Mit dem Zusammenbruch der Credit Suisse hat der Schweizer Imperialismus ein historisches Standbein verloren. Der CS-Crash ist der neuste Ausdruck des Niedergangs des Schweizer Kapitalismus. Die Zwangsfusion mit der UBS löst nichts, sondern vertieft und beschleunigt diesen Niedergang.
Der Credit Suisse-Crash muss im Kontext des langen Niedergangs des Schweizer Imperialismus angeschaut werden. Die CS war ein historisches Standbein des Schweizer Kapitalismus. Ihr Zusammenbruch schlägt einen weiteren Nagel in den Sarg des hiesigen Finanzplatzes. Deshalb ist der Zusammenbruch der CS gleichzeitig der neuste Ausdruck der Sackgasse des Schweizer Kapitals, sowie ein Verstärker dieses Prozesses.
Die Rettungsaktion des Bundesrates war ein harter Schlag gegen die Stabilität des gesamten Wirtschaftsstandortes und des politischen Regimes. Erneut zeigt sich, dass die Schweiz kein Sonderfall ist. Die Krise ist definitiv auch hier angekommen und die Arbeiterklasse soll bezahlen. Vor uns steht eine Periode der Krise, der schnellen Abfolge solcher Schocks und der Zunahme der Klassenkämpfe.
Der Finanzplatz steht repräsentativ für die spezifisch schweizerische Form des Imperialismus: International ausgerichtet, auf spezielle Nischen fokussiert und «neutral», d.h. mit Geschäftsbeziehungen zu verschiedenen Blöcken. Der Schweizer Kapitalismus kannte eine frühe Industrialisierung und Internationalisierung. Der kleine Binnenmarkt drängte das Kapital schnell ins Ausland, die Banken – insbesondere die Vorgängerin der CS, die Kreditanstalt – stellten dafür das notwendige Kapital zur Verfügung. Das Schweizer Kapital trat nicht als eigenständige Kolonialmacht auf, sondern als «neutraler» Trittbrettfahrer im Schlepptau der grossen Imperialisten.
Die Banken profitierten von der geographischen Lage und der politisch-ökonomischen Position während den beiden Weltkriegen. Der Aufstieg der Vermögensverwaltung vollzog sich während der grossen Krise der 1920er Jahre. Während dem Nachkriegsaufschwung stieg der Bankenplatz zu einer internationalen Finanzdrehscheibe auf. Dabei half der Staat mit der Verteidigung des freien Kapitalverkehrs und dem Schutz des Schweizerfrankens. Das staatlich geschützte Bankgeheimnis machte den Bankenplatz zu einem Grundpfeiler der Schweizer Stabilität.
Die Krise der 70er war die erste Überproduktionskrise nach dem Krieg. Die internationale Konkurrenz nahm überall zu, auch im Finanzsektor. Die Banken standen vor der Wahl: sich ganz oben behaupten oder in die Bedeutungslosigkeit absteigen. Sie entschieden sich für die Flucht nach vorn. Ab den 80ern führte eine Fusionswelle zu zwei Grossbanken. Die CS stieg bei der «First Boston» ins Investment Banking ein. Mit dieser Offensive konkurrierten die beiden Grossbanken UBS und CS das US-Kapital auf dessen Heimmarkt.
Was war die materielle Basis, welche diese Flucht nach vorn möglich machte? Die überdurchschnittliche Marge aus der Nische des Bankgeheimnisses! Dieser Konkurrenzvorteil war einmalig.
Mit der Überproduktionskrise Krise blieben die Renditen in der Realwirtschaft tief. Niemand wollte die Produktion ausbauen, weil es für zusätzliche Waren keine Nachfrage gab. Fehlende Profite wurden durch die Zunahme von fiktivem Kapital und Spekulation kompensiert. Das Risiko nahm zu, insbesondere ganz oben, wo die CS und die UBS nun mitspielen. Die CS holte sich 2001 mit der Dot-Com-Blase eine blutige Nase. Die UBS 2008. Nach der Subprime-Krise musste sie vom Staat gerettet werden.
Diesen Moment der Schwäche nutzte das US-Kapital aus und gab dem Bankgeheimnis den Todesstoss. Die herrschende Klasse war 2011 gezwungen, dieses aufzugeben. Das war eine historische Niederlage für das Schweizer Kapital, weil es den helvetischen Grossbanken die Basis für ihren Aufstieg und ihre Konkurrenzfähigkeit entriss. Das Bankgeheimnis war der zentrale Vorteil der Schweizer Vermögensverwaltung in der Konkurrenz.
