[dropcap]D[/dropcap]ie Russische Revolution hatte Einfluss auf die ganze Welt. Welches waren die Auswirkungen auf die hiesige ArbeiterInnenbewegung? Die damalige JUSO führte Strassenschlachten an und trat dann der Dritten Internationale bei.

Die Nachricht des Sieges der Revolution in Russland, welche sich in ganz Europa rasch verbreitete, schlug auch in der Schweiz ein. Willi Münzenberg, der Führer der JungsozialistInnen beschrieb die damalige Situation so:

In der Schweiz existierte im Herbst 1917 eine gute revolutionäre Stimmung in breiten Massen der Arbeiterschaft, die mit wachsendem Interesse die Berichte über die Entwicklung der revolutionären Kämpfe in Russland verfolgt.“

In der Tat wurden damals die Veranstaltungen der sozialistischen Jugendorganisationen rund zum Thema der Situation in Russland breit besucht. In Zürich trieb die erfreuliche Nachricht die damaligen ArbeiterInnen zu Kundgebungen und teils Strassenschlachten.

Zudem wirkte sich die russische Revolution mit der Etablierung der Dritten Internationalen, der internationale Zusammenschluss der kommunistischen Parteien (Komintern), auf die Spaltung der Sozialdemokratie aus. Die Russische Revolution hatte also unmittelbare Auswirkungen auf die Schweiz aber auch verzögerte Effekte, die dennoch sehr prägend waren.

Die Schweiz im Krieg
Der Krieg drückte stark auf den Lebensstandard der Schweizer Lohnabhängigen. Während die Profite der KapitalistInnen durch die Kriegswirtschaft stiegen, mussten die Arbeitenden unter Teuerungen, Lohnsenkungen und Hunger leiden. Allein in der Metallindustrie verdreifachten sich die ausgewiesenen Reingewinne innert drei Jahren von 12 auf 39 Millionen Franken. Das Bürgertum verkündete den sogenannten Burgfrieden – den Schulterschluss der Klassen gegen den Krieg. Damit wurden die sozialen Kämpfe auf Eis gelegt.

Zeitgleich nutzte der bürgerliche Bundesrat, der damals mit Vollmachten ausgestattet war, diese um die Klasseninteressen der Bourgeoisie durchzusetzen. Der Bundesrat hob wesentliche Bestimmungen des Arbeitsrechts auf. Die Unternehmer konnten nun die Arbeitszeit verlängern, Überstunden ohne Lohnzuschläge verlangen oder Sonntagsarbeit und Nachtarbeit einführen.

Angesichts der sich zuspitzenden Klassenwidersprüche, die immer offener zu Tage traten, radikalisierten sich weite Teile der Massen von ArbeiterInnen Das hatte auch Einfluss auf die Gewerkschaften und Partei ausdrückte. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund verzeichnete von 1914-18 ein fast dreifaches Mitgliederwachstum. Der Bundesrat nutzte seine Vollmachten, um die politischen Freiheiten der ArbeiterInnenbewegung zu beschneiden: Das Demonstrations- und Versammlungsrecht wurden eingeschränkt und die Zeitschrift der JUSO verboten.

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Auswirkungen auf die SP
Die Widersprüche in der Sozialdemokratischen Partei spitzten sich zu. Schon da begann sich in der SP eine Differenzierung abzuzeichnen und drei grosse Strömungen traten klar zutage: ein rechter, reformistischer Flügel, Robert Grimms Zentristen, die mit revolutionären Phrasen auftraten, aber in Praxis reformistisch orientiert blieben und ein linker Flügel aus Münzenbergs JUSO. Die Russische Revolution beschleunigte wurde diese Spaltung nur noch.

