Energie ist ein essenzielles Gut. Heute wird es knapp. Die Ursache davon ist weder höhere Gewalt noch Zufall oder einzelne Bösewichte. Schuld am Energiemangel ist die grundlegende Funktionsweise des Kapitalismus, einem System am Abgrund.

Auf den Terminmärkten hatte sich der Strompreis zwischenzeitlich verachtfacht. Ab Februar wird Strommangel erwartet. Was bis vor Kurzem als für immer erledigt galt, wird heute wieder zum Problem. Trotz technischem Fortschritt kann der Kapitalismus heute die Energieversorgung nicht gewährleisten. Das ist keine tragische Ausnahme, sondern der Beweis, dass wir in eine Periode des gesellschaftlichen Rückschritts eingetreten sind.

Als «Lösung» gibt’s im Kapitalismus nur Protektionismus und Energieunabhängigkeit. Energiequellen wie Gas und Kohle werden wieder in Betrieb genommen – als wäre das Klimaproblem gelöst. Der Arbeiterklasse werden individuelle Sparansätze und vor allem explodierende Stromrechnungen aufgezwungen. Das verhindert zwar den Mangel nicht, schiebt die Kosten aber auf die Arbeiterklasse ab. Hauptsache die Profite der Kapitalisten sind garantiert und die Arbeiterklasse wird zur Verantwortung gezogen.

Der Kapitalismus kann unsere Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Er muss durch ein rationales System ersetzt werden: eine nachhaltige, rationale und demokratische Planwirtschaft mit internationaler Kooperation.

Plötzlich hat es zu wenig!

Für Gas ist die Schweiz von Deutschland abhängig, das wiederum von stillstehenden russischen Gaslieferungen abhängt. Die Schweiz hat zwar Gasspeicher, sie befinden sich jedoch in Deutschland. Bei einem akuten Gasmangel im kommenden Winter drohen 5,6 Millionen ArbeiterInnen ihren Job zu verlieren. Es ist fragwürdig, ob die deutsche Regierung in einer so explosiven Situation die Lieferverträge mit der Schweiz einhalten würde. fragwürdig. Belastet würden direkt die Schweizer Lohnabhängigen: 40% des Gases strömt in Haushalte und 55% aller Wohngebäude werden mit Gas beheizt.

Beim Strom ist die Situation ebenfalls angespannt. Obwohl die Schweiz mit Stauseen Strom erzeugt, muss im Winter Strom zugekauft werden. Ca. 10% werden in der Regel durch französischen Atomstrom abgedeckt. Nicht so diesen Winter: Mehr als die Hälfte der französischen AKWs sind wegen dringender Wartungsarbeiten vom Netz. Die Mangellage in Frankreich hat den Präsidenten bereits zur Verstaatlichung des Stromproduzenten EDF gezwungen. Ob er die Lieferverträge einhält, wenn Frankreichs Bevölkerung der Strom abgeschaltet wird, ist ebenfalls unsicher.

Das Ausmass des Mangels hängt erstens davon ab, wie voll die Stauseen sein werden. Zweitens davon, wieviel im Winter geheizt werden muss. Und drittens ist die Kooperationsbereitschaft der Nachbarregierungen ein grosser Faktor. Kurz gesagt: Der ganze zivilisatorische Fortschritt, unsere zunehmende Beherrschung der Natur, ist für die Katz. Nach Jahrhunderten des Fortschritts sind wir für die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse wieder dem Wetter ausgeliefert. Der Kapitalismus dreht das Rad der Zeit zurück! 

Produktion als Ware

Die Bürgerlichen schieben die Schuld auf externe Ursachen und auf Putin. Doch die wahre Ursache findet sich in der Funktionsweise des Kapitalismus. Elektrischer Strom, ob aus Gas oder anderen Quellen, ist das Lebensblut der Wirtschaft. Hergestellt wird er wie jede Ware: mit dem einzigen Zweck, Profit zu erwirtschaften.

Wegen seiner Wichtigkeit wurde der Stromsektor Mitte des 20. Jahrhunderts verstaatlicht, da Kapitalisten sich schon damals geweigert hatten, notwendige Investitionen zu tätigen. Seit den 80ern wurde der Sektor in den westlichen Ländern hingegen wieder privatisiert und marktwirtschaftlich organisiert. Grossteils werden Investitionen staatlich getätigt, was eine Subvention privater Profite in absurdem Ausmass bedeutet. Die Marktlogik führt dann aber zu völlig irrationalen Resultaten: allen voran dem Mangel.

Die kapitalistische Produktion führt bei jeder Ware zu einem chaotischen, ungeplanten Angebot. Das gilt für Nahrungsmittel genauso wie für Medikamente. Die aktuellen Verwerfungen auf dem Strommarkt sind nur das jüngste Beispiel. Das Taumeln vom Überangebot zum Mangel sowie massive Preisschwankungen – das sind nicht Ausnahmen, sondern notwendige Konsequenzen der Marktlogik.

