Die Klimastreikenden machen Druck und fordern den Generalstreik. Die Verbindung des Kampfes mit der Arbeiterklasse ist ein notwendiger Schritt. Wir erklären, wo die Macht der Lohnabhängigen herkommt und wieso nur von ArbeiterInnen kontrollierte Betriebe wirklich nachhaltig sein können.
Neun Monate Klimastreik bedeuten auch neun Monate feurige Diskussionen über Ursachen von und Massnahmen gegen den Klimawandel. In der Bewegung spielt sich ein politischer Klärungsprozess ab. Ein Flügel verteidigt individualistische Lösungen und hofft blindlings auf die wundersame Heilkraft des bürgerlichen Staates (CO2-Steuer, Flugverbot an Schulen etc.). Auf der anderen Seite finden wir den Flügel, der erkennt, dass die Klimakatastrophe ein gesellschaftliches und globales Problem ist und kollektive Lösungen fordert.
Nach zig Streiks steht die Bewegung immer noch der erdrückenden Macht der Konzerne gegenüber. Es zeigt sich, dass die Macht der Schulstreiks begrenzt ist, weil sie kaum jemanden schmerzen. Der radikale Flügel der Bewegung schlägt deshalb einen Streik aller ArbeiterInnen, einen Generalstreik, vor. Dieser Vorschlag ist ein grosser Schritt nach vorne. Seit Jahrzehnten wurde die Frage nach der zentralen Rolle der Lohnabhängigen nicht mehr so klar gestellt.
Kontrolle und Macht
Der Grossteil der menschgemachten CO2-Emissionen entsteht in Sektoren, welche von einer kleinen Anzahl riesiger Konzerne dominiert werden. Die grössten Quellen der Verschmutzung, die Produktion von Gütern und Energie, befinden sich in den Händen privater Kapitalisten oder werden in deren Interessen geführt. Sie bilden in den meisten Wirtschaftsbereichen Monopole, welche die Produktion auf Weltebene dominieren. Die Frage der CO2-Reduktion ist also eine Frage der Kontrolle über diese Konzerne. Werden diese Bergwerke, Fabriken, Transportunternehmen, Ladenketten etc. im Interesse ihrer BesitzerInnen geführt, dann wird das Erzielen des grösstmöglichen Profits notwendigerweise höher gewichtet als der ressourcenschonende Umgang mit der Natur.
Für den Profit werden Millionen Lohnabhängige ausgebeutet. Trotz Konkurrenz auf dem Markt arbeiten sie im Innern eines Konzernes oft über Landesgrenzen hinweg in enger Zusammenarbeit. Sie sind es, welche die Maschinen und Computer bedienen, Waren produzieren, transportieren, veredeln und verkaufen. So erarbeiten sie auch den Profit für die Kapitalisten. Genau diese produzierende Position gibt den Lohnabhängigen jedoch potentiell eine enorme Macht: die Macht, mit Streiks die ganze Wirtschaft lahmzulegen. Jeder Streik zeigt den ArbeiterInnen auf, wie viel Macht sie eigentlich hätten – wenn sie sich ihr bewusst wären. Mit ihrer Forderung nach einem Generalstreik erkennen die SchülerInnen intuitiv diese Macht.
Vertrauen ist schlecht, Kontrolle ist notwendig
Für die KapitalistInnen ist dies doppelt gefährlich. Denn die Arbeiterklasse kann die Wirtschaft und damit die Anhäufung der Profite der Kapitalisten nicht nur blockieren. Die Position als direkte Produzenten gibt den Lohnabhängigen auch die Macht, den KapitalistInnen die Wirtschaft zu entreissen und in ihrem eigenen Interesse weiterzuführen. Da sie selbst alle Prozesse im Betrieb in- und auswendig kennen, wissen die Angestellten am besten, wie ihr Unternehmen funktioniert und wo Verschwendung und Verschmutzung entstehen. Ein nachhaltiger Umbau des Systems kann nur dann genug schnell, gründlich und grossflächig umgesetzt werden, wenn die Lohnabhängigen beginnen, die Kontrolle über die Betriebe zu übernehmen. Deshalb ist eine zentrale Forderung in diesem Kampf die Arbeiterkontrolle.