Als der Krieg ausbrach, mussten sich die Sozialdemokratien europaweit positionieren. Im November 1912 wurde am Kongress der Zweiten Internationale, der internationalen Vereinigung der sozialistischen Parteien, eine Friedensresolution verabschiedet. Sie war ein Bekenntnis, dass der Krieg mit allen Mitteln verhindert würde. Trotzdem stimmten fast sämtliche Sozialdemokratien den Kriegskrediten und der Landesverteidigung zu. In der Resolution hiess es:

„Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“

Vaterlandsverteidigung oder Antimilitarismus
Obwohl die Zweite Internationale die richtigen Schlüsse gezogen hatte, schaffte sie es nicht, konsequent zu handeln. Die reformistische Logik verhindert den Bruch mit der bürgerlichen Demokratie. In einer Situation als dies erforderlich gewesen wäre, verfielen die SozialdemokratInnen dem Patriotismus und so eiferten auch altgediente SozialdemokratInnen der bürgerlichen Kriegstreiberei nach. Dieses Versagen führte zum Zusammenbruch der Zweiten Internationale. Auch in der Schweiz stimmte die Parlamentsfraktion der SP im Nationalrat der Landesverteidigung und den Vollmachten für den Bundesrat zu. Der Reformismus und die Anpassung der sozialdemokratischen Fraktion an die bürgerliche Ideologie waren auch in der Schweiz vorhanden und durch ihre Eigenheit sogar noch stärker verankert.

Durch das Aussenstehen der Schweiz im Krieg stellte sich die Frage der Kriegsunterstützung in der Partei weniger direkt. Dies erlaubte das Wahren der Einheit trotz der inneren Spannungen. Die Zersetzung der SPS schritt nur langsam voran. So nahm sie im Zusammenhang mit der Zimmerwalder Konferenz – womit der Grundstein zu einer neuen Internationalen gelegt wurde - eine progressive Rolle ein.

Insbesondere die Schweizer JUSO und das Büro der Jugendinternationalen waren zentrale Teile davon. Sie stellten mit RevolutionärInnen aus Russland die Zimmerwalder Linke dar, welche auch als Grundstein der späteren Komintern gilt.

Novemberunruhen 1917 und der Landesstreik
Gleich nach der Bekanntgabe des Sieges der Revolution in Russland wurden die fortschrittlichsten Teile der ArbeiterInnen mit Enthusiasmus und Tatendrang anegsteckt. In Zürich gipfelte dies in den Ereignissen der Novemberunruhen: Da die SP kaum etwas unternahm, um den Enthusiasmus der ArbeiterInnen aufzugreifen, kanalisierte sich diese Stimmung über Wochen hinweg in einer Blockade von Zürcher Munitionsfabriken.

Die Operation wurde durch eine Pazifisten-Gruppe geleitet. Die Polizei versuchte dieser Bewegung ein Ende zu setzen und verhaftete mehrere Personen. Da die SP noch immer nichts unternahm, bildeten sich spontan Aktionskomitees der ArbeiterInnen, welche versuchten eine Kundgebung gegen die Polizeibrutalität zu organisieren. Die Kundgebung fand breite Zustimmung in der Zürcher ArbeiterInnenschaft: „Der Helvetia-Platz war schwarz vor Menschen“, wie Münzenberg es beschrieb. Die Kundgebung eskalierte als die Polizei in die Menge das Feuer eröffnete. Es kam zu Strassenschlachten. Barrikaden wurden errichtet. Der Bundesrat entsandte das Militär nach Zürich. Der Protest wurde niedergeschlagen, 4 Menschen kamen dabei um und zahlreiche wurden verhaftet.

In Zürich hielt sich über ein ganzes Jahr hinweg eine immense Spannung. Zeitgleich bereitete die Arbeiterunion einen landesweiten Generalstreik vor. Die Lage in Zürich war so angespannt, dass im November ‘18 Zürich militärisch besetzt wurde, um im Falle eines Aufstandes vorbereitet zu sein. Für den neunten November beschloss das Oltener Aktionskomitee einen 24-stündigen Proteststreik, bei dem sie es eigentlich belassen wollte. Am zehnten November fand in Zürich eine Kundgebung statt, um die Russische Revolution zu feiern und an die Novemberunruhen zu erinnern. Die von zehntausend ArbeiterInnen besuchte Kundgebung wurde vom Militär brutal gesprengt. Darauf beschloss die Zürcher Arbeiterunion einen unbefristeten kantonalen Generalstreik. Der Druck der Zürcher Arbeiterschaft brachte dann auch das noch schwankende Oltener Aktionskomitee dazu, den landesweiten Generalstreik auszurufen.

