Ich bin Vertretungslehrer einer Klasse 13-jähriger Teenager an der Orientierungsstufe in Genf. Meine Aufgabe war es, den Schülern ein Thema für eine Debatte vorzuschlagen. Also versuchte ich es. Nach fünf oder zehn Minuten dummer Vorschläge, die systematisch und lautstark abgelehnt wurden, wachte eine Schülerin auf und rief: «Israel und Palästina!» Als guter Lehrer betonte ich natürlich, dass es sich um ein heikles Thema handelt, das die Religion betreffe, und dass man jeden Standpunkt respektieren müsse, etc. Ich hatte meine Lobrede auf die politische Neutralität kaum beendet, als eine andere Schülerin loslegte, als hätte ich nichts gesagt: «Ich sage, das ist kein Religionskrieg, das ist ein Völkermord, die Palästinenser sind unschuldig.» Jemand warf ein: «Ja, und die USA schicken Waffen. Das ist alles ihre Schuld!» Ein Schüler bemerkte, die Schweiz sei auch nicht besser: Der vorgeblichen Neutralität zum Trotz sei in diesem Fall die Schweiz klar auf der Seite Israels. «Ja, und es geht wieder um Geld, sie töten Menschen für Geld.»
Gut. Mit der «neutralen Debatte» ist nichts geworden. Alle waren sich einig: Israel begeht Völkermord. Aber was machen wir jetzt? «Wir müssen ihnen zeigen, dass wir nicht einverstanden sind. Wir müssen riesige Demonstrationen organisieren!» Wem soll man das zeigen? «Den Leuten, die entscheiden, die Geld haben und es nach Israel schicken.» Ich weise darauf hin, dass es bereits Demonstrationen gibt und sie das nicht interessiert. Kurzer Moment des Überlegens… «Herr Thévenoz, man darf sie nicht freundlich bitten, man muss sie zwingen. Wir müssen aufhören, unsere Steuern zu zahlen, dann haben sie kein Geld mehr, das sie nach Israel schicken können.» Ein anderer merkte an, dass wir viele sein müssen, wenn man sie zum Nachgeben bringen will. Also sollte man Flugblätter schreiben und in jeden Briefkasten der Stadt werfen. Vorschläge dieser Art reihten sich aneinander, und die Begeisterung wuchs.
Bis ein Schüler traurig meinte, dass er nicht wirklich daran glauben könne. Seit Jahren gebe es ständig Kriege, und ausserdem drohe die Klimaerwärmung uns alle umzubringen. Betretenes Schweigen. Die Feststellung war schrecklich, aber niemand konnte ihm wirklich widersprechen. Dann schrie eine empörte Schülerin: «Wenn alle so denken würden, ja, dann sterben wir alle. Deshalb müssen wir kämpfen!» In diesem Moment läutete die Glocke das Ende der Stunde ein und mir wurde klar, dass ich und das gesamte Schulsystem völlig überfordert sind. Den Schülern ist die «Neutralität» völlig egal. Sie wollen wissen, wie man den Völkermord stoppen kann.
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