gesamten Arbeiterklasse wird die aktuelle Pandemie weiterhin tausende von Toten verursachen, die mit angemessenen Infrastrukturen hätten gerettet werden können. Der freie Markt versagt vollkommen und begrenzt auf kriminelle Art die Ressourcen, die uns im Kampf gegen COVID-19 zur Verfügung stehen. In den USA hat sich der Schutzmaskenmarkt zu einer riesigen Auktion entwickelt – zulasten der amerikanischen Bevölkerung, die hier nicht mitbieten kann. Die organisierte Arbeiterklasse muss eine «Pandemiewirtschaft» durchsetzen und die Produktion jener Mittel planen, die zur Bekämpfung des Virus und zu ihrer Grundversorgung notwendig sind.
Deshalb schlagen wir folgende Forderungen vor:
Charles T.
Juso Genf
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024