Spaltung der Schweizer ArbeiterInnenbewegung
Der Zusammenbruch der Zweiten Internationalen machte die Etablierung einer neuen Internationalen notwendig. Durch die Russische Revolution wurde schliesslich auch die Kommunistische Internationale etabliert. Eine Welle der Spaltung setzte darauf in Europa ein, wobei sich eigentlich schon viele Parteien politisch von der Zweiten Internationalen verabschiedet hatten. Der Bruch musste sich nur noch organisatorisch vollziehen. Die Führung der Sozialdemokratien hatte die ArbeiterInnenschaft vielerorts im Stich gelassen oder sogar verraten.

Die Umstände des sich zuspitzenden Klassenkampfes und die Ausweglosigkeit der damaligen Situation mussten letztlich dazu führen, dass die Widersprüche innerhalb der Sozialdemokratie zu Tage traten und sich neue Formationen bildeten. Die Russische Revolution wirkte sich somit als entscheidender Einfluss auf den Differenzierungsprozess und trieb ihn bis aufs Äusserste.

Die SPS, die das Scheitern der Zweiten Internationalen hautnah mitverfolgt hatte und auch schon bestrebt war, eine neue Internationale zu gründen, begegnete der Komintern anfangs freundlich. 1919 beschloss die SPS den Austritt aus der alten Internationalen und den Beitritt zur neuen. Die Gegner des Beitrittes konnten darauf eine Urabstimmung (sämtliche Mitglieder werden gefragt) durchbringen, welche den Beitrittsentscheid rückgängig machte.

Als dann 1920 die 21. Beitrittsbedingungen zur Komintern bekannt wurden, vollzog sich eine endgültige Spaltung. Mit 350 zu 213 Stimmen konnten sich die Beitrittsgegner durchsetzen. Die Parteilinke verliess darauf den Parteitag und gründete darauf mit einer schon früher abgespaltenen kleineren Gruppe die KPS. Eine wichtige Rolle übernahm die JUSO, welche fast geschlossen der KPS beitrat. Schweizweit vollzog sich darauf in den Gewerkschafts- und Parteisektionen die Spaltung. In Städten wie Zürich oder Basel, wo die KommunistInnen eine Mehrheit hatten, traten ganze Sektionen der SPS der KPS bei. Auf gewerkschaftlicher Ebene begann die konservative Gewerkschaftsführung mit einer Säuberungswelle. Vor allem der SMUV als grösster Eigenverband im SGB schloss sämtliche KommunistInnen aus.

Fazit
Die Russische Revolution war auch stark prägend für die Politlandschaft der Schweiz. Nach dem Austritt der Parteilinken driftete die SP fast ungebremst nach rechts. Sämtliche Behauptungen der Parteimitte und -rechten, sie würden den revolutionären Klassenkampf unterstützen, wurden als leere Phrasen demaskiert. Dies bestätigt auch die Richtigkeit der Forderung der Dritten Internationalen. Beim Beitritt musste mit sämtlichen Elementen gebrochen werden, welche sich in der Realität als unfähig bewiesen haben, eine konsequente sozialistische Politik zu verfolgen. So sollte eine starke Partei der Arbeiterklasse aufgebaut werden. Wohin hätte auch eine Zusammenarbeit mit den Parteikräften geführt, die in den Schoss der bürgerlichen Demokratie geflohen sind?

Die Russische Revolution wirkte wie ein Katalysator auf den Differenzierungsprozess in der ArbeiterInnenbewegung. Dies ist charakteristisch für grosse politische Erschütterungen, die wir auch heutzutage antreffen können. Die Erschütterungen beschleunigen die Prozesse auf Weltebene, denn durch sie werden die verschiedensten Ideen auf die Probe gestellt und der gnadenlosen Prüfung der Realität unterzogen.

Alain Schwerzmann
JUSO Winterthur

Bild: sozialismus.ch