Ich komme am Montagmorgen um 9 Uhr bei der Arbeit an, die Kinder sind schon draussen im Garten und bereit loszulaufen. Ich arbeite auf einer gemischten Kitagruppe, wir betreuen Kinder von 3 Monaten bis 6 Jahren. Beim Abgeben eines Kindes wünscht ein Vater, dass es heute schläft, das nervt mich ein bisschen, da es eigentlich nie schläft und uns der Versuch, es zum Schlafen zu bringen, wieder Zeit kostet. Wir sind eine Waldkita, darum machen wir uns auf den Weg in den Wald. Auf dem Weg weigert sich ein 3-jähriges Kind weiter zu laufen, wir versuchen es zu motivieren und schleifen es dann mit. Wir haben leider heute keine Zeit, um lange mit ihm hin und her zu argumentieren. Als wir im Wald ankommen, essen wir und jemand bereitet den Schlafplatz, den Wickelplatz und den Esstisch vor. Nach dem Essen wickeln wir die Kinder und sie können frei spielen. Momentan haben wir einen Buben, welcher die ganze Zeit die anderen haut, doch wir haben keine Zeit, um ihn die ganze Zeit zu beobachten. Das Einzige, was wir machen können, ist ihn nach dem Hauen ins Time-out zu setzen, obwohl wir besser im Voraus gehandelt hätten.
Das ist mein Alltag, ich verrichte die täglichen Pflege-Arbeiten wie füttern, wickeln und in den Schlaf begleiten. Doch wir haben auch einen sozialen Auftrag, wir lösen Konflikte, setzen Grenzen, fördern die Kinder in den verschiedenen Bereichen und machen Aktivitäten mit ihnen. Wir stehen am Tagesanfang und am Tagesende mit den Eltern in Kontakt, um Informationen über das Kind auszutauschen.
Allgemein mag ich meinen Beruf, es ist absolut sinnvoll eine grössere Gruppe Kinder gemeinsam zu betreuen. Kochen, füttern und wickeln ist effizienter, als wenn es jeder Haushalt selber machen muss. Es ist progressiv, dass die Eltern arbeiten können und nicht 24/7 auf ihr Kind schauen müssen. Auch für die Kinder gibt es viele Vorteile. Sie lernen mit anderen Kindern zu spielen, Konflikte zu lösen, die eigenen Bedürfnisse der Gruppe unterzuordnen und sie haben auch mehr Toleranz gegenüber anderen Personen.
Ich arbeite in einer privaten Kita. Unsere Löhne sind im Vergleich zu anderen Kitas höher. Eine grosse Mehrheit der Kitas in der Schweiz wird privat geführt und die Kapitalisten verdienen sich eine goldene Nase an einem essentiellen Dienst. Private Kitas führen zu höherem Druck auf den Eltern und dadurch auch auf den Kindern. Kinder erziehen ist schon hart ohne finanziellen Druck, doch die Kitaraten fressen Ende Monat einen beachtlichen Teil des Budgets weg. Private Kitas führen zu hohen Kitaprämien und zu wenig gut ausgebildeten Mitarbeitern, welche unterbezahlt sind, was defacto zu schlechter Betreuung führt.
Aber das aktuelle Kitawesen hat auch einen Effekt auf die Mitarbeiter. Die Arbeit ist körperlich und psychisch anspruchsvoll, die Tage sind lang und der Lohn ist inakzeptabel. Da es ein Frauenberuf ist und schlecht bezahlt wird, wird er vor allem von jungen Frauen gemacht oder von Müttern, die Teilzeit arbeiten. Die meisten machen den Job nicht all zu lange, darum werden viele Aufgaben schon früh an Lernende oder Praktikanten abgegeben. Lernende führen teilweise Elterngespräche oder leiten Eingewöhnungen. Die Arbeitslast auf den Ausgelernten ist aber nicht besser, meistens übernehmen sie gleichzeitig die Gruppenleitung und die Ausbildung der Lernenden. Darum kündigen viele Mitarbeiter und suchen sich eine andere Stelle, in meinen 3 Jahren der Lehre hatten wir 4-mal einen Personalwechsel und an anderen Orten ist es noch schlimmer. Momentan ist der einzige Ausweg für Kita-Arbeiter oftmals die Kündigung. Es gibt solche, die Loyalität zu ihrem Betrieb haben und sie ihn verteidigen gegenüber Kritik mit der Begründung, dass es andernorts schlimmer ist. Doch die Situation verschlimmert sich überall und diese Verteidigung des Betriebes ist nur eine oberflächliche Erscheinung. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Arbeiter organisieren müssen um ihre eigenen Lebensbedingungen zu verteidigen. In der Kinderbetreuung ist ein gewisses moralisches Arbeitsgefühl verankert; “Ihr macht es doch aus Leidenschaft,” “es ist doch nur mit Kindern spielen, so viel Lohn braucht man dafür nicht,” “ihr wollt streiken? „Aber denkt doch an die Kinder!” Streiken ist schwierig sich vorzustellen, es stimmt, man kann die Kinder nicht einfach alleine lassen. Ein Kitastreik muss grossflächiger organisiert werden, mit den Eltern zusammen. Keine Kita führt dazu, dass die Eltern nicht arbeiten können. Diese müssen aber nicht als Symboltage geführt werden, sondern als Kampftage, ein Tag „Streik“, wie es das feministische Streik Kollektiv vorschlägt reicht nicht!
Ich wurde nicht durch meine Arbeit zur Kommunistin, doch ich habe durch meine Arbeit ein tieferes Verständnis für den Sozialismus erhalten. Die Notwendigkeit von Arbeiterkontrolle wurde mir mehr klar. Kitaarbeiter verstehen am besten, wie der Ablauf besser organisiert werden kann. Aber auch der Kampf für die Verstaatlichung wurde mir mehr bewusst. Der Profit der Kapitalisten soll gebraucht werden, um uns ein gutes Kitasystem zu finanzieren. Wie sehr die Kapitalisten auch die Mitarbeiter gegen die Eltern oder die Buchhaltung ausspielen wollen, der Fakt ist am Ende, dass wir alle ein Interesse an guter Betreuung mit genug Personal, genug Lohn und zu einem guten Preis haben. Das einzige, was dem im Weg steht, sind die Kapitalisten selbst!
Anonym
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