Die marxistische Revolutionärin Rosa Luxemburg lebte in den turbulenten Zeiten von Imperialismus, Krieg und Revolutionen Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihre Ideen und ihr lebenslanger Kampf beinhalten wertvolle Lektionen für unsere heutige stürmische Periode.
In vielerlei Hinsichten ähnelt die heutige Situation jener Rosa Luxemburgs vor über hundert Jahren: Heute wie damals steckt der Kapitalismus in der organischen Krise, revolutionäre Bewegungen entstehen und die Welt wird von Krieg erschüttert. Heute, wo mit dem Ukraine-Krieg praktisch die gesamte «Linke» vor der ohrenbetäubenden imperialistischen Propaganda eingeknickt ist, können wir bei Luxemburg sehen, was es heisst, in der Kriegsfrage eine revolutionäre Position zu verteidigen. Alle RevolutionärInnen in der Schweiz sollten sich mit ihrem Leben und ihrem Kampf auseinandersetzen.
Kürzlich haben wir von der International Marxist Tendency ein Buch über das «revolutionäre Erbe von Rosa Luxemburg» veröffentlicht. Verschiedene politische Strömungen beziehen sich auf Luxemburg, um mit völlig verzerrten Interpretationen ihre eigenen reformistischen Positionen zu bestärken. Das neue Buch der dänischen Marxistin Marie Frederiksen zeigt systematisch auf, wie Luxemburg ihr Leben lang eine standfeste Revolutionärin war. Sie verteidigte konsequent die marxistische Position im Kampf für den Sozialismus.
Luxemburg hat ihr Leben der revolutionären Arbeit vor allem in Deutschland gewidmet. Dort gab es eine starke Arbeiterbewegung, die von der Sozialdemokratischen Partei (SPD) angeführt wurde. Rosa kämpfte innerhalb der SPD gegen die reformistische Anpassung der Führung an die kapitalistischen Interessen und gegen die Verwässerung der marxistischen Theorie.
Dabei spielte die Kriegsfrage zunehmend eine wichtige Rolle. Der Erste Weltkrieg hatte sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert mehr und mehr abgezeichnet. Der Kapitalismus war in sein imperialistisches Stadium eingetreten, was verschärfte Konkurrenz um neue Märkte und Ressourcen bedeutete. Die entgegengesetzten Interessen der nationalen Bourgeoisien brachen schliesslich 1914 im offenen Krieg aus: Der Erste Weltkrieg war wesentlich ein Konflikt zwischen den kapitalistischen Grossmächten um die Umverteilung von Märkten und Kolonien.
Die SPD hatte davor über Jahre immer wieder Position gegen Krieg und Imperialismus bezogen. Zusammen mit der Sozialistischen Internationale hatte sie in Resolutionen erklärt, dass die Arbeiterbewegung einen Krieg zwischen den herrschenden Klassen nicht mittrage. Im Falle des Krieges sollte gestreikt und der Widerstand der Arbeiterklasse organisiert werden. Spätestens bei Kriegsausbruch zeigte sich: Das waren nur leere Worte.
Luxemburg war eine der ersten und die erbittertste Kritikerin dieser Politik der SPD-Führung. In Wahrheit hatte sich die Führung der SPD schon in den Jahren vor dem Krieg hauptsächlich darauf konzentriert, ihre eigenen Parlamentssitze zu verteidigen, statt die Arbeiterklasse im Kampf Richtung Revolution zu führen.
Als 1914 der Krieg ausbrach, knickten die reformistischen Führungen der Sozialdemokratischen Parteien ganz Europas sofort gegenüber ihren jeweiligen nationalen Bourgeoisien ein: Anstatt mit der Arbeiterklasse der verschiedenen Länder gegen die herrschende Klassen und ihren imperialistischen Krieg zu kämpfen, zogen sie mit der herrschenden Klasse in den Krieg – gegen die ArbeiterInnen der anderen Ländern.
Die SozialdemokratInnen und die Gewerkschaften verpflichteten sich gegenüber der Bourgeoisie dazu, den Klassenkampf zu pausieren. Weder Streiks noch politische Opposition waren während dem Krieg erlaubt. Der Kampf sollte sich auf den «äusseren Feind» zur «Verteidigung der Nation» richten. Das war ein völliger Verrat an der Arbeiterklasse: Plötzlich sollten also die Brüder und Schwestern der Arbeiterklasse jenseits der nationalen Grenze die Feinde sein, obwohl die Arbeiterklasse der verschiedenen Länder überhaupt kein Interesse an einem Krieg «ihrer» herrschenden Klasse haben konnte.
Die Situation zu Beginn des Ukraine-Krieges erinnert stark an 1914: Die Führungen der traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse ganz Europas haben sich sofort in die nationale Einheit mit «ihrer» herrschenden Klasse gegen Russland eingereiht. Sie unterstützen an vorderster Front die Interessen des westlichen Imperialismus und haben am lautesten nach Sanktionen und Waffenlieferungen gerufen. Wie 1914 nehmen die Führungen der Arbeiterbewegung die Seite des Imperialismus und der Herrschenden ein, anstatt einen konsequenten internationalistischen Klassenstandpunkt gegen den Krieg zu verteidigen. Und wer dafür bezahlt, sind die Lohnabhängigen: In der Ukraine mit ihren Leben, in Russland für die Sanktionen und überall mit Inflation.