Der Zusammenbruch der CS ist nur der neuste Ausdruck des Niedergangs des hiesigen Finanzsektors. Seine Wertschöpfung ist seit 2007 bereits um 17 % zurückgegangen. Die Bilanzsumme der fusionierten UBS ist um einen Drittel kleiner, als es die UBS 2008 allein war. Die führende Position der neuen UBS in der Vermögensverwaltung gibt ihr einen Vorteil. Neben den diversen Nachteilen: dem Wegfall des Bankgeheimnisses und neuerdings dem Reputationsschaden durch den Zusammenbruch einer Grossbank und dem Präzedenzfall der Übernahme der Sanktionen gegen russische Vermögende. Der Konkurrenzkampf gegen den Singapurer Bankenplatz läuft seit längerem heiss und wird auch in Zukunft nicht einfacher. Die Rückkehr zu den alten Profiten ist ausgeschlossen. Der helvetische Finanzplatz wird nie mehr seine alte Grösse erreichen. Die Schweiz als internationale Finanzdrehscheibe war eine Eigenheit des 20. Jahrhunderts. Das ist vorbei.
Die Krise des Bankensektors ist ein spezifischer Ausdruck des allgemeinen, relativen Niederganges des Schweizer Imperialismus. Sein Erfolgsrezept baute auf «neutraler» Geschäftemacherei mit Allen und mit gewissen profitablen Nischen. Das war so lange möglich, wie der Weltmarkt wuchs. Doch die Stagnation führt zu härterer Konkurrenz und Blockbildung. In der direkten Konfrontation mit Grossmächten hat die kleine Schweiz keine Chance. Das lässt die Nischen verschwinden, in denen das Schweizer Kapital „gedeiht“ hatte. In der heutigen Periode lösen sich die alten Erfolgsrezepte in Luft auf. Alle Stärken werden zu Schwächen. Die herrschende Klasse befindet sich in einer Sackgasse, weil sie der globalen Krise schlussendlich ausgeliefert ist.
Das zeigt sich ebenfalls in einem anderen wichtigen Sektor, dem Exportsektor. Das Schweizer Kapital ist extrem integriert in den Welthandel. Knapp 80 % der Exporte gehen in die drei Märkte EU, USA und China. Die Basis für die relative Stabilität der letzten Periode waren Freihandel und Globalisierung. Doch diese Periode ist vorbei! Heute sind die zentralen Tendenzen der Protektionismus und der Handelskrieg zwischen den USA und China. Der Exportsektor wird immer mehr gezwungen, sich zwischen den USA und China zu entscheiden. Die Perspektive ist gezeichnet vom Verlust von Märkten, der Verteuerung der Produktion und den heftigen politischen Reibereien, welche diese – für gewisse Kapitalfraktionen schmerzhaften – Entscheide begleiten werden. Die alten Rezepte werden nutzlos. Die Bourgeoisie ist gezwungen, neue zu finden und zu manövrieren. Aber es gibt keine Lösung für sie.
Der vergangene Kurs der Führung der CS wirkte kopflos. Doch er war repräsentativ für die Schweizer Bourgeoise. Sie will und kann die wahre Position der Schwäche – unter der Gefahr des Unterganges – nicht akzeptieren. Die CS-Führung machte nach 2008 weiter wie bisher und ging noch grössere, spekulative Risiken ein. Gerade weil die alte Praxis ihre materielle Basis – spätestens nach dem Wegfall des Bankgeheimnisses – komplett verloren hatte! Dieser Zustand kam nun, durch die Vertiefung der organischen Krise, «plötzlich» zum Vorschein, zuerst mit den zahlreichen Skandalen, schlussendlich mit dem Kollaps der historischen Grossbank.
