Das Halbfinale der Pokalrunde der englischen Ligen zwischen dem Liverpool FC und Nottingham Forest sollte ein Fussballfest werden. Schon vor dem Stadion versammelten sich Tausende, um das Spiel von den Rängen des Hillsborough Ground in Sheffield mitzuverfolgen. Das Spiel endete jedoch als wohl schlimmste Katastrophe, die sich im Zusammenhang mit einem Sportereignis im Vereinigten Königreich je ereignet hat. Kurz nach Anpfiff kam es zu einem Gemenge auf der Tribüne der Liverpool-Fans. Unzählige Zuschauer wurden gegen die Zäune am Spielfeldrand gepresst oder zu Tode getrampelt. Insgesamt 96 Personen starben, 766 Personen wurden, teilweise schwer, verletzt.
The lies
Unter der Schlagzeile „The truth“ druckte die Sun, die auflagenstärkste Zeitung des Vereinigten Königreichs, vier Tage nach der Hillsborough-Katastrophe einen Bericht ab, in dem sie verkündete, dass Fans die Polizei behindert hätten. Im Versuch, sich in ihrer Sensationslüsternheit selber zu überbieten, wurde die Behauptung verbreitet, Fans hätten Rettungsarbeiten behindert, Gewalt gegen Polizei und Sanitäter angewandt und wehrlos auf dem Boden liegende Opfer bestohlen. Manche Betrunkene hätten sogar auf Opfer uriniert und Rettungskräfte seien mit Gewalt daran gehindert worden, Verletzte zu bergen. Wie sich später herausstellte, handelt es sich bei dem Artikel einzig um einen Haufen widerwärtiger Lügen.
Erst 2011 wurden einer unabhängigen Untersuchungskommission die Akten zur Hillsborough-Katastrophe zur Verfügung gestellt, nachdem eine Petition mit 139‘000 Unterschriften eingereicht wurde, die genau dies forderte. Die Kommission kam zum Schluss, dass nicht die Fans sondern die Ordnungskräfte Schuld am Unglück tragen. Zu viele Leute seien auf die Tribüne gelassen worden. Gleichzeitig seien die Nebentribünen nur halb voll gewesen. Die Behauptungen der Sun entbehren jeder Grundlage: Nachlässigkeit und Schlamperei seitens der Polizei habe die Katastrophe verursacht. Um die Schuld an den Ereignissen zu vertuschen, wurden von der Polizei mehr als hundert Zeugenaussagen verfälscht.
Die Presse als Organ der Bourgeoisie
Die tragischen Ereignisse von Sheffield sind insbesondere Ausdruck davon, wie stark die Widersprüche im Vereinigten Königreich gegen Ende des Kalten Krieges waren. Die damals regierende Premierministerin Thatcher sass alles andere als fest im Sattel. Die Popularität der Konservativen war nach jahrelangem bourgeoisem Raubbau an den Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung rückläufig. Ein Jahr nach Hillsborough trat Thatcher nach einem parteiinternen Machtkampf zurück. Hillsborough zeigt aber auch auf, wie bürgerliche Presse funktioniert: Die Sun hatte sich schon bei ihrer Wahl 1979 hinter Thatcher gestellt. Die ehemalige Gewerkschaftszeitung war nach rechts gerutscht und verfolgte eine Linie, die auf bourgeoiser Hetze und Sensationsgeilheit beruhte. Die Lügen der Polizei, die von eigenen Fehlern ablenken und den mehrheitlich aus der ArbeiterInnenklasse stammenden Fans die Schuld zuschieben sollten, wurden von der Sun mit Handkuss übernommen. Die Sun druckte nicht die Wahrheit zu Hillsborough – das ist auch nicht die Aufgabe bourgeoiser Presse. Sie druckte, was die von ihr in Schutz genommenen Organe des bürgerlichen Staates vorlogen und das, was sich gut verkaufte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Zeitungen wie die Sun nicht frei von objektiven Zwängen sind. So gehört der milliardenschwere Medienmogul Rupert Murdoch, der die Sun seit Jahrzehnten besitzt und deren politische Linie er massgeblich geprägt hat, zu eben jenen Besitzenden, die von den aktuellen Verhältnissen profitieren. Die Schmierenkampagne nach Hillsborough ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Bourgeoisie aller ihrer Kanäle, inklusive der Presse, bedient, um ihr Versagen nicht eingestehen zu müssen. Doch gegen die Hetze und die Lügen wurde auch Widerspruch laut: Der linke Sänger Billy Bragg sang „Never buy the Sun“ und in Liverpool fiel die Auflage der Sun von 400‘000 verkauften Nummern auf 15‘000.
Flo Sieber
Juso Thurgau
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