„Españoles, Franco ha muerto“ („Spanier, Franco ist tot“)! Am 21. November 1975 um 10 Uhr morgens wird der Tod des verhassten Diktators Francisco Franco im Rundfunk verkündet. Während der letzten Jahre der Diktatur kam es zu heftigen Auseinandersetzung zwischen den ArbeiterInnen und der Regierung in Spanien. Die spanische Gesellschaft war elektrisiert und im Aufbruch. Seit der Zerschlagung der Spanischen Revolution (1936-39) durch Franco und seine marokkanischen Söldner war Spanien zerrüttet. Die Arbeiterbewegung war gebrochen, die Frauen, welche sich in der Revolution hatten befreien können, wurden wieder hinter den Herd geprügelt.
Der Tod Francos leitet die sogenannte «Transición» (Transition von 1975-82) ein: den Übergang von der faschistischen Diktatur zur heutigen parlamentarischen Monarchie. Dabei wurden die Verbrechen der Faschisten vertuscht und viele ihrer Prinzipien finden sich in der heutigen spanischen Verfassung wieder. Darin ist der Ursprung der heutigen Probleme in Katalonien zu finden.
Die Linke und der Staat
Die «Transición» war eine revolutionäre Periode. Die Arbeiterbewegung war mobilisiert und revolutionäre Ideen gewannen an Rückhalt. 1975 allein gingen 1.3 Millionen Arbeitsstunden durch Streiks verloren (Vergleich: 1964/66 waren es 171’000 verlorene Arbeitsstunden). Bis heute gibt es keine vergleichbare Streikbewegung unter einer faschistischen Diktatur. Der herrschenden Klasse war bewusst, dass sie auf die Forderungen der ArbeiterInnen eingehen musste. Sonst drohte ihnen und dem kapitalistischen System der Untergang.
Um die Situation zu entschärfen, versuchte die herrschende Klasse die Führung der Arbeiterbewegung auf ihre Seite zu ziehen. Sie erreichte mit der Führung der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und der sozialistischen Partei (PSOE) einen Kompromiss. Diese übernahmen die Aufgabe, die ArbeiterInnen zu beruhigen. Die Verfassung von 1978 war Resultat dieses Kompromisses, wo die Führung der PSOE und CPE wichtige Konzessionen an die Herrschende Klasse in Spanien machte:
Diese drei Punkte sind ein grundsätzlicher Teil der Herrschaft des heutigen bürgerlichen Regimes in Spanien. Der bürgerliche Staat, der in der Transition entstand, ist ein konterrevolutionäres Werkzeug mit faschistischen Wurzeln. Heute wie damals ist sein Sinn und Zweck, das kapitalistische System zu erhalten.
Dies erklärt auch die aggressive Reaktion von Seiten Madrids auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien und speziell das Referendum vom 1. Oktober. Wird die Einheit Spaniens in Frage gestellt, wird auch die Monarchie und der Schutz der Franco-Verbrecher in Frage gestellt, also der ganze bürgerliche Staat an sich.
Alle Jahre wieder
Bemerkenswert ist der Wandel, der sich in der Linken vollzogen hat.1977 kämpfte die PSOE noch unter dem Banner der Republik und stellte sich klar gegen die Monarchie. Ebenfalls war das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein wichtiger Bestandteil ihres politischen Programms. Anstatt die revolutionären ArbeiterInnen vorwärtszutreiben, paktierten sie 1978 mit der Bourgeoisie. Angesichts der breiten Mobilisierung und Radikalität der ArbeiterInnen wäre der Sturz des Kapitalismus möglich gewesen. Stattdessen verwarfen die reformistischen Führungen alle ihre Forderungen und wurden zur wichtigsten Stütze des spanischen Kapitalismus.
Die Hauptverantwortung für den Verrat an den ArbeiterInnen trägt die PCE. Sie war die grösste Arbeiterpartei mit zehntausenden ehrlichen AktivistInnen. Wie die PSOE verfolgte die PCE eine reformistische Politik. Die Führungen der beiden Parteien beharrten darauf, dass die 78er-Verfassung die einzige Garantie für eine «stabile Demokratie» sei. Schnell vergassen sie, dass diese Demokratie blutig von den ArbeiterInnen erkämpft werden musste. Sie waren der Meinung, dass eine Verfassung mit demokratischen Grundsätzen, die einzige Garantie sei, um die Forderungen der ArbeiterInnen umsetzten zu können. Angesichts der schweren Krise in Spanien seit 2008, stellt sich diese Ansicht als falsch heraus.
2011/12 kam es in Spanien zu schweren Protesten gegen die Regierung. Aus der «Indignados-Bewegung» entstand die linksreformistische Partei Podemos. An deren Spitze steht Pablo Iglesias. Die spanische Politik schien von einem jungen, radikalen und frischen Wind erfasst zu sein. 2014 gewinnt Iglesias einen Sitz im europäischen Parlament. Der Hashtag Pablo Iglesias war nach den Wahlen Nr. 1 Trend auf Twitter.
Iglesias ging damals mit der spanischen Regierung hart ins Gericht. In seiner ersten Ansprache als Generalsekretär von Podemos kritisiert er die Verfassung von 1978. «Wir fordern einen konstituierenden Prozess, um die Ketten der 78er-Verfassung zu sprengen, mit allen über Wirtschaftsdemokratie und die Nationale Frage zu diskutieren.» Mit dieser Position griff Iglesias den Unmut der Bevölkerung – vor allem der Jugend – gegen das verhasste und korrupte Regime auf.
