Im November 1918, vor 100 Jahren, entfachte das Feuer der Deutschen Revolution. Diese führte aber nicht in den Sozialismus, im Gegenteil: ihr Scheitern brachte mittelbar Faschismus und Stalinismus hervor. Weshalb das Scheitern und was können wir daraus lernen?
«Die Jugend macht viele Dummheiten, dennoch wird sie eine gute Revolution machen», meinte Lenin inmitten der revolutionären Ereignisse in Deutschland. Darauf erwiderte Carla Zetkin: «Sie werden nicht einmal eine schlechte machen!» Zetkin sollte Recht behalten: Die Führung des deutschen Proletariats versagte zwischen 1918-1923 mehrmals; die Revolution endete mit einer Niederlage. Begonnen hat die revolutionäre Phase mit einer riesigen Krise der bürgerlichen Gesellschaft: dem Ersten Weltkrieg.
Die alte Gesellschaft bröckelt
1918, nach vier Jahren Weltkrieg, lag ganz Europa in Trümmern. Die Lage der ArbeiterInnen war nicht nur an der Front schrecklich, sondern auch an der Heimatfront. Es herrschte Hunger, Elend und Verzweiflung. Die Kriegsbegeisterung und der Rausch des Patriotismus waren längst verflogen.
1917 brach in Russland die Revolution aus — und siegte unter der Führung der Bolschewiki. Dieser historische Erfolg rüttelte das Weltproletariat wach.
Novemberrevolution und Verrat der SPD
Die Meuterei der Kieler Matrosen im November 1918 war der Funke, welcher das Feuer der Revolution entfachte. Die Revolution eroberte das ganze Land im Sturm: In so gut wie allen Industriestädten des alten Kaiserreichs waren nun ArbeiterInnen- und Soldatenräte an der Macht. Die «Novemberrevolution» stürzte die Monarchie; der Kaiser floh.
Es herrschte eine Doppelmachtsituation: auf der einen Seite die Arbeiterräte, welche faktisch die ganze Macht innehatten — auf der anderen Seite die Reichsregierung, bestehend aus SPD und USPD (eine linke Abspaltung der SPD), gestützt auf den alten Staatsapparat.
Dem Proletariat stand die Tür zum Sozialismus weit offen, doch die ArbeiterInnen glaubten noch, die erzreformistische Sozialdemokratie würde sie in den Sozialismus führen. Nachdem diese sich an die Spitze der Räte setzen konnte, entlarvte sie sich selbst: Die SPD-Führung unter Ebert sabotierte die Rätestruktur und zerschlug diese unter Einsatz von Reichswehr und Freikorps.
Generalstreik gegen Militärdiktatur
Doch das bedeutete noch in keinster Weise den vollendeten Sieg der Konterrevolution. Anfang des Jahres 1920 durchströmte eine Welle von Streiks Deutschland. Die USPD und die junge KDP erhielten massiven Zulauf.
Teile der Bourgeoisie wollten die Revolution endgültig zu Boden bringen. Im März des Jahres 1920 scharte der Generallanschaftsinspektor Kapp die alte reaktionäre Reichswehrführung um sich. Er sammelte die Kräfte für einen Putsch gegen die deutsche Arbeiterklasse und die Errungenschaften der Novemberrevolution.
Zur Verteidigung der Revolution formierte sich spontan eine riesige proletarische Massenbewegung und der Generalstreik wurde ausgerufen. Es streikten zwölf Mio. ArbeiterInnen. Im Ruhrgebiet bewaffnete sich das Proletariat.
Der «Kapp-Putsch» wurde von der deutschen Arbeiterklasse abgewehrt. Die Revolution gewann die Oberhand. Doch USPD und SPD trieben die Bewegung nicht vorwärts, im Gegenteil. Im April 1920 kehrte auch die USPD der Revolution den Rücken. Sie stimmte in der Reichsregierung mit der SPD zusammen der Entwaffnung der «Roten Ruhrarmee» durch die Reichswehr und Freikorps zu. Die Reichswehr richtete daraufhin ein Blutbad im Ruhrgebiet an. Doch die deutsche revolutionäre Arbeiterklasse glich einer Hydra: man schlug ihr einen Kopf ab und es wuchsen zwei neue nach.
Ein letzter Versuch
1923 überschlugen sich die Ereignisse. Deutschland litt unter einer Hyperinflation. Das Geld der ArbeiterInnen schmolz dahin. Es machte sich Unmut breit. Die Lage verbesserte sich nicht, als französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten, um die Kriegsschulden Deutschlands einzutreiben.
Die Reichsregierung rief zum «passiven Widerstand» auf. Die herrschende Klasse Deutschlands wollte geschickt den Unmut des Proletariats auf die Besatzer lenken. Doch diese Taktik ging nach hinten los: Was als nationaler Widerstand begann, mündete schließlich in der revolutionärsten Phase, die Deutschland je erlebt hat. Die KPD wuchs in diesen Wochen enorm, denn sie war die einzige Partei, die sich in diesen Jahren noch nicht delegitimiert hatte. Im August entlud sich die Wut der ArbeiterInnen in einem riesigen spontanen Generalstreik, der innert zwei Tagen die Regierung unter dem Grosskapitalisten Cuno zum Rücktritt zwang. Die Streikenden schauten auf zur KPD, auf der Suche nach einer Führung.
Doch diese versäumte es, die Bewegung über den blossen Rücktritt der Regierung hinauszutreiben und die Kräfte des Proletariats in Richtung der Machtübernahme zu lenken. Das setzte endgültig einen Schlussstrich unter diese fünf, vor revolutionärem Potential strotzenden Jahre. Die Hydra wurde niedergestreckt.
Verheerende Folgen
Nicht nur das Schicksal Deutschlands hing von diesen Ereignissen ab, sondern auch dasjenige der Weltrevolution. Durch das Ausbleiben einer erfolgreichen Revolution in Deutschland wurde die junge Sowjetunion isoliert. Das ebnete der bürokratischen Degenerierung, personifiziert durch Stalin, den Weg. Auf der anderen Seite ermöglichte das Ausbleiben der Weltrevolution, dem Faschismus in Europa Fuss zu fassen. Rosa Luxemburgs Formel: «Sozialismus oder Barbarei» sollte sich bewahrheiten.
Im Unterschied zu Bolschewiki in Russland fehlte in Deutschland eine revolutionäre Führung. Die drei Arbeiterparteien SPD, USPD und KPD versagten der Reihe nach dabei, die Macht zu übernehmen und einen Arbeiterstaat zu errichten.
Dieser verheerende Fehler, den Aufbau einer revolutionären Führung versäumt zu haben, muss uns eine Lehre sein. Die Revolution braucht eine marxistische Führung, welche in der Lage ist, die Kräfte des Proletariats zu kanalisieren und in Richtung der Diktatur des Proletariats zu lenken. Wir müssen unser ganzes Engagement in den Aufbau einer solchen Organisation setzen und ein für allemal eine Antwort auf die historische Frage: «Sozialismus oder Barbarei?», geben.
M. Nyffeler
Vorstand JUSO Solothurn
Bild: Lebendes Museum online
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