Darunter verstehen wir die Situation, in der die Belegschaft beginnt, selbst Verantwortung für die betriebsinternen Abläufe zu übernehmen. Dafür muss sich das Personal ein präzises Bild über die wahre Situation des Unternehmens machen. Es braucht Einsicht in die Geschäftsbücher, die Planungen, Bestellungen etc. Dabei steht ihnen jedoch das Betriebsgeheimnis im Weg, welches für Kapitalisten heilig ist. Die kapitalistische Konkurrenz macht dieses notwendig. Es verhindert aber die rationale Planung. Ist dieser umfassende Überblick erkämpft, offenbart sich den Lohnabhängigen die wahre Ressourceneinteilung, nicht nur bezüglich Profit und Managerlöhnen, sondern auch bezüglich der ökologischen Ressourcenplanung.
Der erste Schritt zur Lösung
So ermöglicht die Arbeiterkontrolle auch soziale Missstände im Betrieb anzugehen: von Personalmangel und Stress über Gefahrenprävention, bis zur gesunden Ernährung der Belegschaft. Die Forderung nach Arbeiterkontrolle schlägt eine Brücke zwischen dem abstrakten Ziel «die Menschheit muss den Planeten retten» und den alltäglichen Strapazen des Arbeitslebens. Gleichzeitig zeigt sie die Irrationalität der Betriebsführung im Dienste des individuellen Profits und das Potential einer Wirtschaft für die Bedürfnisse der Allgemeinheit auf. Nur die Kontrolle der Belegschaft über die Verwaltung des Betriebs garantiert, dass ökologische und soziale Interessen zu den entscheidenden Kriterien der Wirtschaft werden – statt des tödlichen Vorrechts des Profits.
Die Einführung von Arbeiterkontrolle in einem privaten Betrieb führt aber notwendigerweise zu Konflikten mit dem Eigentümer. Die Interessen der KapitalistInnen im Betrieb sind unvereinbar mit denen der Lohnabhängigen. Gleichzeitig ist der Spielraum für einen einzigen Betrieb sehr klein, solange Zulieferer und Kunden weiterarbeiten wie bisher. Der zunehmende Druck der Belegschaft führt schlussendlich zur Frage der Verstaatlichung des Betriebs einerseits und der Forderung der demokratischen Verwaltung ganzer Wirtschaftszweige andererseits. Um die Interessen der Allgemeinheit und ihr längerfristiges Überleben zu garantieren ist schlussendlich die demokratische Kontrolle über die gesamte Wirtschaft eine Notwendigkeit.
Die einzige realistische Lösung
Die gleiche irrationale Funktionsweise des Kapitalismus, welche die Klimakrise produziert hat, ist auch die Ursache der aktuellen organischen Krise des Systems. Diese führt seit 2008 zu Zersetzungserscheinungen auf allen Ebenen der Gesellschaft und in allen Ländern weltweit. Die Klimakrise ist nur der schreiendste Ausdruck der Sackgasse, in die uns die herrschende Klasse und ihr System geführt haben.
Dass einerseits mehrere Gewerkschaften für die nächsten Klimademos mobilisieren und andererseits die Klimastreikenden zu einem Generalstreik aufrufen, ist ein erstes Anzeichen dafür, dass die gemeinsamen Interessen unserer Klasse ansatzweise erkannt werden.
Das selbstständige und selbstbewusste Eingreifen der Lohnabhängigen als Klasse ist die einzige Lösung für die dringenden sozialen und klimatischen Probleme. Die Forderung des Klima-Generalstreiks muss unterstützt werden, weil die Lohnabhängigen erst im Kampf – und gerade in der totalen Blockade, im Streik – ihre wahre Macht erkennen. Sie sind die einzige Macht, welche stark genug ist, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Anhand der Forderung nach Arbeiterkontrolle kann aufgezeigt werden, wie und wieso die Lohnabhängigen die gesamte Verantwortung über Produktion und Reproduktion der notwendigen Mittel zum Überleben der Menschheit übernehmen müssen. Diesen Kampf müssen wir heute aufnehmen. An ihm führt kein Weg vorbei.
Caspar Oertli
JUSO Stadt Zürich
Bild: Socialist Appeal
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