Drei Jahre später brach der Konflikt in Katalonien offen auf. Podemos sprach sich gegen das Referendum und die Unabhängigkeit Kataloniens aus. So kam es zu Problemen mit der katalanischen Sektion «Podem», welche die Durchführung des Referendums unterstützte, aber die Enthaltung vorschlug. In einem Interview pocht Iglesias auf das «plurinationale Spanien» und bezeichnete die 78er-Verfassung als den wichtigen «Kompromiss, der eine gute Lösung war und Spanien einte.» Die radikalen Worte und Angriffe von Podemos sind verflogen und er verteidigt die Verfassung. Dafür büsste Podem bei der Wahlschlappe (21. Dezember 2017) in Katalonien, wobei sie drei von elf Sitzen verloren. Dies führte Podemos in eine politische Krise, die immer noch ungelöst ist.
Das Verhalten von Podemos erinnert stark an die PCE und die PSOE in den 30er und 70er Jahren. Einer der wichtigsten Aufgabe der Linken ist es heute, sich mit der Prinzipienlosigkeit,welche die Reformisten auf Schritt und Tritt zu verfolgen scheint, auseinander zu setzten, um zu verhindern, dass wir uns in die gleiche Situation manövrieren. Es braucht eine Analyse der politischen Grundlage dieser Parteien.
Nie wieder Verrat
Wie oben erwähnt, ist einer der Grundpfeiler des spanischen Staats die territoriale Einheit (garantiert durch die Armee mit dem König als Oberbefehlshaber). Das Referendum in Katalonien stellte eine Gefahr für diese Einheit dar und wurde somit zur Gefahr für den spanischen Staat als Ganzes. Möchte man «die 78er-Verfassung sprengen», (Iglesias 2014) kann eine Unabhängigkeitsbewegung ein Werkzeug dafür sein und muss unterstützt werden. Es ist die Aufgabe der Arbeiterparteien, eine Bewegung vorwärts zu treiben. Aufzeigen, inwiefern der Kapitalismus die Ursache der Probleme (hohe Lebenskosten, schlechte Arbeitsbedingungen, Unterdrückung etc.) der Menschen ist und wie man ihn bekämpfen kann. Eine Partei kann diesen Prozess beschleunigen, aber genauso hemmen. Es wäre die Aufgabe von Podemos gewesen, die Forderungen der Katalanen aufzunehmen und im Rest Spaniens mit dem Kampf gegen die 78er-Regierung zu verbinden. Dies wäre eine Grundlage für das Überwinden der parlamentarischen Monarchie und den Aufbau einer sozialistischen iberischen Republik, die auf einer freiwilligen Zusammenarbeit basiert. Gleichzeitig hätte man der Unabhängigkeitsbewegung gezeigt, dass man nur mit einem sozialen Programm die Unterstützung der nicht-katalanischen ArbeiterInnenschaft gewinnen kann
Stattdessen versuchte Iglesias den Staat vor sich selbst zu retten und die Einheit Spaniens, den Status quo, zu erhalten. Er schlug einen Pakt zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung vor, um ein legales Referendum abzuhalten. Wie man den spanischen Staat dazu bringen könnte dabei mitzumachen, erklärt er nicht. Anstatt die ArbeiterInnen über den repressiven Charakter des bürgerlichen Staates aufzuklären, schürte er Illusionen, dass der Staat progressiv sein könne. Aber laut einer Umfrage von Metroscopia (2016) haben 76% der unter 34-jährigen kein Vertrauen in die politischen Institutionen als Ganzes. Die Bevölkerung kennt das Regime und hat keine Illusionen. Die Podemos hat sich mit ihrer Position zu Katalonien diskreditiert und steckt heute in der Krise.
Die Linke in Spanien muss anerkennen, dass der Staat nicht neutral ist, sondern einen Klassencharakter hat. Er verteidigt die KapitalistInnen. Sie muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht, auf der Seite der spanischen ArbeiterInnen oder der KapitalistInnen. Auf Grund der Geschichte des 78er-Regimes ist es ausgeschlossen, die nationale Frage in Katalonien innerhalb des bürgerlichen Rahmens zu lösen.
Das spanische Regime, wie wir es heute kennen, wurde konstruiert, um die Revolution in den 70er Jahren zu zerschlagen und den Kapitalismus zu erhalten. Die sozialen und nationalen Probleme, die sich heute stellen, werden vom kapitalistischen System hervorgerufen. Das kann nicht durch die Institution gelöst werden, deren Sinn und Zweck es ist, den Kapitalismus zu stützen. Gibt es Widerstand gegen den Staat wird geknüppelt. So waren während dem Referendum in Katalonien 6’000 Soldaten und Polizisten in Barcelona stationiert. Die Bilder der Gewalt schockierten die ganze Welt. Nur eine revolutionäre Massenbewegung kann es mit diesem brutalen Gegner aufnehmen.
Die Kapitalistenklasse hat Reichtum und einen Staat mit Armee auf ihrer Seite. Wir haben nur uns. Wir sind Millionen, sie sind wenige. Wir müssen den Rahmen unserer Gesellschaft sprengen, Profit verbieten, Banken und Unternehmen enteignen. Wir schreiben neue Gesetzte. Gesetze, die nicht den Profit in den Vordergrund stellen, sondern den Menschen. Die Regierung mit all ihren Institutionen ist in Spanien völlig diskreditiert. Anstatt falsche Illusionen in den Staat zu schüren, muss die Linke heute in die Offensive gehen.
Sarah-Sophia V.
JUSO Baselland
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