Der prägende Begriff für die Frauenbewegung ab den 80ern ist Professionalisierung – aber doppelt: Immer mehr Frauen sind erwerbstätig und die Kampfformen wurden stark institutionell. Einen Kontrapunkt stellt der Frauenstreik von 1991 dar. Wie passt das zusammen? Geschichte der Schweizer Frauenbewegung Teil vier.
Am 14. Juni 1991 hiess es überall in der Schweiz: «Wenn Frau will, steht alles still». 500’000 Frauen (und teils Männer) demonstrierten gegen die rückständigen Verhältnisse in der Schweiz. Seit 1981 stand der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung, doch bewegt hatte sich wenig. Zehn Jahre später waren Frauen rechtlich und vor allem sozial noch immer viel schlechter gestellt als Männer – auch im internationalen Vergleich. Der Streik verlangte deshalb eine Beschleunigung bei den zentralen Forderungen: zivilstandsunabhängige Renten, eine Mutterschaftsversicherung und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Bis heute wurde erst die Mutterschaftsversicherung durchgesetzt und zwar in abgemagerter Form im Jahr 2005. Der grösste Streik in der Geschichte der Schweiz kann also nur teilweise als Erfolg verstanden werden. Beginnen wir aber in den 80er Jahren, um besser zu verstehen, vor welchem Hintergrund der Frauenstreik zustande kam.
Das Vermächtnis der Neuen Frauenbewegung – die in den 68ern und im Protest gegen die SP entstanden war – war eine autonome Frauenbewegung. Daneben bestanden institutionelle Gruppen in der SP und verschiedenen NGOs. 1985 lösten sich die autonomen Gruppen der Frauenbefreiungsbewegung (FBB) grösstenteils auf. Nur ein kleiner Teil blieb weiterhin in «Wyberrräten» organisiert oder in thematisch klar begrenzten Initiativen aktiv.
Ebenfalls 1985 hatte die SVP den UNO-Beitritt gebodigt. Es war der erste nationale Erfolg des «Volkstribuns» Christoph Blocher. Die neoliberale Konterrevolution rollte an und mit ihr verschob sich das ganze politische Kräfteverhältnis nach rechts. Die Schweiz war sozialpolitisch immer rückständig gewesen. Doch nun griff die einsetzende Austeritätspolitik die wenigen Errungenschaften frontal an, auch jene der Frauenbewegung. Die Gleichstellungsbüros blieben nicht verschont. In Zug wurde dieses bereits 1996 geschlossen. Leider reagierten die Frauenorganisationen nicht mit Widerstand und breiter Mobilisierung, sondern viele passten sich an. Sie machten einen Schritt nach rechts, an die Schulter der bürgerlichen Feministinnen.
Die 80er-Jahre waren von den zahlreichen Mobilisierungen und Aktionen der Frauengruppen gezeichnet. Doch ab Ende des Jahrzehnts wurde es ruhiger. Die spärlichen Erfolge führten nicht zu einer Stärkung, sondern zur Neuorientierung. In erster Linie mussten die erkämpften und aufgebauten Frauenhäuser, Gleichstellungsbüros und Frauenräume verteidigt werden.
Als Kampfplatz wählten sich die Frauen die institutionelle, bürgerliche Politik. Dafür diente die SP als wichtigstes Auffangbecken der ehemals autonom organisierten Frauen. Und das obwohl die SP-Führung gar nicht daran dachte, für radikale Frauenforderungen zu kämpfen. Dies war 1983 zum Ausdruck gekommen: Die SP hatte mit Liliane Uchtenhagen eine Bundesratskandidatin aufgestellt; sie wäre die erste in diesem Amt gewesen. Stattdessen wählte die bürgerliche Mehrheit den SP-Mann Otto Stich. Grosse Empörung ging durch die Linke und die Frage der SP-Regierungsbeteiligung wurde aufgeworfen. Der Parteitag wählte allerdings den Weg des geringeren Widerstandes: Die SP blieb im Bundesrat. Später kam mit Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin aus der FDP.
1993 nahm die SP den zweiten Anlauf: Sie nominierte die Genfer Gewerkschafterin Christiane Brunner als Bundesratskandidatin. Sie wurde nicht gewählt – dafür ein Parteikollege, der die Wahl ausschlug. Dieses Ereignis mobilisierte zehntausende Frauen vor das Bundeshaus. Ihr Protest richtete sich gegen den fortlaufenden Ausschluss von Frauen aus dem Bundesrat.