Ein Ausdruck der organischen Krise

Heute befinden wir uns nicht in einer vorübergehenden Wirtschaftskrise. Der Kapitalismus steckt weltweit in einer Sackgasse. Die Energiekrise ist nur eine Äusserung der organischen Krise des Kapitalismus. Die Produktivkräfte prallen gegen die zu engen Schranken des Kapitalismus: Das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Nationalstaat sind zu einem Hindernis für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt geworden. 

Märkte stagnieren weltweit. Die Konkurrenz zwischen Grossmächten spitzt sich zu und führt zu Protektionismus, Handelskriegen und geopolitischen Spannungen. Der Krieg in der Ukraine, inklusive des Wirtschafts- und Gaskrieges, ist Ausdruck dieser imperialistischen Zuspitzung. Seine Ursache liegt schlussendlich in der organischen Krise, in der wir uns befinden.

Wie sie den nachhaltigen Umbau vermasseln

Die Energiekrise verdeutlicht, dass die drängendsten Probleme der Menschheit nur mit grösserer internationaler Zusammenarbeit zu lösen sind. Doch der Kapitalismus entwickelt sich aktuell in die entgegengesetzte Richtung: zurück zur Kleinstaaterei.

Kapitalisten haben eigentlich ein Interesse an einer nachhaltigen Absicherung der Energieversorgung, sehen sogar die Notwendigkeit von Planung und Kooperation. Ungeklärt ist aber, wer diese leiten soll: Kapitalisten stehen immer in Konkurrenz um Ressourcen und Märkte. Die Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten spiegelt diese Konkurrenz auf höherer Ebene. 

Der planlose Umbau der Energieproduktion ist einer der Gründe für die aktuelle Energiekrise. Dieses Versagen verdeutlicht den reaktionären Charakter von Nationalstaat und Privateigentum. Im Profitsystem ist jede vorausschauende Planung von Angebot und Nachfrage unmöglich. Die Kapitalisten wurden vom steigenden Energieverbrauch der zunehmenden E-Mobilität und der Ersetzung von fossilen Energiequellen – eigentlich eine positive Entwicklung – überrascht. Als hätte man das nicht kommen sehen! Die nachhaltige Energieproduktion wurde jedoch nicht gleich schnell ausgebaut, zugleich müssen marode AKWs abgeschaltet werden. Die Nachfrage steigt schneller als das Angebot und führt zu Mangel. 

Das Problem: Kapitalisten investieren nur in erneuerbare Energien, wenn Aussicht auf fette Profite besteht. Mit den tiefen Strompreisen war ihnen das bis vor Kurzem nicht profitabel genug – deshalb wurde zu wenig ausgebaut. Das führt dazu, dass in Deutschland der Anteil erneuerbarer Energie an der Stromproduktion 2020 sogar von 41 auf 37 % zurückgegangen ist! Das Ziel des Kapitalismus ist nicht die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse, sondern die Maximierung des privaten Profits. Irrationalität ist keine bedauerliche Nebensächlichkeit. Sie entspringt der grundlegenden Funktionsweise dieses Systems: der Anarchie des Marktes.

Heute verteidigen Bürgerliche die «energiepolitische Unabhängigkeit» von Russland, oder im Fall der Schweiz von der EU. Als Argument werden Selbstständigkeit und der Kampf für Menschenrechte und gegen Diktatur ins Feld geführt. Doch die wahren Ursachen des Protektionismus sind ökonomische Sachzwänge und haben nichts mit Idealen zu tun. Saudisches Öl hat nichts mit Menschenrechten zu tun. Die verstärkte Konkurrenz zwingt sie zur Rückkehr in die nationale Versorgung. 

«Energiepolitische Unabhängigkeit» heisst Protektionismus in der Stromversorgung. Das lässt Kosten und Preise steigen und die Effizienz sinken. Internationale Kooperation würde die Forschung beschleunigen, die Kosten senken und die Effizienz steigern. Doch dieser Weg ist im Kapitalismus versperrt: Die Krise des Systems drängt in Richtung Protektionismus und Blockbildung. So muss (oder müsste) jedes Land seine Probleme allein angehen. Das ist immer ineffizient und deshalb rückschrittlich. 

Dass Russland Gas als Kriegsmittel einsetzt, ist nicht der Grund für die Energieknappheit. Es nur ein Auslöser unter vielen. Doch sie alle haben dieselbe Ursache: der Kapitalismus in einer historischen Krise. Jede Scheinlösung der Kapitalisten kann seine Widersprüche nur vertiefen!

Nach mir die Sintflut

Eine «Lösung» im Kapitalismus bedeutet nicht rationelle Planung, welche die Nachfrage gezielt und nachhaltig befriedigt. Die Energieproduktion erfolgt rücksichtslos für Profit. Den Preis bezahlen immer die Umwelt und die Arbeiterklasse. 