Gleichzeitig wirkt der CS-Crash als Beschleuniger des Niedergangs. Das Resultat geheimer Verhandlungen eines Märzwochenendes rettete – vorerst – eine Bank, zum Preis eines enormen Reputationsschadens für das gesamte Regime. Nicht nur der Schweizer Bankenplatz erhielt eine arge Schramme, sondern gleich alle Pfeiler des Schweizer Kapitalismus: Die Rechtssicherheit, die langfristige Stabilität, der Wirtschaftsstandort. Sogar das Vertrauen in den Schweizer Franken wurde in Mitleidenschaft gezogen. Und das genau in dem Moment, in dem die Schweizer Neutralität, im Kontext des Ukrainekrieges, in einer historischen Krise steckt. Die ökonomische Sackgasse, im Verhältnis zum globalen Kapitalismus, wird unweigerlich die politische und soziale Stabilität im Innern unterhöhlen.
Die Schweiz wurde über Jahrzehnte gerühmt für ihre ökonomische und soziale Stabilität, sowie das scheinbar unerschütterliche politische Regime. Diese basierten auf den Gewinnen aus der spezifischen Form des Schweizer Imperialismus und aus der einmaligen Situation des langen Nachkriegsaufschwungs. Das schürte die Illusion, dass die Schweizer Demokratie dem Interesse aller diene und schaue, dass es allen gut ginge. All dies kehrt sich nun ins Gegenteil, denn diese Illusionen entsprechen immer weniger der täglichen Erfahrung der Lohnabhängigen.
Genau weil sich das Schweizer Kapital als Reaktion auf die organische Krise immer tiefer mit dem Weltmarkt vermählt hat, wird die Schweiz heute überproportional von der Umkehrung der weltweiten Tendenzen getroffen. Eine Rückkehr der alten Stabilität ist völlig ausgeschlossen – auch der prekären Stabilität der letzten 15 Jahren. In der neuen Periode wird die Schweiz ihren «Krisenrückstand» auf andere Länder aufholen.
Als kleiner Imperialismus ist das hiesige Kapital der weltweiten Krise ausgeliefert. Ihm bleibt eine Option: die Profite und die Konkurrenzfähigkeit auf dem Rücken der Arbeiterklasse zu verbessern. Härtere Angriffe auf Löhne, Renten, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen stehen auf der Tagesordnung. Doch ob die Kapitalisten ihre Wunschliste an Verschlechterungen einfach durchsetzen können, ist nicht vorherbestimmt. Es ist eine Frage von sozialen Kräften: vom Klassenkampf!
Sieht man den Zusammenbruch der CS im Kontext der Krise des Schweizer Imperialismus, kam er nicht unerwartet. Neu ist jedoch, dass der wahre Zustand der Pattsituation öfter und sichtbarer an die Oberfläche tritt. Er kann nicht mehr verschleiert werden. Ereignisse wie der CS-Crash zerstören Illusionen und zwingen die Arbeiterklasse, das wahre Ausmass dieser Sackgasse anzuerkennen.
Genau zu der Zeit, in der die politischen Vertreter des Kapitals härtere Angriffe auf die Lohnabhängigen durchpeitschen müssen, führen solche Ereignisse zur Entblössung der Rolle der Politiker, von Regierung und Staat. Während die Inflation die Arbeiterfamilien im Allgemeinen und die Sparmassnahmen im Gesundheitsbereich die Pflegenden im Besonderen ausquetschen, garantiert der Bundesrat dem maroden Bankenplatz bedingungslos 259 Milliarden. Das Parlament darf im Nachhinein darüber debattieren und die Kredite sogar ablehnen. Doch bewirken tut dies nichts.
Solche Ereignisse reissen den Menschen den Schleier von den Augen: Auch die Schweiz ist eine Klassengesellschaft, der Bundesrat ist die Regierung der Kapitalisten und die Angriffe sind nicht einfach böswillig oder ungerecht, sondern notwendig, weil sie den kalten Interessen einer Klasse entsprechen. In der Krise entblösst sich das Regime zunehmend als das, was es ist: Die Diktatur des Finanzkapitals über die gesamte Gesellschaft.
Mit dem Verschwinden der ökonomischen Stabilität wird auch das Ende der sozialen und politischen Stabilität eingeläutet. Die Illusionen in den Sonderfall Schweiz können nicht länger aufrechterhalten werden. Auch die Schweizer Arbeiterklasse wird sich wehren. Die Schweiz ist keine Insel und genauso wie in Grossbritannien, Frankreich und Deutschland stehen auch in der Schweiz grosse Klassenkämpfe auf der Tagesordnung. Auch in der Schweiz sind wir in eine Periode der Vorbereitung der sozialen Explosion eingetreten.
Caspar Oertli, der Funke
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