Die Kampfforderungen wurden gänzlich den staatlichen Institutionen und den bürgerlichen Spielregeln untergeordnet.
Brunner war Präsidentin der Industriegewerkschaft SMUV und gehörte zum linken Flügel der SP. Um ihre Wahl zu verhindern griffen die Bürgerlichen zu dreckigen Mitteln: Der Blick führte eine Schmutzkampagne gegen Brunner. Neben der politischen Demütigung wurde sie der Abtreibung beschuldigt und ihr wurden Sexorgien angedichtet. Die skandalösen Verleumdungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch eine Wahl keine Garantie für erfolgreiche linke Politik gewesen wäre. Schlussendlich wurde die SP-Frau Ruth Dreyfuss die zweite Bundesrätin. Ihr Departement stellte sich 1995 hinter eine AHV-Reform, die das Frauenrentenalter anhob.
An Dreyfuss’ Wahl wurde veranschaulicht, wie sehr sich die Frauenbewegung bereits im institutionellen Laufgitter verrannt hatte. Mit dem Rückgang der Frauen-Mobilisierungen siegte die bürgerliche Frauenpolitik: Hauptsache Frauen waren überhaupt in der Regierung vertreten. Das verschleiert aller- dings die fundamental unterschiedlichen Interessen zwischen einer Frau wie Christiane Brunner, Chef-Organisatorin des Frauenstreik von 1991, und Elisabeth Kopp, Mitverantwortliche des Fichen-Skandals. Die Kampfforderungen wurden gänzlich den staatlichen Institutionen und den bürgerlichen Spielregeln untergeordnet. Es blieben nur zwei politische Instrumente: Expertinnentum und Quoten. Professionelle Frauenprojekte und NGO-Aufbau sollten die immer stärker fehlende Bewegung auf der Strasse ersetzen, so der Ansatz führender Frauenaktivistinnen der Neunziger. Zusätzlich entkräftend wirkte die Abkehr von Selbstorganisation und Kampf der lohnabhängigen Frauen. Die Versinnbildlichung dieser Anpassung folgte 1995 mit der Lancierung der «Quoteninitiative». Damit sollte eine fixe Frauenvertretung in der Bundesregierung erreicht werden. 2000 wurde sie klar abgelehnt.
Diese isolierte Bemühung bildete den Anfang der symbolisch-emanzipatorischen Aushänge-schild- Politik, die die SP und Grünen bis heute Aufrecht erhalten. Damit verweigern sie seither klar ihre Verantwortung für die Organisierung der erwerbstätigen unter den lohnabhängigen Frauen. Ihre Politik läuft der Veränderung der gesellschaftlichen Realität völlig entgegen.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen stieg nach der Wirtschaftskrise der 70er-Jahre wieder an. Waren bis dahin Migrantinnen viel öfter erwerbstätig als Schweizerinnen (1980 57,5% respektive 42%), überstieg dieser Wert nach 1990 auch für letztere die 50%-Marke. Frauen arbeiteten jedoch viel öfter Teilzeit als Männer. In den Gewerkschaften forderten die Frauen, dass mehr Ressourcen des Apparates in die Verbesserung der Lage von Frauen gesteckt werden. Langsam wurden Stellen geschaffen, wie das Frauensekretariat im SMUV. Christiane Brunner wurde dafür gewählt. Ihre Person verkörperte das Aufbäumen der Gewerkschafterinnen in den 80er-Jahren.
Über Jahrzehnte hinweg war das Verhältnis zwischen den grossen Gewerkschaften und den Frauen ein paternalistisch-vernachlässigendes gewesen. In den 80er-Jahren diskutierte der SMUV dann ein Frauen-Aktionsprogramm, das in abgeschwächter Form sogar angenommen wurde. Doch die Notwendigkeit zum solidarischen Kampf mit den Frauen sahen viele Gewerkschafter weiterhin nicht. Die Umsetzung des SMUV-Aktionsprogramm scheiterte an den knapp budgetierten Mitteln. Ähnlich im Dachverband SGB: Im selben Zeitraum wurden qualitative Ziele für die Gleichstellung aufgestellt, doch in die Praxis flossen diese kaum ein.