Die Emissionen aus Kohleenergie haben in der EU letztes Jahr um 17 % zugenommen – weil mehr Kohlestrom produziert wird. Gleichzeitig wird in Frankreich der Stromproduzent EDF von der Regierung gezwungen, marode AKWs schnellstmöglich wieder anzuschalten.

Diese rücksichtslose Priorisierung der Profite hat schneller ökologische Konsequenzen, als wir uns vorstellen können. Pakistan erlebte diesen Sommer eine Kombination aus extremer Hitzewelle und riesigen Überflutungen. Auch in der Schweiz verloren die Gletscher diesen Sommer in gewissen Wochen über 300 Millionen Tonnen Schnee und Eis! Das wird fatale Folgen für die Stromproduktion und die Schweizer Landwirtschaft haben.

Bürgerliche Sackgasse

Eine Mangellage im Winter würde eine teure Vollbremse der Wirtschaft bedeuten. Doch der Bundesrat ist völlig planlos. Das illustriert, dass die herrschende Klasse überhaupt keinen Ausweg hat, weder lang- noch kurzfristig. Was sie eint, ist die Überzeugung, dass die Arbeiterklasse für diese ausweglose Situation bezahlen soll. 

Mit der Propaganda des Verzichts und des individuellen Sparens bereiten sie die Arbeiterklasse auf die Mangellage vor. Der Ansatz individueller Opfer gibt keine Antwort auf das langfristige Energieproblem und verändert auch kurzfristig überhaupt nichts! Der individuelle Stromverbrauch ist ein Klacks. Allein das Stahlwerk Gerlafingen verbraucht so viel Strom wie alle Bewohner der Stadt Bern zusammen! Das einzige Ziel dieser Propaganda ist es, die Sündenbock- und Spaltungspolitik zu betreiben. Wenn es hart auf hart kommt, wird die Arbeiterklasse verantwortlich gemacht, weil sie nicht genug frieren wollte – um die Stahlproduktion am Laufen zu lassen!

Für die Haushalte bedeutet das bereits heute schmerzhafte Einschnitte! Auch in der Schweiz werden Familien pro Jahr durchschnittlich 315.- mehr für Strom und, wer mit Gas heizt, 530.- mehr fürs Heizen bezahlen. Strompreisbremsen wie in EU-Ländern sind keine vorgesehen!

Einziger Ausweg: Planwirtschaft

Eine stabile, nachhaltige, ökologisch und sozial verträgliche Energieversorgung ist im Kapitalismus unmöglich. Kapitalismus bedeutet heute Rückschritt auf allen Ebenen. Jeder weitere Fortschritt für die Menschheit verlangt den Bruch mit diesem System.

Dass dieses System uns heute existenziell bedroht, ist eigentlich künstlich. Es gibt keine technischen Hürden, alle Lösungen existieren. Es ist eine politische Frage: Privateigentum, Profitmotiv und Nationalstaat verhindern die Ausnutzung des existierenden Potenzials. Mit ihnen muss gebrochen werden! 

Für eine nachhaltige Energieversorgung gibt es keine Pauschallösung. Weder Photovoltaik noch Windräder allein lösen das Problem. Wir brauchen die planmässige, rationale Verwaltung der international bestehenden Ressourcen. Gleichzeitig muss auch der Verbrauch geplant werden: Nachhaltiger Transport und Mobilität bedeuten ÖV und Schiene, nicht Individualverkehr und LKW.

Es ist nicht unsere Aufgabe, das Energieproblem für die Kapitalisten zu lösen. Es ist objektiv unmöglich! Ein nachhaltiger Umbau der Wirtschaft macht riesige Investitionen in Infrastruktur und Forschung notwendig. Der Reichtum dazu existiert. Doch er steckt im Besitz von einigen wenigen Grosskonzernen und Kapitalisten. Um diese Investitionen zu garantieren, müssen Banken und Energiekonzerne enteignet werden!

Das alles kann nur die Arbeiterklasse tun. Sie hat kein Interesse an Profit oder Nationalismus. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen haben ein objektives Interesse daran, die Kontrolle über den gesamten, täglich von ihnen geschaffenen Wert zu erkämpfen und nach einem nachhaltigen Plan einzusetzen. Eine weltweite, demokratische Planwirtschaft könnte die zuverlässige Befriedigung unserer Grundbedürfnisse in wenigen Jahren zur Realität machen.

Ein demokratischer Plan ermöglicht eine rationale Entscheidung darüber, wo wir die riesigen Ressourcen investieren. Heute wird dies ausschliesslich durch die Profitrate der verschiedenen Wirtschaftssektoren entschieden. Diese Willkür ersetzen wir durch demokratische Entscheidungen darüber, welche Probleme Priorität haben. So können wir alle verfügbaren technischen und menschlichen Ressourcen gezielt einsetzen und damit Kräfte freisetzen, welche heute unvorstellbar sind. Das ist die Lösung – die einzige!

Caspar Oertli, Redaktion Der Funke
08.10.2022