In Deutschland verhinderte die SPD durch ihren Verrat, dass in den ersten Jahren des Weltkrieges ein anti-militaristischer Widerstand der ArbeiterInnen organisiert werden konnte. Rosa Luxemburg war eine der einzigen, zusammen mit Karl Liebknecht, die sich mutig auf den Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse gegen den Krieg stellte.
In der «Junius-Broschüre» von 1915 schrieb Luxemburg ein Programm gegen den imperialistischen Krieg. Sie zeigte auf, was die SPD tun sollte. Luxemburg wies das Argument der SPD-Führung zurück, man müsse sich im Krieg für eine der kriegführenden Seiten entscheiden. Die Kapitalisten und die Lohnabhängigen haben nicht das gleiche Interesse. Die letzteren können nur auf ihre eigene Kraft setzen, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Luxemburg zeigte auf, dass es eigentlich die Aufgabe der SPD wäre, die Interessen der internationalen Arbeiterklasse gegen die Interessen der imperialistischen Mächte zu verteidigen.
Sie entlarvte die Lügen und die Heuchelei der herrschenden Klasse und der SPD-Führung. Diese behaupteten, den Krieg gegen den barbarischen russischen Zaren zu führen, um die demokratischen Freiheiten der deutschen ArbeiterInnen zu sichern. Aber Luxemburg zeigte auf: Wenn sie wirklich gegen den Zarismus und für die Demokratie der ArbeiterInnen kämpfen wollten, dann würden sie die revolutionäre Bewegung in Russland unterstützen, anstatt sich hinter die deutschen Kapitalisten zu stellen.
Luxemburg erklärte, dass «die erste Pflicht [der SPD] gegenüber dem Vaterland in jener Stunde war: ihm den wahren Hintergrund dieses imperialistischen Krieges zu zeigen, das Gewebe von patriotischen und diplomatischen Lügen zu zerreissen, womit dieser Anschlag auf das Vaterland umwoben war; laut und vernehmlich auszusprechen, dass für das deutsche Volk in diesem Krieg Sieg wie Niederlage gleich verhängnisvoll sind…»
Luxemburg zeigt uns den Weg: Wir müssen den Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse verteidigen. Während alle anderen vor dem Druck der herrschenden Klasse eingebrochen sind, kämpfte Luxemburg unerbittlich gegen den Krieg und die reaktionäre Politik der SPD.
Luxemburg war, zusammen mit einer Handvoll RevolutionärInnen, mit ihrer Klassenposition isoliert. Da die organisierte Arbeiterbewegung keine Alternative zum Krieg bot und nichts tat, um die Lügen und die Heuchelei der herrschenden Klasse zu entlarven, griff zu Beginn des Krieges eine allgemeine nationalistische Kriegshysterie um sich – ganz ähnlich wie heute. Die Verwirrung und nationalistischen Gefühle drangen so bis tief in die Arbeiterklasse.
Doch dies änderte sich im Verlauf der Jahre. Mit den Jahren des Krieges zeigte sich immer deutlicher: Das war ein Krieg der Kapitalisten, in dem die ArbeiterInnen nur verlieren können. So bildete sich in den verschiedenen Ländern zunehmender Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg. Der Klassenkampf trat wieder in den Vordergrund und entblösste die «nationale Einheit» als Lüge. Und am Ende hat sich die Perspektive von Luxemburg bestätigt: Es war es die Arbeiterklasse, die den Ersten Weltkrieg beendete durch ihre Revolutionen in Russland 1917 und in Deutschland 1918.
Luxemburg stürzte sich in den revolutionären Prozess, um die Revolution bis zum Sieg des Sozialismus zu führen. Sie kämpfte unerbittlich gegen die reformistische SPD-Führung, die auch in diesem Moment die Arbeiterklasse verriet und die Revolution in bürgerliche Bahnen zu lenken versuchte.
Doch eines wurde ihr zum Verhängnis: Sie führte diesen Kampf fast alleine. Sie hat zu spät angefangen, eine revolutionäre Strömung aufzubauen, welche die richtigen Positionen in der Arbeiterbewegung verteidigen konnte.
Wir müssen die Geschichte studieren und aus ihr lernen. Wir brauchen marxistische Theorie, um in allen Umständen eine klare Trennlinie zwischen den Interessen der Lohnabhängigen und den Kapitalisten ziehen zu können. Genau deshalb müssen wir uns auch mit den Ideen und dem Kampf von Rosa Luxemburg auseinandersetzen. Doch vor allem reichen gute Ideen und korrekte Positionen alleine nicht: Es braucht eine revolutionäre Führung in den Kämpfen, welche diese Ideen verteidigt und verankert. Dies fehlte damals in Deutschland und dies fehlt heute in der Schweiz. Doch mit der International Marxist Tendency bauen wir genau diese Organisation auf der ganzen Welt auf.
Die Redaktion, Der Funke
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