Diese ernüchternden Diskussionen offenbarten erneut, dass die Frauenbefreiung entgegen der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden musste und das schweisste die Gewerkschafterinnen zusammen. Deshalb umschifften sie die institutionalisierte Frauenbewegung in der SP und den bürgerlichen Parteien. Die Gewerkschafterinnen entschlossen sich mit anderen Mitteln zu kämpfen. Im waadtländischen Vallée de Joux schlug die Uhrenarbeiterin Liliane Valceschini 1989 vor, einen eintägigen Frauenstreik zu organisieren.
Nach zweijähriger Vorbereitungszeit kam es tatsächlich dazu. Die Massenmobilisierung für Frauenfragen war schwieriger geworden. Aber nun schien neuer Schwung reinzukommen.
Am 14. Juni 1991 nahm sich eine halbe Million Frauen die Schweizer Strassen. Die ökonomische Wirkung des Frauenstreiks war, verglichen mit der Zahl an Streikenden, bescheiden. Zuvor waren überall Streikkomitees aufgebaut worden. Das ermöglichte einerseits, dass der Streik grossflächig zum Diskussionsthema wurde. Dementsprechend stark war auch die Mobilisierung am Tag X. Doch wo es eben fehlte, war die Organisation der betrieblichen Streiks. Diese beschränkten sich hauptsächlich auf den Jura-Bogen (Industrie) und die Spitäler in Zürich. Die Vernachlässigung der betrieblichen Komponente liess ein grosses Potenzial ungenutzt.
Trotzdem stellt der Frauenstreik einen wichtigen Präzedenzfall für den Schweizer Klassenkampf dar: Vor dem Hintergrund des Kollaps des Warschauer Paktes im selben Jahr war die Mobilisierung bemerkenswert. Doch konkrete Errungenschaften waren rar. Der SMUV schrieb in einer Festschrift, dass die Wirkung ein «Bewusstseinsschub» war. Viele Frauen fühlten sich bestärkt, danach eine Lohnerhöhung zu fordern. Kollektive Verbesserungen gab es aber nicht: Der Gleichstellungsartikel bleibt bis heute symbolisch und in den folgenden Wahlen im Herbst 1991 blieb der Frauenanteil gleich niedrig. Aus dem Streik entstand auch keine Organisation, welche weiter für ihre Anliegen kämpfte. Zu schnell verpuffte der grosse Elan wieder.
1981 – Verabschiedung Gleichstellungsartikel BV
1988 – Neues Eherecht 1991 – Frauenstreik
1993 – BR-Wahl: Brunner nicht gewählt
1995 – Quoten-Initiative eingereicht
1996 – Vergewaltigung in Ehe wird Offizialdelikt
1996 – Gleichstellungsgesetz in Kraft
Der Frauenstreik ist Ausdruck davon, dass die Politik der wichtigsten Frauenorganisationen Ende der 1980er Jahre ziemlich am Bewusstsein der lohnabhängigen Frauen vorbeiging. Sie hatten sich schon völlig von Massenmobilisierungen verabschiedet. Als dann doch eine grössere Dynamik entstand, vermochte niemand dieser ein richtiges Programm zu geben. Letztlich wurde der Frauenstreik so nicht ein Meilenstein in der Frauenbefreiung, sondern vielmehr ein Mega-Happening mit den gleichen Forderungen wie davor und danach.
Seit Kurzem verabschieden sich AktivistInnen langsam vom rein institutionellem Kampf, Symbolpolitik und Quoten – also den Irrwegen der 80er- und 90er-Jahre. Ein wichtiger Schritt, denn die kritische Auseinandersetzung und Bewertung der Geschichte einer Bewegung ist essentiell, um die richtigen Kampfmittel zu wählen.
Ein Frauenstreik wird keine Frau in den Bundesrat oder einen Verwaltungsrat bringen. Aber für Frauen der ArbeiterInnenklasse ist der Streik ein zentrales, unerlässliches Kampfmittel. Obwohl 1991 kein Flop war, kann und muss 2019 mehr herausschauen!
Michael Wepf
JUSO Basel Stadt
Titelbild: Streikende Frauen am 14. Juni 1991 (Schweizerisches Sozialarchiv)
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