Rosa Bloch (geboren Bollag) hatte am eigenen Leib erfahren, dass der Kapitalismus nur wenigen zu Wohlstand verhelfen kann. Weil ihre Familie verarmte, musste sie ihr Jura-Studium abbrechen. Eine Anstellung fand sie in einem Juweliergeschäft an der Zürcher Bahnhofstrasse, weswegen sie in späteren Jahren von der bürgerlichen Presse oft als «Briliantenrosa» verrufen wurde. Die Missstände, die sie in ihrem Arbeitsalltag beobachtete, trieben sie dazu sich zu organisieren. 1912 trat sie der Sozialdemokratischen Partei bei.
Rosa Bloch war das einzige weibliche Mitglied des 1918 gegründeten Oltener Aktionskomitees (OAK). Ihren Sitz in der Forderungskommission gab sie aber schon nach zwei Monaten auf, noch vor Ausrufung des Landesstreiks. Fritz Platten ersetzte sie. Obschon auch er am linken Rand war, wurde Platten von den anderen Mitgliedern präferiert. Der Schritt war sicher schmerzlich für Bloch, die sich stets für eine aktive Beteiligung von Frauen an der Politik einsetzte.
Nicht nur Bloch, sondern auch andere Frauen in der sozialistischen Bewegung hatten erkannt, dass sich der Missstand in der Geschlechterfrage innerhalb des Kapitalismus nicht abschliessend lösen lässt. Sogar Marie Walter-Hüni, die politisch zum rechten Flügel der SP gehörte, schrieb in einem Bericht zur zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910, der «Traum einer allgemeinen Verschwesterung [ist] ein […] Trugbild, das die bestehenden schroffen Klassengegensätze verschleiern möchte» und sprach sich damit gegen den Zusammenschluss mit bürgerlichen Frauen im Kampf für das Frauenstimmrecht aus. Denn sie verstand das Frauenstimmrecht als Mittel, um im Rahmen des Klassenkampfs für echte Gleichheit zu kämpfen.
Für diesen Kampf mussten und müssen die Frauen aber in erster Linie Zeit haben. Vor allem für verheiratete Frauen war es schwierig, sich politisch zu engagieren. Viele von Blochs Mitkämpferinnen hatten erst nach der Scheidung, wie Rosa Grimm, oder als Witwen, wie Clara Zetkin, die Möglichkeit, sich der Politik zu widmen. Rosa Bloch, die trotz ihrer Ehe mit Siegfried Bloch ihre politische Arbeit weiterführen konnte, war eine Ausnahmeerscheinung.
Als Präsidentin des schweizerischen Arbeiterinnenverbandes (SAV) organisierte Bloch die sogenannten Marktdemonstrationen. Allein im Sommer 1918 gingen rund 15’000 Menschen auf die Strasse, um sich gegen die Nahrungsmittelknappheit und Wucherpreise zu wehren. Am 10. Juli 1918 verlangten 2000 Frauen vom Kantonsrat angehört zu werden. Dabei beriefen sie sich auf die Verfassung des Kantons Zürich von 1869, die allen Bürgern das Recht einräumte, ihre Anliegen direkt vor dem Kantonsrat zu vertreten.
Der Delegation, bestehend aus Rosa Bloch, Agnes Robmann und Marie Härri, wurde der Zutritt verweigert. Stattdessen überreichten sie dem Amtsdiener «Das Memorial der Frauen an den Regierungsrat und Kantonsrat des Kantons Zürich». Darin forderten sie die sofortige Beschlagnahmung von Lebensmitteln, die Erhöhung der Milchration sowie die Übernahme des Aufschlags beim Milchpreis durch den Kanton und die Notunterstützung der Wehrmannsfamilien trotz Erwerbstätigkeit der Frau. Am 17. Juli konnte die Delegation, dank dem Druck einer Reihe von Solidaritätskundgebungen, vor dem Kantonsrat erscheinen. Sie waren die ersten und die einzigen Frauen, denen vor Einführung des Frauenstimmrechts 1970 diese Möglichkeit gewährt wurde.
Als Führerin der Marktdemonstrationen wurde Rosa Bloch von ihren männlichen Genossen nicht nur toleriert, sondern auch weitgehend gestützt. Sie blieb jedoch ein Einzelfall. Die sozialistische Bewegung brach nicht mit den klassischen Rollenbildern, denn die Versorgung wurde weiterhin als alleinige Verantwortung der Frauen angesehen.
Viele Männer sahen ungern Frauen in Gewerkschaften. Viele Arbeiter sprachen sich gegen die Anstellung von Frauen in qualifizierten Berufen aus. Aufgrund der tieferen Lohnkosten, die durch Anstellung einer Frau anfielen, wurden sie nicht nur als Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch als Mittel zum Lohndruck betrachtet.
Damit eine proletarische Familie ihre Existenz bestreiten konnte, war und ist es aber auch für die meisten Mütter zwingend, einer Lohnarbeit nachgehen zu können. Deshalb wäre die korrekte Vorgehensweise für die Gewerkschaften als ArbeiterInnenorganisation die Forderung nach Lohngleichheit gewesen. Dies hätte nicht nur das eigentliche Problem aufgezeigt und dadurch das Klassenbewusstsein geschärft, sondern hätte auch den gemeinsamen Kampf mit Frauen ermöglicht. In dieser Instanz verkannten es die Gewerkschaften als Vertreter der organisierten ArbeiterInnen, dass nur die Aufhebung des wirtschaftlichen Systems diesen Lohndruck beheben kann und dass dazu die Organisation der gesamten ArbeiterInnenschaft, inklusive Frauen, zwingend notwendig wäre.
Um diesem Ausschluss möglichst entgegenzuwirken, schlossen sich kämpferische Frauen 1890 zum SAV zusammen. In ihrer Monatszeitung «Die Vorkämpferin» verfochten sie die Interessen der arbeitenden Frauen. Rosa Bloch war Redaktorin dieser Zeitung, welche klar am linken Rand der SP war und oft marxistische Positionen vertrat. Bloch steuerte regelmässig Artikel bei. 1920 zog die SP als parteiinterne «Sparmassnahme» die Finanzierung für das Blatt zurück. Blochs Enttäuschung über den fehlenden Kampfgeist innerhalb der SP war gross. Wie viele andere Frauen beschloss sie in die Kommunistische Partei überzutreten. Die weibliche Mitgliedschaft der SP sank von 4’000 (1919) auf 1’704 (1921).
Ihre politische Arbeit endete mit ihrem frühen Tod. 1922 verblutete sie während einer einfachen Kropf-Operation. Blochs Engagement war gross und wird wenig anerkannt. Ihre Nachfolgerin Mentona Moser hielt fest:
«Trotz ihrer politischen Arbeit und der Leitung der schweizerischen Frauenabteilung der kommunistischen Partei, versäumte sie keine Gelegenheit, unter den Massen Kleinarbeit zu verrichten, agitierte vor Betrieben, diskutierte mit Arbeitern und Arbeiterinnen, kolportierte Zeitungen, Broschüren, Abzeichen oder was gerade an der Tagesordnung war … und gewann viele Mitglieder für die Partei.»
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